MEINE VILLA - MEINE KALESCHE - MEINE FRAU
Pünktlich um 4 Uhr nachmittags stand die
KALESCHE vor der
"VILLA MATADOR" , dem Verwaltungsgebäude der
BRIKETTFABRIK RESCHKE, denn um diese Stunde pflegte die Unternehmergattin eine Spazierfahrt zu machen. Sie hielt sehr viel von solchen Fahrten, obwohl sie recht eintönig verliefen und der Weg ihr allzu bekannt war.
Immerhin aber war es eine Gelegenheit, ein wenig Luft der Außenwelt zu atmen und einen Blick auf das Leben der anderen Menschen zu werfen. Wenn der Wagen auf der Straße in Richtung Senftenberg fuhr, steckten die Frauen die Köpfe aus den kleinen Fenstern, einige wohlsituierte Damen standen vor der Katholischen Kirche und als sie der Kutsche ansichtig wurden, machten sie tiefe Knickse, Kinder saßen auf Gartenzäunen und sperrten die Mäuler auf, Männer grüßten, Hunde bellten, es gab stets eine lustig lärmende Aufregung...
So ähnlich könnte es sich damals zugetragen haben.
Und während seine Gattin das Nichtstun genoss, holte sich der Herr Fabrikbesitzer in seiner >Betriebswirtschaftslehre< Rat, um anschließend seinen Buchhalter anzuweisen, die monatlichen Spazierfahrten unter >Diverses< zu verbuchen:
"Der UNTERNEHMER kann in seiner PRIVATKALESCHE einen Geschäftskunden spazieren fahren, dann ist der damit begründete Aufwand auf GESCHÄFTSKOSTEN zu buchen, aber die KALESCHE wird dadurch nicht Bestandteil des Unternehmens.
Der UNTERNEHMER [oder seine Gattin] kann mit Pferd und Wagen, die zum Anlagevermögen der Firma gehören, eine Spazierfahrt zum eigenen Vergnügen machen. Dadurch bleiben Pferd und Wagen Bestandteil des Anlagevermögens, und die Kosten dieser Sonderfahrt wären dem UNTERNEHMER auf PRIVATKONTO zu belasten.
Über den Sachverhalt des Kapitals entscheidet - die BUCHHALTUNG."
... und erst ganz zum Schluss kamen: MEINE BERGLEUTE
Die ältesten, beim Niederlausitzer Braunkohlenbergbau beschäftigten Arbeiter waren keine gelernten Bergarbeiter, sondern meist
KLEINBAUERN, die in den benachbarten Gruben an einigen Stunden des Tages einen kleinen Nebenverdienst erwarben. Oftmals waren auch die
GUTSBESITZER zugleich
BERGWERKSEIGENTÜMER, die dann natürlich ihre
TAGELÖHNER zur Förderung und Sortierung der Kohlen einsetzten, wenn sie von der Feldarbeit abkömmlich waren.
Als die Förderung zunahm und
GRUBENARBEITER während der Erntezeit Urlaub nahmen oder ihre Beschäftigung ganz verließen, da ihnen die Feldarbeit wichtiger war, mussten sich die
GRUBENBESITZER nach Arbeitskräften umsehen. Viele
BAUERN der umliegenden Ortschaften, deren Äcker als Grubenfelder abgekauft wurden, füllten dann als erste die Belegschaft auf. Dagegen zeigte die einheimische
WENDISCHE Landbevölkerung, die eine starke Bindung zur 'eigenen Scholle' auszeichnete, anfangs wenig Lust zur schmutzigen Grubenarbeit als Hauptberuf. Erst die verlockend hohen Bargeld-Löhne zogen später weitere Bauern in die Kohle.
Häufig kamen auch
BERGARBEITER aus anderen Revieren, die dort wegen Vergehen und Pflichtverletzung ausgewiesen wurden, in die Niederlausitz. Als geschulte Bergleute wurden sie gern genommen, auch wenn sie ab & an die Zucht und Ordnung in der Belegschaft unterwühlten. Da sah man dann doch schon lieber auf Bergleute, die aus den schlecht bezahlten Gruben Niederschlesiens zu uns kamen.
