Neues 272- 2017-04-02

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Matthias
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Neues 272- 2017-04-02

Beitragvon Matthias » Sa 1. Apr 2017, 07:30

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Harald
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Re: Neues 272- 2017-04-02

Beitragvon Harald » So 2. Apr 2017, 11:40

Kalesche_resize.jpg
MEINE VILLA - MEINE KALESCHE - MEINE FRAU

Pünktlich um 4 Uhr nachmittags stand die KALESCHE vor der "VILLA MATADOR" , dem Verwaltungsgebäude der BRIKETTFABRIK RESCHKE, denn um diese Stunde pflegte die Unternehmergattin eine Spazierfahrt zu machen. Sie hielt sehr viel von solchen Fahrten, obwohl sie recht eintönig verliefen und der Weg ihr allzu bekannt war.
Immerhin aber war es eine Gelegenheit, ein wenig Luft der Außenwelt zu atmen und einen Blick auf das Leben der anderen Menschen zu werfen. Wenn der Wagen auf der Straße in Richtung Senftenberg fuhr, steckten die Frauen die Köpfe aus den kleinen Fenstern, einige wohlsituierte Damen standen vor der Katholischen Kirche und als sie der Kutsche ansichtig wurden, machten sie tiefe Knickse, Kinder saßen auf Gartenzäunen und sperrten die Mäuler auf, Männer grüßten, Hunde bellten, es gab stets eine lustig lärmende Aufregung...

So ähnlich könnte es sich damals zugetragen haben.
Und während seine Gattin das Nichtstun genoss, holte sich der Herr Fabrikbesitzer in seiner >Betriebswirtschaftslehre< Rat, um anschließend seinen Buchhalter anzuweisen, die monatlichen Spazierfahrten unter >Diverses< zu verbuchen:

"Der UNTERNEHMER kann in seiner PRIVATKALESCHE einen Geschäftskunden spazieren fahren, dann ist der damit begründete Aufwand auf GESCHÄFTSKOSTEN zu buchen, aber die KALESCHE wird dadurch nicht Bestandteil des Unternehmens.
Der UNTERNEHMER [oder seine Gattin] kann mit Pferd und Wagen, die zum Anlagevermögen der Firma gehören, eine Spazierfahrt zum eigenen Vergnügen machen. Dadurch bleiben Pferd und Wagen Bestandteil des Anlagevermögens, und die Kosten dieser Sonderfahrt wären dem UNTERNEHMER auf PRIVATKONTO zu belasten.
Über den Sachverhalt des Kapitals entscheidet - die BUCHHALTUNG."

... und erst ganz zum Schluss kamen:

Bergleute_resize.jpg

MEINE BERGLEUTE

Die ältesten, beim Niederlausitzer Braunkohlenbergbau beschäftigten Arbeiter waren keine gelernten Bergarbeiter, sondern meist KLEINBAUERN, die in den benachbarten Gruben an einigen Stunden des Tages einen kleinen Nebenverdienst erwarben. Oftmals waren auch die GUTSBESITZER zugleich BERGWERKSEIGENTÜMER, die dann natürlich ihre TAGELÖHNER zur Förderung und Sortierung der Kohlen einsetzten, wenn sie von der Feldarbeit abkömmlich waren.
Als die Förderung zunahm und GRUBENARBEITER während der Erntezeit Urlaub nahmen oder ihre Beschäftigung ganz verließen, da ihnen die Feldarbeit wichtiger war, mussten sich die GRUBENBESITZER nach Arbeitskräften umsehen. Viele BAUERN der umliegenden Ortschaften, deren Äcker als Grubenfelder abgekauft wurden, füllten dann als erste die Belegschaft auf. Dagegen zeigte die einheimische WENDISCHE Landbevölkerung, die eine starke Bindung zur 'eigenen Scholle' auszeichnete, anfangs wenig Lust zur schmutzigen Grubenarbeit als Hauptberuf. Erst die verlockend hohen Bargeld-Löhne zogen später weitere Bauern in die Kohle.
Häufig kamen auch BERGARBEITER aus anderen Revieren, die dort wegen Vergehen und Pflichtverletzung ausgewiesen wurden, in die Niederlausitz. Als geschulte Bergleute wurden sie gern genommen, auch wenn sie ab & an die Zucht und Ordnung in der Belegschaft unterwühlten. Da sah man dann doch schon lieber auf Bergleute, die aus den schlecht bezahlten Gruben Niederschlesiens zu uns kamen.
Die DEUTSCH-POLEN waren sehr fleißig, sparsam und willig und machten in der Folgezeit einen nicht geringen Teil der Bergarbeiterbevölkerung aus. Meine GROSSELTERN mütterlicherseits waren ein typisches Beispiel dafür: sie kamen alljährlich aus dem damaligen Westpreußen als Erntehelfer nach Brandenburg, lernten sich dort kennen, lieben und heirateten, weil die erste von drei Töchtern unterwegs war. Mein Großvater arbeitete dann kurzzeitig im Ruhrgebiet, hatte aber mit dem Unter-Tage-Betrieb nichts am Hut und begann dann seine jahrzehntelange "Ofenwärter-Karriere" auf >MEUROSTOLLN<...

