.
Ich möchte den interessierten Heimatforschern heute mal ein Buch und die Dissertation von Markus Agthe
kurz vorstellen und für vertiefende Forschungen in unserer Heimat ans Herz legen: HOCHINTERESSANT
und nutze dafür -wer könnte es besser, eine Rezension von Prof. Dr. Felix Biermann:
Buchbesprechung,
Markus Agthe: Kirchen zwischen mittlerer Elbe und Bober.
Untersuchungen zu Aspekten der archäologischen Denkmalpflege und Baugeschichte. Wünsdorf 2017. 373 S., 32 tab.,
740 meist farbige Abb. (= Forschungen zur Archäologie im Land Brandenburg 17)
Seit den 1980er Jahren beschäftigt sich Markus Agthe, Leiter der Außenstelle Cottbus
des brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und archäologischen Landesmuseums,
mit der Archäologie und Baugeschichte der Kirchen im Süden des Landes Brandenburg. Zentraler Ertrag dieser gut
dreißigjährigen Tätigkeit ist die vorliegende Studie, die 2015 als Dissertation an der Brandenburgischen
Technischen Universität Cottbus-Senftenberg verteidigt wurde.
Es geht um die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt-, Kloster- und Dorfkirchen
sowie die Kapellen der Niederlausitz (inklusive ihres polnischen Teils) und des westlich benachbarten Elsterlandes.
Da die dörflichen Sakralbauten, die meist auf das späte Mittelalter zurückgehen, besonders zahlreich sind,
stehen sie im Fokus der Arbeit: ihre Datierung und bauliche Entwicklung, ihre architektonischen Bezüge, ihre Ausstattung
und ihr kulturhistorischer Kontext. das Herzstück des reich bebilderten Buches ist ein 634 Nummern
umfassender Katalog, der historische, kunstgeschichtliche und archäologische Informationen zu
den christlichen Kultorten im Arbeitsgebiet ausbreitet.
Auf der Grundlage dieser beeindruckenden Datensammlung bespricht der Verf. die Entwicklung und Methode der
kirchenarchäologischen Forschung, legt einschlägige Bodenfunde, historische und bildlich-kartographische Quellen vor und
schreibt eine facettenreiche Kirchen- und damit auch Siedlungsgeschichte der Region.
Die Schrift ist so plausibel und übersichtlich gegliedert, dass sie als Handbuch zum mittelalterlichen Kirchenbau
des Landes zwischen mittlerer Elbe und Bober dienen kann.
Von den verschiedenen jüngeren Arbeiten über kirchenregionen in Ostdeutschland, die das
Thema meist kunst- und bauhistorisch angehen, hebt sich die vorliegende arbeit durch ihren
archäologischen Schwerpunkt ab.
Gleichwohl fallen historische, bau- und kunstgeschichtliche Aspekte mitunter etwas knapp aus. umso einge-
hender werden dafür archäologische Gesichtspunkte berücksichtigt, insbesondere zu den hölzernen
Vorgängern steinerner Kirchen. die Voraussetzungen für dieses Unterfangen sind unter zweierlei as-
pekten besonders günstig: erstens kann der Verf. archäologische Beobachtungen an gut 220 Kirchen
heranziehen, an denen er nicht selten selbst beteiligt war, und unter denen Großgrabungen aus dem
niederlausitzer Braunkohlentagebau von besonderer Aussagekraft sind,
z.b. an den Dorfkirchen von Horno, Pritzen, Weißagk und Wolkenberg. allerdings war dies der Nebeneffekt
der bedauerlichen Vernichtung einer Kulturlandschaft – besonders tragisch erscheint die Sprengung der ehedem
einsam in Wald und Wiesen gelegenen „Wüsten Kirche“ von Fürstlich Drehna im Jahre 1979, die als
gewaltige Ruine eines der eindrucksvollsten mittelalterlichen Denkmale der Niederlausitz bildete.
in seinem forschungsgeschichtlichen Überblick führt der Verf. die großen Leistungen der Archäologie
insbesondere seit Mitte der 1970er Jahre vor Augen, als einem für die Energieversorgung der DDR
expandierenden Braunkohletagebau zahlreiche Dörfer und ihre Kirchen zum Opfer fielen.
