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Neues 405 - 2020-01-05

Verfasst: Sa 4. Jan 2020, 11:41
von Matthias
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Re: Neues 405 - 2020-01-05

Verfasst: So 5. Jan 2020, 12:52
von Harald
Golden 20_resize.jpg


1920 – 2020 ----- Unwillkürlich erinnere ich mich bei diesem Zahlenspiel an romantisierte Auslassungen meiner Großeltern zu den
>GOLDENEN ZWANZIGER JAHREN<.
Sie verstanden allerdings unter diesem Begriff nicht das gesamte Jahrzehnt,
denn an der Zeit vom Kriegsende 1918 bis zum Jahr 1924 war für sie so gut wie gar nichts „GOLDEN“ gewesen:
DAS ALLTÄGLICHE LEBEN war geprägt von Armut, Arbeitslosigkeit und Existenzangst. Bettelnde Kriegsinvaliden saßen an den Straßenecken,
die Säuglingssterblichkeit erreichte traurige Rekordwerte, Epidemien und Krankheiten machten die Runde.
Ein KONJUNKTURHOCH gab es dann erst in den Jahren 1926 bis 1928 und im Vergleich zu den vorangegangenen Krisenzeiten ging es den Menschen
dann anscheinend doch so gut, dass sich die zweite Hälfte der Zwanziger Jahre für sie geradezu "GOLDEN" anfühlte.
Entscheidend dafür war letztendlich der Aufschwung der weltweiten Konjunktur, wovon auch Deutschland profitierte.
Nicht von ungefähr gibt es für die „GOLDENEN ZWANZIGER“ vergleichbare Formulierungen auch in anderen Sprachen: die Amerikaner und Briten sprechen von den „roaring twenties“ (wilden Zwanzigern), die Franzosen von den „années folles“ (verrückten Jahren) und die Italiener,
warum auch immer, von den „anni ruggenti“ (brüllenden Jahren).
Es war vor allem das blühende kulturelle Leben, welches den "GOLDENEN ZWANZIGERN" zu ihrem sagenhaften Ruf verhalf.
Die Zeit war geprägt von Zuversicht und Lebensfreude: es entstanden Theater, Cafés & Varietés; Kinos wurden zu Stätten der Massenunterhaltung.
Film und Radio sorgten für neue Unterhaltungsformen und immer mehr Menschen leisteten sich auch ein Grammophon für den Hausgebrauch.
Musik spielte in der Folgezeit eine wichtige Rolle, was sich in einem aufblühenden Konzertleben zeigte.
Vor allem das Nachtleben war ausgelassen und freizügig:
in den Ballhäusern wurde Charleston getanzt und Preisboxern zugejubelt. Die Damen ließen sich die Haare zum kurzen Bubikopf schneiden, aufwändige Wasserwellen legen und nahmen sich auch die Freiheit, in aller Öffentlichkeit Zigaretten zu rauchen. Sie hatten sich nämlich inzwischen die Arbeitswelt,
primär mit einem festen Platz an der Schreibmaschine, vielleicht sogar im Vorzimmer des Chefs, erobert…
Doch so plötzlich, wie sie begonnen hatten, waren die leider nur „VERGOLDETEN 20-er" auch schon wieder vorbei.
Soziale Konflikte traten offen hervor und sorgten für eine politische Radikalisierung, die letztendlich im Nationalsozialismus gipfelte…
Die zurückliegende „BLATTGOLD-ÄRA“ erwies sich, wie unsere Altvorderen leidvoll miterleben mussten,
nur als sprichwörtlicher >TANZ AUF DEM VULKAN<
Dieser >ABWÄRTSTREND< in der allgemeinen Gemütslage der Bevölkerung lässt sich per analytischem BLICK in den >Senftenberger Anzeiger< sehr gut erkennen:


