Neues 649 - 2025-07-06

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Matthias
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Neues 649 - 2025-07-06

Beitragvon Matthias » Sa 5. Jul 2025, 09:05

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Harald
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Re: Neues 649 - 2025-07-06

Beitragvon Harald » So 27. Jul 2025, 13:00

Wurzeln der KK_resize.jpg

Da mich schon berufsbedingt MUSIKALISCHE THEMEN stets zu tieferem EINDRINGEN IN DIE MATERIE animierten, habe ich für meine LESER zum Ursprung der >KNABENKAPELLEN< recherchiert und interessante FAKTEN zutage gefördert.
Zu Beginn zitiere ich aus den >ERINNERUNGEN< der Schriftstellerin & Nobelpreisträgerin HERTA MÜLLER, die im rumänischen BANAT aufwuchs und 1987 in die BRD übersiedelte:

„Ich kannte die DEUTSCHE VOLKSMUSIK auf dem Lande, die BLASMUSIK, diese stocksteife ‚POLKATRAMPELEI‘, die mir schon als Kind nichts bedeutete. Die schlüpfte mir weder in die Füße noch ins Gemüt. In den Dörfern gab es zahlreiche MUSIKANTEN – neben den LEHRERN mindestens noch 10 bis 15 Leute – die zu jeder Gelegenheit auf TASTENINSTRUMENTEN, wie Orgel & Harmonium oder Klavier & Akkordeon, spielen konnten und auch das GEIGENSPIEL beherrschten einige recht gut.
Jedoch speziell die BLASMUSIK begleitete die BANATER SCHWABEN durch das ganze Jahr, ja durchs ganze Leben“, hat meine Mutter immer gesagt. Das heißt aber nicht, dass die Banater nur MUSIZIERT & GETANZT haben. Sie haben SCHWER GEARBEITET, aber für den ZUSAMMENHALT in der GEMEINSCHAFT war die MUSIK lebensnotwenig. In ihr wurde sowohl FREUDE als auch TRAUER ausgedrückt.

Nachfolgend präsentieren sich die
>ORIGINAL DONAUSCHWABEN< mit der POLKA "Du bist die Schönste..."


Seit den Anfängen der Blasmusik im Banat wurde immer nach NOTEN gespielt. Dieser MUSIKSTIL war stark von der k. u. k. MILITÄRMUSIK ["k.u.k." steht für „kaiserlich & königlich“ und bezieht sich auf die österreichisch-ungarische Monarchie], beeinflusst, von der auch die NOTEN & PARTITUREN stammten, welche auf den DÖRFERN abgeschrieben & über Generationen hinweg vererbt wurden. Dass beim Abschreiben auch mal Fehler passierten, war völlig normal.
In die >MUSIKSCHUL< – so wurde der Musikunterricht in der Ausbildungszeit genannt – gingen KINDER zwischen 6 und 16 Jahren. Sie lernten 3 Jahre lang je ein BLAS~ & SAITENINSTRUMENT und probten täglich, sowohl vor dem regulären Unterricht, als auch am Nachmittag. Den KNABEN wurden Disziplin, Präzision, Organisation & vor allem MUSIKALISCHES KÖNNEN beigebracht. Der KAPELLMEISTER erhielt von deren ELTERNGEMEINSCHAFTEN eine monatliche BEZAHLUNG und zusätzlich NATURALIEN. Arme Kinder erhielten die INSTRUMENTE oft gespendet. Die ELTERN hofften, dass Ihre KINDER ein besseres Leben haben werden. Mit der KAPELLE zu reisen bot die CHANCE, später eine KARRIERE als MUSIKER zu machen.“


Banat_resize.jpg

Die meisten (rumäniendeutschen) BANATER SCHWABEN, auch „DONAUSCHWABEN“ genannt, weil sie sich von ULM per Lastkahn Donauabwärts treiben ließen, um im BANAT zu siedeln, lehnten UNGARISCH als Amtssprache ab, vor allem gefiel ihnen nicht, dass auch der Schulunterricht für ihre Kinder in Ungarisch gehalten wurde. Demzufolge haben die überwiegend deutschstämmigen KAPELLMEISTER der ca. 8o regionalen KNABENKAPELLEN immer deutschsprachig unterrichtet. Offiziell wurden sie anfänglich als >Kaiser Franz Josef Magyaron Husaren-Knabenkapelle<, später lediglich als
>UNGARISCHE KNABEN-MILITÄRKAPELLE< geführt, die sich in UNIFORMEN der HUSAREN bzw. des k.u.k. MILITÄRS präsentierten.
Eine wichtige Rolle für das MUSIKLEBEN in jeder GEMEINDE spielte der SCHÜTZENVEREIN, dessen Ausrücken zu Feierlichkeiten immer mit einer MUSIKKAPELLE erfolgte, die traditionsbewusst ihre althergebrachte UNIFORM, bestehend aus Dreispitz, Frack & Kniehose trugen. Nach 1831 mussten sie diese dann gegen UNGARISCHE Stiefel, Hosen & Tschako [hohe, zylindrische oder konische Militärmütze] eintauschen. Obwohl man eigentlich keinen der Jungen in den Kapellen als „kräftig gebaut“ bezeichnen konnte, waren die Kosten für die Anpassung von Uniformen für Jungen ein großes Problem, da sie ja ständig aus ihnen herauswuchsen. Die Schneiderei ermöglichte zweifellos einige Anpassungen bei Hosensäumen & Ärmellängen, aber fraglich ist, ob man zu jener Zeit Uniformen so einfach von der Stange bekommen konnte.

