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Neues 290 - 2017-08-27

Verfasst: Sa 26. Aug 2017, 14:49
von Matthias
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Re: Neues 290 - 2017-08-27

Verfasst: Mo 28. Aug 2017, 08:41
von Harald
Kinematograph_resize.jpg
>KINEMATOGRAPHIE<
bezeichnet:
eine (1) öffentliche Vorführung (2) mit Hilfe eines Projektors von
(3) photographisch (4) auf Film aufgenommenen (5) laufenden Bildern
vor (6) zahlendem Publikum.
Beginnen wir unsere Rundum-Betrachtung mit letzterem, dem

PUBLIKUM

Die ersten KINEMATOGRAPHEN-THEATER, die auf Jahrmärkten als große Sensation galten, wurden auch mit Worten wie „Theater der lebenden Photographien“, „Zentral-Bioskop-Theater“ und ähnlichen umständlichen Wortkonstruktionen bedacht. Das einfache Volk belegte es daher mit dem kürzeren und drastischen Namen >KINTOPP<, der „bis auf den letzten Platz vollgepfropft war von einem Maul und Nase aufsperrenden Publikum.“
Obwohl sich die Kintoppkundschaft keineswegs nur aus sogenanntem „Lumpenpack“ zusammensetzte, wurde er vom „besseren und wohlhabenden Publikum“ gemieden, bis der Name in >LICHTSPIELE< umgewandelt wurde.
Der Erfolg des Kinos erklärt sich durch zwei wirtschaftliche Faktoren der Gründerzeit: die Reduzierung der Arbeitszeit und die angestiegenen Löhne. Die Tendenz zum Kino war zunehmend, weil das Eintrittsgeld niedrig war und man jederzeit und ohne besondere Vorbereitung hingehen konnte. Dies erklärt auch den Rückgang des Theaterbesuchs seit 1908.
Widmen wir uns nun der Frage, welcher Art die dort gezeigten

FILME

waren. Was man im KINO suchte, war:

(a) die WELT horizontal: also ferne Länder rund um den Globus, und
(b) vertikal: von den Majestäten bis zu den Hütten der Armen.
(c) die „Hintertreppenrührgeschichten“ – und daneben:
(d) viel Ulkiges, Schnurren, Possen, Grotesken, Burlesken, Lachfilme,
Spektakelstücke – kurzum: Humoristisches !

Dies bestätigen auch die ANZEIGEN im >Senftenberger Anzeiger<,
bei denen die allererste Ankündigung schon die wichtigsten Elemente programmatisch vorwegnimmt:
>UNTERHALTEND – BELEHREND – HUMORISTISCH <

Damit sind wir auch schon bei der

WERBUNG

Die INSERATE waren zu Beginn noch sehr bescheiden, was die Größe angeht. Später wurden sie umfangreicher und sprachen damit vor allem die Schicht der Angestellten und Arbeiter an.
Neben den Inseraten fanden sich im Lokalteil unseres Lokalblatts häufig ARTIKEL propagandistischen Charakters für die in den Inseraten angepriesenen Filme. Anscheinend erwarb man sich mit dem Inserat das Recht auf einen Bonus-Artikel unter „Eing.“ (Eingesandt) – und davon wurde (nicht nur von den Kinos) eifrig Gebrauch gemacht.
Die SPRACHE der Kinoinserate entsprach den damaligen Gebräuchen für Inseratentexte nach 1900 überhaupt:
breiter und weitschweifiger, auch farbiger als heute und immer etwas umständlich.
„Blumige Adjektive“, meist im Superlativ, schmückten die Substantive:

herrliches Naturbild / Detektiv-Tragödie / Ergreifendes Zirkusdrama /
hochdramatische Episode / farbenprächtiger Kunstfilm /
ergreifendes, sensationelles Drama / spannend von Anfang bis Ende /
aeußerst dezentes Liebesdrama / hervorragend spannendes Drama /
sehr humorvolle Komödie / höchst spannendes Wild-West-Drama /

Manchmal wurden im Vorfeld sogar alle AKTE und KAPITEL des angepriesenen Films aufgelistet, sodass jeder Kinogänger wusste, was ihn erwartete:

Liebesroman_resize.jpg

Daneben gab es als Werbeträger noch GROSSPLAKATE an Plakatsäulen oder ~wänden oder direkt über dem Kino-Eingang, sowie Handzettel (neudeutsch Flyer). Solche REKLAMEBLÄTTER wurden an den Kinoeingängen verteilt, nicht nur an Besucher, sondern auch an Passanten, von denen natürlich die meisten die Zettel gleich wieder wegwarfen.

