Wir können uns unserer SCHULZEIT und unserer dort verschwendeten oder weise genutzten Tage, unserer Lehrer mitsamt ihrer kleinen „Macken“ und unserer Dankbarkeit gegen sie erinnern, ohne deswegen noch eine Vorstellung vom Klang der Schulglocke zu haben, die uns zum Unterricht rief, von jedem Buch, das wir benutzten, von jedem Blatt Papier, das wir beschrieben, von jedem Wort, das wir vom Lehrer hörten.
Dass es aber eine SCHULZEIT für uns gab, in der wir Gelegenheit zum Lernen fanden, ein Amt hatten, welches wir gewissenhaft oder gewissenlos führten und dass wir Lehrer hatten, denen wir ungemein viel verdanken – das werden wir sicher so schnell nicht vergessen.
Zur vergnüglichen Rückerinnerung an die gemeinsame Schulzeit dienen die jährlich oder in längeren Perioden anberaumten sog. >KLASSENTREFFEN<, bei denen die Freude des Wiedersehens und des nochmaligen Verweilens an dem Ort, wo man die fröhlichen Jugendjahre verlebt hatte, im Vordergrund stehen.
ALBRECHT BLÜTHGEN, der vor Ostern 1918 am damals noch im Schloss befindlichen REFORMREALGYMNASIUM sein Abitur abgelegt hatte, machte im Juni 1936 einen SPAZIERGANG durch SENFTENBERG und übermittelte seine emotionalen Eindrücke dem >Senftenberger Anzeiger<:
SENFTENBERGER GYMNASIAST
SIEHT SEINE SCHULSTADT VON EINST
"Jeder Mensch erlebt
ERFREULICHES & UNERFREULICHES
in seinem Leben. In bunter Reihenfolge wechselt es ab. Vieles vergißt man, nur die großen bewegenden
EINDRÜCKE bleiben wach im Gedächtnis haften.
Aber darüber hinaus gibt es auch
GESCHEHNISSE & ERLEBTES,
die nicht wach, aber auch nicht vergessen, gewissermaßen im
GEDÄCHTNIS nur schlummern und sofort wieder gegenwärtig werden, wenn durch äußere oder innere Anlässe an sie gerührt wird. Als Erinnerung treten sie dann vor unser geistiges Auge, oftmals so unverwischt und lebensnah, daß man es für unmöglich halten möchte, daß häufig zwischen
ERLEBNIS & ERINNERUNG ein Weg von Jahrzehnten liegt.
So rief ein kleiner
SPAZIERGANG an einem schönen diesjährigen
FRÜHLINGSTAGE durch die Straßen und Gassen meiner alten
SCHULSTADT SENFTENBERG, die ich vor ungefähr achtzehn Jahren verlassen und in der Zwischenzeit nur selten und dann auch nur flüchtig besucht hatte, manche freundliche Erinnerung an die Schulzeit, an lustige, ausgelassene und zugleich auch stolze Stunden wach, wenn wir, im alten
SCHLOSSHOF versammelt, die gewaltigen Siege unserer herrlichen Armee in jubelnder Begeisterung feierten.
Aber auch die kleine
GASTWIRTSCHAFT mit ihrem damals schon sehr dürftigen Vorgärtchen erinnert mich an ein lustiges Erlebnis. Dort übten wir uns schon früh nach den Klängen eines geräuschvollen
ORCHESTRIONS* im Gebrauch des Tanzbeins. Dabei tranken wir hin und wieder, wenn wir einmal sehr flüssig waren, was leider nicht allzu oft der Fall war, einen
STIEFEL. Bei dieser Zeremonie fühlten wir uns immer wie richtige Männer, wenn auch das Zeug mächtig bitter schmeckte, und männiglich unterdrückten wir manchen Protest unseres Magens, der trotz unserer starken Gefühle leider jugendlich geblieben war.
(*Das Orchestrion gehört zu den mechanischen Musikinstrumenten. Es hatte den Zweck, möglichst ein ganzes Orchester zu imitieren und war Vorläufer späterer Musikautomaten.)
