Eine EINGEMEINDUNG ist das VERSCHMELZEN von zwei oder mehr GEMEINDEN, wobei meist eine der ursprünglichen GEMEINDEN größer als die anderen ist, während man bei gleich großen GEMEINDEN eher von ZUSAMMENLEGUNG spricht.
In SENFTENBERG rollte die erste >Eingemeindungswelle< in den Jahren 1919-1923 heran.
Sie hatte dabei die Vororte JÜTTENDORF & THAMM im Visier und wurde von Aktionsgegnern gern als >EINVERLEIBUNG< abgetan.
Die Befürworter behaupteten, dass eine solche EINGEMEINDUNG notwendig und erwünscht sei, „wenn sich eine GEMEINDE als nicht leistungsfähig erweist, um Anlagen und Einrichtungen zu schaffen, die im Interesse der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung unentbehrlich sind.“
Wie hart sich teilweise die beiden „Lager“ gegenüberstanden, möchte ich mit einem, auf Recherche im >Senftenberger Anzeiger< basierenden, chronologischen
demonstrieren und beginne mit einem ausführlichen ZEITUNGSBERICHT vom 28. November 1919:
„Wer am Mittwoch,
26.November, in der
JÜTTENDORFER GEMEINDEVERTRETERSITZUNG in die Debatten über den Punkt der Tagesordnung
>EINGEMEINDUNG MIT SENFTENBERG< gehört hätte, glaubt wohl nicht, in der jetzigen demokratischen Zeit zu leben, sondern in die Zeit des Mittelalters versetzt zu sein.
Schon seit 10 Jahren ist diese überaus wichtige Frage des Öfteren beraten worden,
und von den früheren Gemeindevertretern von
THAMM & JÜTTENDORF nicht als eine Frage des Fortschritts und vom sozialen Standpunkte aus beurteilt, sondern die
EINVERLEIBUNG wurde jedes Mal aus reinen persönlichen und egoistischen Gründen abgelehnt.
In dieser guten alten Zeit, wo einige Dutzend Bauern durch ihre Gemeindevertreter die Meinung der Arbeiterschaft unterdrückte, war dieses auch noch möglich. Wer aber nun glaubt, daß sich die Zeiten geändert hätten, der ist sehr stark im Irrtum, obwohl man in
THAMM einstimmig dem
EINVERLEIBUNGSVERTRAGE zustimmte, also auch die bürgerlichen Vertreter einschl. des Gemeindevorstehers, war die Weisheit der hiesigen Vertreter höher und lehnte die
EINGEMEINDUNG mit 7 gegen 6 Stimmen ab; und nun höre man mit Erstaunen die
BEGRÜNDUNG des bürgerlichen Vertreters:
Weil
SENFTENBERG im Kriege seine Pflicht für das Vaterland erfüllte und
KRIEGSANLEIHE zeichnete und
JÜTTENDORF ‚schlauerweise‘ nicht, ist es nach seiner Meinung unverantwortlich, wenn man den Bewohnern
JÜTTENDORFS diese Last mit aufbürdet, d.h. diese für die Sicherheit des Geldes mit verantwortlich macht.
Ein weiterer Anstoß ist, daß man in
SENFTENBERG z.Zt. 25%, später 50%
STEUERN mehr bezahlt als wir. Ja, verehrter Herr Redner, sehen Sie sich bitte mal um nach demjenigen, der die meisten
STEUERN bezahlt, zumindest sind es nicht diejenigen, für die sie sich in der Sitzung so kräftig ins Zeug legten.
Die
ARBEITERSCHAFT und kleinen
HAUSBESITZER sind es und für diese hatte bis jetzt die
GEMEINDE sehr wenig übrig, ja man war ja seinerzeit so kleinlich, die Mittel zur Beteiligung an den
NÄHARBEITEN im Stadtkeller abzulehnen, wo eine
VERDIENSTMÖGLICHKEIT der Kriegerfrauen vorlag.
Wenn in
JÜTTENDORF etwas für soziale Zwecke und nur der zehnte Teil an Straßenpflasterungen und Bau von Arbeiterwohnungen wie in
SENFTENBERG verausgabt werden, sind nicht nur 280, sondern 350%
STEUERN zu entrichten, es dürfte ja auch mal bald an der Zeit sein, daß nicht nur die
ARBEITERSCHAFT die STEUERN aufbringt und denjenigen, die als
DRÜCKEBERGER bekannt sind, auf das Dach gestiegen wird und es den
HERRSCHAFTEN klar gemacht wird, daß nicht nur die
STRASSE gepflastert und beleuchtet bleibt, wo
SIE sich angesiedelt haben, sondern daß auch dort, wo die
ARBEITERSCHAFT wohnt, in der Schul~, Wehr~, Rosenstraße usw., die
ENTENTÜMPEL verschwinden und niemand im Finstern herumstolpern braucht, also wir
ARBEITER und kleineren
HAUSBESITZER zahlen schon unsere
STEUERN, und bei Andern sieht es faul aus.
Da klingt es uns fast märchenhaft, wenn gesagt wird, daß sich
SENFTENBERG auf Kosten der Steuerkraft von
JÜTTENDORF bereichern will, und um noch zu der herrlichen
SELBSTVERWALTUNG zu kommen, die so viel gepriesen wurde, wo man schließlich später in
SENFTENBERG als Nummer gelten soll;
wie war es denn hier mal bestellt ?
Ich habe
BRIEFE von
KRIEGERFRAUEN im Felde gelesen, die ihr Leid in denselben über die Behandlung klagten,
dort galten sie nur als 1/2 Nummer. Denen, die Ansprüche stellten, ist gesagt worden, daß sie arbeiten sollen…
Von sozialdemokratischer Seite trat der Vertreter K r i m m gegen diese Ansicht auf und führte alle Gründe, die für die
EINVERLEIBUNG sprechen, ins Feld:
Zusammenfassung aller finanziellen und wirtschaftlichen Kräfte zum Machtfaktor, selbständiges Beziehen von Lebensmitteln direkt von der gemeinnützigen Einkaufsgesellschaft, Errichtung eines Gewerbegerichts und von Arbeiterwohnungen, Anschluß an die gut ausgebaute Senftenberger Ortskrankenkasse, sowie alle sozialen Forderungen, die in unserem
KOMMUNALPROGRAMM enthalten sind. Alle diese Ausführungen waren wie in den Wind geredet und das ganze Werk und die viele Arbeit bezüglich der
EINGEMEINDUNG sind in Scherben geschlagen.
Die
MINDERHEIT: Richard Krimm, Christian Zinke, Otto Seidel, Karl Kallweith, Otto Brunsch, Oskar Hoffmann
überlassen es nun ihrer
WÄHLERSCHAFT, darüber zu urteilen, ob wir unsere
PFLICHT getan haben oder nicht…“
In der SENFTENBERGER STADTVERORDNETEN-SITZUNG am 8. Dezember 1919 wurde zu Punkt 2 der Tagesordnung folgendes protokolliert:
„Während die Gemeinde
THAMM dem
EINGEMEINDUNGSVERTRAGSENTWURF mit Senftenberg
ohne Vorbehalt zustimmt, hat die Gemeinde
JÜTTENDORF mit 7 gegen 6 Stimmen die
ABLEHNUNG DER EINGEMEINDUNG beschlossen. Die in dieser Angelegenheit tätige Kommission hatte sich grundsätzlich auf den Standpunkt gestellt, auf eine
EINGEMEINDUNG THAMMS ohne
JÜTTENDORF zu verzichten. Herr Stv Jurisch empfiehlt, zunächst noch einmal auf eine gütliche Einigung mit
JÜTTENDORF hinzuwirken
und nicht auf eine
ZWANGSWEISE EINGEMEINDUNG zu dringen.
Herr Bürgermeister Seedorf rät, den einmal eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen, die
EINGEMEINDUNG JÜTTENDORFS mit allen Mitteln zu erstreben.
Herr StV Nehring stellt einen Antrag auf Vertagung, bis die Lage in
JÜTTENDORF geklärt sei. Herr Stv Schulz beantragt, die sofortige
EINGEMEINDUNG THAMMS zum Beschluß zu erheben und Schritte zur
ZWANGSEINGEMEINDUNG JÜTTENDORFS zu unternehmen.
Der Antrag Nehring wird abgelehnt, der Antrag Schulz in namentlicher Abstimmung angenommen.“
Die JÜTTENDORFER gingen am 16. Dezember 1919 mit Kleinkram in die Offensive und verloren: „Die Gemeinde
JÜTTENDORF hat wegen zu hoher Inanspruchnahme zu den Polizeikosten beim Provinzialrat
BESCHWERDE erhoben.
