Am frühen Morgen, noch VOR SONNENAUFGANG, nahm der Bergmann ABSCHIED von seiner Frau. Vor dem üblichen „Na, so leb’ wohl!“, welchem sie mit dem WUNSCHE „Komm gesund wieder!“ entgegnete, hatte er jedoch noch ein spärliches FRÜHSTÜCK zu sich genommen, welches zumeist nur aus einer SUPPE oder einem dünnen KAFFEE bestand. Während der MANN seiner ARBEIT nachging, war die FRAU mit der häufig sehr großen FAMILIE und dem HAUSHALT beschäftigt. Den WEG zum „ZECHENHAUS“ der GRUBE legten die BERGKNAPPEN allein oder in Gruppen zurück. Einige von ihnen schonten die STIEFELSOHLEN, indem sie die steinigen PFADE barfüßig entlangliefen, was auf ABHÄRTUNG, SPARSAMKEIT, vor allem aber GROSSE ARMUT schließen ließ. VOR ARBEITSANTRITT versammelte sich die MANNSCHAFT pünktlich in der „BETSTUBE“. Wer sich verspätete, wurde mit einer Geldbuße bestraft. In diesem RAUM beteten und sangen die BERGMÄNNER gemeinsam. Oft wurden sie hierbei von einer einfachen DREHORGEL, im Volksmund „LEIERKASTEN“, begleitet. Dabei saßen die gemeinen BERGLEUTE auf BÄNKEN, die STEIGER & HÄUER hingegen an TAFELN. Alle hatten ihr brennendes GRUBENLICHT vor sich stehen. NACH DEM GEBET fühlten sich die Arbeiter gewappnet für den TAG, standen sie doch jetzt überall unter „Gottes allmächtigem Schutz“. Dennoch wurden einige von ihnen bald verstümmelt oder tot zurück in diesen RAUM getragen. Nach ihrem langen, anstrengenden ARBEITSTAG machten sich die BERGLEUTE, nachdem sie zuvor vom STEIGER gezählt wurden, in der Regel sogleich auf den HEIMWEG zu ihren oft weit entfernt gelegenen WOHNUNGEN. Dort angekommen, war die FREUDE über die GLÜCKLICHE HEIMKEHR des Vaters natürlich riesengroß.
Wenn dann ein BERGMANN durch plötzliches UNGLÜCK – unter Tage meist durch sog. „Schlagende Wetter“ (Grubengase), über Tage durch „Verpuffungen“ – während der gefahrvollen Arbeit einen jähen TOD fand, wurde er mit allen „BERGMÄNNISCHEN EHREN" beigesetzt, dessen ABLAUF in einem >BRAUCHTUM – PROTOKOLL< wie folgt beschrieben wurde: In der Regel nahm das gesamte Personal daran teil, bei Pensionisten nur die schichtfreie Knappschaft und wer sich freiwillig meldete. Alle trugen Bergkittel, Schachthut mit Federbusch & Arschleder. Je nach der Entfernung von der KIRCHE traf man sich am TRAUERHAUS, bei entlegenen Orten bei der letzten „Totenrast“ vor dem FRIEDHOF, bis wohin auch die Geistlichkeit entgegenging. Den ZUG eröffnete die BERGMUSIKKAPELLE, den TRAUERMARSCH spielend. Es folgte der SARG, getragen von 4 bis 6 BERGLEUTEN, flankiert von KNAPPEN mit brennenden GRUBENLAMPEN. Es folgten die ANGEHÖRIGEN, die WERKSFAHNE — schwarz umflort — und die KNAPPSCHAFT, der Rangälteste an der Spitze. Bevor sich der TRAUERZUG in Bewegung setzte, trat er an den SARG, senkte die PARTHE (den STEIGERSTOCK) zum Gruß und sprach:
„Zum letzten Male fährst du an und fährst nicht mehr herauf, drum grüßt dich auf der dunklen Bahn ein inniges Glückauf. Doch schloß sich auch dein Auge hier, dort tut sich's wieder auf: Wir alle, alle folgen dir und grüßen dich: Glück auf!“
Am FRIEDHOFSTOR angelangt, wurde die BAHRE niedergelassen, das TUCH, welches den SARG deckte, entfernt und unter den Sarg gelegt. Der SARG wurde nun nicht mehr auf den SCHULTERN, sondern in den HÄNDEN getragen, um zu demonstrieren, dass der BERGMANN, wie er zu Lebzeiten allen Gefahren mutig entgegenging, auch dem TOD stark entgegensieht. Von nun an begleitete der Betriebsbeamte den SARG mit gesenkter PARTHE bis zum GRAB. Am Grabe angekommen, hob der Betriebsbeamte die Parthe und sprach: „NACH ALTER BERGMÄNNISCHER SITTE & BRAUCH Dir, Kamerad . . . (Kategorie und Namen), zu deiner LETZTEN GRUBENFAHRT ein dreimaliges herzliches GLÜCK AUF!