Welcher meiner Schulkameraden lächelt nicht mit mir bei der Erinnerung an den langen, einsamen
ELSTERDAMM, wo unsere Zigaretten abends wie Glühwürmchen glühten, oder an die
EISBAHN, wo wir ritterliche Dienste verrichten durften, aber auch an die betrüblichen Erfahrungen, die wir mit der Strenge der Schulgesetze machen mußten, wenn wir in heißem Wettbewerb um die Gunst der Schönen jedes Mittel der Eleganz ausnützten und so auch die steife Schülermütze den streng verbotenen, aber feschen Knick im Mützenrande erhielt.
So gäbe es viele Erinnerungen auszuplaudern, aber ich will eigentlich den Senftenbergern eine
ANERKENNUNG zuteil werden lassen.
Wohl schöner als die vielen Jugenderinnerungen, die mir heute die damaligen Erlebnisse alle so lustig erscheinen lassen, trotzdem viele damals recht großen Alpdruck und manche kritischen Stunden bereitet haben, ist doch die Beobachtung, daß
SENFTENBERG sein Antlitz seit damals recht auffällig verschönt und in seinem Umfange sich recht beträchtlich erweitert hat.
Wo zu meiner Zeit am
RANDE DER STADT noch Wald, Wiese und Feld waren, die uns als Gelände für unsere Kriegsspiele dienten, stehen heute neue und freundliche Häuserblocks und viele hübsche Einzelhäuser mit kleinen, gepflegten Gärten, in die jetzt der Frühling mit seiner ganzen blühenden und duftenden Pracht eingezogen ist.
Wo einst holpriges und buckliges Kopfsteinpflaster unsre Marschkolonne aus Schritt und Richtung brachte, wenn wir zum Turnen marschierten, überzieht heute eine glatte Asphaltdecke diese Straßen, und einige Plätze, damals recht öde und vernachlässigt und nicht immer sehr sauber, erfreuen heute durch ihre vorbildliche Sauberkeit, ihre geöffnete Weite und den Grünschmuck das Auge des Besuchers.
Aber auch das
STADTINNERE rund um den
MARKTPLATZ hat sich aufgehellt. Alte Gebäude, die den Stempel der Zeit recht deutlich und wenig augengefällig trugen, haben schönen Neu~ und Umbauten Platz gemacht. Neue, helle Häuserfronten haben manches früher so griesgrämig ausschauende Haus in lachende Heiterkeit getaucht.
Nur der überhohe
LATERNENMAST auf dem Markt dient wohl mehr der Zweckmäßigkeit als dem guten Geschmack, darf aber, wie man mir mit Stolz versicherte, für sich den Ruhm in Anspruch nehmen, der höchste Beleuchtungsmast der Niederlausitz zu sein.
Am eindringlichsten ist die Entwicklung Senftenbergs erkennbar in den beiden Stadtteilen um das
KRANKENHAUS und um den
BAHNHOF.
Hier sind in den verflossenen Jahren private und amtliche Bauten entstanden in einer Fülle, Zweckmäßigkeit und neuzeitlichen Richtung, die die Großzügigkeit und den Fortschrittssinn der Senftenberger erkennen lassen.
Es ließe sich noch vieles anführen, was mir nach so langer Abwesenheit angenehm aufgefallen ist. Das würde bestimmt ein zu langer Artikel werden. Vergessen möchte ich aber nicht, den kleinen reizenden
TIERPARK zu erwähnen. Da, wo heute die Hirsche stolz schreiten und die Wildschweine wühlen, haben wir im dichten Schilf nach Carl May's Methode den Feind beschlichen. Heute tummeln sich dort lachende und begeisterte Kinder inmitten von bunten Fasanen und kollernden Truthähnen. Wie schon damals, liegt ruhig und stolz das
SCHLOSS in seiner grünen Umwallung. Hinter seinen dicken Mauern haben wir damals das Rüstzeug für das Leben erhalten, haben dort heitere und trübe Stunden verlebt. Nicht ohne Dankbarkeit gedenke ich dieser alten Burg, in deren Mauern wir einst erzogen wurden."
Sollten Sie sich heute trotz Wetterunbilden auf den traditionellen >OSTERSPAZIERGANG< begeben, dann machen Sie doch mal einen „kleinen Schlenker“ an der SCHULE vorbei, die Sie mit ihrer Anwesenheit beglückt haben. Wenn Ihnen dann ein paar alte Schülerstreiche einfallen, erzählen Sie diese ihren gebannt lauschenden Enkelkindern – die kriegen sich vor Lachen nicht mehr ein…!
In diesem Sinne auch von mir: FROHE & HUMORVOLLE OSTERN !