ICH erinnere mich gern an meine
KINDHEIT, während der ich ziemlich erwartungsvoll in die Zukunft blickte. Meine
NACHKRIEGSGENERATION wuchs in einer Zeit auf, als der erste „Arbeiterpräsident“
WILHELM PIECK – für uns Kinder eine gutmütige
GROSSVATERFIGUR – alles zum Guten richten sollte. Wir erklommen zuerst das
LAUFGITTER, nachfolgend den
KINDERGARTEN & schließlich die
SCHULE, in der aber anfangs nur
DIE KINDER, welche überaus fleißig lernten, ein blaues
HALSTUCH geschenkt bekamen. Wir dachten damals noch, dass uns nun die ganze Welt offen stehen, die „kleine weiße Friedenstaube“ beschützen und „der kleine Trompeter“ auf allen Wegen begleiten würde.
Um aber auch zielbewusst „voranzuschreiten“, lernten wir sicherheitshalber noch weitere
PIONIERLIEDER wie "Die Heimat hat sich schön gemacht" oder "Blaue Wimpel im Sommerwind",
sowie den folgenden
VERS auswendig:
Mein Stolz ist das Halstuch, das blaue, schaut her!
Ich halte es sauber, es kleidet mich sehr.
Ich trage mein Halstuch, wo immer ich bin;
Es leuchtet die Bläue des Himmels darin.
Und weil ich es liebe, verspreche ich hier:
Ich halt es in Ehren als Jungpionier.
Das
PIONIERHALSTUCH umzubinden, war nur anfangs etwas Besonderes, danach aber völlig normal. Es gehörte einfach dazu, wie das morgendliche Aufstehen, zur Schule gehen und Lesen, Schreiben & Rechnen lernen. Für mich und meine Klassenkameraden war dies eine SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT, ein Teil unserer KINDHEIT, konkret der SCHULZEIT. So sind wir halt aufgewachsen und daran gewöhnt worden, ein Leben lang Mitglied irgendeiner großen ORGANISATION zu sein.
Das BLAUE, ab 1973 das ROTE Halstuch, gehörte für uns DDR-Kinder 4 Jahrzehnte lang zum Alltag. Seine drei ZIPFEL symbolisierten angeblich die Einheit von ELTERNHAUS, SCHULE & JUGENDVERBAND. Die HALSTÜCHER gab es gratis, die Pionierkleidung konnte im Senftenberger „Sportartikelgeschäft“ käuflich erworben werden.
Der richtige Halstuch-KNOTEN erforderte allerdings längeres Training. Für alle, die es bis zum SCHLUSS nicht packten, ist oben letztmalig die GEBRAUCHSANWEISUNG sichtbar…
JUNGPIONIERE hatten eine lange Tradition in Deutschland.
Schon seit den 1920er Jahren gab es die kommunistische KINDERBEWEGUNG. 1933 wurde sie verboten und durch die nationalsozialistische HJ & BDM ersetzt.
Bereits ein Jahr vor Gründung der DDR, am 13.12.1948, hob man wohlweislich & planmäßig die „sozialistische“ PIONIERORGANSIATION aus der Taufe.
Die „Jungpioniere der ersten Stunde in der DDR“, zu denen ich mich auch zählen durfte, waren für den ersten SED-Vorsitzenden Otto Grotewohl hinter vorgehaltener Hand
"das sauberste und beste Menschenmaterial für die Zukunft".
In der ersten PIONIERZEITUNG >Der Junge Pionier< motivierte man uns geschickt mit der einschmeichelnden LOSUNG:
„Keiner ist zu klein, ein Kämpfer zu sein“!Für den
EINTRITT in diese Massenorganisation war jedoch die ZUSTIMMUNG DER ELTERN erforderlich.
