MEIN ERSTES WEIHNACHTSFEST, das ich als knapp
EINJÄHRIGER (üb)erleben durfte - war die
KRIEGSWEIHNACHT 1944
Diese wurde vom >Senftenberger Anzeiger< den Umständen entsprechend auch als
EISERNE WEIHNACHT deklariert,
weil, um zu überleben, in allen Lebensbereichen
EISERN GESPART werden musste.
Ich habe naturgemäß keine Erinnerungen an das
FEST DER FINSTERNIS. So titulierte es meine Großmutter später, weil durch die angeordnete Verdunkelung außerhalb der Wohnungen alles in tiefstes Dunkel getaucht war.
Und es war fast ausschließlich eine
WEIHNACHT DER FRAUEN & KINDER.
Dunkle Tage voller Trauer um die Gefallenen, voller Sorge um die Väter und Ehemänner, die keinen Fronturlaub bekamen, zu denen auch mein Vater gehörte.
Nur sehr wenigen Männern war es vergönnt, diesen Heiligabend im Kreis ihrer Familie zu feiern. All das drückte auf die Stimmung.
Und zu allem Überdruss auch noch diese
KRITIK in der Lokalzeitung:
DER SENFTENBERGER SCHREIBT IMMER NOCH ZU VIEL PRIVAT–BRIEFE
„Im Zuge der totalen Kriegsführung muß sich das private Leben immer mehr den Anforderungen der jetzigen Zeit anpassen. Die REICHSPOST appelliert an alle Volksgenossen, nur noch wirklich DRINGENDE POST abzuschicken. ANSICHTSKARTEN, die man von einem Spaziergang irgendeinem Bekannten mit einem flüchtigen Gruß zuschicken möchte, sowie BRIEFE, die einen völlig belanglosen Inhalt haben, haben heute keinerlei Anrecht mehr auf Beförderung durch die Reichspost.
Der FELDPOST-Briefverkehr wird nicht beschränkt.“„Auch im Krieg ging das Leben irgendwie weiter, weil es weitergehen musste. Auch die großen Familienfeste wurden gefeiert, nur eben sehr bescheiden.“hörte ich Oma sagen. Sie erzählte davon, dass deshalb die Familien schon Mitte des Jahres mit der Bevorratung für Weihnachten begannen. Speziell für den traditionellen
CHRISTSTOLLEN, dessen Teig von meinem Opa in heimischer Handarbeit geknetet und anschließend beim Bäcker ausgebacken wurde, sparte man im Vorfeld Lebensmittelmarken für Mehl, Butter und Zucker auf. Für die übrigen Zutaten mussten Notlösungen herhalten. Anstelle von Mandeln musste das Innere von Pflaumenkernen und für Rosinen getrocknete Pflaumen herhalten.
Um die Stimmung zu heben, gab es zu Weihnachten eine
„SONDERZUTEILUNG“ auf die Lebensmittelkarten: etwas Butter und Kaffee, ein Viertelliter Schnaps, zehn Zigaretten, was schon Tage vorher an der Litfaßsäule als besondere Wohltat des Führers bejubelt wurde.
Und dann gab es natürlich auch noch die kriminellen
SELBSTVERSORGER:
Im >Völkischen Beobachter< gab es obendrein ein
REZEPT für ein >reichhaltiges und abwechslungsreiches
WEIHNACHTSMENÜ<:
„Suppe aus getrocknetem Suppengrün, anschließend wahlweise Kohlrouladen mit einer Füllung aus Hafergrütze,
Weißkohl in Mehlsoße, gebratener Kohl mit Zwiebeln – und zum krönenden Abschluß falsche Schlagsahne aus entrahmter Milch und Mehl.“Geschenkt wurden damals hauptsächlich nützliche Dinge, Bekleidung und Gebrauchsgegenstände und für die Kinder etwas
SPIELZEUG,
das man sich überwiegend durch
TAUSCHGESCHÄFTE besorgte,
wie die Anzeigenflut im >Senftenberger Anzeiger< noch kurz vor dem Fest offenbart:
Klappte es auf diesem Weg nicht, blieb nur noch
WEIHNACHTSFREUDE AUS ÜBERLEGUNG & FINDIGKEITzu bereiten, d.h. „Selbst ist der Mann bzw. die Frau!“
„Mehr noch als in den Vorjahren muß zu diesem 6. KRIEGSWEIHNACHTSFEST aus Altem Neues geschaffen.
muß jedes kleinste bißchen MATERIAL mit Findigkeit ausgenutzt werden und Material, das uns die Natur bietet,
wie Stroh, Maisstroh, Binsen, Astgabeln, dann aber auch Holz und Lederabfälle verarbeitet werden.
Was läßt sich aus STROH aller Art und BINSEN schaffen:
Hand~ und Einkaufstaschen, Fußmatten, Untersetzer, Schuhe, kleine Puppenwagen und ~wiegen und dgl. mehr.
Die Ausgebombten, Rückgeführten und in Behelfsheimen Lebenden brauchen sehr viel praktisches HAUSGERÄT:
Kleiderbügel, Haken zum Aufhängen für Kleider, beides aus Aesten und Astgabeln geschnitzt,
sind für sie ebenso wertvoll wie ein paar Brotbrettchen oder Holzlöffel.
Geschnitzte Brotteller, Besteckkästen, Buchstützen oder kleine Leuchter ergeben GESCHENKE für Vater und Mutter.
