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Als ich vor einem knappen Jahr hier die beiden nachfolgenden Fotopostkarten vorstellte, sinnierte ich ein wenig über die Gründe der militärischen Präsenz in unserem Heimatstädtchen, weit ab von jeglicher Front.

Senftenberg   Senftenberg

Mittlerweile bin ich etwas schlauer. So wurden bewaffnete Truppen dazu eingesetzt, strategisch wichtige Punkte, wie Bahnhöfe, Brücken oder Strassen zu sichern. Damit sollte gewährleistet werden, dass die Mannschafts- und Materialtransporte zu und von den Kriegsschauplätzen reibungslos funktionieren. Mit Auftauchen des heute vorzustellenden Stückes kommt noch eine weitere Funktion hinzu: die Bewachung von Kriegsgefangenen.
Auf dieser Fotopostkarte aus dem Jahr 1915 sehen wir eine Reihe russischer Kriegsgefangener in trauter Eintracht mit ihren deutschen Bewachern. Wenn wir bei letzteren nur "gestandene Mannsbilder" sehen, dann liegt das daran, dass es sich hier wiederum um den Landsturm handelt. Dieser war quasi das "letzte Aufgebot" und bestand aus Männern zwischen 17 und 20, sowie 39 bis 45 Jahren, die aufgrund des Alters nicht im Heer dienten. Ein Vorläufer dessen was wir unter "Volkssturm" aus dem 2.Weltkrieg kennen.

Senftenberg
Max Artlich, Photogr. Atelier,
Senftenberg N.-L.,
Bahnhofstr.36
Aufnahme = 1915
Sammlung Matthias Gleisner
Doch zurück zum eigentlichen Foto. Der Kreideschriftzug auf der kleinen Tafel gibt uns sowohl wer, wann und wo bekannt: Russenlager auf Grube Marie III 1915 kann man dort lesen. Grube Marie III befand sich nördlich von Sauo und somit fällt diese Abbildung noch knapp in mein Untersuchungsgebiet. Die russischen Kriegsgefangenen wurden während des 1. Weltkriegs in den Tagebauen und Fabriken unseres Braunkohlenreviers eingesetzt. Dass man mit den beiden Konfettikanonen, die man auf das Bild bugsiert hatte, niemanden beeindrucken konnte, das beweisen die zahllosen Meldungen im Senftenberger Anzeiger aus den Kriegsjahren, in denen von flüchtigen Kriegsgefangenen die Rede ist. Ich habe einmal einen bunten Strauss solcher Meldungen zusammengestellt und zur Erbauung der Leserschaft niedergeschrieben...

Senftenberg, 25.Mai 1915. In vergangener Nacht sind von den gefangenen Russen, welche auf dem Werke Meurostolln bei Meuro arbeiten und dort in einem entsprechend umgebauten Besitztum untergebracht sind, 3 Mann entwichen. Die Bewohner der Umgegend werden deshalb gut tun, wenn sie auf Herumstreichende aufpassen und jeden Verdächtigen der nächsten Behörde anzeigen.

Senftenberg, 13.August 1915. In der Nacht vom 12. zum 13. d.M. sind von der Grube "Meurostolln" drei russische Kriegsgefangene entwichen. Einer ist mit schwarzer Hose mit gelben Streifen bekleidet und hat schwarzes Haar. Größe 1,75 Meter. Die anderen beiden tragen blaue bezw. graue Hosen.

Senftenberg, 2.September 1915 Vom Abraum- Betriebe der Grube "Elisabeths-Glück" bei Sauo sind in der vergangenen Nacht zwei russische Kriegsgefangene, Stefan Charkowski und Mitrosen Wasilenko, entwichen. Beide wurden in der Heide bei Niemitsch von Zivilpersonen betroffen. Während Charkowski festgenommen und der Wache an der Elster-Brücke überliefert werden konnte, gelang es dem Wasilenko zu entfliehen. Er verschwand im Walde. Bekleidet war derselbe mit schwarzer Hose, grauem Rocke und grauem Mantel. Zweckdienliche Nachrichten wolle man der nächsten Polizei- oder Gendarmerie- Station geben.

