>WENN JEMAND EINE REISE TUT,
DANN KANN ER WAS ERZÄHLEN...!<
Dieses bekannte Zitat steht am Anfang eines
GEDICHTS von
MATTHIAS CLAUDIUS aus dem Jahr 1786 und wurde in der Vertonung von Friedrich Zelter zum
WANDERLIED.
Damals war Reisen noch anders als heute, was sich nicht nur auf die damaligen Transportmittel, denen man sich anvertraute, sondern auch die ganzen Umstände einer Reise an sich bezog. In der Postkutschenzeit waren für die meisten Reisenden die Entfernungen vom eigenen Zuhause nicht so weit, wie die heutige Urlaubsreise eines Normalbürgers.
Allerdings war Reisen an sich zu allen Zeiten recht abenteuerlich.
Was da genau auf einen zukam, konnte niemand vorher wissen, denn Gefahren lauerten überall.
Was sich aber veränderte, waren die Erzählungen, welche im Nachhinein den Daheimgebliebenen unterbreitet wurden. Da gab es viel zu erzählen, denn
"zum Reisen gehört Geduld, Mut, guter Humor, Vergessenheit aller häuslichen Sorgen und dass man sich durch keine widrigen Zufälle, Schwierigkeiten, böses Wetter, schlechte Kost und dergleichen nicht niederschlagen lasse", wie der wohlbekannte Adolf Freiherr von Knigge (1752 – 1796) einst sehr treffend bemerkte.
Begleiten wir einmal unsere Altvorderen auf einer solchen
REISE,
beginnend mit den
REISEVORBEREITUNGEN anhand von
SENFTENBERGER EISENBAHNGESCHICHTEN
aus dem >Senftenberger Anzeiger< vor rund 90 Jahren
Nachdem sich also die Familie einig war, wohin die
REISE gehen sollte,
warf man vor dem Blick auf den
FAHRPLAN selbigen erst einmal auf die gültigen
FAHRPREISE (1928):
Vor dem unmittelbaren
REISEANTRITT wurde dann ein
UHRENVERGLEICH angeraten, damit man später auf dem Bahnsteig nicht nur mehr die Rücklichter des Zuges sah:
"Während es früher üblich war, daß die TURMUHR gegen Post~ und Bahnzeit 5 Minuten vorging, ist dies in letzter Zeit nicht mehr der Fall, an einigen Tagen ging sogar die Uhr bis zu 5 Minuten gegen die Bahnzeit nach. Da das Publikum vielfach noch der Meinung ist, daß die TURMUHR vorgeht, haben in letzter Zeit tagtäglich viele Leute, und besonders hier Einkaufende, die ZÜGE verpaßt.
MAN GEHE ALSO RECHTZEITIG ZUR BAHN !"
Bezüglich der
BILLETTS (Fahrkarten) wurde wohlweislich auf längere
WARTEZEITEN am einzigen
FAHRKARTENSCHALTER des Senftenberger Bahnhofs (1913) hingewiesen:
"Eine Reihe zum Teil sehr unerquickliche Mißstände finden sich auch in unserem EISENBAHNBETRIEB.
Kommt man am Sonntag auf den SENFTENBERGER BAHNHOF, so muß man es so einrichten,
daß man mindestens 20 Minuten vor Abgang des Zuges dort ist, denn sonst ist ausgeschlossen, noch BILLETS zu erhalten. Vorwiegend polnische Bevölkerung füllt den Raum vor dem einen, einzigen SCHALTER aus und langsam, sehr langsam wickelt sich der Billetverkauf ab. Könnten bei einem solchen Verkehr, wie ihn der Senftenberger Bahnhof aufzuweisen hat, nicht wenigstens 2 bis 3 Schalter vorhanden sein?
Sie dürften allerdings dann auch nicht jenes ominöse Schild >GESCHLOSSEN< aufweisen,
wie man es in größeren Bahnhöfen, auch beim größten Verkehr, bemerken kann!
