„Wenn ihr wissen wollt, wie der Weg vorwärts geht, dann lest Goethes FAUST und Marx KOMMUNISTISCHES MANIFEST“ empfahl im Jahre 1958 Walter U l b r i c h t den aktiven Mitgliedern der Freien Deutschen Jugend (FDJ). Herr
Klaus L e u s c h n e r, unser Deutschlehrer an der ERWEITERTEN OBERSCHULE „Walter Rathenau“ Senftenberg, also eines „sozialistischen Gymnasiums“, riet uns dagegen frohgelaunt:
„LEBEN LERNT MAN IM THEATER“.Nun haben wir als
SCHÜLER einer weiterführenden Schule zwar nicht gerade
DIE HÖHEN DER KULTUR ERSTÜRMT, dafür allerdings den
ANSPRUCH kennengelernt, dass man zumindest
KULTURVOLL LEBEN sollte. Das
DDR-BÜHNENWESEN war tief verankert im gesellschaftlichen & politischen System.
Immerhin existierten fast
70 BÜHNEN mit ca.
200 SPIELSTÄTTEN, die jedoch allesamt durch Subventionen am Leben erhalten wurden.
Das >THEATER DER BERGARBEITER< trat beispielsweise (oft mehrmals) im Jahre 1960 an folgenden SPIELORTEN unserer REGION auf:
Luckau – Trebendorf – Lauchhammer-Mitte / Ost – Schwarzheide – Plessa – Schlieben – Kamenz – Preschen – Liebenwerda – Lübbenau - SprembergDa unser „Kulturtempel“, das
STADTTHEATER, mit dem
SCHULGEBÄUDE baulich verbunden war, genossen wir das
PRIVILEG, mit den
KÜNSTLERN sprichwörtlich „auf Tuchfühlung“ zu leben. Speziell in unserer „hochpubertären Phase“ (Klassenstufe 11/12) pflegten wir
KONTAKTE per „Fensterblick, Winken & Kusshändchen“ mit den
DAMEN VOM BALLETT, die entweder auf dem
DACH trainierten oder ihre schlanken Beine auf dem
FENSTERSIMS baumelnd zur Schau stellten.
Zu den namhaftesten
SCHAUSPIEL – PERSÖNLICHKEITEN, die zu unserer Pennäler-Zeit am
>THEATER DER BERGARBEITER< wirkten, gehörten neben der oben in der Soldatenzeitung >ARMEE-RUNDSCHAU< vorgestellten
Annekathrin Bürger, z.B. Monika Lennartz, Doris Abeßer, Hildegard Alex, Rolf Römer, Kaspar Eichel, Alfred Müller, Günter Schubert, Otmar Richter, Horst Weinheimer, Hans-Peter Reinecke, Ulrich Thein, Armin Mueller-Stahl, Frank Castorf u.v.a.m.Um sie
LIVE auf der
BÜHNE zu erleben, wurden wir
OBERSCHÜLER mit einem überaus preiswerten
THEATER-ABO versorgt, auf dessen Programm neben
SCHAUSPIEL auch
OPERETTE, OPER & BALLETT standen. Zur Vor~ & Nachbereitung des kollektiven Theaterbesuchs gehörte selbstverständlich auch ein
PROGRAMMHEFT zum Preis von 50 Pfennig.
Anzumerken sei allerdings, dass die
„SCHÜLER-VORSTELLUNGEN“ unmittelbar nach Unterrichtsschluss stattfanden, sodass wir gezwungen waren, unsere
„THEATER-KLEIDUNG“ mitzubringen und im Klassenraum
„die Garderobe zu wechseln“ – denn, im Unterschied zu
HEUTE, ging
DAMALS ein jeder
ADRETT GEKLEIDET ins Theater !
