Neues 607 - 2024-06-09

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Matthias
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Neues 607 - 2024-06-09

Beitragvon Matthias » Sa 8. Jun 2024, 08:27

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Harald
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Re: Neues 607 - 2024-06-09

Beitragvon Harald » Do 13. Jun 2024, 16:52

Buehnenturm_resize.jpg

„Wenn ihr wissen wollt, wie der Weg vorwärts geht, dann lest Goethes FAUST und Marx KOMMUNISTISCHES MANIFEST“ empfahl im Jahre 1958 Walter U l b r i c h t den aktiven Mitgliedern der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Herr Klaus L e u s c h n e r, unser Deutschlehrer an der ERWEITERTEN OBERSCHULE „Walter Rathenau“ Senftenberg, also eines „sozialistischen Gymnasiums“, riet uns dagegen frohgelaunt: „LEBEN LERNT MAN IM THEATER“.
Nun haben wir als SCHÜLER einer weiterführenden Schule zwar nicht gerade DIE HÖHEN DER KULTUR ERSTÜRMT, dafür allerdings den ANSPRUCH kennengelernt, dass man zumindest KULTURVOLL LEBEN sollte. Das DDR-BÜHNENWESEN war tief verankert im gesellschaftlichen & politischen System.
Immerhin existierten fast 70 BÜHNEN mit ca. 200 SPIELSTÄTTEN, die jedoch allesamt durch Subventionen am Leben erhalten wurden.
Das >THEATER DER BERGARBEITER< trat beispielsweise (oft mehrmals) im Jahre 1960 an folgenden SPIELORTEN unserer REGION auf:
Luckau – Trebendorf – Lauchhammer-Mitte / Ost – Schwarzheide – Plessa – Schlieben – Kamenz – Preschen – Liebenwerda – Lübbenau - Spremberg

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Da unser „Kulturtempel“, das STADTTHEATER, mit dem SCHULGEBÄUDE baulich verbunden war, genossen wir das PRIVILEG, mit den KÜNSTLERN sprichwörtlich „auf Tuchfühlung“ zu leben. Speziell in unserer „hochpubertären Phase“ (Klassenstufe 11/12) pflegten wir KONTAKTE per „Fensterblick, Winken & Kusshändchen“ mit den DAMEN VOM BALLETT, die entweder auf dem DACH trainierten oder ihre schlanken Beine auf dem FENSTERSIMS baumelnd zur Schau stellten.

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Zu den namhaftesten SCHAUSPIEL – PERSÖNLICHKEITEN, die zu unserer Pennäler-Zeit am >THEATER DER BERGARBEITER< wirkten, gehörten neben der oben in der Soldatenzeitung >ARMEE-RUNDSCHAU< vorgestellten Annekathrin Bürger, z.B. Monika Lennartz, Doris Abeßer, Hildegard Alex, Rolf Römer, Kaspar Eichel, Alfred Müller, Günter Schubert, Otmar Richter, Horst Weinheimer, Hans-Peter Reinecke, Ulrich Thein, Armin Mueller-Stahl, Frank Castorf u.v.a.m.
Um sie LIVE auf der BÜHNE zu erleben, wurden wir OBERSCHÜLER mit einem überaus preiswerten THEATER-ABO versorgt, auf dessen Programm neben SCHAUSPIEL auch OPERETTE, OPER & BALLETT standen. Zur Vor~ & Nachbereitung des kollektiven Theaterbesuchs gehörte selbstverständlich auch ein PROGRAMMHEFT zum Preis von 50 Pfennig.

Bild1.jpg

Anzumerken sei allerdings, dass die „SCHÜLER-VORSTELLUNGEN“ unmittelbar nach Unterrichtsschluss stattfanden, sodass wir gezwungen waren, unsere „THEATER-KLEIDUNG“ mitzubringen und im Klassenraum „die Garderobe zu wechseln“ – denn, im Unterschied zu HEUTE, ging DAMALS ein jeder ADRETT GEKLEIDET ins Theater !

Theatertage_resize.jpg

In der >Lausitzer Rundschau< berichtete man sehr detailliert über ERFOLGE, aber auch die vielfältigen PROBLEME,
welche dem THEATER wirklich arg zu schaffen machten:.