Dass sich die Arbeiter nach ihrer 10-stündigen SCHICHT, beginnend 6 Uhr morgens und endigend 6 Uhr abends mit einer Mittagspause von einer Stunde und zwei Ruhepausen von einer halben Stunde auch mal Feierabendbier & ~schnaps in der CANTINE gönnten, ist wohl durchaus verständlich.
Da sich die BELEGSCHAFT aber aus den verschiedensten und vielfach nicht gerade besten Elementen zusammensetzte:
- Kleinbauern, Industriearbeiter, verkrachte Handwerker, ausgewiesene und ausgewanderte Bergarbeiter, Gelegenheitsarbeiter und polnische Tagelöhner - , waren Widersetzlichkeiten und Rohheiten, blutige Streitigkeiten zwischen Arbeitergruppen oder Nationalitäten sowie auch viele Sittlichkeitsverbrechen an der Tagesordnung.

Die KANTINENWIRTE der einzelnen Werke wurden von den Leitungen angehalten, unmäßigen Trinkern den Ausschank alkoholischer Getränke zu versagen. Wirte, die gegen diese Vorschriften verstießen, wurden mit Geldstrafen belegt, der Verkauf von Branntwein stark eingeschränkt oder gänzlich verboten. Natürlich konnten die Werksleitungen nicht verhindern, dass die Arbeiter die örtlichen Gasthäuser aufsuchten und sich dort "berauschten". Durch unentgeltlichen Kaffeeausschank während der Arbeitszeit im Winter gelang es allerdings, den Alkoholgenuss "vor Ort" etwas einzuschränken.

Kantine_resize.jpg

Heute schwer vorstellbar, aber in einer ARBEITSORDNUNG von 1893 konnte man noch folgendes lesen:

"Das MITBRINGEN VON BRANNTWEIN ist den männlichen Arbeitern über 18 Jahren in Mengen von höchstens 1/3 Liter pro Tag gestattet.
Diese Erlaubnis kann jederzeit solchen Personen gegenüber widerrufen werden, welche Neigung zum Trunk und liederlichen Lebenswandel zeigen oder für welche der Kassenarzt den Branntweingenuß als schädlich erachtet. Jüngeren männlichen und allen weiblichen Arbeitern ist das Schnapsmitbringen und Trinken desselben im Werke unbedingt verboten. Der bei ihnen vorgefundene Schnaps wird fortgenommen und weggegossen. Betrunkene Personen werden ohne weiteres aus dem Werke entfernt, bekommen außerdem eine hohe Geldstrafe und können im Wiederholungsfalle entlassen werden."

Die Lage verbesserte sich erst um 1900, als die größeren Werke durch den Bau guter Wohnhäuser, Prämiensysteme, Pensionskassen und Wohlfahrtseinrichtungen verschiedenster Art eine tüchtige Stammbelegschaft heranzogen.
Die untenstehende Liste von 1904 zeigt z.B. den Bestand an WERKSWOHNUNGEN, welche die soziale Lage der Bergarbeiterfamilien wesentlich verbesserten:

Werkswohnungen_resize.jpg


In einer der 50 WERKSWOHNUNGEN von MEUROSTOLLN wurde ich geboren und genoss dort meine Kindheit in vollen Zügen, denn die Miete betrug 10 Mark pro Monat, Wasser, Strom und der KOHLENDRECK von der BRIKETTBUDE waren gratis... :|

Frank66
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Re: Neues 272- 2017-04-02

