Neues 455 - 2021-01-24

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Matthias
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Neues 455 - 2021-01-24

Beitragvon Matthias » Sa 23. Jan 2021, 10:24

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Harald
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Re: Neues 455 - 2021-01-24

Beitragvon Harald » Mo 25. Jan 2021, 15:38

Fleischer_Fibelbild 19. Jh._resize.jpg

Die Landwirtschaft der alten Deutschen bestand anfänglich fast ganz allein in der VIEHZUCHT.
Sie aßen gern Rind~, Schaf~ und Schweinefleisch, lebten von der Milch der Kühe und Schafe, kleideten sich in die Felle und Häute derselben und waren überhaupt FREIGEBORENE LEUTE, die ihre KNECHTE & LEIBEIGENEN hatten, welche das VIEH hüteten und warteten. Das SCHLACHTEN war anfänglich Sache der KNECHTE, später der BAUERN & DIENSTLEUTE, die zu den adligen Gütern gehörten. Als sich auf dem Lande hier und da ein FREIGELASSENER auf den VIEHHANDEL legte, ließ auch er das SCHLACHTVIEH von Knechten schlachten, die daraufhin zu seinen Gehilfen & Gesellen wurden.
Diese „neuartigen“ LANDFLEISCHER brachten mit ihren FLEISCHERBURSCHEN bald auch FLEISCH zu den STADTBEWOHNERN,
die ihre Viktualien schon seit jeher größtenteils vom LANDE bezogen.
Da sich allerdings die STÄDTE immer mehr ausdehnten und die wachsende Bürgerschaft derselben täglich frisches Fleisch benötigte, sich aber mit dem Einkaufen & Schlachten des Viehes nicht abgeben konnte, legten sich einige BÜRGER sogleich auf den VIEHHANDEL, hielten sich ebenfalls KNECHTE, welche die Rinder, Schweine, Schafe etc. auf dem Lande einkaufen, in die Stadt bringen, schlachten und verkaufen mussten.
Um in den Städten die erforderliche REINLICHKEIT zu erhalten, wurden die SCHLACHTHÄUSER vor der Stadt, so weit als möglich am Wasser, gebaut, ORDNUNGEN & REGELN erstellt, um Betrügereien zu steuern, FLEISCHBÄNKE errichtet, PREISE reguliert und FLEISCHERZÜNFTE gebildet.
Im Laufe der Zeit wurden viele FLEISCHER zu durchaus wohlhabenden Bürgern, die nur noch ihre KNECHTE zum Einkauf des VIEHES aussandten und ansonsten ihren SCHLACHTHOF wie ein GUTSHERR dirigierten…

In einem LUSTSPIEL, welches 1865 an Boulevardtheatern aufgeführt wurde, zelebrierte der „wohlhabende Fleischhauer GEORG“ sein Image:

„Maria, ich kann Ihnen eine glückliche Zukunft sichern, ich bin reich, sehr reich, obwohl ich nur ein FLEISCHHAUER bin.
(Maria sieht ihn erstaunt an) Mein VERMÖGEN soll das Ihre sein. Sie sollen in Berlin wohnen und Ihr eigenes Haus, Wagen und Pferde haben.“

DAS FLEISCHERGEWERBE bot damals schon etliche BERUFSBEZEICHNUNGEN mit abgegrenzten TÄTIGKEITSBEREICHEN an, wie z.B.:

FLEISCHHAUER / FLEISCHER / METZGER / SCHLÄCHTER
= Verkauf von frischem Rind~, Kalb~, Schaf~ & Lammfleisch;
FLEISCHSELCHER
= Verkauf von Räucherfleisch, geräuchertem Speck & Würsten aller Art;
BEIDEN GEWERBEN
= stand das Schlachten von Schweinen und Verkauf von frischem Schweinefleisch & ~fett zu.
FLECKSIEDER
= Verarbeitung von Zunge, Euter & Innereien;

Sie unterlagen jedoch noch einschneidenden BESCHRÄNKUNGEN:

„Das FLEISCHHAUER-GEWERBE berechtigt zum Schlachten von Vieh jeder Gattung, zur Fabrikation von Würsten und zum Verkaufe der Nebenprodukte in rohem Zustande, z.B. des Rindertalges, der Häute etc.
Den Rindstalg zu Kerzen zu verarbeiten, die Häute zu gerben und zu verkaufen ist nicht gestattet.
METZGER dürfen Würste erzeugen und in FRISCHEM Zustande verkaufen; sie in GERÄUCHERTEM Zustande verkaufen dürfen nur die FLEISCHSELCHER.
Ebenso darf der FLEISCHHAUER an Markttagen keine gewärmten Würste mit Senf zum Verkauf bringen, da hierzu eine Berechtigung der Gast~ & Schankgewerbe nötig ist. Allerdings besitzen sie in Bezug auf Verabreichung warmer Speisen das Recht zum Verkauf von Leberwürsten und Leberwurstsuppe.“

Die körperlich schwere Arbeit machte ganz nebenbei aus den MÄNNERN nicht nur muskelbepackte, sondern gleichzeitig sehr ansehnliche &
SCHÖNE FLEISCHHAUER.

schoener F._resize.jpg

„Es ist eine bekannte Sache, daß ein MEISTER, wenn er einen LEHRLING nimmt, darauf sieht, daß er von kräftigem Körperbau ist.
Daher kommt es, daß die FLEISCHHAUER mit wohl nur wenigen Ausnahmen starke Leute sind mit einem so blühenden und vor Gesundheit strotzenden Aussehen. Aber auch die kräftige und derbe KOST, die der FLEISCHER genießt, trägt das ihrige bei.
Gegenüber vielen anderen Beschäftigungen scheint die SCHLACHTKUNST eine der Gesundheit am wenigsten nachteilig zu sein, weil sie viel BEWEGUNG des Körpers an frischer Luft gestattet.
Unleugbar sind aber die sehr häufigen TEMPERATURWECHSEL, die den Körper angreifen und zu Krankheiten führen. Namentlich im Winter, wo am meisten geschlachtet wird, wirkt die plötzliche Abwechslung von Wärme und Kälte sehr störend auf den Körper. Bald bedarf der FLEISCHER beim Schlachten kaltes, bald warmes oder sehr heißes Wasser, bald muß er im Freien oder im Luftzuge der Schlachthäuser arbeiten, mal schwitzt & mal fröstelt er…
Rheumatismus, Gicht, Wassersucht, Gelenksteifheit, Lungenkrankheiten waren die Folge."


Beim Betrachten der KABINETTFOTOS fiel mir bei der BERUFSTRACHT neben dem wie ein PARADE-SÄBEL getragenen, standardisierten WETZSTAHL, die unterschiedliche TRAGWEISE der einzelnen KLEIDUNGSSTÜCKE ins Auge:
Hemdärmel lang & aufgekrempelt / Schürze mit & ohne Koppel / zur linken & rechten Seite eingeschlagen.
Ich habe hierfür bislang noch keine Erklärung gefunden.

Rechenbuch_resize.jpg

Sicher wurde auch der BERUFSNACHWUCHS mit dieser schmucken Tracht geworben. Allerdings waren in der FIEBEL der Volksschulen bzw. dem ELEMENTARBÜCHLEIN zum Privatunterricht prognostisch recht anschauliche TEXTE zum Berufsbild des Fleischers (u.a.Handwerker) untergebracht.
Den Schülern standen ja diverse die EINMALEINS-Tafeln zum Kibitzen zur Verfügung, das sogenannte RECHENBUCH sollte da wohl eher den FLEISCHVERKÄUFERN als Zeitersparnis dienen:

„Dieses RECHENBUCH dürfte vorzüglich für die FLEISCHHAUER seyn, da es die bey demselben bisher üblichen FAULENZER ganz entbehrlich macht, indem in diesem Buche die PREISE eines ½ Pfundes bis zu einem Centner, immer um einen ½ KREUZER höher bis zu einem GULDEN berechnet.“

Sollten sich nämlich ein FLEISCHERMEISTER irrtümlich oder womöglich bewusste RECHENFEHLER AN WAAGE & PREISSCHILD erlauben, brachte ihn schon im Mittelalter eine drastische STRAFEwieder auf den rechten Weg. Im Vergleich dazu wurden vor 100 Jahren in Senftenberg eher gelindere Strafen verhängt.

Pranger_resize.jpg

Eine offenbar entehrende STRAFE für schlechte Ware, zu leichtes Gewicht oder zu hohe Preise war im Mittelalter das PRANGERSTEHEN – in ein Halseisen geschlossen auf einem Podest mitten auf dem Marktplatz stehend.
Eine allerdings noch schmachvollere STRAFE bestand darin, dass derjenige METZGER, der gegen das Gesetz gesündigt hatte, ins Gefängnis geworfen wurde, man ihn darinnen bis zu einem gewissen Grade hungern ließ, und dann unter Jubel des Volkes nach dem SCHNELLGALGEN („Schnelli“) führte, einem nur förmlichen Galgen, an dessen äußerster Spitze des Querbalkens ein Flaschenzug oder eine Rolle angebracht war, in welcher ein starkes Seil lief, an dessen Ende ein KÄFIG angebracht war, den man, wie man wollte, hochziehen oder niederlassen konnte. Unter dem GALGEN befand sich stets eine große MISTGRUBE. In den KÄFIG, der einem Vogelbauer ähnelte, wurde nun der zu bestrafende METZGER eingeschlossen und die STADTKNECHTE mussten ihn so lange auf~ und abziehen und ins SCHMUTZWASSER stoßen, bis der darin sitzende Delinquent durch und durch nass war.
Übrigens wurde mancherorts der betrügerische METZGER beim dritten Übertretungsfall mit dem OHR an den LADENTISCH genagelt…

Oft war allerdings auch der NEID DER KUNDSCHAFT Anlass zu Disputen über HOHE FLEISCHPREISE, doch wurden BESCHWERDEN meist sehr humorvoll abgeschmettert:

Im Parlament erklärte ein kampflustiger Redner, dass die SCHLÄCHTER die HÜBSCHESTEN FRAUEN hätten, welche viel Staat und Luxus treiben, und sie könnten es ja auch, weil sie sich das FLEISCH so teuer bezahlen lassen. Daraufhin entgegnete ein anderer, daß man sehr oft beobachten kann, wie mancher ALTE GRAUKÖPFIGE HERR in Berlin aus einer Straße in die andere läuft, und durch die Spiegelscheiben sieht, ob er nicht eine HÜBSCHE MAMSELL im Laden wahrnimmt; ist eine vorhanden, so stürzt er sich hinein, kauft der schönen Seele etwas ab, bezahlt es graziös dreimal so teuer, um bloß an der schönen Seele etwas Augenweide zu haben, dann eilt der GRAUKOPF nach Hause und erzählt Muttern, wie teuer sich die SCHLÄCHTER alles bezahlen lassen. Nun wird geschimpft auf den SCHLÄCHTERMEISTER wegen zu hoher FLEISCHPREISE, nicht aber auf die SCHÖNE SEELE im Schlächterladen, welche der geehrte Herr während seines Einkaufs beliebäugelte. (1874)

Ich habe mich heute auf interessante Details aus dem ALLTAG DER FLEISCHER beschränkt, auf die ich bei meiner Online-Recherche in etlichen Büchern und in der >Allgemeinen Fleischer–Zeitung< von 1874 stieß.
Alles Wissenswerte über die SENFTENBERGER FLEISCHERZUNFT kann man jederzeit in der Georg PAULITZ-CHRONIK bzw. der Broschüre >Bilder aus Senftenbergs Vergangenheit< von Rudolf LEHMANN nachlesen.

Fleischerzeitung_resize.jpg


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