5.01.1961 (LR – Jugendkorrespondent Ulrich A c k s e l )

„Über eine Stunde hatte ich Gelegenheit, der anstrengenden Arbeit der SENFTENBERGER SCHAUSPIELER beizuwohnen. An diesem THEATER wird die KUNST wirklich ernst genommen und eine sehr gründliche VORBEREITUNG geht jeder PREMIERE voraus. Das heißt aber nicht STUPIDES ARBEITEN, ganz im Gegenteil. Ich hatte sofort den Eindruck, daß unter den KÜNSTLERN ein sehr KAMERADSCHAFTLICHES VERHÄLTNIS besteht. Oft unterbrach ein SCHERZ, der allgemeines GELÄCHTER hervorrief, die PROBEN auf der BÜHNE.“
Es kam allerdings auch schon mal „UNKAMERADSCHAFTLICHES GELÄCHTER" während einer Aufführung vor:

Spartentheater_resize.jpg

BESETZUNGSPROBLEME zeigte der Dramaturg E.G. K a u t z am 18.03.1961 auf:

„Ein KLASSISCHES WERK wird immer ein HÖHEPUNKT IM SPIELPLAN sein. Das ergibt sich schon aus der AUFNAHME, die es beim PUBLIKUM findet. Derartige WERKE vermitteln in der Regel ein außerordentlich starkes THEATERERLEBNIS. Allerdings würden größere Werke der KLASSIK wie >Egmont<, >Don Carlos< oder gar >Faust< unsere Möglichkeiten übersteigen, da wir nicht in der Lage sind, solche STÜCKE auch nur annähernd zu besetzen. Wir müssen deshalb mit unserem KLEINEN ENSEMBLE immer wieder auf WERKE zurückgreifen, die technisch & besetzungsmäßig von uns bewältigt werden können. Hier machen wir also aus der NOT eine TUGEND – aber keinesfalls eine NOTLÖSUNG.“

Am 13.10.1961 ergänzte Intendant Günter L a n g e :

„Das Theater besaß damals noch keine richtigen GARDEROBEN, der ehemalige FAHRRADSTAND DER SCHULE war als UMKLEIDERAUM notdürftig hergerichtet. Eine ENSEMBLEBILDUNG auf längere Sicht war damals noch kaum möglich, denn es wurden nur 10-Monats-Verträge abgeschlossen. Nur 94 MITGLIEDER gehörten damals dem THEATER an und das ORCHESTER bestand aus 18 MUSIKERN.
Unser PUBLIKUM stellte bald erhöhte QUALITÄTSANSPRÜCHE. Zunächst wurden die OPERNAUFFÜHRUNGEN eingestellt, da ein Spielbetrieb mit einem ORCHESTER von 18 und einem CHOR von nur 4 Mitgliedern nicht zu verantworten war. Damit wurden längere PROBENZEITEN ERMÖGLICHT und der AUSSTATTUNG konnte mehr Zeit gewidmet werden.
Viele SCHAUSPIELER des Theaters sind bei FILM & FERNSEHEN beschäftigt. Auch das ist ein BEWEIS für die GUTE KÜNSTLERISCHE ARBEIT, die am Senftenberger Theater geleistet wurde und wird.