SILVESTER & NEUJAHR IN SENFTENBERG
IN DEN „GOLDENEN JAHREN“ 1926 – 1928

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NEUJAHRSANFANG 1926


„Als DER LETZTE TAG DES ALTEN JAHRES zur Neige ging, fegte ein scharfer Ostwind durch die Straßen. Das war nicht gerade behaglich.
KURZ VOR GESCHÄFTSSCHLUSS sah man noch viele Passanten mit länglichen runden Paketen beladen ihrem Heim zustreben.
DER LETZTE EINKAUF ! Ein aufmerksamer Beobachter konnte von 8 Uhr abends an viele Personen beiderlei Geschlechts beobachten, die alle nach einem bestimmten Ziele – einem GEMÜTLICHEN FAMILIENKREIS, in dem der ANBRUCH DES NEUEN JAHRES erwartet werden sollte – zustrebten.
Als dann mit dem GLOCKENSCHLAG ZWÖLF die Kirchenglocken und die Sirenen der umliegenden Werke, den ERSTEN TAG DES >NEUEN JAHRES< einweihten, da brach aus allen Ecken und Winkeln ein Tumult und Lärm los, wie er nur einmal im Jahre, nämlich AM NEUJAHRSTAGE, von der Polizei geduldet wird. An den Fenstern, den Balkonen und auf der Straße wurde DAS NEUE JAHR erwartet, während ein großer Teil nach dem Zentrum der Stadt,
dem MARKT strömte.
Hier setzte ein Pfeifen, Rufen und Singen ein, wie es Senftenberg infolge schlechter Witterung in den letzten Jahren nicht mehr gesehen hatte.
Unter den Massen, die den Markt bevölkerten, herrschte eitelste NEUJAHRSSTIMMUNG, – ein großer Teil der Anwesenden hatte schon vor 12 Uhr den Anbruch durch reichlich flüssigen Alkoholgenuß gefeiert.
Die Polizeibeamten, die wie eiserne Pfeiler in dem brandenden Gewoge an allen Ecken aufpostiert waren, mußten sämtliche ULKEREIEN & SCHERZE stillschweigend über sich ergehen lassen. Während vorwiegend das junge Volk sich mit Papiermützen und Knallsachen jeglicher Art versehen hatte, holten andere zur Feier der Stunde alte, BUNTE KLEIDUNG hervor. Als Hauptcuriosum ist wohl zu erwähnen, daß einige Frauen sich als Männer verkleidet,
in dem Gewoge aufhielten, ohne von den meisten erkannt zu werden.
In den Nebenstraßen des Marktes konnte man auch häufig ANGETRUNKENE beobachten, die ihrem Wohlgefühl in AKROBATENKUNSTSTÜCKCHEN,
die sie auf der Erde ausführten, freien Lauf ließen. – Wie wir teils erfuhren, teils mit eigenen Augen sehen konnten, ging es ohne Händel und Zwischenfälle nicht ab.
So mußte an mehreren Stellen der Stadt die POLIZEI zu ganz energischen Mitteln greifen, um die angetrunkenen RAUFBOLDE zur Ordnung zu bringen.
Auch die Glasscheiben einiger Schaukästen mußten daran glauben. –
DAS FETTESTE GESCHÄFT haben natürlich in dieser Nacht sämtliche öffentlichen LOKALE gemacht, denen diese Stunden mehr einbrachten, wie oft viele Tage zusammen. Für viele andere dürfte aber der folgende Morgen eine überraschende ERNÜCHTERUNG & KATZENJAMMER gebracht haben, wenn sie ihren Geldbeutel geleert oder wenigstens stark gerupft vorfanden. Wer aber gedachte wohl der vielen tausenden Armen und Hungerleider, für die sich der JAHRESWECHSEL sang~ und klanglos vollzog ?
An solchen Tagen heißt es dann oft:
>Hier Verschwendung, hier bittere Not !<
Menschenlos, das wir ‚Kulturmenschen‘ nie werden ändern können.
Trotzdem soll man aber nicht mit kaltem Herzen an solchem Elend vorbeigehen, sondern immer wieder, wenn es geht, helfend einspringen.
Aber darum doch Allen ein fröhliches
>PROSIT NEUJAHR !<“