Zweitens ist der Verf. als versierter Kirchenarchäologe prädestiniert für die sachkundige Auswertung der vielen
Grabungsbefunde, die für sich genommen oft bescheiden oder mehrdeutig sind. Die Darstellungen
zur Methodik und Anlage der Untersuchungen lesen sich entsprechend wie ein einmaleins der
Kirchenarchäologie. besonders bemerkenswert sind die großen Mengen von Münzen und Stecknadeln
zur Frauentracht, die sich bei Ausgrabungen in Kirchen regelmäßig einfinden, seitdem das Material
aus Fußbodenhorizonten komplett gesiebt wird. bei entsprechender Mikrokartierung verraten diese
Funde Aktivitätszonen – etwa den Umlauf des Klingelbeutels oder den Standort des Opferstocks – und
die Sitzordnung der Geschlechter im Gottesdienstes.
Originell sind die Vergleiche des Münzspiegels. aus historischen fußböden mit rezenten Verlusten in heutigen Kirchen,
um aus der Fundmenge Rückschlüsse auf den Umfang der Kollekten zu erschließen. dafür hat der Verf. etliche Fußböden
von niederlausitzer Kirchen abgesucht, vor allem unter dem Gestühl.
der slawisch besiedelte Raum zwischen Elbe und Bober war im Laufe des 10. Jahrhunderts zum
großen Teil vom ostfränkisch-deutschen Reich unterworfen und auch in die zwischen 948 und 968
geschaffene Bistumsorganisation einbezogen worden; im Osten hatte sich die ebenfalls christliche
polnische Piastenmacht etabliert. dennoch kam es zunächst offensichtlich nicht zu besonderen
Christianisierungsbemühungen.
Erst im 12. Jahrhundert werden mit der Gründung von Klöstern – so in
Doberlug und wohl auch in Guben – sowie der Nennung einer Kirche in Cottbus erste christliche
Kultbauten erkennbar. In deutschen und polnischen Burgen, die seit dem späten 10. Jahrhundert
als Herrschafts- und Verwaltungsstützpunkte entstanden, kann man bereits deutlich früher Kirchen
vermuten, doch fehlen schriftliche oder archäologische Befunde.
Einen aus einigen Pfostenstellungen in der Dorfkirche von Schönfeld erschlossenen spätslawischen Sakralbau
betrachtet der Verf. zu recht mit Skepsis; auch wiederholt vermutete heidnische kultstätten an der Stelle späterer christlicher
Gotteshäuser, etwa bei den abseits der Dorfzentren errichteten Kirchen von Madlow und Fürstlich
Drehna, haben in seinen augen keinen Bestand. Erst im fortgeschrittenen 12. und 13. Jahrhundert,
mit der westlichen Zuwanderung und der Umstrukturierung der Siedlungslandschaft im Rahmen
der deutschen Ostsiedlung, entstand die Masse der Kirchen – neben Kloster- und Stadtkirchen eine
das Land flächendeckend erfassende Pfarrorganisation mit einem Netz von Dorfkirchen. diese aus
Findlingen, seltener auch aus Backstein, errichteten, oft überraschend stattlichen Bauwerke
prägen bis heute die Kulturlandschaft.
Von überregionaler Bedeutung sind die mehrfach gesicherten hölzernen Vorgänger jener Kirchen:
Schwellsteinreihen (eindrucksvoll in Horno) oder eingesenkte Balken, im Kircheninneren längs der
Mauern, belegen deren Ständerbauweise. besonders charakteristisch erscheinen diese Schwellen,
wenn sie „mehrere parallel nebeneinander liegende, eingegrabene Holzbalken“ (S. 90) wie in
Bockwitz und Pritzen aufweisen.
Auch Pfostenkonstruktionen kamen vor, können in den begrenzten Grabungsschnitten innerhalb der
Kirchen aber meist nicht näher erschlossen werden; teils dürften
die Pfosten lediglich Schwellbalken unterfangen haben. die Verwechslung mit baugerüsten oder
Emporenstützen, die bei derlei archäologischen Befunden möglich ist, lässt sich mehrfach sicher
ausschließen. die frühen Holzkirchen waren in der Regel klein (bis zu 80 m² grundfläche) und
wiesen einfache Rechteckgrundrisse auf; davon heben sich massive Bauwerke der Zeit um 1200
ab, so Klöden, Riedebeck und Waltersdorf.
Der Grund für die besonders stattliche spätromanische Ausführung dieser Gotteshäuser ist wohl
in der Pfarrorganisation oder Herrschaftstopographie zu suchen, letztlich aber ungewiss.
dass Kloster- und Stadtkirchen von anfang an aus Feld- und Backstein gemauert waren,
ist hingegen leicht mit der allgemeinen bedeutung und wirtschaftlichen kraft ihrer Bauherren und Nutzer erklärlich.
Nach verschiedenen Indizien scheinen steinerne Aus- und Neubauten etwa 30–80 Jahre nach
den ersten holzgebäuden erfolgt zu sein, als Ergebnis wirtschaftlicher Konsolidierungsphasen und
mitunter – so in Wolkenberg – in fliegendem Wechsel von Holz- zu Steinbauelementen.
