„Ob eine STADT aus einem DORFE entstanden, oder ob sie ursprünglich zur STADT angelegt worden ist, kann man sehr leicht gewahren; denn im ersten Falle findet man darin eine große und breite STRASSE, und diese ist das ehemalige DORF, welches seine ANLAGE beibehielt; wo aber die STADT ursprünglich angelegt worden, da findet man eine solche breite STRASSE nicht; denn wenn man hier auch gleich die STRASSEN nicht nach einer Breite anlegte, so sind sie doch so ziemlich sich ähnlich, wenn man nämlich die Absicht hatte, eine STADT anzulegen.
Erstand die STADT aus einer KOLONIE oder aus zerstreuten ANSIEDLUNGEN, so findet man auch diese wieder in der STADT, in der Richtung ihrer STRASSEN, woraus man die einzelnen GEHÖFTE erkennen will, wenigstens wird sich das STADTVIERTEL, welches zuerst aus der KOLONIE entstand, durch seine Form in den STRASSENANLAGEN auszeichnen…“Dergestalt verklausuliert wurde in der >Ökonomisch-Technologischen Encyklopädie< von 1837 auf die Bedeutung einer GROSSEN BREITEN STRASSE im Zuge der STADTENTWICKLUNG eingegangen.
Zu ergründen, ob, wie und in welchem Maße dies auf unsere Heimatstadt zutrifft, überlasse ich der Heimatforscher-Gemeinde.
Die BAHNHOFSTRASSE und deren Verlängerung CALAUER STRASSE kann man zweifellos als BREITE STRASSEN bezeichnen. Sie wurden später auch gepflastert, während sich die anderen STRASSEN , auch des "Bahnhofsviertels", wie unten aufgezählt, noch lange als stinknormale SANDWEGE - auf dem Lande als sogenannte SOMMERWEGE bezeichnet - erhielten.
Wenn wir heutzutage mopsfidel auf aalglatten, nur hin und wieder von Frostaufbrüchen befallenen ASPHALTSTRASSEN durch Senftenberg düsen, sollten wir doch den historischen Rückblick nicht ausblenden.
Vor den im Volksmund als TEERSTRASSEN bekannten und sehr komfortablen Fahrwegen rumpelten Kutschen, unendlich viele Karren und die zum Ackerbau benötigten Leiterwagen gleichermaßen über holpriges STRASSENPFLASTER, in der Mehrzahl allerdings auf SAND~ & KIESWEGEN durch die Stadt, die sich bei nasser Witterung meist in Schlamm verwandelten.
Letzteres war im Jahre 1911 Anlass für die Bürger der Stadt,
ein unter den – nein, nicht Nägeln, sondern Füßen brennendes Thema öffentlich im >Senftenberger Anzeiger< zu diskutieren:
SENFTENBERGS WEICHE STRASSEN
Ausgangspunkt war ein am 3. Januar 1911 gefasster BESCHLUSS der Stadtverordneten: „Ein von einigen Mitgliedern des Kollegiums gestellter
ANTRAG, vor der
NEUPFLASTERUNG von Straßen
ENTWÄSSERUNGSRÖHREN einzubauen, wurde nach längerer Debatte behufs Beschaffung weiterer Unterlagen vertagt und erfolgte hierauf Schluß der Sitzung.“
Sechs Wochen später, am 16. Februar 1911 meldeten sich „mehrere interessierte Einwohner“ in einem geharnischten LESERBRIEF
zu Wort und bliesen zur Attacke:„Frühling, Frühling wird es nun bald ! – tönt es von Munde zu Munde.
Dieses und auch
DIE SCHÖNEN NAMEN UNSERER STRASSEN geben einen guten Eindruck, nur die
AUSBESSERUNG der Straßen läßt viel zu wünschen übrig: die schöne
MORITZSTRASSE, die herrliche
WESTSTRASSE in Jüttendorf, angrenzend die holde
ANNASTRASSE, weiter die
ANNAGASSE sind bei diesem Wetter fast unpassierbar.
Wir Besitzer und Anwohner, die wir gezwungen sind, täglich die Straßen zu passieren, danken unserem Schöpfer, wenn wir glücklich an Ort und Stelle angelangt sind und die Fußbekleidung gehalten haben.
Noch trauriger ergeht es unseren Kindern, die zur
SCHULE gehen müssen; hier bleibt ein
SCHUH stecken, weiter sind einem beide
PANTOFFEL versunken und noch ein Stück weiter steckt ein kleiner Junge oder ein Mädchen weinend im
SCHMUTZ und kann nicht weiter, bis Hilfe kommt.