An der Werbung zu meinem absoluten LIEBLINGSFILM
>DER GRAF VON MONTE CHRISTO<
, der 1913 erstmals in der zweiten von vielen nachfolgenden Verfilmungen in Senftenberg gezeigt wurde, kann man die o.a. Werbestrategie gut erkennen:

Monte Christo 1913_resize.jpg


„>Senftenberger Anzeiger< / 9. August 1913 (Egs.)
Im PASSAGE-KINO gelangt jetzt >DER GRAF VON MONTE CHRISTO<,
der weltbekannte Roman Alexander Dumas, zur Vorführung. Dieser FILM ist nicht mit der
1. Ausgabe zu vergleichen, denn dieses BILD übertrifft das andere bedeutend, zumal unter größerem Kostenaufwand der berühmteste Schauspieler Amerikas
Herr James O’N e i l zur Schaustellung gewonnen wurde.
Das ergreifende SCHAUSTÜCK spielt weit draußen auf dem Meere und auf der Insel Elba, dann in Monte Christo. Es ist ein MEISTERWERK im Film, durchweg spannend, und wurde auf einer Sonder-Ausstellung einem auserlesenen Publikum und der Presse vorgeführt.
Rezensionen der größten in~ und ausländischen Zeitungen stehen bei der Lieferantin zur Verfügung.
Außer diesem KILOMETERFILM werden noch
2 herrliche Naturaufnahmen,
3 tolle humoristische Films,
1 Komödie und die wöchentliche Berichterstattung
am Freitag, Sonnabend, Sonntag und Montag vorgeführt.
Es wird zur gefälligen Kenntnisnahme gebracht, daß von jetzt ab DUTZENDKARTEN zu haben sind und zwar zu folgenden Preisen:
Loge = 7,50 Mk,
1. Platz = 5,00 Mk.
2. Platz = 3,50 Mk.
3. Platz = 2,50 Mk.
Da die Direktion stets bemüht ist, nur das Neueste auf dem Gebiete der Kinokunst zu zeigen, so ist ein Besuch des Theaters sehr zu empfehlen.“


Und schon sind wir beim ehemaligen Senftenberger

PASSAGE-THEATER

Als man am 23. Dezember 1913 das einjährige Bestehen des
ersten SENFTENBERGER KINOS beging, konnte man nicht nur dessen erfolgreiche Entwicklung an Hand der bis dato im >Senftenberger Anzeiger< erschienenen Artikel ablesen, sondern auch erfahren, dass die wichtigsten Mitarbeiter des FILMVORFÜHRERS zu der Zeit
„als die Bilder laufen lernten“
(a) ein REZITATOR und (b) ein PIANIST waren.
Wenn die Notwendigkeit bestand, wurde nämlich ein „FILMERKLÄRER“ eingesetzt, der die Handlungen der Filme erklärte, manchmal auch alle Rollen live während der Vorführung sprach.
Später wurde er durch TEXTTAFELN mit erklärenden ZWISCHENTITELN ersetzt – welche anfangs auf der Bühne,
später im Film selbst gezeigt wurden.
Zu den Stummfilmen lief MUSIK, entweder in Form einer für den Film geschriebenen Partitur oder als Improvisation eines Musikers. Gespielt wurde meistens am Klavier. Einige Großstadt-Kinos verfügten auch schon über eigens konstruierte KINOORGELN, die auch Geräuscheffekte ermöglichten.

Piano & Kinoorgel_resize.jpg

Zum Schluss eine kleine Erinnerung an unser einstiges
>PASSAGE THEATER<, an das sich die betagten Senftenberger Bürger sicherlich gern, aber mit viel Wehmut erinnern,
da es leider nicht mehr existiert:

„Interessante Stunden kann man wieder im PASSAGE-KINO verbringen, welches auch bemüht ist, der schönste und beliebteste Aufenthaltsort während der Abendstunden zu sein…“

„Man muß der Direktion nachrühmen, daß sie sich redliche Mühe gibt, an der Spitze unserer KINOS zu bleiben. (SFB hatte vor dem Krieg insgesamt 8 Kinos)
Auch hat es der Herr REZITATOR verstanden, das alte sich einst erworbene Vertrauen der geschätzten Kundschaft wieder zu gewinnen,“

„Wie die Vorstellungen seit der REZITATION des Herrn Teich aus Dresden gefallen, hören wir sehr oft von den Besuchern. Genannter versteht es wie kaum ein zweiter, das Publikum in DRAMEN zu fesseln und in HUMOR in lautes Gelächter zu bringen.
Auch paßt sich die wundervolle Klavier~ und Harmoniumbegleitung des Herrn Scheinpflug ganz seinen Erklärungen an…“

„Wie aus dem Inserat zu ersehen, ist es ein doppelt wechselndes und sehr lehrreiches PROGRAMM:
herrliche Naturaufnahmen, Humoristisches, neueste Tagesereignisse und spannende Kunstdramen, außerdem originelle REKLAMEFILMS hiesiger und auswärtiger Fabriken und Geschäfte. Alles wird aufgenommen und oft noch an demselben Abend dem Publikum vorgeführt.
In den nächsten Tagen finden einige Aufnahmen in SENFTENBERG statt. Wer von den Geschäftsleuten sich noch beteiligen will, und sein GESCHÄFT kinematographisch aufnehmen lassen will, wird gebeten, dieses im Theaterbureau zu melden. Es sind bis jetzt 7 Reflektanten, die ihr Geschäft, Schaufenster und Haus aufnehmen lassen, und diese REKLAME kommt an jedem Abend zur Vorführung.
Auch sind einige BETRIEBE von Senftenberg aufzunehmen…“

…womit ich den Bogen zu den auf der Webseite veröffentlichten FILMSEQUENZEN spannen und das aktuelle Thema beschließen möchte mit der letzten, noch heute gebräuchlichen TEXTAFEL:
ENDE – FINE –THE END…

Und wer nun immer noch nicht genug hat vom KINO, begnüge sich mit diesem reizvollen >FINGERKINO<... - einfach ausdrucken - ausschneiden - Zeige~ & Mittelfinger durchstecken und bewegen - und schon wird's frivol :D
Dame im Kino_resize.jpg