Das KNÜPFEN aus allem möglichen Material, auch aus Papierschnur, kommt wieder zu Ehren. Welche Frau könnte nicht ein selbstgeknüpftes Einkaufsnetz oder Schutznetz für die Haare gebrauchen. Geld~ und Brustbeutel, Uhrenarmbänder, Schnürsenkel und Gürtel können ebenfalls geknüpft werden.
Durch STRICKEN, NÄHEN und STICKEN entstehen nach wie vor viele wichtige Dinge. In manchen Haushalten werden gehäkelte Küchenborten und Bettdecken aufgeribbelt und daraus Unterwäsche für Kinder und Erwachsene gestrickt.
Auch aus PAPPE & PAPIER lassen sich Geschenke arbeiten: Karten~, Ausweis~ oder Brieftaschen, kleine Laternen und Ampeln.
Aber auch schon eine schön gearbeitete Weihnachtstüte, ein gemalter Pappteller für Gebäck, sogar kleine Leuchter aus gefalteten Papierstreifen ergeben kleine GESCHENKE und Aufmerksamkeiten.“Aber auch
BAUMKERZEN gab es kaum zu kaufen und weil
WACHSKERZEN für die Notbeleuchtung während der Stromsperren gebraucht wurden,
galt deren Abbrennen am Weihnachtsbaum als Verschwendung.
Deshalb wurde das
>KERZEN SELBER ZIEHEN & GIESSEN< aus den im Haushalt befindlichen Kerzenstummeln populär.
Man schmolz sie in einer möglichst engen und hohen Blechdose. Als Docht verwendete man Baumwollgarn oder gedrehte Papierbindfäden.
Je dünner er war, desto langsamer brannte die Kerze herunter…
Bei Recherchen im >Senftenberger Anzeiger< stellte ich immer wieder fest, dass speziell während des Krieges neben den traditionell stattfindenden kommunalen
KINDERWEIHNACHTSFEIERN vor allem die
VERWUNDETEN-BETREUUNG im Mittelpunkt stand,
wie der folgende Bericht von 1944 beweist:
„Sorgsame Frauenhände hatten die langen Tafeln, an denen die VERWUNDETEN mit ihren hier weilenden Angehörigen und Gästen Platz nahmen, mit Tannengrün und Lichtlein weihnachtlich geschmückt.
Der Ortsgruppenleiter hieß alle herzlich willkommen und betonte, daß die FEIER einige frohe Stunden der Freude und Entspannung bringen soll.
Dann bot zunächst die KINDERGRUPPE der NS.-Frauenschaft ein reizendes SPIEL mit Gesang und Reigen rund um den Tannenbaum, der, abgeholzt, nicht in Wehmut vergeht, sondern als schönster Baum freudespendend in Licht und buntem Schmuck erstrahlt.
Während dann die BERGKAPELLE MARGA Märsche und beliebte Melodien aus Operette und Film mit Schneid und großer Emsigkeit zu Gehör brachte, taten sich die Verwundeten und ihre Gäste gütlich an Kaffee und prächtig mundendem Stollen, der von den Frauen der Ortsgruppe gespendet worden war. Währenddessen kam auch der WEIHNACHTSMANN und zog den Schlitten mit der schweren Gabenkiepe nach sich, aus der jeder Verwundete ein Gabenpäckchen erhielt, das überall herzliche Freude auslöste.
Doch auch der Vorhang der BÜHNE öffnete sich noch viele Male, und LAIENSPIELER schenkten mit ihren abwechslungsreichen Darbietungen viel Freude, Frohsinn und urwüchsige Heiterkeit in den Saal.
Daß es immer am wirksamsten ist, wenn aus dem köstlichen Born des Volkstümlichen geschöpft wird, bewiesen die Volkstänze der JUGENDGRUPPE. In ihrer Natürlichkeit und Anmut gehörten sie zum Schönsten, was uns geboten wurde. Daß sich eine schöne und klangvolle Stimme auch an andere Aufgaben wagen darf, bewies u.a. das bekannte Filmlied >Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen…<, das recht gut vorgetragen wurde und bei unseren Landsern vielen Beifall fand…In launiger Weise fand ein SOLDAT Worte des Dankes aus vollem Herzen für die schönen Stunden, die mit munteren Weisen der BERGKAPELLE ausklangen, nachdem es zuvor noch einen herzhaften Abendimbiß mit einem Gläschen Glühwein gegeben hatte.“Übrigens: das Wort
>CHRISTBAUM< passte den Nazis nicht in deren antireligiöse Stimmung und sie propagierten, das Weihnachtsfest beruhe auf falschen historischen Annahmen, nur das Julfest zur Wintersonnenwende am 25. Dezember entspräche dem germanischen Erbe. Der
CHRISTBAUM wurde schlicht in "Tannen~" oder "Weihnachtsbaum" umbenannt. Dennoch ließ sich das Weihnachtsfest nicht so einfach durch vorchristliche Bräuche ersetzen, da ein Großteil der Bevölkerung am althergebrachten Fest und dessen Bedeutung festhielt.
Kurios: Als
"CHRISTBÄUME" bezeichnete damals der Volksmund auch etwas ganz und gar Unweihnachtliches – nämlich die
LEUCHTMARKIERUNGEN, die die Alliierten in den Himmel setzten, um ihre Bomber zum jeweiligen Abwurfort zu leiten. Nachts hörte man das Einschlagen der Bomben in den großen, viele Kilometer entfernten Städten und im Februar 1945 sahen die Senftenberger angsterfüllt den Widerschein eines
RIESIGEN FEUERS am Horizont, als die Stadt
DRESDEN unterging…