Hoffentlich wird bei dem jetzt geplanten Neubau des SENFTENBERGER BAHNHOFES auch diese Kalamität beseitigt.
Allerdings läge es auch im Interesse wenigstens des anständigen Publikums, daß dann zu gleicher Zeit auch ein Beamter den Schalterdienst zu versehen hätte, der die Leute mit einem, wenn auch nur gezwungenen höflichen Ton behandelte."
Ich kann mir gut vorstellen, dass in den
ERZÄHLUNGEN für die Daheimgebliebenen die spektakulären
VORKOMMNISSE während der eigentlichen
BAHNFAHRT einen herausragenden Platz einnahmen:
"BEI UNS HERRSCHT ORDNUNG ! --- wie oft hört man das nicht, bald scherzhaft, bald ernsthaft, sagen, wenn angedeutet werden soll, daß bei uns alles korrekt und mustergültig zugehe! Aber auch bei uns herrscht leider nicht immer und überall die wünschenswerte Ordnung.
Es herrscht z.B. in den fahrenden EISENBAHNZÜGEN, in den BAHNHÖFEN, auf den BAHNSTEIGEN durchaus nicht durchweg die erforderliche Ordnung, sondern eher - na, sagen wir
SORGLOSIGKEIT & SCHMUDDELEI DES REISEPUBLIKUMS.
Natürlich und glücklicherweise hält die Mehrzahl der Reisenden das ABTEIL, in dem die Fahrt zurückgelegt wird, genau so sauber wie die 'gute Stube' zu Hause. Aber mit vielen andern kann der, der längere Reisen macht, schon einiges erleben.
Was liegt da nicht alles auf den Fußböden des Abteils, auf und unter den Sitzbänken und im Gepäcknetz herum: Eier~ und Apfelsinenschalen, Wurstpellen, Zigarrenstummel und Zigarettenhülsen, zerlesene Zeitungen und benutzte Zündhölzchen, von dem Auswurf der Menschheit - denn viele halten es für richtig, konstant auf den Boden zu spucken - gar nicht erst zu reden. Wenn dann einer sagt:
>HIER SIEHT'S JA AUS WIE IM SAUSTALL !<,
so ist das vielleicht nicht ganz salonfähig gesprochen, aber meist goldrichtig. Während der Fahrt kann natürlich ein ganzer langer Zug, der besetzt ist, von dem Dienstpersonal nicht in Ordnung gebracht werden - so viel Scheuerfrauen gibt's ja gar nicht, und außerdem würden sich die Reisenden die Störungen durch Schrubber und Wischtücher schön verbitten.
Also was bleibt der Verwaltung der Reichsbahn anders übrig, als sich an die Vernünftigen unter den Reisenden zu wenden und die Sauberhaltung ihnen ans Herz zu legen, was nur heißen kann, daß sie UNSAUBERE ELEMENTE zu etwas mehr Ordnung anhalten und sich die Verunreinigung der Abteile, in welchem man oft einen ganzen Tag zubringen muß, höflich, aber entschieden verbitten sollen.
Dispute wird es dann wohl immer geben, aber schließlich hilft ein bißchen Erziehung oder ein bißchen gemütliches Zureden vielleicht doch.
>BAHN FREI !< laute die Parole, und das heißt in diesem Falle:
>BAHN FREI VON ALLEM SCHMUTZ !<. Also, Schwestern und Brüder, tut etwas für die Reichsbahn und helft ihr bei ihren anerkennenswerten Bestrebungen, in den Zügen ORDUNG & SAUBERKEIT zu halten!"
Diese
EISENBAHNGESCHICHTEN begeistern sicher noch heute,
denn viele Sachverhalte haben sich auch in 100 Jahren kaum verändert
- wenn man davon absieht, dass früher die
FAHRPREISE niedriger und die
ZÜGE zügiger & pünktlicher unterwegs waren...