Beitragvon Frank66 » Mo 3. Apr 2017, 11:40

Im Jahr 1872 wurde in Reppist eine Brikettfabrik mit Namen "Marie" in Betrieb genommen. Sie gehörte einer Firma, die sich Bergbau-AG nannte. Diese Fabrik wurde 1877 an die Firma "Gruhl und Co." verkauft. Laut Senftenberger Anzeiger wurde im April 1880 die Firma "Gebrüder Reschke" in Senftenberg gegründet. Gruhl und Co. verkaufte 1880 seine Fabrik an Reschke, aber nicht die dazu gehörige Tiefbaugrube. Im Jahr 1883 kam man bei Gruhl und Co. auf die Idee, wieder eigene Briketts zu produzieren und so baute man eine Fabrik, die 1884 in Betrieb ging, Die Fabrik bekam den Namen "Mariengrube Gruhl und Co." um sie von der Fabrik "Marie Gebrüder Reschke" zu unterscheiden. Da Reschke die Braunkohle nun nicht mehr von Gruhl und Co. beziehen konnte, musste im Jahr 1884 eine eigene Tiefbaugrube eröffnet werden. Gruhl und Co. nahm 1886 eine zweite Fabrik in Reppist in Betrieb. Im Jahr 1889 verkaufte Gruhl und Co. sein Reppister Werk an die Anhaltischen Kohlenwerke. Die Mariengrube der AKW wurde einige Jahre später in "Marie I" umbenannt.
Die Firma Reschke verkaufte 1910 sein Unternehmen an die Ilse-Bergbau-AG die damit das Tochterunternehmen "Matador-Bergbau-GmbH" gründete. Fortan trugen Fabrik und Tagebau den Namen Matador.

Die von mir gemachten Angaben, habe ich aus den Büchern von Dieter Sperling, der in seinem Vorwort darauf hingewiesen hat, das er nicht von anderen Dokumentationen abgeschrieben, sondern selbst in Archiven recherchiert hat.

Im Landeshauptarchiv Potsdam befinden sich die Bauakten aus dem Jahr 1883 zum Bau der Fabrik Mariengrube. Eventuell können meine Angaben auch durch die Senftenberger Anzeiger der entsprechenden Jahrgänge bestätigt werden.

Frank66
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Re: Neues 272- 2017-04-02

Beitragvon Frank66 » Mo 3. Apr 2017, 12:08

Reschke hatte seine Villa in der heutigen "Straße der Jugend" in Senftenberg. An der Giebelseite des Gebäudes, in Richtung Bahnhofstraße, kann man den Namen "Marie" lesen. Das Reschke dort gewohnt hat, ist aus einer Aprilausgabe des Senftenberger Anzeigers aus dem Jahr 1905 zu entnehmen zum Thema: 25 Jahre Firma "Gebrüder Reschke".

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Harald
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Re: Neues 272- 2017-04-02

Beitragvon Harald » Mo 3. Apr 2017, 13:33

So wie die kurze "Einstimmungs-Story" frei erfunden, war auch der Name >VILLA MATADOR< nur als witzige, hochtrabende Bezeichnung für das VERWALTUNGSGEBÄUDE gedacht, denn man wird wohl kaum in Erwägung ziehen, dass Fabrikbesitzer einst in unmittelbarer Nähe oder womöglich gar vis-à-vis ihrer staubigen Brikettfabriken residiert haben... :roll:

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Matthias
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Re: Neues 272- 2017-04-02

Beitragvon Matthias » Mo 3. Apr 2017, 14:31

Vielen Dank Frank (das reimt sich sogar ;-) ). Bezüglich des Wohnsitzes der beiden Reschkes wird es in der Zukunft
noch erhellendes Material von meiner Seite geben.

Frank66
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Re: Neues 272- 2017-04-02

Beitragvon Frank66 » Di 4. Apr 2017, 07:32

Hat jemand von euch eventuell einen detailierten Lageplan von "Marie I" aus der Zeit, als sie noch nicht "Zetkin" hieß?

Klaus
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Re: Neues 272- 2017-04-02

Beitragvon Klaus » Fr 7. Apr 2017, 08:06

Hallo Frank66,

im Buch „Alt-Senftenberg Eine Bilderchronik“ findet man auf Seite 100 eine Spezialkarte des Senftenberger Reviers.
Gruss Klaus


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