Kürzlich überließ mir mein Administrator ein ziemlich umfangreiches
„ZEITUNGSSCHNIPSEL - KONVOLUT“ aus der
>Lausitzer Rundschau< und dem
>Wochenspiegel< der ausgehenden 80er, sowie darauffolgenden 90er Jahre „zur Sortierung & Digitalisierung“.
Bei einer flüchtigen ersten
INAUGENSCHEINNAHME stieß ich auch auf zahlreiche Beiträge der Rubrik
>AUS OMAS KRAMKISTE<,
bei denen historisch interessierte & vor allem sehr findige Leser auf die SUCHE nach imaginären
GEBÄUDEN in
SENFTENBERG & Umgebung gingen.
Übrigens begann vor 18 Jahren mit dieser
>BILDERSUCHE< meine
HEIMATFORSCHER-KARRIERE. In o.a. KONVOLUT befand sich auch ein >
FOTORÄTSEL< bezüglich einer
POSTKARTE von
1906, welche „einen Blick in die enge Bahnhofstraße“ offeriert und durchaus zum aktuellen Thema >
MARKTPLATZ< passt.
Sie wurde von Matthias bereits unter „Neues 31“ in der s/w bzw. in der colorierten Version unter „Neues 75“ vorgestellt.
Das
ZEITUNGSFOTO wurde, wie der Vergleich zeigt, leider ein wenig „zurechtgestutzt“.
Durch einen bislang von mir völlig unbeachteten Umstand kam ich zu meinem heutigen
KOMMENTARTHEMA, denn der von mir verehrte Heimatforscher
MARTIN SCHERTZBERG beschrieb nicht nur die
„POSTKARTENSZENERIE“, sondern verwies auch auf ein denkwürdiges historisches
EREIGNIS vom
14. März 1920, so dass ich meinen nachfolgenden
KOMMENTAR mit
FAKTEN aus dem >Senftenberger Anzeiger< anreichern konnte:
In den Tagen
vom 13. bis zum 17. März 1920 versuchte eine kleine Gruppe
NATIONALISTISCHER VERSCHWÖRER die Regierung der Weimarer Republik durch einen
PUTSCH zu stürzen. Die Gruppe um den Politiker
WOLFGANG KAPP und den Reichswehrgeneral
FREIHERR VON LÜTTWITZ hielt mit Unterstützung der Marinebrigade Erhardt vier Tage lang das Regierungsviertel Berlins besetzt. Die rechtmäßige
REGIERUNG floh unterdessen nach Stuttgart und rief zum
GENERALSTREIK auf. Die
REICHSWEHR weigerte sich,
den
PUTSCH gewaltsam zu beenden, mit der Begründung „Truppe schießt nicht auf Truppe“. Durch den
GENERALSTREIK brach der
PUTSCH innerhalb kürzester Zeit zusammen.
Senftenberg, 15. März:Veranlaßt durch die
NACHRICHTEN aus Berlin über den stattgefundenen
MILITÄRPUTSCH hatte die Sozialdemokratische Partei des Kreises Calau einen
AUFRUF an die
ARBEITER aller Parteirichtungen zu einer
MASSENDEMONSTRATION am Sonntag vormittag 10 Uhr erlassen. Dieser Aufforderung waren mehrere Tausend Arbeiter gefolgt, welche auf dem
MARKTPLATZE hielten. Aus den
ANSPRACHEN der Redner war zu entnehmen, daß sich die
3 SOZIALISTISCHEN PARTEIEN mit der Parole des gemeinsamen Kampfes gegen die
REAKTION und Verkündigung des
GENERALSTREIKS als Gegenmaßnahme geeinigt hatten.
Der
ZUG bewegte sich dann in voller Ruhe und Ordnung nach dem >Gesellschaftshaus<, woselbst noch eine
VERSAMMLUNG stattfand.
Im Laufe des Nachmittags erließ der aus allen 3 vereinigten Parteien gebildte
>AKTIONS-AUSSCHUSS< noch folgenden
AUFRUF an alle
ARBEITER:
„Wir fordern die gesamte werktätige Bevölkerung (alle Hand~ & Kopf-Arbeiter) auf, MONTAG FRÜH bis auf weitere Weisungen des AA die Arbeit einzustellen! Die dringendsten
NOTSTANDSARBEITEN zur Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit müssen ausgeführt werden. Volksgenossen! Es gilt, einen entscheidenden
SCHLAG GEGEN DIE REAKTION zu führen und die
RECHTE DES VOLKES zu verteidigen, welcher nur auf wirtschaftlichem Gebiete stattfinden kann.
STELLT EUCH GESCHLOSSEN ZUM KAMPF HINTER DEN >AKTIONS-AUSSCHUSS< ! SEID FEST ! BEWAHRT DISZIPLIN ! ES GEHT UM DAS GANZE !Senftenberg, 16. März:„Der gestrige Tag des GENERALSTREIKS verlief in völliger Ruhe.