Es konnte aber auch Holz- auf Holzgebäude folgen, bevor ein Massivbau errichtet wurde, und bei manchen
Sakralbauten blieb Letzterer überhaupt aus. nach wenigen aufgehend erhaltenen Wandteilen und
sekundär verbauten Hölzern hat es sich bei den frühen Holzkirchen um Rahmen- und lehmverfugte
Blockbauten gehandelt, teilweise verziert mit geschnitzten und gemalten Ornamenten. eingegrabe-
ne Schwellbalken kamen vom späten 12. bis 13. Jahrhundert zur anwendung, Schwellsteinreihen
tendenziell etwas später.
Hinsichtlich der Steinbauten kann der Verf. die auch andernorts beobachtete Entwicklung von
relativ schwachen zu immer massiveren Fundamenten bestätigen. Die Grundmauern seien von der
ortsansässigen Bevölkerung gelegt, die Wände aber von wandernden Bauleuten aufgeführt worden.
Sorgfältigem Mauerwerk aus Granitquadern, gemeinhin Kennzeichen der Frühphase des Steinbaus
im ostelbischen Raum, soll in einigen fällen unregelmäßig gesetztes Findlingsgemäuer vorangegangen
sein, wie es ähnlich dann wieder im späteren Mittelalter auftrat; sicherlich Bedarf diese Frühphase.
Die meisten Steinkirchen entstanden erst ab etwa 1250, also relativ spät, und erlebten ihre blüte
im 15. Jahrhundert. „die deutlichen Schwankungen in der anzahl der im 13., 14. und 15. Jh. neu
errichteten Steinkirchen spiegeln wahrscheinlich die auswirkungen der sogenannten spätmittelalter-
lichen Agrarkrise des 14. Jhs. wider“ (S. 120). Die absolute Datierung der Bauwerke anhand von
Jahrringdaten aus ihren Dachstühlen betrachtet der Verf. kritisch, da laut Schweizer Ergebnissen
„rund 5 % der Dendrodatierungen fragwürdig oder gar falsch waren“ (S. 108). Dies ist jedoch eher
zu vernachlässigen. Viel gravierender ist die in verschiedenen neueren Arbeiten zum Kirchenbau
erkennbare Tendenz zur unbesehenen Datierung eines Bauwerks durch Jahrringdaten unter der
keineswegs durchweg zutreffenden Prämisse, das Dachwerk oder dessen beprobte Balken würden
in die Erbauungszeit der jeweiligen Sakralbauten zurückgehen.
Verschiedenste Elemente dieser Kirchen werden anhand archäologischer oder im aufgehenden
erhaltener Objekte erläutert, so Altar- und Taufsteinfundamente, Holztürme und besondere Bo-
dengestaltungen: z.b. ein Ornamentziegelfußboden in der Doberluger Klosterkirche oder der mit
kuriosen Symbolen – Vögel, Swastiken, Sterne – stempelverzierte Backsteinfußboden in Riedebeck.
Die vielen Einzelbeobachtungen führt der Verf. in seiner ausführlichen Auswertung zu einem
dichten kulturhistorischen Gesamtbild zusammen. So präsentiert er Daten, die die Anfänge der
ostsiedlungszeitlichen Zuwanderung in der Niederlausitz bereits in der zweiten hälfte des 12. Jahr-
hunderts und die die Herkunft der Siedler u.a. aus Franken sowie den Niederlanden nahelegen. er
arbeitet Regionalstile ebenso heraus wie urbane und weltliche Einflüsse auf die Architektur oder
Stilfamilien rund um Klöster.
Das Buch ist – wie für die Reihe gewohnt – in exzellenter Qualität redigiert und publiziert worden.
Gleichwohl veranschaulichen die durchweg farbigen fotos, ergänzt um grabungs- und baupläne, den reichen
Denkmalbestand in ansprechender Weise. D
Die hervorragende Studie von M. Agthe wird fortan unverzichtbar für alle Forschungen zum
mittelalterlich-frühneuzeitlichen Kirchenbau in der Niederlausitz und ihren Nachbargebieten sein.
Felix Biermann
Quelle:
Jahrbuch fpr Brandenburgische Landesgeschichte, 69. Band
Herausgegeben im Auftrage der Landesgeschichtlichen Vereinigung
für die Mark Brandenburg e. V. (gegr. 1884) von Peter BahL, Clemens Bergstedt, Felix Escher, Ines Garlisch und Frank Göse
Berlin 2018