Die
DEUTSCH-POLEN waren sehr fleißig, sparsam und willig und machten in der Folgezeit einen nicht geringen Teil der Bergarbeiterbevölkerung aus. Meine
GROSSELTERN mütterlicherseits waren ein typisches Beispiel dafür: sie kamen alljährlich aus dem damaligen Westpreußen als Erntehelfer nach Brandenburg, lernten sich dort kennen, lieben und heirateten, weil die erste von drei Töchtern unterwegs war. Mein Großvater arbeitete dann kurzzeitig im Ruhrgebiet, hatte aber mit dem Unter-Tage-Betrieb nichts am Hut und begann dann seine jahrzehntelange "Ofenwärter-Karriere" auf >MEUROSTOLLN<...
Dass sich die Arbeiter nach ihrer 10-stündigen
SCHICHT, beginnend 6 Uhr morgens und endigend 6 Uhr abends mit einer Mittagspause von einer Stunde und zwei Ruhepausen von einer halben Stunde auch mal Feierabendbier & ~schnaps in der
CANTINE gönnten, ist wohl durchaus verständlich.
Da sich die
BELEGSCHAFT aber aus den verschiedensten und vielfach nicht gerade besten Elementen zusammensetzte:
- Kleinbauern, Industriearbeiter, verkrachte Handwerker, ausgewiesene und ausgewanderte Bergarbeiter, Gelegenheitsarbeiter und polnische Tagelöhner - , waren Widersetzlichkeiten und Rohheiten, blutige Streitigkeiten zwischen Arbeitergruppen oder Nationalitäten sowie auch viele Sittlichkeitsverbrechen an der Tagesordnung.
Die
KANTINENWIRTE der einzelnen Werke wurden von den Leitungen angehalten, unmäßigen Trinkern den Ausschank alkoholischer Getränke zu versagen. Wirte, die gegen diese Vorschriften verstießen, wurden mit Geldstrafen belegt, der Verkauf von Branntwein stark eingeschränkt oder gänzlich verboten. Natürlich konnten die Werksleitungen nicht verhindern, dass die Arbeiter die örtlichen Gasthäuser aufsuchten und sich dort "berauschten". Durch unentgeltlichen Kaffeeausschank während der Arbeitszeit im Winter gelang es allerdings, den Alkoholgenuss "vor Ort" etwas einzuschränken.
Heute schwer vorstellbar, aber in einer
ARBEITSORDNUNG von 1893 konnte man noch folgendes lesen:
"Das MITBRINGEN VON BRANNTWEIN ist den männlichen Arbeitern über 18 Jahren in Mengen von höchstens 1/3 Liter pro Tag gestattet.
Diese Erlaubnis kann jederzeit solchen Personen gegenüber widerrufen werden, welche Neigung zum Trunk und liederlichen Lebenswandel zeigen oder für welche der Kassenarzt den Branntweingenuß als schädlich erachtet. Jüngeren männlichen und allen weiblichen Arbeitern ist das Schnapsmitbringen und Trinken desselben im Werke unbedingt verboten. Der bei ihnen vorgefundene Schnaps wird fortgenommen und weggegossen. Betrunkene Personen werden ohne weiteres aus dem Werke entfernt, bekommen außerdem eine hohe Geldstrafe und können im Wiederholungsfalle entlassen werden."
Die Lage verbesserte sich erst um 1900, als die größeren Werke durch den Bau guter Wohnhäuser, Prämiensysteme, Pensionskassen und Wohlfahrtseinrichtungen verschiedenster Art eine tüchtige Stammbelegschaft heranzogen.
Die untenstehende Liste von 1904 zeigt z.B. den Bestand an
WERKSWOHNUNGEN, welche die soziale Lage der Bergarbeiterfamilien wesentlich verbesserten:
In einer der
50 WERKSWOHNUNGEN von
MEUROSTOLLN wurde ich geboren und genoss dort meine Kindheit in vollen Zügen, denn die Miete betrug 10 Mark pro Monat, Wasser, Strom und der
KOHLENDRECK von der
BRIKETTBUDE waren gratis...