Die STRASSEN waren bis in die späten Abendstunden äußerst stark belebt, da infolge des angekündigten JAHRMARKTES auch von auswärts BESUCHER erschienen waren. Einzelne auswärtige GESCHÄFTSLEUTE errichteten selbst eine JAHRMARKTSBUDE und eröffneten gegen Mittag den VERKAUF; so kam wenigstens ein kleines Jahrmarktsgeld zustande. Das hiesige POSTAMT hatte schon morgens auf Weisung der Ober-Postdirektion den Betrieb eingestellt, wurde jedoch am Nachmittage von der >ROTEN ARMEE< besetzt, welche sofort den FERNSPRECHDIENST übernahm. Im Laufe des Tages wurden noch mehrere lebenswichtige BETRIEBE besetzt, und verschiedene AUTOS, MOTORRÄDER, KUTSCHWAGEN & WAFFEN beschlagnahmt. In den Nachmittagsstunden erließ der >AKTIONS-AUSSCHUSS< eine ANORDNUNG, nach welcher zur wirksameren Durchführung des ausgerufenen GENERALSTREIKS sämtliche GESCHÄFTE & BUREAUS geschlossen zu halten sind, ausgenommen die LEBENSMITTELGESCHÄFTE. Ueber NOTSTANDSARBEITEN entscheidet das STREIKKOMITEE, Sitz: >Gasthaus Thamm<.
Ferner wurden alle TANZLUSTBARKEITEN verboten. Die JAHRMARKTSTANZMUSIKEN, welche schon begonnen hatten, mußten daher abgebrochen werden. Von 9 Uhr ab wurde in den RESTAURATIONEN die POLIZEISTUNDE angeordnet. Außerdem wurde eine VERORDNUNG erlassen, welche den VERKAUF & AUSSCHANK von BRANNTWEIN verbietet. Die UNTERNEHMER auf dem NEUMARKT mußten ihre KARUSSELS & LUFTSCHAUKELN ohne Musik laufen lassen und um 8 Uhr schließen. Das PASSAGE-KINO schließt erst um 10 Uhr, die VORSTELLUNGEN beginnen aber bereits um 4 Uhr.
Der >AKTIONS-AUSSCHUSS< gibt noch folgendes bekannt:„Im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe & Ordnung wird die Bevölkerung ersucht,
in der Zeit von 10 Uhr abends bis 5 Uhr morgens die Wohnungen nur in besonders dringenden Fällen zu verlassen.“
Die für gestern vormittags 10 Uhr einberufene
VOLKSVERSAMMLUNG im >Gesellschaftshaus< war von ca. 3000 Personen besucht.
Herr D a h l e n b u r g legte in ausführlicher Weise die
ERRUNGENSCHAFTEN DES GENERALSTREIKS dar, deren wirksame
DURCHFÜHRUNG der fortbestehende
>AKTIONS-AUSSCHUSS< überwachen wird, und forderte dann zur
WIEDERAUFNAHME DER ARBEIT auf, die zum
WIEDERAUFBAU unseres schwer darniederliegenden
WIRTSCHAFTSLEBENS unumgänglich notwendig sei.
Er gedachte auch der
GEFALLENEN GENOSSEN, deren Andenken durch Erheben von den Plätzen geehrt wurde.
Landrat F r e t e r forderte in seiner Ansprache die Arbeiter zur
EINIGKEIT auf. Darauf folgte ein
DEMONSTRATIONSZUG der Versammelten durch die Stadt,
welcher dem
ANDENKEN DER TOTEN gewidmet war. Vom
>AKTIONS-AUSSCHUSS< wurde noch folgendes
FLUGBLATT ausgegeben:
Senftenberg, 24. März:„Gestern nachmittags erfolgte das LEICHENBEGÄNGNIS der in den GEFECHTEN bei Sachsendorf & Drebkau gefallenen 6 Teilnehmer, welche auf Seiten der >ROTEN ARMEE< kämpften und dabei ihren TOD fanden. Kurz nach 3½ Uhr setzte sich der nach vielen Tausenden zählende ZUG unter den Klängen des Liedes ‚Ich hatt‘ einen Kameraden‘ und des ‚Chopin’schen Trauermarsches‘ vom >Gasthaus Michael< aus in Bewegung. Die TRAUERMUSIK hatte die STADTKAPELLE gestellt. Im TRAUERZUGE folgten kurz hinter der KAPELLE der vollzählige AA, Mitglieder des Magistrats, des SV-Kollegiums, städtische Beamte & Angestellte und nach ihnen auf 2 Wagen die 6 Leichen der >MÄRZ-GEFALLENEN<. Die nächsten Angehörigen schlossen sich ihnen unmittelbar an. Nunmehr folgte eine überaus große Anzahl von Vereinen mit roten Fahnen. Der ZUG passierte die Moritz~ & die Bahnhofstraße, Markt & Kreuzstraße durch Jüttendorf nach dem NEUEN FRIEDHOF. Dort hatte sich, wie auch in allen Straßen, eine außerordentlich große MENSCHENMENGE angesammelt. In einem MASSENGRABE erfolgte sodann die BEISETZUNG der 4 Leichen ,
und zwar der Arbeiter Hermann D z i a l l a aus Lauta, Willi M u n d aus Grube Marga, Oskar Z e i d l e r - Senftenberg und Bruno B r ü c k n e r - Grube Marga.
Geistlichkeit war nicht zugegen…AA = AKTIONS-AUSSCHUSS