Neues 648 - 2025-06-29

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Matthias
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Neues 648 - 2025-06-29

Beitragvon Matthias » Sa 28. Jun 2025, 10:58

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Harald
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Re: Neues 648 - 2025-06-29

Beitragvon Harald » So 6. Jul 2025, 15:54

Musikschule.jpg

Um 1900 lehrten an den MUSIKSCHULEN bzw. ~INSTITUTEN zumeist MUSIKLEHRER, die ihr INSTRUMENT an einer MUSIKHOCHSCHULE studiert hatten. Neben EINZELUNTERRICHT wurde auch GRUPPENUNTERRICHT angeboten, der oft kostengünstiger war.
Diese MUSIKSCHULEN unterhielten zumeist auch eigene ORCHESTER, KAPELLEN & MUSIKGRUPPEN, die den LEHRLINGEN das gemeinsame Musizieren ermöglichten, wie z.B. auch unsere einstmalige
JETSCHICK’sche MUSIKSCHULE SENFTENBERG, die schon Ende des 19. Jahrhunderts einen enormen regionalen Zuspruch hatte.
In seiner Dissertation >Die Lage der Orchestermusiker in Deutschland< recherchierte der Autor HEINRICH WALTZ speziell zum „MUSIKERELEND & LEHRLINGSUNWESEN“, woraus ich nachfolgend einige PASSAGEN zitiere. Ob diese GESCHÄFTSGEBAREN & daraus entstandenen ZUSTÄNDE auch für das >MUSIK-INSTITUT JETSCHICK< zutrafen, entzieht sich meiner Kenntnis, da ich bislang im >Senftenberger Anzeiger< noch keine KRITISCHEN ANMERKUNGEN entdeckte.

Besagte LEHRLINGE waren durchweg „KINDER KLEINER LEUTE“ – Arbeiter, Bergleute, Handwerker, kleine Beamte, Musiker usw. Nachdem die JUNGEN die SCHULE verlassen hatten, traten sie die MUSIKERLEHRE an, in der sie 3 – 5 Jahre zu lernen hatten. Die LÄNGE DER LEHRZEIT & HÖHE DES LEHRGELDES richtete sich nach den VORKENNTNISSEN des LEHRLINGS: mit musikalischer Vorbildung = 2-3 Jahre kostenlos / ohne = 4 Jahre plus 150-200 Mark LEHRGELD. Die meisten MUSIKDIREKTOREN (MD) verlangten jedoch überhaupt kein LEHRGELD, da sie wohl sonst KEINE LEHRLINGE bekommen hätten, da die ELTERN überwiegend ARME LEUTE waren.

Uniformparade_resize.jpg

Sämtliche LEHRLINGE, ob nun mit oder ohne LEHRGELD, mussten ihr BETT zur eigenen Benutzung mitbringen.
Der leibliche VATER bzw. VORMUND hatte für die nötige BETTWÄSCHE & HANDTÜCHER zu sorgen, außerdem für Waschbecken, Essbesteck & Putzzeug, sowie eisernes Notenpult mit Schemel…ER war verpflichtet, den LEHRLING in anständiger KLEIDUNG & sauberer WÄSCHE zu halten, und mit einem schwarzen ANZUG nebst MANTEL sowie STEIFEN HUT & ZYLINDER und jeder vom MD gewünschte „JÄGER~ / SCHÜTZEN~ / HUSAREN~ oder sonstige FANTASIE-UNIFORM“ auszustatten. Dagegen musste sich der LEHRLING die benötigten SCHUL~ & STUDIERWERKE, sowie die zu den INSTRUMENTEN gehörigen MUNDSTÜCKE & SAITEN selbst beschaffen, wobei allein der MUSIKLEHRER nach Talent & körperlicher Fähigkeit (gelenkige FINGER / kräftige LUNGE) das HAUPTINSTRUMENT jedes SCHÜLERS bestimmte. Die von LEHRLINGSKAPELLEN im Allgemeinen produzierte „geringfügige Art von Musik“ machte es gewissenlosen MD möglich, auch ganz UNMUSIKALISCHEN Lehrlingen lediglich das SCHLAGEN der GROSSEN TROMMEL beizubringen…
Die LEHRLINGE wohnten in der Regel beim MUSIKDIREKTOR, der pro Lehrling & Woche nicht mehr als 3 – 5 Mark für KOST & WOHNUNG ausgab. Über die TRAURIGEN ZUSTÄNDE in einer sog. >LEHRLINGSZÜCHTEREI<“ gibt ein, anlässlich einer Klage gegen einen MD gefertigtes, ärztliches GUTACHTEN von 1892 Auskunft:

Dachkammer_resize.jpg

„Die 4 SCHLAFRÄUME für insgesamt 30 LEHRLINGE befanden sich direkt unter dem DACHE. Die SEITENWÄNDE bestanden aus FACHWERK, waren aber teilweise durchbrochen, um LICHT einzuführen, die beiden dreieckigen SEITENRÄUME auch nur durch DACHLUKEN erhellt. Die WÄNDE waren nicht verputzt, die DECKE bestand aus BRETTERN, die mit LEHM verfugt waren. In der DACHSPITZE gab es noch einen kleiner RAUM, in dem LEHRLINGE schliefen. TÜREN & ÖFEN fehlten in allen RÄUMEN. Die BETTEN standen dicht neben~ & übereinander.
Die TEMPERATUR war dank der erheblichen ZAHL der Schlafenden im WINTER gerade noch erträglich, wogegen im SOMMER die HITZE, weil die SONNE direkt auf das DACH brannte, ungesund war, vor allem, wenn die LEHRLINGE gezwungen waren, sich auch tagsüber in den SCHLAFRÄUMEN aufzuhalten…“

Lehrlingskost_resize.jpg

Mit der KOST war es aber offenbar noch weitaus schlimmer als mit der WOHNUNG. Fast überall wurde über SCHLECHTES ESSEN geklagt. KARTOFFEL & HERING sowie eine BROTSTULLE spielten eine herausragende Rolle auf dem SPEISEZETTEL der MUSIKER. Sie mussten stets lange WARTEN bis sie etwas zu essen bekamen, und letztlich eben das essen, was auf den TISCH kam.
Ein LEHRLING berichtete:
„Im November 1902 mussten wir einmal 4 Stunden nach einem DORF wandern, 1 Stunde ließ uns der KAPELLMEISTER fahren, die übrigen 3 Stunden mussten wir mit INSTRUMENTEN & NOTEN zu Fuß laufen. Den ganzen Tag über bekamen wir KEINEN WARMEN BISSEN zu sehen und mussten mit 3 – 4 mitgebrachten STULLEN auskommen.
Um 3 Uhr hatten wir KONZERT zu spielen bis 6 Uhr, dann ging um 7 Uhr bis 4 Uhr morgens mit einstündiger Pause der TANZ los. Um 4 Uhr konnten wir uns noch nicht auf den HEIMWEG machen, da es noch dunkel war und regnete, und hielten uns deshalb 4 – 5 Stunden in der GASTSTUBE auf. Dan bekamen wir so etwas, was KAFFEE sein sollte und SCHMALZBROT und wanderten endlich 9 ½ Uhr unserer BEHAUSUNG zu, wo wir auch MONTAG mittags 2 Uhr anlangten, ohne vorher geschlafen zu haben. Abends hatten wir dann wieder THEATER zu spielen. Es ist vorgekommen, dass wir in der FASTNACHTSZEIT 4 – 5 Nächte durchgespielt bzw. wochenlang JEDE NACHT hindurch spielen und darüber hinaus 2 – 3 Stunden über Land gehen mussten. So hat sich meine ganze 5-jährige LEHRZEIT abgespielt…“