Wie schwer es allerdings ist, ein richtiger SCHAUSPIELER ZU WERDEN, beschrieb sehr humorvoll der Schriftsteller, Drehbuchautor, Schauspieler & Kabarettist PETER ENSIKAT in seinem Buch >Meine ganzen Halbwahrheiten<:
„Ich schwankte lange zwischen verschiedenen BERUFEN, bis meine Mutter schließlich in der >Lausitzer Rundschau< einen Artikel über das THEATER DER BERGARBEITER in SENFTENBERG fand. Da war zu lesen, dass man dort die EIGNUNGSPRÜFUNG für die Theaterhochschule Leipzig ablegen könnte. Von Finsterwalde (meinem Heimatort) nach Senftenberg war es nicht weit, und SCHAUSPIELER, meinte meine Mutter, das wäre doch was für mich ewigen „Faxenmacher“. THEATER lockte mich schon. Wir gingen ja in alle Vorstellungen der THEATER aus Senftenberg & Cottbus, wenn sie in Finsterwalde gastierten. Und das LEBEN EINES SCHAUSPIELERS stellte ich mir ziemlich paradiesisch vor, auf jeden Fall eines mit VIEL FREIZEIT. Das Schönste am Schauspielerdasein schien mir, dass man AUSSCHLAFEN konnte und somit jeder Tag ein SONNTAG ist…
Das VORSPRECHEN war allerdings auf einen SONNTAGVORMITTAG gelegt – 10 Uhr im >Theater der Bergarbeiter< Senftenberg. Ich mußte also den FRÜHZUG um 6 Uhr nehmen. Mit dem AUSSCHLAFEN war es also noch nichts zu Beginn meiner SCHAUSPIELERKARRIERE…
Als ich vor dem THEATER ankam – das war gar KEIN RICHTIGES Theater, sondern nur EINE UMGEBAUTE SCHULE – wollte ich wieder umkehren. Nie kam mir meine Situation so aussichtlos vor wie hier vor dem BÜHNEINGANG. Ich hatte viel zu viel GUTES THEATER gesehen, um glauben zu können, bei mir reiche es zum SCHAUSPIELER. Helene Weigel, Ernst Busch, Inge Keller, Fred Düren in BERLIN; aber auch hier in SENFTENBERG gab es GUTE SCHAUSPIELER, mit denen ich mich nie würde messen können…
Bevor ich kehrtmachen konnte, sprach mich ein freundlicher, noch junger Mann an: „Sind Sie unser KANDIDAT heute ? ich bin der OBERSPIELLEITER. Horst S c h ön e m a n n heiße ich.“ Mir rutschte das Herz noch tiefer, als es ohnehin schon saß. Der Mann war vom DEUTSCHEN THEATER aus BERLIN nach SENFTENBERG gegangen. FREIWILLIG war er zu uns in die PROVINZ gekommen und machte hier, für diese ZEIT und diese GEGEND unglaublich MODERNES THEATER.
Ich hatte alle seine INSZENIERUNGEN gesehen und fast so bewundert wie die Aufführungen im BERLINER ENSEMBLE. Dann traf ich den INTENDANTEN, einen älteren, etwas müde wirkenden Mann, der ständig eine KAFFEETASSE in der Hand hielt und mehr wie ein FUNKTIONÄR aussah als einer vom THEATER. Eine unscheinbare DRAMATURGIN drückte mir die Hand und sagte: „Sie Armer, Sie zittern ja richtig.“ und der INTENDANT machte einen WITZ: „Stellen Sie sich einfach vor, wir stünden hier alle in UNTERHOSEN vor Ihnen. Gehen Sie am besten erst mal in die GARDEROBE, um sich zu konzentrieren. WIR RUFEN SIE DANN.“ Als ich endlich nach der längsten Viertelstunde meines bisherigen Lebens auf die BÜHNE gerufen wurde, saßen ALLE unten im dunklen ZUSCHAUERRAUM, unendlich weit weg von mir…
Als ich entlassen wurde, nahm die DRAMATURGIN meine Hand in ihre beiden Hände und sagte freundlich: „Na, sehen Sie, es war doch gar nicht so schlimm.“
Ich weiß nicht mehr, wie ich von SENFTENBERG nach Hause kam. ICH WAR AUF WOLKE SIEBEN…

Die erste PROBE mit Schönemann in SENFTENBERG riss mich allerdings aus allen BLÜTENTRÄUMEN: Er behauptete immer wieder, dass ich gar nicht wüsste, was ich da auf der BÜHNE spreche. Ich sollte das was ich aufsage, erst mal denken. Damit hatte mir Schönemann zunächst die FREUDE an diesem BERUF genommen.
Ich lernte sehr LANGSAM & QUALVOLL, dass die WUNDERBARE SCHAUSPIELEREI eine einzige SCHINDEREI sein konnte…

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Harald
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Re: Neues 607 - 2024-06-09

Beitragvon Harald » So 16. Jun 2024, 09:16

WICHTIGER NACHTRAG:


Ich muss eingestehen, dass wir ab 1958 als OBERSCHÜLER nicht nur 4 Jahre lang die EOS besuchten und dabei unseren LERNWILLEN nicht gerade überschäumen ließen, dafür allerdings mit großem Interesse die BALLETTDAMEN des Theaters im Blick hatten, und dennoch mit viel mehr Glück als Verstand letztendlich das ABITUR ablegten.
Wir gehörten nämlich darüber hinaus auch zu den „Versuchskarnickeln“ des 1959 in der DDR eröffneten BILDUNGSWEGES zum GLEICHZEITIGEN ERREICHEN der vollen, uneingeschränkten Hochschulreife, sprich ABITUR, und eines FACHARBEITERBRIEFES.
Da sich das im Bau befindliche WERKSTATTGEBÄUDE DES THEATERS anbot, probte man mit uns den steilen Aufstieg zum BAUFACHARBEITER, wofür zwei Tage der Woche im Ausbildungsbetrieb vorgesehen waren, die sich überwiegend auf 2 TÄTIGKEITSFELDER beschränkten: THEORIE per Steinbaukasten „im Klassenraum“, PRAXIS in der STEIN-AUF-STEIN-MAUEREI „auf dem Bau“.
Nach dem RICHTFEST legte man dieses EXPERIMENT, in Ermangelung weiterer kleiner, überschaubarer BAUPROJEKTE in der näheren Umgebung, stillschweigend zu den Akten.
Somit gingen der Republik jedoch viele, für die „Großbauten des Sozialismus“ dringend benötigte MAURER verloren, dafür erhob sich jedoch wie „Phönix aus dem Mörtel“ ein gerüttelt Maß an talentierten GARTENLAUBEN & GARAGEN-EIGENBAU-EXPERTEN;)

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