Diese wurde als unbegründet zurückgewiesen.“
Am 10. Januar 1920 wurde die ABLEHNUNG der Beschwerde noch einmal verwaltungstechnisch begründet:„Zum
AMTSBEZIRK >SENFTENBERG LAND & GEMEINDE BRIESKE< gehören die Gemeinden Brieske mit Grube Marga, Buchwalde, Hörlitz, Jüttendorf, Rauno, Reppist, Sauo und Thamm. Die Gemeinden
JÜTTENDORF & THAMM unterstehen in polizeilicher Beziehung der Polizeiverwaltung in Senftenberg.“
Für den 17. Februar 1920 riefen die Befürworter unter Führung des Gemeinderatsmitgliedes K r i m m zu einer EINWOHNERVERSAMMLUNG auf, die eine endgültige ENTSCHEIDUNG bringen sollte.
Scheinbar war man mit dem Ergebnis unzufrieden, sodass man sich entschied,
das Thema erneut in der GEMEINDEVERTRETERSITZUNG zur Sprache zu bringen:
„In der letzten Gemeindevertreter-Sitzung in
JÜTTENDORF wurde zum wiederholten Male die
EINGEMEINDUNGSFRAGE behandelt und die
EINGEMEINDUNG mit Senftenberg mit 7 gegen 6 sozialdemokratische Stimmen abgelehnt, obwohl in der Gemeinde
THAMM einstimmig zugestimmt wurde. Wir in der Minderheit gebliebenen Vertreter sind nun der Ansicht, daß in einer so wichtigen Sache auch mal die Einwohner von
JÜTTENDORF gehört werden müssen und laden hiermit alle Einwohner zu der am Freitag, 5. d. M., im Damhirsch in Jüttendorf stattfindenden
VERSAMMLUNG ein, besonders wäre es uns sehr erwünscht, wenn die Herren Hausbesitzer, Geschäftsleute und die Arbeiterschaft vollzählig erscheinen würden, gilt es doch, über unsere fernere Zukunft zu reden.
Die Herrn bürgerlichen Vertreter sowie der Herr Ortsvorsteher sind persönlich geladen. Also am Freitag alles in die
VERSAMMLUNG !“
Diese VERSAMMLUNG brachte, wie man am 6. März 1920 lesen konnte, nichts ein:„Im Saale des >Damhirsch< war am Freitag eine
GEMEINDEVERSAMMLUNG für Jüttendorf einberufen worden, welche Stellung nehmen sollte zu der
EINGEMEINDUNG mit Senftenberg, die bekanntlich in der Gemeindevertretung mit 7 gegen 6 Stimmen abgelehnt worden war.
Der Gemeindevertreter K r i m m legte in längerer Rede die Vorteile dar, die die Arbeiter durch die sozialen Einrichtungen, die die Stadt Senftenberg biete,
haben würden. An der Diskussion beteiligten sich eine Anzahl Redner, die zumeist auf das politische Gebiet kamen.
Am Schlusse beteiligte sich an der Abstimmung für die vorgetragene Resolution ein kleinerer Teil der Anwesenden.“
Bei einer am 5. Juli 1920 im During’schen Vereinszimmer in der Schloßstraße stattfindenden außerordentlichen SITZUNG des Magistrats feierte man die problemlos durchgezogene EINGEMEINDUNG von THAMM sowie das vorläufige „Untertauchen“ von JÜTTENDORF:„Die zum ersten Male mitratenden 9 Vertreter des neuen Stadtteils
THAMM waren vollzählig zur Stelle. Der
ERLASS über die Eingemeindung wurde zur Kenntnis genommen. Die Einwohnerzahl der vereinigten Gemeinden beträgt gegenwärtig 14132, wovon etwa 4000 auf
THAMM entfallen.
