Das Wort
>BAHNHOF< weckt in mir viele
KINDHEITSERINNERUNGEN, angefangen bei den
DAMPFLOKS mit den riesigen Rädern und der gusseisernen Bahnsteig - Überdachung, die leider inzwischen auf den meisten Bahnhöfen verschwunden ist. Dann denke ich natürlich zurück an die ersten „Einkaufs~ & Besorgungsfahrten“ per „Schippchen“ von der unscheinbaren Bahnstation
SENFTENBERG II zum
SENFTENBERGER HAUPTBAHNHOF.
Meine ersten kindlichen
REISEEINDRÜCKE glichen denen, die bereits 1870 wie folgt beschrieben wurden:
„Auf dem BAHNHOF ist ein arges Gedränge. PASSAGIERE, schwer beladen, rennen hin und wieder, richten an stumm-lächelnde EISENBAHN-BEAMTE Fragen, die nie beantwortet werden, stoßen mit ihren GEPÄCKSTÜCKEN überall an, und bieten das Bild vollständiger Rath~ & Hilfslosigkeit.“ Manchmal ging es von hier aus über steile
BAHNHOFSTREPPEN zum Zug nach Calau, also „in die große, weite Welt“, wo wir auf einem Bauernhof als verwandtschaftliche
ERNTEHELFER schon sehnlichst erwartet wurden…
Damals war der saubere & gastfreundliche
SENFTENBERGER BAHNHOF mit Fahrkarten~ & Gepäckschaltern, Zeitungs~ & Imbisskiosk sowie Wartesaal & Restaurant durchaus vorzeigbar.
Die folgende, aus dem Jahre 1865 stammende
BESCHREIBUNG eines imaginären Bahnhofs vermittelt, dank weniger „Worteinfügungen“ von mir, einen Blick auf das einstige
>SENFTENBERGER EINGANGSPORTAL<:
„Sobald die Thür des Eisenbahn-Waggons geöffnet wird, möge der Fremde darauf sehen, dass er nichts liegen lasse, überhaupt auf seine Sachen achte, denn: ‚Vor Taschendieben wird gewarnt‘, konnte man früher auf den hiesigen Bahnhöfen angeschlagen lesen. Diese VORSICHT gilt indess auch an andern Orten.
Ist der EISENBAHNZUG ein stark besetzter gewesen, so möge man sich bald einer DROSCHKE, deren außerhalb des BAHNHOFES eine Anzahl aufgestellt ist, vergewissern, um nicht zu einer unwillkommenen FUSSWANDERUNG gezwungen zu sein. Eine im Innern der Droschke aufgehängte TAXE verhindert eine etwaige PRELLEREI.
Wer jedoch das LAUFEN vorzieht und nicht allzuviel GEPÄCK hat, bedarf weniger Eile und kann, wenn er Zeit dazu hat, unbesorgt den BAHNHOF und die UMGEGEND betrachten, namentlich, wenn es der HAUPTBAHNHOF SENFTENBERG wäre, der sowohl an sich selbst, wie nach seinen UMGEBUNGEN zu dem Schönsten gehört, was man Derartiges irgendwo sehen kann.
Die kurze WANDERUNG bis zum LOGIS [Unterkunft] giebt dann einen ersten Begriff vom Aeußeren der Stadt, namentlich wenn sie die prachtvolle BAHNHOFSTRASSE berührt.“ Die
BAHNHOFSTREPPEN stellen für
REISENDE ein immer wiederkehrendes
PROBLEM dar, das schon 1909 sehr anschaulich
beschrieben wurde:
„Lauter hastende Menschen, die alle durch schmale Türen vom PERRON hinaus zur BAHNHOFSTREPPE stürzen, ihre Nächsten anrempeln, ohne es auch nur zu merken – geschweige denn, um Entschuldigung zu bitten ! Wer schneller läuft, kommt schneller hin zur Elektrischen, in die Stadt. Nur >vorwärts<, das ist alleinige Devise. Nirgends gibt’s eine zweite Rücksichtslosigkeit.“
In meiner
RECHERCHE traf ich dabei überraschenderweise auf
DEN GLEICHEN REISENDEN, der 1936 die Senftenberger
BAHNHOFSTREPPE hinunterpurzelte – allerdings war er auch schon 1931 in
BITTERFELD auf die gleiche Art & Weise „soeben glücklich angekommen“:
Diese
POSTKARTEN, die als Meldereiter von der
GLÜCKLICHEN ANKUNFT berichten, waren tatsächlich weit verbreitet, wobei sich einzelne
MOTIVE an unterschiedlichen
REISEZIELEN ein Stelldichein gaben. Aus den offenen
KOFFERN fielen außer diversen
REISEUTENSILIEN gelegentlich auch
LEPORELLOS mit Stadtansichten heraus:
Obwohl diese
POSTKARTEN durchgehend versuchen,
TREPPENSTÜRZE mit viel
HUMOR zu betrachten,
wies schon 1877 „Einer, der nicht den Hals brechen mag“ in einem Leserbrief auf folgende ernst zunehmende Umstände hin:
„Es liegt gewiß nicht in den Intentionen der Bahndirektion, daß die hier ankommenden REISENDEN die BAHNHOFSTREPPE hinabstürzen und Schaden erleiden, aber wenn man die schmalen STUFEN aufmerksam betrachtet, muß man sich schon wundern, daß jährlich nur 2 - 3 REISENDE von diesen TREPPEN hinabkollern und todt liegen bleiben, wie das erst in den letzten Tagen der Fall gewesen, wo ein ältlicher Herr hinabstürzte und am nächsten Tage todt gemeldet wurde.“ Die Berliner Zeitung >DIE WOCHE< stellte im März 1914
DIE ALLES ENTSCHEIDENDE FRAGE in den Raum:
„Was nützt der schönste BAHNHOF, wenn man nicht hinauf~ und nicht herunter kann ?“ und beantwortete sie anschließend wie folgt:
"Man stelle sich das Gemüt des REISENDEN vor, der, am Fuß dieser TREPPEN angelangt, den Zeiger auf dem UHRTURM erbarmungslos vorrücken sieht und nun diesen Berg im rasenden Sturrmschritt nehmen muß, wenn er seinen ZUG erreichen will.
Das PUBLIKUM erträgt oder vielmehr erklimmt sie mit einer Selbstverständlichkeit, als ob es wirklich nicht ohne sie ginge.
Da ist ein Hinauf~ und Hinabsteigen, ein Herzklopfen, Ausgleiten, Wiederaufstehen, Drängen und Schieben !
Wenn wenigstens die Menschen alle das gleiche TEMPO am Leibe hätten ! Aber da sind LEUTE, die sich die Beine ausreißen, um einen BUMMELZUG zu erwischen, und andere, die gemütlich die TREPPE hinunterschlendern, um sich danach in ein rasendes Auto zu setzen.
Da geht ein in Träume versunkendes LIEBESPAAR und wird von einem übereifrigen LADENSCHWENGEL [Bürogehilfe] überrannt, und der in höchster Hast von einem Beförderungsmittel ins andere springende ARZT stolpert über einen EXPRESSBOTEN, der seine Gänge mit Muße besorgt. ÄLTERE PERSONEN schnaufen, stöhnen, ducken sich unter der trappelnden Flut der zur Arbeit Eilenden…Der SCHAUPLATZ dieser WIRRUNGEN ist überall die BAHNHOFSTREPPE.“ Dies alles ist keinesfalls ein
TREPPENWITZ, obschon dieser Ausdruck heute ja – abweichend von der ursprünglichen Bedeutung – für „Ironie des Schicksals“, „alberner Witz“ oder „unangemessenes, lächerliches Verhalten“ verwendet wird.
Man versteht darunter alles dasjenige, was man eine Viertelstunde früher hätte sagen können und sollen, was einem aber erst einfällt, wenn man die
TREPPE hinuntergeht.
Schauen wir uns zum Schluss noch an, wo überall auf dem
BAHNHOF oder dessen
UMGEBUNG die
GEFAHREN lauern, mit seinen Habseligkeiten ungewollten Bodenkontakt aufzunehmen.
Mein
TIPP:
Sport treiben und HINFALLEN plus GUTE LANDUNG üben !ÜBRIGENS fiel mir im Nachhinein auf, sozusagen als
TREPPENWITZ, dass der an der
HALTESTELLE (Bahnhof Güstrow) unsanft gelandete Herr durchaus der Revolutionsführer
W.I. LENIN vor seiner illegalen Fahrt nach Petersburg im Jahre 1917 gewesen sein könnte...