Senftenberg, 4.September 1915. Zu der Mitteilung in der Nr.207 d. Bl., betreffs die Einbringung des von Grube Elisabethsglück bei Sauo entwichenen Russen, wird uns noch berichtet, daß an der Erlangung desselben einige junge Niemtscher Damen wesentlichen Anteil haben. Dieselben fanden den Russen in einem dichten Waldbestand und brachten ihn durch einige Sätze in russischer Sprache, wobei sie ihm Befriedigung seines Hungers in Aussicht stellten, dazu, daß er ihnen folgte. Auf diese gute Manier führten sie dann den Russen der in der Nähe befindlichen Gendarmerie zu.

Senftenberg, 21.Dezember 1915. Festgenommen wurde gestern abends von dem Posten an der Elsterbrücke der Russe Hera. Er trägt Zivilkleider mit blauer Monteurbluse und gelbem Abzeichen am Oberarm. Anscheinend handelt es sich um einen entwichenen russischen Militärgefangenen. Zweckdienliche Mitteilung wird an die hiesige Polizei erbeten.

Senftenberg, 14.Januar 1916. Von den 30 kriegsgefangenen Russen, welche am 9. Januar von der Zuckerfabrik Nauen der "Ilse" überführt wurden, sind gestern früh 3 Gefangene von der Arbeitsstelle Abraum Anna Mathilde, wie bereits kurz gemeldet, entwichen, und zwar heißen dieselben: Franz Kliemtschak, Sermoi Markarow und Jesau Manitschwarow. Der eine von den Dreien ist ein Lodzer und hat vor Kriegsbeginn in Deutschland gearbeitet; er spricht ziemlich geläufig Deutsch und ist bekleidet mit einem grauen Zivilmantel und einem runden braunen Zivilhut mit kleiner Krempe. Die beiden Anderen tragen russische Uniform mit Mänteln. Das Antreffen solcher Personen melde man schleunigst der nächsten Behörde.

Senftenberg, 23.Januar 1916. Ein russischer Kriegsgefangener versuchte gestern mittags mit einem fahrplanmäßigen Zuge stillschweigend abzudampfen. Durch sein Benehmen fiel er jedoch auf. Man hielt ihn an und verständigte die hiesige Polizei, welche den Flüchtling in Gewahrsam nahm. Der Festgenommene ist nur der russischen Sprache mächtig. Er ist ca. 173cm groß, hat blaue Augen, blondes Haar, auf dem linken Backenkochen eine Narbe und pockennarbiges Gesicht. Bekleidet ist er mit schwarzem Winterüberzieher, von dem der Erkennungswinkel entfernt ist, grauer Joppe, feldgrauer Hose und grauer Feldmütze.

Senftenberg, 25.Januar 1916. Der in der gestrigen Nr. als entwichen gemeldete russische Kriegsgefangene war von den Zschipkauer Werken. Es ist der Soldat Wasyli Tellegen vom 5. russischen Infanterie-Regiment, dem es unter dem Vorwande, sich krank zu melden, gelang, die Flucht zu ergreifen.

Senftenberg, 17.März 1916. Ein gestern abends hier in der Sprembergerstraße festgenommener russischer Kriegsgefangene will bei der Firma Leistikow auf Bahnbau Reppist beschäftigt sein. Die Identität steht jedoch noch nicht bestimmt fest.

Senftenberg, 8.Juli 1916. Entwichen sind gestern nachmittags von dem Abraumbetriebe der Grube "Elisabethsglück" in Sauo die russischen Kriegsgefangenen Nikolai Sokoloff und Parselin Bilschinko. Beide tragen Gefangenenkleidung. S. ist 180cm groß, hat hellblondes Haar und blaue Augen. Leicht erkenntlich ist er durch seine auffallend roten Wangen. B. ist 178cm groß, hat blondes Haar und blaue Augen.

