CHAUSSEE = „Kunststraße“
ist die veraltete, französische Bezeichnung für eine in der Mitte künstlich erhöhte, in möglichst gerader Richtung angelegte, geebnete, ursprünglich mit Sand, Kies und Steinen beschüttete, später mit Asphalt, Beton oder Steinpflaster befestigte und ausgebaute, und mit Wasserabzugsgräben an beiden Seiten ausgestattete
LANDSTRASSE.
Diese war zur Erleichterung des Verkehrs unentbehrlich, denn je besser die
WEGE, desto mehr konnten die Fuhrleute laden. Die Frachten wurden dadurch billiger und somit der Warenaustausch größer.
Eine solche schier endlose, mit uralten Eichen gesäumte
CHAUSSEE zog sich einst als
CLETTWITZER STRASSE, beginnend am sogenannten
KREUZCHEN, benannt nicht nach der dort befindlichen Straßenkreuzung, sondern nach einem dort aufgestellten Sühnekreuz, bis zum
PARADIESBERG hinauf und über
SCHIPKAU bis zum Namensgeber
KLETTWITZ hin.
Da ich mich hierzu bereits in zurückliegenden Kommentaren geäußert habe, so z.B. unter >Neues< 206, möchte ich mich heute dem
AUSBAU dieser Magistrale zuwenden.
Wie wir aus dem >Senftenberger Anzeiger< erfahren, begann alles am
2. November 1903 mit einer
SITZUNG der verfassungsmäßig aus 18 Mitgliedern bestehenden Senftenberger
STADTVERORDNETEN-VERSAMMLUNG, in der man unter Punkt 1 der
Tagesordnung den
CHAUSSEEBAU CLETTWITZ – SENFTENBERG behandelte.
Hier die
ANWESENHEITSLISTE:
„In heutiger gemeinschaftlicher Sitzung, zu welcher die beiden Collegien vom 2.d.Mts. eingeladen sind, wurden, nachdem die Anwesenheit der zur Seite aufgeführten Stadtverordneten durch Namensaufruf festgestellt und die Förmlichkeiten der Zusammenberufung geprüft und den Vorschriften der Städte-Ordnung entsprechend befunden waren, folgende Beschlüsse gefaßt:
ad1.
Mit dem Schreiben aus dem landrätlichen Bureau vom 1.d.Mts. wurden die in beschlußfähiger Anzahl erschienenen Vertreter der beiden städtischen Körperschaften bekannt gemacht und ebenso über den gegenwärtigen Stand der Verhandlungen hinsichtlich des geplanten chausseeemäßigen Ausbaus der Verbindungsstraße Senftenberg – Clettwitz und wurde darauf einstimmig beschlossen, den zur Vorbereitung der vorbezeichneten Straße erforderlichen Grund und Boden, soweit der Besitz im Stadtgebiet Senftenberg in Frage kommt, für städtische Rechnung zu erwerben und das erworbene Terrain dem Kreise Calau zu vorangegebenem Zwecke unentgeltlich zu überweisen.
Mit dem Erwerb werden die Herren Jurisch, John und Alster beauftragt.
Zu obigem Beschluß wurde die Dringlichkeit anerkannt.
a.u.s. [actum ut supra] = verhandelt wie oben
- UNTERSCHRIFTEN -
Abschrift von vorliegendem Beschluß nachrichtlich an den Beigeordneten Jurisch mit dem Ersuchen, wegen des Erwerbs der benötigten Landstreifen zu beiden Seiten der Clettwitzer Str. gemeinschaftlich mit den Stadtverordneten John und Alster mit den in Frage kommenden Acker pp. Besitzern in Unterhandlung zu treten…
Im Sitzungsprotokoll wurden auch die exakten Forderungen an Kaufgeld für das abgetretene Terrain aufgelistet.
Die Namen der einstigen Eigentümer, die mit sehr unterschiedlichen Quadratmeter-Preisen bedacht wurden, möchte ich den „erbgeschichtlich interessierten“ Nachkommen auf keinen Fall vorenthalten:
Otto Pöschk / Reinh. Lehmann / Gustav Hörold / Fritz Kummer / Herman König / Wilhelm Oswald / August Pohle / Gottlieb Rhöra / Paul Heduschka / Hermann Tannert / Gotttlieb Sayatz / August Kaiser / Wilhelm Burkhart = je 24 Pfg. pro qm
Eheleute Püschel / Wilhelm Richter / Friedr. Ruhe / Wilhelm Doch
= je 32 Pfg. pro qm
Wilhelm Lehmann / Rendant Sprengell / Wittwe Jesch / Wittwe Thomas /
Bäckermeister Otto Graf / Wilhelm Kaiser / Herrman Richter / Herrman Bredno / Christian Lehrack / Ackerbürger G. Skoring / Chr. Roschinka / Christian Kupsch / Tischlermeister Otto Raack / Bahnwärter Schneider = je 40 Pfg. pro qm
Paul Kieba / Musiker Gotthelf Schneider / Weinbergbesitzer M. Hannuschka / verehel. Alster
= je 50 Pfg. pro qm
Danach meldete sich natürlich der
KREISTAG zu Wort,
um abschließende Genehmigungen und dem Vorhaben seinen „Segen“ zu erteilen:
„Der KREISTAG war am Sonnabend, 21.d.M., unter dem Vorsitz des Kgl. Landrats Grafen v. Pourtales zu einer SITZUNG im Kreishaussaale einberufen. Er beschäftigte sich zunächst mit der Wahl von Mitgliedern für die verschiedenartigsten Kommissionen…
Ferner genehmigte der Kreistag den chausseemäßigen Ausbau der Straße
CLETTWITZ – PARADIES – SENFTENBERG,
und zwar bei Paradies mit Umgehung der Höhe nach dem Vorschlage des Baurats Beutler-Cottbus – wenn dadurch dem Kreise keine wesentlichen Mehrkosten entstehen, mit einer Planumbreite von 8 Meter nach dem Vorschlage des Kreisausschusses vom 1. November cr. und bewilligt zur Kostenbestreitung die Aufnahme eines Darlehns von 75,000 Mk. aus der Hauptkasse zu Lübben, welches nach dem jeweiligen Zinsfuß (voraussichtlich 3½ %) zu verzinsen und mit 2% zu amortisieren ist.
Die Breite der Brücke über den Pößnitzgraben soll zwischen den Geländern 6½ Meter betragen.
Die Ausführung des CHAUSSEEBAUS soll dem Baurat Beutler-Cottbus übertragen werden.“
Allerdings ging es dann erst ein Jahr später (1904) "in die Vollen" -
dann aber
SCHLAG AUF SCHLAG:
Übrigens: Wenn ich das Wort
>CHAUSSEE< höre, kommt mir stets das alte
KINDERLIED in den Sinn, dessen motivierender Wirkung auf langsam ermüdende Schülerwandergruppen ich mich oft bedient habe:
Klotz, Klotz , Klotz am Bein, Klavier vor'm Bauch,
wie lang ist die CHAUSSEE.
Rechts 'ne Pappel, links 'ne Pappel, in der Mitte Pferdeappel.
Und eins – und zwei – und drei – und vier
und vor, zurück, zur Seite ran.
(Beim letzten Satz blieben alle stehen und bewegten den rechten Fuß, den Worten entsprechend nach vorn, hinten, zur Seite und ran. Anschließend ging es wieder von vorne los.)
Diese „klotzenden Worte“ waren vor allem vonnöten, wenn man sich auf dem Heimweg befand und die Zeit bis zur Abfahrt des Zuges immer knapper wurde und man mit Seitenblick auf grasende Kühe sang:
„…rechts ein Vieh, links ein Vieh, unsern Zug, den krieg’n wir nie.“
Dann legte man zwangsläufig noch „einen Zahn zu“ und die Schüler zeigten sich dabei als sehr kreative Poeten:
Links sind Bäume, rechts sind Bäume und dazwischen Zwischenräume,
Links ein Zaun, rechts ein Zaun, nirgends kannste Äppel klau’n,
Links ne Tanne, rechts ne Tanne, in der Mitte Bratenpfanne,
Links ne Kiefer, rechts ne Kiefer, in der Mitte Ungeziefer,
Links ne Weide, rechts ne Weide, in der Mitte Strich aus Kreide,
Und wenn es dann bei den Jungs etwas ausuferte, wie bei:
Links ne Eiche, rechts ne Eiche, in der Mitte Pferdeleiche,
kam von den Mädchen prompt ein Dämpfer:
Links Zypressen, rechts Zypressen, haltet endlich eure Fressen !!!
Auch ich bin jetzt am
CHAUSSEE-ENDE angelangt:
Links ne Eibe, rechts ne Eibe, ich beende mein Geschreibe…!