Wenn unsere
FRAUEN die Stadt erreichen wollen, müssen sie solange warten, bis der
MANN mit seinen
LANGSCHÄFTERN nachhause kommt, weil es anders kaum möglich ist, die
STADT durch diese Straßen zu erreichen.
Wir
EINWOHNER von Thamm und Jüttendorf möchten Sonntags zum
GOTTESDIENST gehen, aber wo durchkommen ?
Annagasse, Annastraße, West~ oder Moritzstraße – überall ist
TIEFER MORAST, und ehe man sich in die Verlegenheit setzt, die Fußbekleidung im Schmutz stecken zu lassen und barfuß zuhause laufen, bleibt man zu hause.
Es wäre doch sehr wünschenswert, wenn nur so viel ABHILFE geschaffen würde, daß für
FUSSGÄNGER etwas aufgefüllt würde, dieses
AUFGEFÜLLTE aber nicht von den Lastfuhrwerken wieder in den Grund gefahren wird. Unsere Gemeindeabgaben sind wahrlich hoch genug, und müßten die
GELDER auch dazu verwendet werden, unsere Straßen gründlich auszubessern. Erstens macht es dem betreffenden Ort
EHRE und zweitens dient es zur
VERSCHÖNERUNG.
Noch eins hätten wir bald vergessen, in der
ANNASTRASSE wäre es doch wohl auch angebracht, diese zu
ERLEUCHTEN; es ist schrecklich, solche abends in der Finsternis zu passieren, weil der
GRABEN nebenan geht und der Winkel an und für sich schon finster ist, daß man sich den Kopf an den Bäumen einrennen kann. Ob da für 2 oder 3 Flammen mehr bezahlt wird, darf keine Rolle spielen.
Hoffentlich werden wir bald sagen können:
>DEM ELEND IST ABGEHOLFEN!<“
Überraschenderweise erschien im Lokalblatt haargenau am gleichen Tag die folgende überaus ERFREULICHE MITTEILUNG:
„Mit Freuden werden es wohl alle Einwohner begrüßen, wenn sie erfahren, daß sich heute die Anlieger der
GARTENSTRASSE bereit erklärt haben, von ihrem an der Straße gelegenen Terrain kostenlos einen Streifen zur
REGULIERUNG der zu pflasternden Straße der Stadt zur Verfügung zu stellen.
Die
PFLASTERUNG ist für den
FAHRDAMM auf 6 m und beiderseitigen
BÜRGERSTEIG von je 1½ m Breite projektiert und soll baldigst, ebenso wie die
OSTPROMENADE, deren Anlieger ebenfalls bereitwilligst ähnliche Opfer zugesagt haben, in baulichen Angriff genommen werden.
Nächst den Anliegern gebührt den Stadtbehörden Dank, daß sie das größte Uebel,
WEICHE, UNPASSIERBARE STRASSEN inmitten unserer Stadt, ohne Opfer zu scheuen, befestigen und so den Verkehr heben, der unter der Ungunst der Witterung viel und oft zu leiden hatte.“
Doch schon einen Tag später, am 17. Februar 1911, bekam die Diskussion NEUEN ZÜNDSTOFF
– „eingesandt von einem Leidensgefährten“:„Auf die Stoßseufzer einzelner
BEWOHNER WEICHER STRASSEN wird uns von kompetenter Seite mitgeteilt, daß hinsichtlich der
BEFESTIGUNG und
PFLASTERUNG solcher
STRASSEN von den betr. Behörden schon lange Verhandlungen mit den Grundstücksanliegern wegen
HERGABE VON TERRAIN zur Verbreiterung der betreffenden
STRASSEN geschwebt haben.
Der größte Teil dieser Besitzer trat bereitwillig Grund und Boden kostenfrei ab, erklärte sich auch zur Zurücksetzung vorhandener Zäune auf eigene Kosten bereit, weil diese Besitzer einsahen, daß durch die
PFLASTERUNG und
KANALISIERUNG der
STRASSEN ihre Grundstücke ganz bedeutend und vielmehr gewinnen, als das hergegebene Terrain und das Zurücksetzen der Zäune ausmachten.
Dahingegen waren es wieder andere Besitzer, die sich absolut zu nichts im öffentlichen Verkehrsinteresse zu tun bereitfinden ließen, denen vielmehr noch die
STADTKASSE Grund und Boden und das Zurücksetzen oder gar die Aufstellung neuer Zäune bezahlen sollte;
sie wollten also sich gern die
WERTERHÖHUNG ihrer Grundstücke gefallen lassen und dies auch noch bezahlt bekommen.