Senftenberg, 9.August 1916. Aus der Grube des Werkes Viktoria II der Niederlausitzer Kohlenwerke sind in der Nacht vom 8. zum 9.d.M. zwischen 1 und ½2 Uhr zwei russische Kriegsgefangene entwichen: 1) Wasily Manuillow ist 24 Jahre alt, 1,76m groß, hat hellblondes Haar. Bekleidet ist er mit schwarzer Hose mit gelben Streifen, schwarze Litewka und schwarzer Soldatenmütze. 2) Afamasi Kolomezow ist 25 Jahre alt, 1,68m groß und hat blondes Haar. Bekleidet ist derselbe mit schwarzer Hose mit gelben Streifen, schmutziggrauer Litewka mit grauem Armband und grauer, russischer Militärmütze. Es wird gebeten, die Gefangenen bei ev. Festnahme an die nächste Militärbehörde abzuliefern und dem angegebenen Werke Mitteilung zukommen zu lassen.

Senftenberg, 21.August 1916. In der Nacht vom 19. zum 20. entwichen folgende 2 russische Kriegsgefangene aus dem Lager des Werkes Viktoria II: Iwan Kraftschenko ist 1,78m groß, schlanke Gestalt, hat blondes Haar und schwarzen Schnurrbart. Robert Grisle ist 1,76m groß, kräftig, hat hellblondes Haar und starken Schnurrbart. Beide sind mit Manchesterhosen mit gelben Biesen, neue schwarze Joppen mit gelben Armbinden und russischen Militärmützen bekleidet. - Es wird gebeten, bei evtl. Festnahme die Gefangenen an die nächste Militärbehörde abzuliefern und dem angegebenen Werke Mitteilung zukommen zu lassen.

Senftenberg, 15.November 1916. Am 14.d.M. abends zwischen ½6 und 6 Uhr sind auf dem Wege zur Arbeitsstelle folgende 2 russische Kriegsgefangene entwichen: Ephim Sloschzow, hat volles Gesicht, dunklen Schnurrbart und ist untersetzt. Bekleidet ist S. mit dunkler Joppe mit gelben Winkeln am Oberarm, mit schwarzer Hose mit gelben Biesen und trägt eine Tuchmütze mit Ohrenklappen. Wasely Iwanow ist groß und schlank und hat einen struppigen Vollbart. Bekleidet ist er mit grauer Joppe mit gelben Winkeln am Oberarm, schwarzer Hose mit gelben Biesen und trägt eine russische Miltärmütze. Es wird gebeten, die Gefangenen bei ev. Festnahme an die nächste Militärbehörde abzuliefern und dem oben angegebenen Werke Mitteilung zukommen zu lassen.

Aber auch "Russen auf Durchreise" schafften es in die hiesige Lokalpresse...

Senftenberg, 12.September 1916. Gestern nachmittag wurde an der Strecke Hohenbocka in einem Birkenbusch ein russischer Kriegsgefangener durch Herrn Eisenbahnoberschaffner Müller hier betroffen und trotz Widerstrebens zur Polizeiwache geführt, woselbst seine vorläufige Festnahme erfolgen konnte. Der Festgenommene will der Sergeant Iwan Gusarow, am 2.Juni 1890 in Petersburg geboren, sein. Er beherrscht mehrere Sprachen, will im Juli d.J. am Narocz-See in Gefangenschaft geraten und von dort in einem Lager bei Kalisch untergebracht worden sein. Dort sei es ihm gelungen, die Flucht zu ergreifen. Sein Reiseziel sei die Schweiz. Bereits 26 Tage will er unterwegs sein. Die Ortschaften, die er auf seinem Wege hierher berührt hat, will der Entwichene nicht kennen, trotzdem er deutsche Karten mit sich führte. Auffallend ist es, daß er seinen Rucksack voll Zwiebackbrot, sogen. eiserne Portionen, und eine Anzahl Streichhölzer in Schachteln mit sich führte. Zweifellos ist er zur Ausführung einer besonderen Mission durch Deutschland gewandert, worüber die weiteren Ermittlungen wohl Aufklärung geben werden.


Ich möchte heute nochmals die Thematik der letzten Woche aufnehmen... die kleinen und feinen Unterschiede. Dazu begeben wir uns geografisch zunächst in die Senftenberger Bahnhofstrasse, Einmündung Albertstrasse. An diesem Punkt wurden die drei heutigen Motive aufgenommen. Die erste Abbildung, die mit dem "Thema" unmittelbar nichts zu tun hat, zeigt nicht die Bahnhof- sondern die Albertstrasse.

Senftenberg
019759
Brück & Sohn. Meissen.
Aufnahme <= 1915
Sammlung Fred Förster
Senftenberg

Das Motiv ist bekannt aber nie war es so schön (bunt) wie heute...
Die beiden Häuser rechts existieren heutzutage nicht mehr. Stattdessen befindet sich dort ein leicht verwahrlostes Grundstück inklusive einer seit Jahren ungenutzten Kindereinrichtung. Ich frage mich, wie lange es noch dauert, bis diese innerstädtische Fläche endlich einer Neunutzung unterzogen wird.

Eine 90 Grad Drehung nach rechts und der Fotograf nahm die Bahnhofstrasse vor das Objektiv...

Senftenberg
Verlag: Erich Krause,
Papierhandlung,
Senftenberg, N.-L.
Aufnahme <= 1915
Sammlung Matthias Gleisner
Senftenberg   Senftenberg
Verlag: G.R. Ziethe,
Papierhandlung,
Senftenberg, N.-L.
Aufnahme <= 1915
Sammlung Matthias Gleisner

Bei Auftauchen des linken Motivs dachte ich spontan "Kenn ich. Hab ich." Gedanklich war ich dabei bei dem rechts abgebildeten Motiv, oder genauer gesagt bei seiner colorierten Fassung. Nur kurze Zeit später musste ich mich revidieren, denn die enthaltenen Personen machen den Unterschied! Im direkten Vergleich fällt einem das natürlich sofort ins Auge. Geht man jedoch gedanklich seine Bestände durch, dann rutscht einem aber auch schnell mal etwas durch.
Nun wäre es nicht das erste Mal, dass auf ein und demselben Grundmotiv Personen erscheinen oder verschwinden. Aber mehr oder weniger ganz andere Personen - so etwas hatte ich bislang noch nicht! Das hielt ich bis dato für ausgeschlossen, so dass ich eine Zeitlang von zwei (leicht) unterschiedlichen Motiven ausging. Durch Hinzunahme einer dritten Ansichtskarte (nämlich dieser hier

Senftenberg

) und mit Hilfe der Digitaltechnik konnte ich letztlich zweifelsfrei nachweisen, dass alle drei auf einem einzigen Grundmotiv beruhen! Speziell in sämtlichen Häuserfassaden konnte ich eine völlige Deckungsgleichheit herstellen. Andere Details wiesen ohnehin gleiche Merkmale auf. Dass die Belaubung der Allebäume ggf. unterschiedlich ausfällt, sollte uns nicht weiter stören... DAS wurde in vielen Fällen ziemlich freihändig und individuell gehandhabt. Das Ganze hatte nunmehr zur Folge, dass die "patriotische" Karte nach einigen Jahren, während denen sie unter AK_SFB 209_1 lief, eine neue Nummer erhalten musste. Die dabei entstandene Lücke wird demnächst gefüllt.
Bei dieser Version wurde, wie man gut erkennen kann, neben den Personen auch noch an den Markisen links manipuliert. Sprich: sie wurden nachträglich entfernt.

Letztlich muss man sich fragen, ob und wenn ja, welche Personen auf den drei Ansichtskarten zum Zeitpunkt der Aufnahme überhaupt "echt" waren (Die Dame in weiss auf der patriotischen Karte hielt ich übrigens von Anfang an für künstlich). Ich jedenfalls ziehe meinen Hut vor den Leistungen der Ansichtskartenproduzenten, die mit einer unglaublichen Meisterschaft zu Werke gingen und perfekte Illusionen schufen, die uns noch einhundert Jahre später und selbst bei digitaler Vergrösserung zeitweilig in die Irre führen können.

P.S. : Momentan hat mein Hoster, die Deutsche Telekom, massive Probleme bzgl. der MySQL-Datenbanken, die sie ihren Kunden zur Verfügung stellen. Einige Bestandteile von www.gruss-aus-senftenberg.de basieren auf einer solchen Datenbank. Aus diesem Grund sind einige Funktionalitäten meiner Website derzeit eingeschränkt, sprich: langsam oder zeitweise überhaupt nicht abrufbar. Sorry, aber das ist nicht meine Schuld.