Da jene aber das ganze PROZEDERE der „Jungen Pioniere“ mit dem ihrer zumeist als PIMPFE (HJ) oder JUNGMÄDEL (BDM) am eigenen Leibe durchlebten Jugendzeit verglichen, wurde der „PIONIERVEREIN“ erst einmal auf Eis gelegt, was wiederum viele SCHÜLER ermutigte, auch ohne Wissen der Eltern, klammheimlich MITGLIED zu werden.
PIONIER SEIN hieß für uns, bei passender Gelegenheit treu & brav in Reih & Glied anzutreten, niemals das HALSTUCH zu vergessen, den WIMPEL bei Wanderungen mitzuschleppen, an diversen staatlichen Fest~ & Feiertagen FAHNEN & WINKELEMENTE schwenkend im GLEICHSCHRITT „für Frieden & Völkerfreundschaft“ zu marschieren, vor allen Dingen aber die
PIONIERGEBOTE zu befolgen:
„Wir Jungpioniere lieben unsere Deutsche Demokratische Republik, lieben unsere Eltern, lieben den Frieden, halten Freundschaft mit den Kindern der Sowjetunion und aller Länder, lernen fleißig, sind ordentlich und diszipliniert, achten alle arbeitenden Menschen und helfen überall tüchtig mit, sind gute Freunde und helfen einander, singen und tanzen, spielen und basteln gern, treiben Sport und halten unseren Körper sauber und gesund, tragen mit Stolz unser blaues Halstuch. Wir bereiten uns darauf vor, gute Thälmannpioniere zu werden.“Ob dieser durchaus plausiblen ALLGEMEINEN LEBENSREGELN fühlten wir uns als KINDER nicht unbedingt politisch beeinflusst, eher auf positive Art an die ZUGEHÖRIGKEIT zu einer GEMEINSCHAFT herangeführt. Wir sollten & wollten uns ja in dem STAAT, in dem wir nun mal lebten, auch rundum wohlfühlen. Schließlich gab‘s ja auch keine andere Möglichkeit, um für voll genommen & anerkannt zu werden.
Der
PIONIERGRUSS war übrigens ein „EXPORT“ aus der Sowjetunion: Die flache rechte HAND wurde so über dem KOPF gehalten, dass der Daumen zum Kopf und der kleine Finger zum Himmel zeigte. Die fünf geschlossenen FINGER symbolisierten die 5 Erdteile, „die im Kampf für eine glückliche Zukunft aller Kinder zusammenhalten müssen“, und die erhobene Hand über dem Kopf wiederum, dass jeder Pionier das GEMEINWOHL über das PERSÖNLICHE zu stellen hatte, weil man gemeinsamen ZIELE nur in einer größeren GRUPPE verwirklichen konnte.
Man wurde übrigens nicht gezwungenermaßen PIONIER – wer jedoch NICHT mitmachte, hatte von vornherein nicht gerade die besten ZUKUNFTSCHANCEN.
Aus dieser Erkenntnis heraus formierten sich in den Folgejahren durchweg (fast) ALLE SCHÜLER einer KLASSE automatisch auch zu einer PIONIERGRUPPE.
Der KLASSENLEITER beaufsichtigte die PIONIERNACHMITTAGE, die kein Mitglied unentschuldigt versäumen durfte.
Einmal im Jahr gab es einen
TURBULENTEN HÖHEPUNKT, wenn nämlich das KLASSENZIMMER zum WAHLLOKAL wurde, in welchem Gruppenratsvorsitzende plus Stellvertreter, Kassierer, Schriftführer & Agitator bestimmt wurden. Jeder Pionier durfte eigenständig wählen – allerdings achtete der Klassen~ ergo auch Pioniergruppenleiter streng darauf, dass die RICHTIGEN gewählt wurden – denn „nur ein guter Schüler ist auch ein guter Pionier“. In den meisten Fällen bekam letztlich aber der/diejenige den CHEFPOSTEN, welche(r) am besten redete bzw. die meisten Anhänger hatte.