In der >Lausitzer Rundschau< berichtete man sehr detailliert über ERFOLGE, aber auch die vielfältigen PROBLEME,
welche dem THEATER wirklich arg zu schaffen machten:.5.01.1961 (LR – Jugendkorrespondent Ulrich A c k s e l )„Über eine Stunde hatte ich Gelegenheit, der anstrengenden Arbeit der
SENFTENBERGER SCHAUSPIELER beizuwohnen. An diesem
THEATER wird die
KUNST wirklich ernst genommen und eine sehr gründliche
VORBEREITUNG geht jeder
PREMIERE voraus. Das heißt aber nicht
STUPIDES ARBEITEN, ganz im Gegenteil. Ich hatte sofort den Eindruck, daß unter den
KÜNSTLERN ein sehr
KAMERADSCHAFTLICHES VERHÄLTNIS besteht. Oft unterbrach ein
SCHERZ, der allgemeines
GELÄCHTER hervorrief, die
PROBEN auf der
BÜHNE.“
Es kam allerdings auch schon mal
„UNKAMERADSCHAFTLICHES GELÄCHTER" während einer Aufführung vor:
BESETZUNGSPROBLEME zeigte der Dramaturg E.G. K a u t z am 18.03.1961 auf:„Ein
KLASSISCHES WERK wird immer ein
HÖHEPUNKT IM SPIELPLAN sein. Das ergibt sich schon aus der
AUFNAHME, die es beim
PUBLIKUM findet. Derartige
WERKE vermitteln in der Regel ein außerordentlich starkes
THEATERERLEBNIS. Allerdings würden größere Werke der
KLASSIK wie >Egmont<, >Don Carlos< oder gar >Faust< unsere Möglichkeiten übersteigen, da wir nicht in der Lage sind, solche
STÜCKE auch nur annähernd zu besetzen. Wir müssen deshalb mit unserem
KLEINEN ENSEMBLE immer wieder auf
WERKE zurückgreifen, die technisch & besetzungsmäßig von uns bewältigt werden können. Hier machen wir also aus der
NOT eine
TUGEND – aber keinesfalls eine
NOTLÖSUNG.“
Am 13.10.1961 ergänzte Intendant Günter L a n g e :„Das Theater besaß damals noch keine richtigen
GARDEROBEN, der ehemalige
FAHRRADSTAND DER SCHULE war als
UMKLEIDERAUM notdürftig hergerichtet. Eine
ENSEMBLEBILDUNG auf längere Sicht war damals noch kaum möglich, denn es wurden nur 10-Monats-Verträge abgeschlossen. Nur
94 MITGLIEDER gehörten damals dem
THEATER an und das
ORCHESTER bestand aus
18 MUSIKERN.
Unser
PUBLIKUM stellte bald erhöhte
QUALITÄTSANSPRÜCHE. Zunächst wurden die
OPERNAUFFÜHRUNGEN eingestellt, da ein Spielbetrieb mit einem
ORCHESTER von
18 und einem
CHOR von nur
4 Mitgliedern nicht zu verantworten war. Damit wurden längere
PROBENZEITEN ERMÖGLICHT und der
AUSSTATTUNG konnte mehr Zeit gewidmet werden.