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SILVESTER 1926 -1927

„Die Mitternacht zieht näher schon, DES JAHRES LETZTE STUNDE.
S’ist Schlafenszeit – doch die Menschen ruhen nicht.
In eleganten Salons prächtiger Häuser, im Tanzsaal, Restaurant und Café, überall, wohin man blickt, wachen die Menschen, um dem alten Jahr >LEBEWOHL< und dem neuen >WILLKOMMEN< zu sagen.
11 Uhr ! Durch die Straßen ziehen Trupps junger Leute, singend und lärmend, wie überhaupt diese SILVESTERNACHT fast ausschließlich den Jugendlichen und ganz jungen gehörte. Je näher der Zeiger der 12. Stunde rückte, desto lebendiger wurde es auf dem MARKTPLATZ, dem Treffpunkt der Senftenberger bei derartigen wichtigen Anlässen.
Als die SIRENEN der umliegenden Werke ihre eherne Stimme zum JAHRESWECHSEL ertönen ließen, da zeigte die KIRCHTURMUHR erst 7 Minuten vor 12 Uhr an. In diesen sieben Zwangsminuten liefen dann die Ströme der NEUJAHRSERWARTUNGEN bei den vielen weiblichen und männlichen Wartenden über. Vorzeitig platzte eine RAKETE los (übrigens die einzige der Nacht !) und setzten einige der ungeduldigsten, die das NEUE JAHR nicht schnell genug herbeiziehen konnten, mit PROSIT-RUFEN und sonstigen Stimmergüssen ein. Dann endlich:
SILVESTER ! Zwölfmal klingt’s von der DEUTSCHEN KIRCHE.
(Bei meinem Begleiter klingelt der Taschenwecker!) Stimmen schreien. Hie und da in einer dichten Gruppe ein kleiner FEUERWERKSKÖRPER.
Vor und hunter mir, links und rechts drücken ‚Bräutigams‘ oder ‚angehende Ehemänner‘ ihrer Begleiterin den SILVESTERKUSS auf.
Viele Gruppen stehen aber auch still und teilnahmslos herum, durch irgendwelche Vorfälle ist man nicht in der Lage, fühlt man sich nicht dazu berufen,
wie in anderen besseren Jahren, dem NEUJAHRSTAG entgegenzujubeln.
So herrschte also diesmal auf dem MARKTPLATZ nicht diese ausgelassene Freude, wie im vorigen Jahre.
DEN GRÖSSTEN VERDIENST brachten den Wirten geschlossene Gesellschaften und junge Leute. Die CONDITOREIEN hatten den größten Ansturm zu bewältigen, jedes Plätzchen wurde ausgenutzt. Bis in die späten Morgenstunden zogen dann ‚SILVESTERANHÄNGER‘ schwankend oder mit neuen Hoffnungen und festem Willen für das kommende Jahr nachhause. Die SILVESTERGLOCKEN haben nun DAS ALTE JAHR zu Grabe geläutet, und ein NEUES ist mit dem anbrechenden Tage emporgestiegen. Wie ein RÄTSEL, das niemand zu lösen vermag, steht es noch vor uns.
>Wird es uns HEIL oder UNHEIL bringen ?< Das ist die Frage, die alle Herzen gefangen nimmt…
Darum allen zu neuem Schaffen, zu neuen Taten und zu neuem Hoffen EIN FROHES, NEUES JAHR !

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DAS NEUE JAHR 1928 HAT ANGEFANGEN


„Still und verlassen lagen in der SILVESTERNACHT bis ½ 12 Uhr die Straßen Senftenbergs. Nur wenige Passanten, die noch verspätet zu einer FEIER eilten. Aber auch dann machte sich der ‚tote Punkt‘ bemerkbar; denn wie Tag und Nacht war der Lärm und der Schritt ins NEUE JAHR auf unseren Straßen und auf dem Marktplatz. Einige 100 Leute mögen es gewesen sein, die ‚in aller Oeffentlichkeit‘ auf dem MARKTPLATZE und seiner Umgebung
die 12. Stunde – DAS NEUE JAHR – erwarteten.
Und als es da war, schneller als viele es ahnten, nur WENIG LÄRM, von weither ein Instrument.
>PROSIT NEUJAHR< - Händedrücke --- das war alles !
Bestimmt hat die schwere wirtschaftliche Lage jedes Einzelnen dazu beigetragen, daß das STRASSENBILD dieses Jahr ein anderes Aussehen hatte als vordem, aber trotzdem war in den meisten LOKALEN & GASTSTÄTTEN reger Betrieb. Also hier wurde diesmal SILVESTER gefeiert – und nicht zu knapp.
Der LÄRM der in den Morgenstunden ihre Behausungen aufsuchenden Unentwegten – ihnen hatte die SILVESTERNACHT natürlich am schlimmsten mitgespielt – konnte die ruhigeren Bürger des Jahres 1928 schon nicht mehr stören.
So hat dieses Jahr Jeder SILVESTER auf seine Art gefeiert, häuslich oder auswärts.
– Denken wir nicht mehr daran, sondern nur noch an die ZUKUNFT, an das HELLE, das jedem einzelnen jetzt entgegenleuchtet.

SILVESTER
verrauscht, NEUJAHRSTAG verklungen, der erste WERKTAG grüßt mit Alltagsarbeit, ~plagen und ~sorgen.
DAS NEUE JAHR hat angefangen !
Es wird schon rumgehen, wie’s auch kommt, wir nehmen’s mit ihm auf !
SILVESTER & NEUJAHR waren schön. Das andere wird schon werden.
PROSIT WERKELTAG, PROSIT ARBEIT, PROSIT SORGEN !“

…und irgendwie passt diese lapidare ZUKUNFTSPLANUNG 1928 auch auf die VOR UNS LIEGENDEN ZWANZIGER JAHRE,
die gewiss alles andere als >GOLDENE< werden…
:shock: