„Es tönen die Lieder, der Frühling kehrt wieder,
es spielet der Hirte auf seiner SCHALMEI…“
Wer kennt es nicht, dieses altbekannte und beliebte, als
KANON für drei Stimmen angelegte
FRÜHLINGSLIED eines unbekannten Komponisten aus dem 19. Jahrhundert.
Uns interessiert heute allerdings vordergründig die im Text erwähnte
SCHALMEI
SCHALMEIEN sind die Vorfahren einer großen und berühmten Instrumentenfamilie,
zu der auch die Oboe, das Fagott, die Klarinette und das Saxophon gehören – nämlich
ROHRBLATTINSTRUMENTE.
SCHALMEIEN sind gewissermaßen die einfachen Verwandten vom Lande, da sie zumeist von Schafhirten gespielt wurden.
Darüber hinaus wurden aber auch alle Feste und Feiern, religiöse und profane, von
SCHALMEIEN begleitet. Ihr magischer Klang diente Priestern und Heilern, Heerführern, Liebesboten und Totenklägern.
SCHALMEIEN sangen von Liebe und Leid, von Macht und Sieg, von Verfolgung und Einsamkeit bis hin zur freudigen Geselligkeit.
Natürlich unterscheidet sich die aus einem Rohr bestehende
MITTELALTERLICHE SCHALMEI erheblich von der
MODERNEN SCHALMEI mit bis zu 16 Schalltrichtern.
Kennzeichnend für beide ist allerdings der trichterförmige Korpus, dem ein aus zwei Membranen zusammengesetztes Rohrblatt aufgesteckt wird.
Das Vibrieren der Membrane erzeugt beim Spielen den typischen
LAUTEN QUÄKENDEN TON, deren Wirkung auf die Zuhörer ein mittelalterlicher Zeitzeuge wie folgt beschreibt:
„Es erschien eine Gruppe von Dorfmusikanten, die mit Flöten und SCHALMEIEN ein ABSCHEULICHES KATZENKONZERT bliesen.
Als sie die Ohren eine Weile gefoltert hatten, stellten sich endlich einige Landmädchen in verschiedenen Reihen auf, um ihren Tanz zu beginnen…“
Ihr
KLANG wird aber unterschiedlich beurteilt.
Die einen behaupten, dass kein Instrument der menschlichen Stimme so ähnlich sei und eine solche Macht auf die Gefühle ausübe wie die
SCHALMEI.
Andere halten dagegen, dass der Ton stets gleichmäßig
STARK sei,
für kleinere Räume aber eher
SCHREIEND, weshalb die
SCHALMEI im Orchester mit Recht durch die Oboe ersetzt wurde. Im Freien dagegen habe der
SCHALMEIENTON eine
EIGENTÜMLICHE KLANGFARBE.
Die neuzeitliche
SCHALMEI wurde um das Jahr 1900 vom Erfinder des so genannten
MARTINSHORN, Max. B. Martin, entwickelt, weshalb sie auch als
„MARTINSTROMPETE“ bezeichnet wurde.
Kaiser Wilhelm II. erklärte sie damals zum kaiserlichen Privileg –
sie durfte nur von einem kaiserlichen Fanfarenspieler zu besonderen Anlässen gespielt werden.
Die ersten
SCHALMEIENKAPELLEN entstanden ab 1913,
in den 1920er Jahren waren sie überwiegend bei Turnvereinen, Radfahrerclubs u.ä. zu hören und erreichten ihre
BLÜTEZEIT als Musiktruppen des Rotfrontkämpferbundes.
Das waren damals die urtypischen
ARBEITERKAPELLEN und deren Musik die
KAMPFMUSIK der Antifaschisten.
Wie Hirtenlieder klangen sie allerdings nicht, was auch daran lag, dass die neue Generation der
SCHALMEIEN gebündelte Röhren aus Messingblech besaßen, die einen eigentümlich
SCHRILLEN & AUFREIZENDEN, zugleich auch
KLAGENDEN KLANG besaßen.
Die KPD-Führer propagierten, dass, nur wer einmal mit den Genossen hinter einer
SCHALMEIENKAPELLE her marschiert sei und die Internationale gesungen habe, wisse, was Sozialismus bedeutet.
Wenn der Rotfrontkämpferbund einen Aufmarsch veranstaltete, lief die
SCHALMEIENKAPELLE weithin hörbar voran, dahinter auf beiden Seiten je ein kräftiger Mann, welche ein breites Spruchband mit einer sozialistischen Losung trugen, gefolgt von einer Kolonne Rotfrontkämpfer in feldgrauen Windjacken, Breecheshosen
und geschnürten Motorradstiefeln, dahinter die kommunistischen Familien mit Frauen und Kindern. Hin und wieder riefen sie im Chor:
„Es lebe die glorreiche Sowjetunion !“ und ähnliche Parolen.
Und das nicht von ungefähr, denn auch in der Sowjetunion gab es viele
SCHALMEIENMUSIKZÜGE, die bei zahlreichen Aufmärschen der verschiedenen Organisationen auftraten. Schon deshalb galten
SCHALMEIEN bei den Nazis als „jüdisch-bolschewistische Musikinstrumente“.
Kein Wunder also, dass die Nazis sich in übler Weise über die
RFB-SCHALMEIENKAPELLEN ausließen:
„Wenn der RFB die verhasste >Internationale< anstimmt, ist die ganze Bande wie verhext dabei. Und wenn dann noch die SCHALMEIEN mit ihren „ORDINÄREN TRÖTENTÖNEN“ einfallen, gibt es für die Rotfrontkämpfer kein Halten mehr. Wie wild gewordene muselmanische Derwische ziehen die dermaßen Aufgepeitschten in die Schlacht.“Dies führte letztendlich dazu, dass die Nazis 1933 die
SCHALMEIEN auf die Verbotsliste setzten, obwohl sich
HITLER ansonsten unverhohlen bei den
KOMMUNISTEN bediente:
Er stahl ihnen zuerst die
ROTE FARBE, indem er sie zur Grundierung der Hakenkreuzfahne und diverser Transparente benutzte, dann vereinnahmte er für seine Anhänger den Druck der
STRASSE und bediente sich letztendlich an populären Arbeiterliedern („Auf, auf zum Kampf“ / „Wann wir schreiten Seit an Seit“ / „Brüder, seht die rote Fahne“ u.a.), die umgetextet und somit zu „gefährlichen
LIEDERN der Bewegung“ gemacht wurden.
Als besonderer Coup galt in Nazikreisen allerdings, dass der spätere angebliche „Märtyrer“
HORST WESSEL als erster Berliner Sturmführer eine
SCHALMEIENKAPELLE zusammengestellt hatte, die von 1929 an bei den Propaganda-Umzügen der SA mitwirkte, obwohl die Parteiführung der NSDAP schon 1927 ihrer Schutztruppe explizit verboten hatte, sich solcher „Rot Front“- Instrumente zu bedienen.
Den Hitlerleuten stand nämlich eher die stramme deutsche Marschmusik zu.
WESSEL wollte allerdings die Kommunisten – zumindest in seinem Aufmarschgebiet – auch auf musikalischem Gebiet mit deren eigenen „Waffen“, konkret ihren Instrumenten, locken, ärgern, aufreizen und wenn möglich schlagen. Aber auch praktische Überlegungen spielte eine nicht unwesentliche Rolle:
SCHALMEIEN waren leicht erlern~ & spielbar, vor allem aber preiswert zu beschaffen.
Was die roten Frontkämpfer begonnen hatten – eine von einem „Fahnenwald“ flankierte
SCHALMEIENKAPELLE in den Saal einmarschieren zu lassen – exerzierten die Nazis ebenfalls.
Politische Werbung, provokante Umzüge & gewaltsame Auseinandersetzungen, sowie Einrichtung von SA-Heimen & Sturmlokalen in Arbeitervierteln taten ihr Übriges.
In diesen unruhigen Zeiten der angeblich
GOLDENEN ZWANZIGER gab es natürlich auch haarsträubende „Geschichten“:
In Berlin soll dazumal angeblich eine ganze kommunistische
SCHALMEIENKAPELLE zu den Nazis übergelaufen sein, welche darauf als Renommierobjekt kurzzeitig auf SA-Veranstaltungen mitmarschierte, dann allerdings eliminiert wurde.
Andere Quellen berichten wiederum, man hätte eine
SCHALMEIENKAPELLE des Rotfront-Kämpferbundes in SA- Uniformen gesteckt.
Diese führte mal einen Fackelzug an und intonierte „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit".
Dazu wurde der Text gesungen:
„Einst waren wir Kommunisten, Stahlhelm und SPD, jetzt Nationalsozialisten, Kämpfer der NSDAP." Nur ein
GERÜCHT (neudeutsch
FAKE) ? Wir werden es nicht mehr ergründen !
Nach dem 2. Weltkrieg wurde die
SCHALMEI in der früheren
DDR bereits in den 1950er Jahren „wieder entdeckt“.
Daher gibt es in den neuen Bundesländern auch eine lange Tradition der
SCHALMEIENMUSIK.
Das in unserer Region seit 1952 bestehende
ist ein schlagender Beweis dafür…