Ungarische KK_resize.jpg

Um das Jahr 1890 traten über 40 KNABEN aus der Banater Gemeinde BILLED mit ihren Kapellmeistern Michael Nussbaum & Nikolaus Schilzonyi ihre auf 3 Jahre festgelegte KONZERTREISE DURCH DIE USA an. Hierzu wurde im Dorfwirtshaus mit dem Vertreter einer amerikanischen Agentur ein entsprechender VERTRAG unterschrieben. Da es sich bei den MUSIKANTEN um 6 bis 12jährige Kinder handelte, wurde auch deren SCHULBILDUNG geregelt.
Bei ihrer RÜCKREISE trat diese Knabenkapelle noch in London, Paris, Berlin, Wien und Budapest auf.
1899 begab sich NIKOLAUS SCHILZONYI wiederum mit einer Kapelle von 38 Knaben aus anderen Banater Gemeinden auf eine einmonatige Überfahrt nach Amerika. Von dieser REISE existiert noch ein farbiges, in New York gefertigtes PLAKAT im Format 102 mal 69 cm.

Plakat_resize.jpg

Wie in diesen Zeiten häufig, so trug auch diese Formation schicke HUSARENUNIFORMEN, was im fernen Amerika gewiss gewaltig imponiert haben dürfte.
Die KAPELLE gab in Hotels, Parks & „Music Halls“ Konzerte quer durch die Staaten, von der Ost bis zur Westküste und zurück, und überall herrschte beispiellose BEGEISTERUNG für
„die wundervollste Kapelle, die je in Amerika gehört wurde.“
Die MUSIKKRITIKER waren voll des Lobes:
„Sie musizieren so feurig, so genau, und ihr ihr Spiel, Takt und Melodie betreffend, ist einfach wunderbar, es war eine Sensation. Das Publikum applaudierte jede Nummer, die gespielt wurde und klatschte & stampfte fünf Minuten lang, um sie wieder auf die Bühne zu bringen.“
Ein KNABE hatte JEDEN TAG im TAGEBUCH vermerkt, wobei nachfolgende BEMERKUNG ein Schmunzeln hervorruft:
„Die Reise war immer in wunderbaren Schlafwagen, die Unterbringung in Hotels, teilweise aber auch in Privatquartieren und der Kapellmeister hatte sogar eine Farm gekauft zum Ausruhen & Lernen.“

Auftritte USA_resize.jpg

Unerwähnt blieb zumeist, dass auch die in den BANATER KNABENKAPELLEN auftretenden KINDER von 9 bis 12 Jahren oft bis 11 Uhr nachts musizieren mussten, was an KINDERARBEIT grenzte, und deshalb viele STÄDTE, wie New York, versuchten, solchen MISSBRAUCH in der Theaterwelt einzudämmen. Jedoch arbeiteten damals viele KINDER in ihrer Heimat stundenlang auf Bauernhöfen, in Fabriken & Kohlebergwerken, weshalb mit einer renommierten KAPELLE AUF TOURNEE zu spielen, diesen JUNGEN wahrscheinlich leichter erschien,
als die alternativen LEHRSTELLEN, die ihnen zu Hause im BANAT zur Verfügung standen.
Kein Wunder also, dass manche (jugendliche & erwachsene) ORCHESTERMITGLIEDER von den GASTSPIELREISEN nicht mehr nach Hause zurückkehrten; sie wurden mit offenen Armen und guten Angeboten in Formationen des Auslands oder in Übersee aufgenommen und brachten es zu GESICHERTEN & ERFOLGREICHEN EXISTENZEN...

Von den BEMÜHUNGEN des Senftenberger Kapellmeisters & Musikdirektors JETSCHICK, den ERFOLGSWEG der Banater KNABENKAPELLEN zu beschreiten, erzählt mein ABSCHLUSSBERICHT am nächsten Wochenende !


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