Ein anderer MUSIKER erzählte:
„Ich musste einmal an einem SONNTAG um 12 Uhr zum Auftrittsort mit der BAHN hinfahren; als ich dort ankam, hatte ich ungefähr bis ½ 5 Uhr PROBE. Um ½ 8 Uhr abends begann das KONZERT, ungefähr um 11 Uhr fing der TANZ an, der bis 5 Uhr mit 1 Std. PAUSE dauerte; ¼ 6 fuhren wir nun müde & ermattet nach Hause, wo wir um ½ 7 Uhr anlangten. Also des Morgens ¾ 7 legten wir uns zu Bett, wurden aber schon um 9 Uhr wieder geweckt, denn wir mussten zu einer THEATERPROBE gehen, die bis 12 Uhr dauerte. Danach hatten wir wieder PROBE zu einem Symphoniekonzert, das wir tags darauf zu spielen hatten. IN DIESER WEISE IST UNSER DIENST VIELMALS ABGELAUFEN…“
Militaer_resize.jpg

Der MD brauchte seine „ARBEITSKRÄFTE“ nur für GANZ GERINGE MUSIK. Es fiel ihm daher gar nicht ein, seinen LEHRLINGEN mehr beizubringen, da es ihm nur unnötige KOSTEN eingebracht hätte.
Die INSTRUMENTE, die ihnen in die Hand gegeben wurden, waren oft von so schlechter Beschaffenheit, dass sie den Namen >INSTRUMENT< gar nicht verdienten…Schließlich nahm ein voller AUFTRITTSKALENDER fast die gesamte ZEIT in Anspruch, so dass ein REGELMÄSSIGER UNTERRICHT von vornherein ausgeschlossen war.
Bei LEHRLINGSKAPELLEN, die bisweilen auch BESSERE KONZERTE spielten, lernten die LEHRLINGE naturgemäß etwas mehr. Derartige KAPELLEN waren jedoch in der Minderheit.
Ein sehr großer Teil der LEHRLINGE erlernte aber die MUSIK nur, um später in eine MILITÄRKAPELLE einzutreten und ein sorgenfreies Leben zu haben. Früher oder später kam allerdings die „ERLEUCHTUNG“:
Wie wenig nämlich die MUSIKERLEHRLINGE gelernt hatten, zeigte sich darin, dass sie nicht einmal den geringen ANFORDERUNGEN, welche an einen MILITÄRMUSIKER-REKRUTEN gestellt wurden, genügten und deshalb vom Regimentskapellmeister zurückgewiesen wurden, „da sie noch nicht einmal eine TONLEITER kannten…“
Auf diese Art brauchten sich sogar die „elendsten LEHRLINGSKAPELLEN“ um NACHWUCHS nicht zu sorgen, da dieser lediglich als >PREISDRÜCKER< fungierte, weil man halt BILLIG spielen musste, um ARBEIT zu bekommen. Die einträglichsten Geschäfte waren TANZ~ & BIERMUSIKEN, da hier nicht nach KÜNSTLERISCHER Ausführung, sondern nach dem BILLIGSTEN Angebot gefragt wurde. Vielfach wurde pro MANN & ABEND für 1 Mark, oder von einer 20-köpfigen KAPELLE eine 3-stündige ZIRKUS-MUSIK für 10 Mark gespielt, d.h. jeder MUSIKER erhielt nur 50 Pfennige GAGE. Ein anderer KAPELLENLEITER bot eine vollständige BALLMUSIK von 25 Musikern (abends 8 Uhr bis zum anderen Tag früh) für 20 Mark an…
>JUNGE MUSIKER ZUR WEITEREN AUSBILDUNG STELLE JEDERZEIT EIN<
heißt es in jeder dritten ANNONCE.
Gemeint sind damit junge Leute, die, eben aus einer LEHRE entlassen, wo sie NICHTS gelernt haben, HILFLOS dastehen und auch bei dem bescheidensten ORCHESTER keine Anstellung finden, weil sie eben NICHTS KÖNNEN und natürlich von Herzen froh sind, überhaupt eine UNTERKUNFT zu finden.
SOLCHE LEUTE nimmt jeder MUSIKDIREKTOR gern & um sie eines Tages mitleidsvoll der STRASSE zu überlassen…

str.musikanten_resize.jpg

SCHLUSS folgt !


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