Bevor der SARG in die ERDE gelassen wurde, sprach der PFARRER seinen SEGEN über den VERSTORBENEN, sowie TROSTWORTE für die HINTERBLIEBENEN aus: „Leicht sei ihm die Erde - Glück auf“ Danach glitt der SARG unter dem Glückauf der Belegschaft in das GRAB; drei SALUTSCHÜSSE dröhnten, die WERKSFAHNE wurde gesenkt, die MUSIKKAPELLE spielte den FAHNENGRUSS. Ein KRANZ, dessen SCHLEIFE den TEXT trug: „Glück auf zur letzten Grubenfahrt!“, wurde auf das GRAB gelegt. Ein BERGMANN nahm den Schachthut ab, und überbrachte den „ALLERLETZTEN GRUSS“:
„Leb‘ wohl, leb‘ wohl, Du BERGMANNSKIND, Du hast vollbracht den Lauf; Treu warest Du und brav gesinnt, drum rufen wir GLÜCK AUF! Zum letzten Male fährst DU an, und fährst nicht mehr herauf; Drum grüßt Dich auf der dunklen Bahn, ein inniges GLÜCK AUF! Doch schloss sich auch Dein Auge hier, dort tut sich’s wieder auf; Wir ALLE, ALLE folgen Dir, und grüßen Dich: GLÜCK AUF!“
Danach löschten alle Bergleute ihre Grubenlampen.
„Der BERGMANN wurde auf dem GOTTESACKER begraben, der SCHULMEISTER komponierte einen TRAUERMARSCH, der MAURER errichtete einen GRABSTEIN, der AMTSCHREIBER dichtete eine GRABINSCHRIFT, der GÄRTNER pflanzte eine TRAUERWEIDE, der TISCHLER machte ein kohlschwarz angestrichenes BÄNKCHEN darunter, auf das sich die WITWE in stiller Mondnacht setzt und ihren TRÄNEN freien Lauf lässt…“ Derartige TRAURIGE MELDUNGEN bildeten in der Folgezeit häufig auch die BASIS für eine „MUSIKALISCHE AUFARBEITUNG“ der traurigen Ereignisse in Form von „nach Gefühlsbenzol duftenden >TRAUERKLOSS-LIEDERN<, deren poetisch banale TEXTE, versehen mit anrührenden, sinnlich-süßen, gelegentlich wimmernden MELODIEN im 19. Jh. ihren tränenreichen Weg in die KÜCHEN, PUTZ~ & NÄHSTUBEN fanden, um dort von Dienstmädchen, Mamsellen, Köchinnen usw. bei der Hausarbeit gesungen zu werden“ – daher der Name KÜCHENLIEDER, die dem BÄNKELSANG und der MORITAT thematisch ähnlich waren. Während jedoch KÜCHENLIEDER überwiegend vom Personal bürgerlicher Haushalte gesungen wurden, die überwiegend, aber nicht ausschließlich, recht sentimental und kitschig von den SCHICKSALEN gestandener FRAUEN & junger MÄDCHEN, überwiegend von betrogener LIEBE handelten, und damit deren unerfüllte SEHNSÜCHTE, aber auch KÜMMERNISSE ansprachen, waren die von MANNSPERSONEN dargebotenen und mit großflächigen BILDERN „illustrierten“ MORITATEN (Mordsgeschichten) eindeutig für den ÖFFENTLICHEN VORTRAG auf Jahrmärkten oder Straßen konzipiert worden.
Mit dem o.a. Begriff >BERGMANNSKIND< für den beigesetzten KUMPEL wurde im Jahre 1850 die von ihm zurückgelassene HALBWAISE in einem (laut Musikalien-Katalog) gleichnamigen „LIED im VOLKSTON für eine mittlere SINGSTIMME mit leichter KLAVIER~ oder ZITHER-Begleitung, sowie auch als MÄNNERCHOR mit BARITONSOLO bzw. auch als >WALZER< für ORCHESTER, KLAVIER, BANDONEON & KONZERTINA bezeichnet“…
Es wurde daraufhin ein überaus beliebtes Lied bei HINTERHOFSÄNGERN in den BERGWERKSGEBIETEN und sich speziell auf »Fliegenden Blättern« wiederfand, die von schweren GRUBENUNGLÜCKEN berichteten. Außerdem wurde es bereits um 1900 durch die damals 3 wichtigsten MEDIEN verbreitet: POSTKARTE - NOTEN - SCHALLPLATTE
Kurioserweise traf ich sogar in alten TAGESZEITUNGEN das „Bergmannskind“ bei ERNSTHAFTEN VERANSTALTUNGEN wie z.B. „Der KNAPPENSÄNGERVEREIN beging sein FAHNENWEIHFEST, bei dessen FEST-KOMMERS im Schützenhaus nach einem SÄNGERGRUSS & verschiedenen Musikstücken auch >DAS BERGMANNSKIND< sehr wirkungsvoll zum Vortrag gebracht wurde. Der BEIFALL war so stark, daß die SÄNGER eine WIEDERHOLUNG geben mußten.“ (Ostdeutsche Morgenpost 1932)
Abschließend bitte ich nun „Die singenden Hausfrauen“ auf die Bühne… MITSINGEN IST ERLAUBT - LIEDTEXT DARÜBER EINSEHBAR;)