Daß bei solchem
MANGEL AN ENTGEGENKOMMEN Einzelner den Stadtvertretern wohl nicht zugemutet werden kann, mit zweierlei Maß zu messen, so scheiterten an dem
EGOISMUS Einzelner schon diese
PFLASTERUNGSPROJEKTE.
Außerdem muß auch auf die bevorstehende
KANALISATION Rücksicht genommen werden, welche ein Wiederaufreißen der vorher
GEPFLASTERTEN STRASSEN nötig machen würde. Es darf deshalb nicht verwundern, wenn bei solcher Sachlage ein
APPELL an die betroffenen Leidensgefährten ergeht, diese möchten die
HALSSTARRIGKEIT dieser Einzelnen verscheuchen helfen, damit den Stadtbehörden endlich die Möglichkeit zu gerechtem, einmütigen Handeln gegeben wird.
Ehe dies nicht geschieht, wird auch die in der Montagsnummer angestimmte >Frühlingsposaune< keinen Erfolg haben und wir werden ruhig so weiter
FEUCHTFRÖHLICH DIE WEICHEN STRASSEN passieren müssen wie jetzt.“
Durch eine ZEITUNGSANZEIGE im >Senftenberger Anzeiger<, die das Konkurrenzblatt >Lausitzer Zeitung< anonym schalten ließ, wurde nun gehörig „Öl ins Feuer gekippt“, denn dass trotz schlechter Straßenverhältnisse ein RATHAUS-NEUBAU forciert wurde, ging der Bevölkerung nun doch gehörig über die Hutschnur. Am Montag, den 14. März, wurden die Massen dann mit einer STELLUNGNAHME Stadtverordneten beschwichtigt: „In der gestrigen
STADTVERORDNETEN–SITZUNG kam als 1. Punkt der zur Besprechung gestellte
RATHAUS – NEUBAU zur Vorlage…
Die
BERATUNG war eine sehr eingehende und wurde schließlich in namentlicher Abstimmung dahin
BESCHLUSS gefaßt, den Magistrat aufzufordern, zunächst ein Projekt zu dem Neubau aufstellen zu lassen, zu welchem Zwecke 3000 Mk. bereit gestellt wurden. Für diesen
ANTRAG fanden sich 9, gegen denselben 7 Stimmen.
Mit derselben Stimmenzahl fand noch ein zweiter
ANTRAG Annahme, welcher den ersten gewissermaßen beschränkt und den
NEUBAU solange ablehnt, bis die von der Stv.-Versammlung bewilligte
STRASSENPFLASTERUNG vollendet ist.
Mit dieser hat aber der Magistrat noch nicht beginnen können, weil es einzelne
ANLIEGER der betr. Straßen noch an
ENTGEGENKOMMEN bei Abtretung des nötigen Terrains fehlen lassen und weil erhebliche
MEHRKOSTEN entstehen würden, wenn die
PFLASTERUNG ohne Rücksichtnahme auf die zur
KANALISATION und
WASSERLEITUNG nötige
ROHRLEGUNG ausgeführt würde…
Moniert wurde bei der Debatte noch, daß GEGNER des Rathaus-Neubaues durch
ZEITUNGS-INSERAT zu zahlreichem Besuch der heutigen Versammlung eingeladen worden seien, da daraus eine
UNGEHÖRIGE BEEINFLUSSUNG hergeleitet werden könne.“
Erwähnen muss man schlussendlich doch noch, dass es nicht nur PFLASTERUNGS – BEFÜRWORTER gab, denn wenngleich
die Straßen und Wege in einer jammervollen Verfassung waren, wurden sie von den SCHMIEDEN & WAGENBAUERN außerordentlich geliebt, da sie eine Schädigung ihres Handwerks befürchteten, sofern die FUHRWERKE nicht mehr, wie in der guten alten Zeit, „unter den miserablen Wegen leiden würden.“ Auch die FUHRLEUTE hatten ihren Vorteil davon, dass die Straßen so schlecht waren, weil sie dann mit zusätzlichen Pferden Vorspann leisten mussten. Und den GASTWIRTEN war es natürlich auch recht, wenn die Reisenden auf den elenden SAND~ & KIESWEGEN liegen blieben. Für solche Fälle hatten sie immer das angeblich „letzte Zimmer“ in der Hinterhand …!