Viele SCHAUSPIELER des Theaters sind bei FILM & FERNSEHEN beschäftigt. Auch das ist ein BEWEIS für die GUTE KÜNSTLERISCHE ARBEIT, die am Senftenberger Theater geleistet wurde und wird.“
Wie schwer es allerdings ist, ein richtiger SCHAUSPIELER ZU WERDEN, beschrieb sehr humorvoll der Schriftsteller, Drehbuchautor, Schauspieler & Kabarettist PETER ENSIKAT in seinem Buch >Meine ganzen Halbwahrheiten<:„Ich schwankte lange zwischen verschiedenen BERUFEN, bis meine Mutter schließlich in der >Lausitzer Rundschau< einen Artikel über das THEATER DER BERGARBEITER in SENFTENBERG fand. Da war zu lesen, dass man dort die EIGNUNGSPRÜFUNG für die Theaterhochschule Leipzig ablegen könnte. Von Finsterwalde (meinem Heimatort) nach Senftenberg war es nicht weit, und SCHAUSPIELER, meinte meine Mutter, das wäre doch was für mich ewigen „Faxenmacher“. THEATER lockte mich schon. Wir gingen ja in alle Vorstellungen der THEATER aus Senftenberg & Cottbus, wenn sie in Finsterwalde gastierten. Und das LEBEN EINES SCHAUSPIELERS stellte ich mir ziemlich paradiesisch vor, auf jeden Fall eines mit VIEL FREIZEIT. Das Schönste am Schauspielerdasein schien mir, dass man AUSSCHLAFEN konnte und somit jeder Tag ein SONNTAG ist…
Das VORSPRECHEN war allerdings auf einen SONNTAGVORMITTAG gelegt – 10 Uhr im >Theater der Bergarbeiter< Senftenberg. Ich mußte also den FRÜHZUG um 6 Uhr nehmen. Mit dem AUSSCHLAFEN war es also noch nichts zu Beginn meiner SCHAUSPIELERKARRIERE…
Als ich vor dem THEATER ankam – das war gar KEIN RICHTIGES Theater, sondern nur EINE UMGEBAUTE SCHULE – wollte ich wieder umkehren. Nie kam mir meine Situation so aussichtlos vor wie hier vor dem BÜHNEINGANG. Ich hatte viel zu viel GUTES THEATER gesehen, um glauben zu können, bei mir reiche es zum SCHAUSPIELER. Helene Weigel, Ernst Busch, Inge Keller, Fred Düren in BERLIN; aber auch hier in SENFTENBERG gab es GUTE SCHAUSPIELER, mit denen ich mich nie würde messen können…
Bevor ich kehrtmachen konnte, sprach mich ein freundlicher, noch junger Mann an: „Sind Sie unser KANDIDAT heute ? ich bin der OBERSPIELLEITER. Horst S c h ön e m a n n heiße ich.“ Mir rutschte das Herz noch tiefer, als es ohnehin schon saß. Der Mann war vom DEUTSCHEN THEATER aus BERLIN nach SENFTENBERG gegangen. FREIWILLIG war er zu uns in die PROVINZ gekommen und machte hier, für diese ZEIT und diese GEGEND unglaublich MODERNES THEATER.
Ich hatte alle seine INSZENIERUNGEN gesehen und fast so bewundert wie die Aufführungen im BERLINER ENSEMBLE. Dann traf ich den INTENDANTEN, einen älteren, etwas müde wirkenden Mann, der ständig eine KAFFEETASSE in der Hand hielt und mehr wie ein FUNKTIONÄR aussah als einer vom THEATER. Eine unscheinbare DRAMATURGIN drückte mir die Hand und sagte: „Sie Armer, Sie zittern ja richtig.“ und der INTENDANT machte einen WITZ: „Stellen Sie sich einfach vor, wir stünden hier alle in UNTERHOSEN vor Ihnen. Gehen Sie am besten erst mal in die GARDEROBE, um sich zu konzentrieren. WIR RUFEN SIE DANN.“ Als ich endlich nach der längsten Viertelstunde meines bisherigen Lebens auf die BÜHNE gerufen wurde, saßen ALLE unten im dunklen ZUSCHAUERRAUM, unendlich weit weg von mir…
Als ich entlassen wurde, nahm die DRAMATURGIN meine Hand in ihre beiden Hände und sagte freundlich: „Na, sehen Sie, es war doch gar nicht so schlimm.“
Ich weiß nicht mehr, wie ich von SENFTENBERG nach Hause kam. ICH WAR AUF WOLKE SIEBEN…
Die erste PROBE mit Schönemann in SENFTENBERG riss mich allerdings aus allen BLÜTENTRÄUMEN: Er behauptete immer wieder, dass ich gar nicht wüsste, was ich da auf der BÜHNE spreche. Ich sollte das was ich aufsage, erst mal denken. Damit hatte mir Schönemann zunächst die FREUDE an diesem BERUF genommen.
Ich lernte sehr LANGSAM & QUALVOLL, dass die WUNDERBARE SCHAUSPIELEREI eine einzige SCHINDEREI sein konnte…