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Neues 230 - 2016-06-01

Verfasst: Mi 1. Jun 2016, 16:09
von Matthias
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Re: Neues 230 - 2016-06-01

Verfasst: Do 2. Jun 2016, 10:15
von Harald
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>FAHREN HEISST KÄMPFEN< hieß es im 6. Kriegsjahr bei den deutschen Eisenbahnern, die Tag und Nacht unter den Auswirkungen des ständig gesteigerten Luftkrieges litten.
Angesichts der Verschärfungen des Kriegsgeschehens wurden Ende Januar 1945 weitere

BESCHRÄNKUNGEN IM REISEVERKEHR

erlassen. Sie bedeuteten letztendlich den TOTALEN VERZICHT auf alle PRIVATEN REISEN, "damit jede Lokomotive, jeder Wagen und jeder Eisenbahner allein und ausschließlich für die Front, für die Rüstung und für die Versorgung der Heimat mit Lebensmitteln und Bedarfsgütern eingesetzt werden kann."
Bei der NEUREGELUNG der Deutschen Reichsbahn wurde der D- und Eilzugverkehr weitestgehend stillgelegt und die Benutzung der Personenzüge auf eine Entfernung von 75 km vom Wohn~ oder Arbeitsort, vor allem für die wichtigsten Kriegs~ und Rüstungsbetriebe, festgelegt.
Zur Bedienung des kriegsnotwendigen Dienst~ und Geschäftsverkehrs ließ die Reichsbahn nur noch wenige D-Züge laufen. Diese durften aber nur zu dringendsten Dienstreisen mit einer Bescheinigung der RB-Direktion benutzt werden.
Denen, die diese Maßnahmen als zu hart empfanden, hielt man entgegen, "daß England schon vor über einem Jahr, als es die Invasion vorbereitete, den gesamten Reiseverkehr noch schärfer gedrosselt und Frankreich seit Anfang Januar sogar den gesamten Personenverkehr stillgelegt hat. Ganz zu schweigen von der Sowjetunion, wo die weit überwiegende Masse der Bevölkerung schon im Frieden an Reisen überhaupt nicht zu denken wagt."

Reisen 1945_resize.jpg

Allerdings war sogar das REISEN im PERSONENZUG auf geringen Entfernungen mit Risiken behaftet. Die räumliche Enge der stets überfüllten Züge wurde für die Reisenden zur Tortur, ließ aber Raum für Taschendiebe und eigene Vergesslichkeit beim Aussteigen.
Im >Senftenberger Anzeiger< waren daher unter der Rubrik "VERLOREN - GEFUNDEN" täglich Suchmeldungen nach Reisegepäck und ~utensilien zu lesen, die irgendwo abhanden kamen:

Reisen 1945_1_resize.jpg

Beim Herannahen der russischen Truppen schließlich wechselte man zwangsläufig das TRANSPORTMITTEL und tauschte den Personenzug in eine ev. per Inserat gesuchte oder per Anhalter erbettelte Mitfahrgelegenheit auf einem LKW, der in Richtung Westen unterwegs war. Als allerletztes Fluchtgefährt blieb dann schließlich nur noch das Fahrrad, bzw. ein Hand~ oder Kinderwagen, die mit den wichtigsten Habseligkeiten beladen wurden:

Reisen 1945_2_resize.jpg

Ich wurde im Januar 1944, mein Bruder im März 1945 geboren.
Per Hand~ und Kinderwagen flüchtete der weibliche Part der Familie mit uns von Senftenberg II in Richtung Westen. Trotz Tieffliegerangriffe überlebte unser Treck und kam bis Elsterwerda-Biehla, wo uns gutmütige Leute Unterschlupf gewährten, bis die "Befreier" eintrafen... Die FLUCHT wurde uns später bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit immer wieder detailreich geschildert. Früher empfand ich es zunehmend als nervtötend, später sah ich darin für meine Altvorderen die einzig mögliche Form, ihre Kriegserlebnisse aufzuarbeiten.
Wohl auch deshalb beschlich mich bei Bahnfahrten zu meinem späteren Studienort Halle (Saale) stets ein ungutes Gefühl, wenn der Zug zwischenzeitlich am einstigen "Flucht-Endpunkt" Halt machte... :cry: