BEWUNDERN KANN MAN ROSS & REITER,
EIN TRACHTENFESTZUG WEND’SCHER ART,
VIEL WAGEN, FUSSVOLK UND SO WEITER,
HIER WURDE NICHT ZU SEHR GESPART. Der heute vorgestellte
KURZFILM hat mich besonders beeindruckt, weil er uns
HISTORISCHE BILDER liefert, die wir heutzutage nur noch selten zu sehen bekommen – in
SENFTENBERG sowieso nicht, aber auch in den umliegenden
DÖRFERN nur noch auf größeren
VOLKSFESTEN.
Der einstmals am 22. Mai 1927 bei prächtigem Wetter veranstaltete
GROSSE WENDISCHE TRACHTENFESTZUG
vereinte ca.
600 MÄDCHEN & BURSCHEN mit
15 FESTWAGEN und eigenen
KAPELLEN & GESANGSGRUPPEN und gestaltete sich zu einem herausragenden
EREIGNIS, wovon der >Senftenberger Anzeiger< am darauffolgenden Tag ausführlich berichtete:
„Das Hauptinteresse nahm der WENDISCHE TRACHTENFESTZUG in Anspruch. An allen Ecken staute sich die Menge, schwarz von Menschen waren die Straßen besetzt. Der NEUMARKT bot ein außergewöhnlich farbenprächtiges Bild. Das ROT, GRÜN & BLAU der weiten RÖCKE, Glas und Flitter an dem SAMTMIEDER, Frauen und Mädchen mit vielgestaltiger KOPFBEDECKUNG, je nachdem sie im Hochzeits~ oder Kindtaufszuge gingen, die Männer & Burschen mit HUTSCHMUCK und bunten TÜCHERN; alles das ist nur ein kleiner Auszug aus dem wendischen TRACHTENFESTZUG. Flankiert von etwa 20000 Zuschauern, nahm er seinen Weg durch die Straßen nach dem Ausstellungsgelände. Von der Schauleitung wird der MASSENBESUCH gestern auf 24000 geschätzt. Diese Zahl dürfte sich aber noch um vieles erhöhen, da die Besucher des VERGNÜGUNGSPARKES und andere Reisende noch hinzukommen. Am heutigen Montag werden nachmittags nochmals WENDISCHE TÄNZE auf dem Ausstellungsgelände vorgeführt…
Um 1 Uhr begannen sich die TRIBÜNEN allmählich zu füllen, und als Punkt ½ 2 Uhr der WENDISCHE TRACHTENFESTZUG durch die Musikkapelle sein Nahen ankündete, war die große TRIBÜNE längsseits des NEUEN FRIEDHOFS bis auf den letzten Platz mit vor Erwartung gespannten Menschen gefüllt.
UND SIE KAMEN !
In langem Zuge passierte das bunte ‚Völkergemisch‘ unter teilweisem SINGEN & JAUCHZEN der jungen Mädchen den TURNIERPLATZ, um ihn an der Zeltseite verlassend, den ZUG auf der Straße wieder aufzulösen. Als unverständlicher ORGANISATIONSFEHLER wurde es empfunden, daß der ZUG sich nicht an der TRIBÜNENSEITE entlang bewegte, sondern auf der abgelegenen Seite. So groß war der Unterschied in den SANDVERHÄLTNISSEN doch wohl nicht…
Auf einem niedrigen BRETTERPODIUM inmitten des TURNIERPLATZES begann eine Gruppe junger MÄDCHEN mit alten, noch Sitten und Erinnerungen verkörpernden VOLKSTÄNZEN. Weithin leuchtete das helle ROT & GELB ihrer ‚fliegenden Röcke‘, ein buntes Bild, wie es die Bewohner unsrer Industriegegend heute nur noch im SPREEWALD oder in den WENDEN-Gegenden sehen können. Eine Gruppe Spreewälderinnen aus Boblitz führte dann die alten wendischen VOLKSTÄNZE vor, wie sie heute noch in dortiger Gegend gepflegt und gehegt werden. Uralte UEBERLIEFERUNG, die erst mit der letzten Spreewälderin einmal verloren gehen würde. Darum werden in diesen Gegenden Tango, Charleston und wie die heutigen MODETÄNZE alle heißen, niemals die Oberhand gewinnen.“Aus gegebenem Anlass möchte ich deshalb heute die Gelegenheit nutzen, um etwas näher auf die
>WENDISCHE TRACHTENWELT< einzugehen, die der Lehrer Theodor Fromm aus Guben in seinem 1868 veröffentlichten Büchlein >Der praktische Schulmann<, in welchem er Materialien zum Unterricht in der Real~, Bürger~ & Volksschule lieferte, wie folgt vorstellte:
„Ich möchte ein Bild von den GEBRÄUCHEN und der LEBENSWEISE eines VÖLKLEINS entwerfen, welches bis zur Gegenwart den von seinen Stammeltern ererbten Sitten, mit unendlicher Liebe auch seiner alten SPRACHE treu, sowie in der KLEIDERTRACHT gegen deutsche Moden standhaft geblieben ist.“
Bildquelle: Lotar Balke >Die Tracht der Sorben um Senftenberg & Spremberg< 1977
Es zeigt sich ein großer
UNTERSCHIED zwischen
WOCHENTAGS~, SONNTAGS~ & FESTTAGSTRACHT. Bei
HOCHZEITEN zeigt sich das Festtagsgewand in seltener Farbenfreudigkeit. Große
TÜCHER und glitzerndes
GESCHMEIDE vervollständigen das Bild.
TÜCHER zeigen auch die
KLEIDER der Männer bei Hochzeiten und Kindtaufen. Der
BRAUTSCHMUCK befindet sich nur im Besitz einiger Familien, die diesen dann verleihen.
Die
SONNTAGSTRACHT richtet sich ganz nach den kirchlichen Festen. So trägt man an den 1. Feiertagen vornehmlich
GRÜN, am 2. Feiertag herrscht
ROT vor. Die Frau hat am
MIEDER grüne Knöpfe und das Mädchen trägt ein
TUCH. Die
WOCHTAGSTRACHT ist dagegen sehr einfach und schmucklos gehalten. Das dunkle
ARBEITSKLEID und das
HÄUBCHEN, das auch die
WENDIN nachts kaum ablegt, sind die
KLEIDUNG DER ARBEIT.
„Die
WENDISCHEN MÄNNER tragen gewöhnlich einen breitkrämpigen niedrigen
FILZHUT oder eine mit
PELZ besetzte, hohe schwarze
SAMMETMÜTZE, bei festlichen Anlässen dagegen einen
ZYLINDER. Um den Hals schlingt sich ein buntfarbiges
HALSTUCH, die Brust wird von einer langen
WESTE bedeckt. Die
BEINKLEIDER sind von Tuch oder grauer Leinwand und stecken in der Regel in hohen
STIEFELN oder sind so kurz, daß sie nur bis zu den Knieen reichen, von wo ab der Fuß im Sommer unbekleidet bleibt, im Winter aber durch wollene
STRÜMPFE von zweifelhafter Farbe geschützt ist. Ein langer, bis fast zu den Knöcheln reichender, mit großen Messing~ oder Hornknöpfen geschmückter
ROCK von grauer oder dunkelblauer Leinwand oder Tuch oder auch eine kurze
JACKE von denselben Stoffen vervollständigt den
ANZUG.
KOPFBEDECKUNG & sonstige
KLEIDUNG ist in den einzelnen
DÖRFERN recht unterschiedlich.
Die
WENDISCHEN FRAUEN scheiteln sorgfältig ihr
HAAR, von dem nur ein kleiner Teil zu sehen ist, da sie eine
HAUBE tragen, welche im Vorderteil mit einem schneeweißen, steif geplätteten
TUCHE überzogen ist. Das weiße bzw. farbige Hinterteil ist mit
FLITTERWERK überzogen. Um den Hals legt sich dann als
HALSKRAUSE wie ein breites Rad ein in zierlichsten Fältchen gepresster
STREIFEN von weißem Tüll.
Die
BRUST wird bis unter den Hals von einem braunen oder schwarzen
TUCHE, über welches ziemlich breite
BÄNDER von grell roter Farbe sich schräg kreuzen, bedeckt. Das schwarze
SAMMET-MIEDER bleibt oft unter einer kurzen
JACKE verborgen, oft aber zeigt sich die wendische Schöne in kurzen, blendend weißen
HEMDSÄRMELN. Der von den Hüften beginnende und bis zum Knie reichende
ROCK ist aus schwarzem oder buntem
WOLLSTOFF gefertigt und in abertausend
FÄLTCHEN gelegt. Eine breite
SCHÜRZE bedeckt zum größten Teil dieses Kleidungsstück. Die Füße zieren schöne weiße
STRÜMPFE & LEDERSCHUHE mit glänzenden
SCHNALLEN.
Bei den
MÜTZEN in Groß-Koschen, Buchwalde, Lauta u.a. Orten der Senftenberger Gegend hat die Hinterseite eine
EIFORM, deren Umfang sich nach dem Gesicht zu verjüngt. Die breite
HALSKRAUSE fehlt. Die Hinterseite der
HAUBE ist mit schwarzem Sammet überzogen, der übrige Teil mit einem weißen Tuche umsteckt. Eine schwarze Atlas~ oder Sammet-
SCHLEIFE mit langen Enden befindet sich im Nacken; zwei schwarze, wollene
BÄNDER an den Seiten werden unter dem Kinn zusammengebunden.
Eine einfache weiße
TÜLLHAUBE mit rundlicher Hinterseite und im Nacken mit einer schmalen, weißen
SCHLEIFE geschmückt, um Senftenberg >Kuschaua< genannt, ist vereinzelt noch die gewöhnliche Kopfbedeckung
ALTER FRAUEN. Über die
HAUBE wird oftmals noch kunstlos ein
KOPFTUCH gebunden, dessen seitliche
ZIPFEL unter dem Kinn zusammengebunden werden.
Der Gubener
LEHRER schließt seine Betrachtungen mit einer visionären Aussage, die sich leider bewahrheitet hat, denn
VOLKSTRACHTEN bekommt man vereinzelt nur noch anlässlich „genullter“
DORF~ & STADTJUBILÄEN zu Gesicht:
„In echt WENDISCHEN FAMILIEN tragen auch die kleinen KINDER diese TRACHTEN, sobald sie laufen können. Wie PUPPEN nehmen sich die ‚kleinen Damen‘ aus, wenn sie Hand in Hand zur SCHULE wandern. Der kleine JUNGE trägt mit Stolz seine BLAUE SCHÜRZE. Und wenn beim JAHRMARKT all die Schönen, mit ihrem Staat angetan, durch die Straßen wandeln, dann denkt man kaum daran, daß all dieses VOLKSGUT verschwinden wird, weil die stetig fortschreitende MODERNISIERUNG Hand an alles Althergebrachte legt.“