13.07.2025

Meine Damen und Herren, Sie lesen ...

Senftenberg schreibt Geschichte neu!

Die reißerische Überschrift sollte man meiner Meinung nach ändern in:

Senftenberg: Schreibst du schon oder suchst du noch?

Wie man an links abgelegtem Screenshot erkennen kann, zündete die Stadtverwaltung unlängst die nächste Rakete mit Ziel Bindung eines (oder mehrerer) Autoren (m/w/d) zur Schaffung eines bedeutenden Werkes, das die Geschichte Senftenbergs von anno Bastschuh bis heute anschaulich und wissenschaftlich fundiert beschreibt.
Unter höchsten fachlichen Ansprüchen macht man es aber nicht!

Im eigentlichen Wettbewerbsaufruf legt man noch ein bisschen nach. Im Vergleich zur ersten Variante aus dem Jahr 2023, die übrigens Stand heute immer noch auf der Internetseite der Stadt abrufbar ist, liefert die neue Aufgabenstellung gleich noch umfangreiche "Leitplanken" mit. Neben Binsen wie "Grundkenntnisse in der Entzifferung historischer Schriften (z.B. Sütterlin) sind von Vorteil" oder "Zusammenarbeit mit Stadtarchiv, Stadtmuseum und ggf. lokalen Zeitzeugen gewünscht" ist der Rest aber nicht wirklich neu.
Der übergroße Teil der Eckpunkte resultiert vielmehr aus einem bereits vor einem Jahr formulierten Vertrag zwischen der Stadt Senftenberg und den designierten Auftragnehmern, dem Ehepaar Radochla, in dem die Parameter schon einmal fixiert worden waren.
Neu ist logischerweise die Bewerbungsfrist und damit automatisch die Zeit, die zur Realisierung des Auftrags noch zur Verfügung stehen wird. Nämlich so ziemlich genau 3 Jahre, denn die Deadline wurde zu allem Überfluß um 3 Monate vorverlegt.

Es ist also von den, mir nach dem überraschenden Vertrags-Aus mit den Radochlas im November 2024 geflüsterten,

"veränderten Parametern, Ansätzen und Partnern" nicht mehr übrig geblieben als daß man jetzt den Mund noch voller nimmt indem man dem zu schaffenden Werk schon im Vorfeld die höchsten Weihen verleiht.

Da sich grundsätzlich nichts an der Aufgabenstellung geändert hat, muß man sich fragen, warum es überhaupt zum Stopp Ende des letzten Jahres kommen konnte. Man hatte doch schon überall vollmundig die Verpflichtung der Radochlas propagiert und alles strahlte in den schönsten Farben... War der Auftraggeber plötzlich nicht mehr von der Eignung des Auftragnehmers überzeugt? Oder war dieser schlichtweg zu teuer?
Nachdem die Radochlas mit Hängen und Würgen, Schieben und Ziehen die einzigen (Wett)bewerber waren, die überhaupt am Haken zappelten und man damals somit überhaupt keine Alternative hatte, kann es aus meiner Sicht nur ums Geld gegangen sein... Ein Budget von 130.000 € an reinem Honorar, also ohne Druckkosten, ist schon kein Pappenstiel aber hey... höchste fachliche Ansprüche!.

Und jetzt fängt man notgedrungen wieder von vorne an. Grundsätzlich mit den selben Eingangsparametern bei gleichzeitig forcierter Erwartungshaltung sowie engerem Zeitkorsett. Was erhofft man sich? Was glaubt man, welche Wirkung die unter "ferner liefen:" positionierte Pressemeldung auf der Internetseite der Stadt entfaltet? Durch ersatzloses Streichen des Amtsblattes, in dem immerhin anno 2023 der initiale Aufruf parallel abgedruckt worden war, schränkt man die Reichweite der Offerte zusätzlich ein. Bislang ist keine Notiz in regionalen Presseerzeugnissen zu finden. Selbst dem offiziellen Auftritt der Stadt in den sozialen Netzen (Facebook, Instagram & Co.), der unter dem fragwürdigen Namen Senftenberger Innenstadt firmiert und zumindest über fast 1000 "Follower" verfügt, ist das Ganze keine Meldung wert.

Wollen die nicht? Oder können die nicht?

Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Dieser Spruch soll von Albert Einstein stammen. An der Urheberschaft Einsteins bestehen Zweifel was aber nichts am Wahrheitsgehalt der Aussage ändert. Die Herangehensweise der Stadtverwaltung hat sich im Vergleich zu Versuch Nr.1 keinen Deut verändert. Wie hoch ist also die Wahrscheinlichkeit, daß das Ergebnis ein anderes ist? Mehr als ein Bewerber? Überhaupt ein Bewerber? Einer der das Ganze "für 'nen Appel und 'n Ei" macht und dabei allerhöchste Qualität verspricht?
Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, mal nach rechts und links zu schauen, wie andere das gemacht haben. Just vor einigen Tagen veröffentlichte die Stadt Lübben eine Chronik, die auf 650 Seiten mit mehr als 750 Abbildungen die Historie der Stadt über etwa den gleichen zeitlichen Rahmen darstellt.
Zugegeben, ich kenne diese Chronik nicht, finde nur die Anzahl der Seiten (wie mickrig sind dagegen die max. 400, die Senftenberg veranschlagt?) und Abbildungen bemerkenswert. Auch habe ich kein Gefühl für das generelle Geschichtsinteresse der Lübbener, inwieweit sich die dortige Bürgerschaft eingebracht hat oder wie ausgeprägt der Kaufhunger nach dem 39 Euro teuren Buch ist. Angeblich ist das Interesse hoch, so daß Interessenten nicht allzu lange warten sollten, um ein Exemplar der limitierten Auflage zu ordern.

Lübben ist nicht Senftenberg. Und während man weiter nördlich ein Ergebnis vorweisen kann ist man hier unten noch damit beschäftigt, jemanden zu finden, der überhaupt die Aufgabe in Angriff nehmen möchte. Ich bin der Meinung, daß man so nur verlieren kann. Je mehr Zeit ins Land geht, ohne daß ein Auftragnehmer am Horizont erscheint, desto stärker ist der Auftraggeber im Zugzwang. Er will ja schließlich die Arbeit erledigt wissen, selbst wenn es unter Abstrichen bei der Qualität oder unter finanziellen Zugeständnissen sein muß. Wobei ich persönlich erstem eine höhere Wahrscheinlichkeit einräume denn immerhin scheiterte der initiale Anlauf mutmaßlich am Geld.
Und nach dem was man so aus den Senftenberger Amtsstuben vernimmt, sind die Kassen ziemlich leer. Da es auch unwahrscheinlich erscheint, daß man für das Schreiben einer Stadtchronik nationale oder gar europäische Fördergelder aquirieren könnte (eine solche Möglichkeit wird zwar im Text des Wettbewerbsaufrufs suggeriert aber was würde das den Auftragnehmer interessieren?), ist man gezwungen, die Kosten so gering wie möglich zu halten. Eine Lösung auf weitestgehend freiwilliger Basis sehe ich erst einmal nicht. Obwohl...
Wer in der Lage ist das Internet so zu benutzen, wie es einst gedacht war und nicht nur das wahrnimmt, was einem direkt ins Gesicht geplärrt wird, der hat möglicherweise mitbekommen, daß da im "Untergrund" schon jemand an einer Senftenberg-Chronik arbeitet: Der selbsternannte "Neu-Senftenberger" Christian Hübner hat mittlerweile die 3. Fassung seiner Chronik Senftenberg - 750 Jahre - 1279-2029 online gestellt. Auf mittlerweile 370 Seiten leistet Christian wertvolle Basisarbeit durch das Zusammentragen und Auswerten diverser Quellen. Das umfangreiche Werk ist (noch) nicht ganz fehlerfrei aber dafür, daß der Autor die ganze Arbeit alleine stemmt schon sehr ordentlich. Auch was die Vollständigkeit betrifft, gibt es aus meiner Sicht noch Luft nach oben. Aber hey, es ist ein Anfang und allemal mehr als die ganzen alteingesessenen Dampfplauderer je geschafft haben.
Sollte sich Christian nun für den offiziellen Senftenberg-Chronisten-Job bewerben um perspektivisch finanziell für seine Arbeit belohnt zu werden? "Ruhm und Ehre" stehen wohl - egal wer die Chronik schreibt und wie gut er das auch macht - in Senftenberg eher nicht in Aussicht. Meine Analysen über die Jahre zeigen beim Durchschnitts-Senftenberger ein verfestigtes Desinteresse an Heimatgeschichte mit Tendenz zu "es wird immer schlimmer!". Man weckt beim "Senftenberger vulgaris" nur noch mit Bildmaterial einen Hauch von Aufmerksamkeit. Dieses muss aber aus Zeiten und Orten stammen, die er aus seiner eigenen Biografie kennt. Ansonsten ist es gleich aus. Für jemanden wie mich, der mehrheitlich in Zeiten vor 1945 unterwegs ist, natürlich frustrierend.
Und jetzt kommt so eine Chronik daher, die über gut und gerne 700 Jahre lokaler Geschichte berichtet, die mit den noch Lebenden mal so gar nichts zu tun hat. Überdies sind 600 Jahre davon aus Mangel an Material kaum bis gar nicht zu illustrieren. Da steigt doch der Mensch des 21. Jahrhunderts, der gerade mal für 15 Sekunden TikTok-Video Aufmerksamkeit entwickeln kann, ganz schnell aus.
Mir kann keiner glaubhaft machen, daß es unter den Senftenbergern (die Ausnahmen kann man an zwei Händen abzählen) auch nur das geringste Interesse an einer Stadtchronik gibt. Ich stellte unserem Bürgermeister vor längerem die Frage, auf wie vielen der hunderten Wunschzetteln, die im Rahmen der zwei Senftenberger "Wünschefeste" bei ihm eingingen, die Sprache auf eine/die Chronik kam... Bis heute bekam ich keine Antwort von ihm. Ich erwarte auch keine da ich das Ergebnis schon vorher kannte...
Insofern sind die im Wettbewerbsaufruf postulierten höchsten (fachlichen) Ansprüche nur eine Floskel. 99 Prozent der Senftenberger haben - wenn überhaupt! - nur allergeringste Ansprüche an so ein Werk. Und vom Fach sind ja sowieso die allerwenigsten!

Ein letzte Sache wirft noch Fragen bei mir auf... der Punkt mit der Überprüfung durch ein externes Lektorat vor Drucklegung... Wer ist damit gemeint? Sind das dieselben, die den inhaltlichen Teil des "Rundgangs Gartenstadt Marga" begutachteten?

Sollte ich - da wahrscheinlich kein Entscheidungsträger meinen Text liest - meine Fragen direkt an das "Bürgermeisterbüro" stellen?
Ach, ich lass es lieber!

Amen