Magistrat schlägt die Wahl von besoldeten Stadträten vor, Stadtv. Rechtsanwalt Schulz erklärt dazu, daß seine Fraktion zurzeit davon absehen müsse,
da erst die Eingemeindung
JÜTTENDORFS abgewartet werden solle…“
Am 20. Juli 1920 dann ein „Paukenschlag“, der die JÜTTENDORFER wieder mobil machte:
„Die
GEMEINDEVERTRETER VON JÜTTENDORF haben sich veranlaßt gesehen, einen Dringlichkeitsantrag auf
AMTSENTHEBUNG ihres Gemeindevorstehers beim Kreisausschuß Calau einzubringen und haben ihn vorläufig vom Amte suspendiert. Herr Janisch, der ein Einkommen von nur 3500 Mark haben soll, betrieb nebenbei einen schwunghaften Handel und soll hierbei aber seine Amtspflichten verletzt haben, indem er in der Eigenschaft als GVorst. Ware aufgekauft und diese für eigene Rechnung wieder verkauft hat. So ging nun u.a. in vergangener Woche auf Rechnung und Gefahr der Gemeinde Jüttendorf ein Waggon mit 100 Zentner Margarine ein. Die Gemeinde hatte davon keine Kenntnis. Als die Kreisfettstelle Calau die Beschlagnahme anordnete, war diese längst anderweitig verkauft und nicht weniger denn 15000 Mark verdient worden sein.“
Da man sich in JÜTTENDORF nun mit dorfeigenen Problemen herumschlagen musste, geriet die EINGEMEINDUNGSFRAGE erst einmal in den Hintergrund…und zog sich über ZWEI JAHRE hin, bis die STADTVERORDNETEN von Senftenberg in ihrer am 27. Februar 1922, abends 7 Uhr im Zeichensaal der Volksschule I durchgeführten SITZUNG „Nägel mit Köpfen“ machten und im Punkt 12 der Tagesordnung einen DRINGLICHKEITSANTRAG stellten, und zwar für:
„Die Stellung eines
RECHTSANWALTS für das weitere Verwaltungsverfahren beim Provinzialrat in der
EINGEMEINDUNGSSACHE JÜTTENDORF und Bewilligung der Kosten von etwa 10000 Mark.“
Die VORLAGE wurde angenommen, nachdem man anführte,
„…daß eine mit
EINGEMEINDUNGSFRAGEN vertraute juristische Person in dauernder Fühlung mit dem Provinzialrat bleiben und durch häufige Rücksprache mit den beteiligten Verwaltungsbeamten die
EINGEMEINDUNGSANGELEGENHEIT zum schnellen
ABSCHLUSS bringen solle.“
Es dauerte fast ein Jahr, bis die in zwei Lager zerfallene DORFBEVÖLKERUNG am 2. Dezember 1922 aus dem „Tiefschlaf“ aufgeschreckt wurde: „Die
ZWANGSEINGEMEINDUNG VON JÜTTTENDORF zur Stadtgemeinde Senftenberg ist in einer Sitzung des Provinzialrates am 29. November beschlossen worden. Von hier und Jüttendorf waren Vertreter zur Sitzung hinzugezogen. Der Beschluß bedarf noch der Bestätigung der höheren Instanzen und die
EINGEMEINDUNG selbst wird dann wohl spätestens am 1. April 1923 vor sich gehen.“
Am 7. Dezember fand, , in der LETZTMALS JÜTTENDORFER Gaststätte >ZUM DAMHIRSCH< eine Kulturveranstaltung statt,
deren MOTTO, bewusst oder rein zufällig, so recht zum sprichwörtlichen „Todesstoß“ passte:
Auf der STADTVERORDNETEN-SITZUNG am 12. Februar 1923 war dann alles in „trockenen Tüchern“:
„Als Punkt 1 der Tagesordnung stand die
EINGEMEINDUNG VON JÜTTENDORF auf der Tagesordnung. Die Versammlung nahm Kenntnis von der erfolgten Genehmigung des Preußischen Staatsministeriums, nach welcher die Gemeinde
JÜTTENDORF mit Wirkung vom 1. Februar 1923 der Stadt Senftenberg einverleibt wird. Hierbei wurden einige Anfragen über die Bedingungen, unter denen die
EINGEMEINDUNG erfolgt ist, vom Magistrat dahin beantwortet, daß eine
ZWANGSEINGEMEINDUNG vorliegt, die jede Bedingung ausschließt, mit Ausnahme der Uebernahme der lebenslänglich angestellten Beamten.“
Nach diesem, meinem bislang LÄNGSTEN KOMMENTAR haben wir wieder mal etwas Licht ins Dunkel unserer STADTGESCHICHTE gebracht.
Als FAZIT NACH 100 JAHREN bleibt schließlich: ...WAS MUSS, DAS MUSS...