Ich schaffte es „pionierprominenzmäßig“ gerade noch bis zum „Wandzeitungsredakteur“, was mich selbstredend nicht für eine DELEGIERUNG zur Berliner PIONIERREPUBLIK in der Wuhlheide, oder gar ins Internationale PIONIERLAGER ARTEK auf der Halbinsel Krim qualifizierte. Dafür erwarb ich neben vielfältiger BASTELEI auch nützliche GRAPHISCHE Kenntnisse, die noch immer hilfreich sind.
Der 1957 eingeführte
FAHNENAPPELL vor Unterrichtsbeginn war zumeist eintönig & langweilig, und stieß, wenn auch gelegentlich durch eine kleine SÄNGERSCHAR oder ein einsames FANFARENBLÄSER & TROMMLER – DUO aufgelockert, nicht auf echte Begeisterung. Das lange STILLSTEHEN ermüdete, und so wurden langatmige ANSPRACHEN von der Mehrheit meist ignoriert. Dennoch war PÜNKTLICHES ERSCHEINEN zum Appell Pflicht – und man durfte zwar schon mal die HAUSAUFGABEN vergessen, aber keineswegs sein HALSTUCH.
Als schon älterer THÄLMANNPIONIER fand ich das sogenannte PIONIERLEBEN, bis auf einige interessante PIONIERNACHMITTAGE, dann schon zunehmend zwanghaft & öde. Vor allem nervten mich die zahllosen, meist ergebnisarmen SITZUNGEN.
Gottlob (!) wurden WIR in den 1950er Jahren nicht nur mit politischen PAROLEN, sondern vor allem durch zahlreiche
FREIZEITAKTIVITÄTEN erzogen. Schon 1951 gab es republikweit über 30000 ARBEITSGEMEINSCHAFTEN & ZIRKEL und auch meine ZENTRALSCHULE in HÖRLITZ wartete mit interessanten FREIZEITANGEBOTEN auf: Chor, Tanzgruppe, Junge Historiker, Flugmodellbauer, Philatelisten, Seidenraupenzüchter, Schulgärtner, Turner, Handballspieler u.v.a.m. Jeder von uns machte irgendwas, hatte aber immer eine durchaus SINNVOLLE BESCHÄFTIGUNG. Wir waren in einer GRUPPE zusammen und hatten das GEFÜHL, vereint sehr viel mehr verwirklichen zu können.
Bei Bastelnachmittagen, Buchvorstellungen, Altstoffsammlungen, gemeinschaftlichen Sport~ & bunten Veranstaltungen, Aktivitäten in freier Natur wie Orientierung im Gelände, Aufbau von Zelten herrschte fast immer VOLLZÄHLIGKEIT.
Wir alle lernten während unserer „PIONIERZEIT“ sehr viele
„PIONIER-WÖRTER“ kennen, die noch heute bei den meisten ehemaligen JUNGPIONIEREN bleibende ERINNERUNGEN wachrufen werden:
PIONIER~
ABZEICHEN / ARBEIT / AUFTRAG / AUSWEIS / BLUSE / EISENBAHN / ENSEMBLE / FAHNE / FREUNDSCHAFT / GEBOTE / GEBURTSTAG / GRUPPE / GRUSS / HAUS / HYMNE* / KLEIDUNG / KNOTEN / LAGER / LEBEN / LEITER / LIEDER / MANÖVER / NACHMITTAG / OBJEKT / ORGANISATION / PALAST / VERSPRECHEN / WIMPEL /
* = "Fröhlich sein und singen, stolz das blaue Halstuch tragen...andern Freude bringen, ja, das lieben wir.
Hallo, hört ihr die Fanfaren, hört ihr unsre Lieder? Das sind wir! Fröhlich sein und singen, ja, das lieben wir!"
ÜBRIGENS: Zur Bekräftigung der Wahrheit einer Aussage verwendeten PIONIERE in Kinderbüchern und Kinderfilmen, später auch die ERWACHSENEN, mit großem Vergnügen das sogenannte
„PIONIEREHRENWORT“:
Na dann: SEID IMMER SCHÖN BEREIT ZU GUTEN TATEN!