Schon unter
NEUES 267 hatte ich mich im
KOMMENTAR über
>DOMASCHKE’s MUSENTEMPEL< ausgelassen, der sich in der
AUSSTATTUNG nicht wesentlich von gleichgearteten
RESTAURANTS unterschied:
„Diese RESTAURATIONEN sind mit vornehmer ELEGANZ und zeitgemäßem COMFORT eingerichtet. Die SPEISEN werden hier in schmackhafter Zubereitung serviert. Natürlich fehlen auch nicht die besten GETRÄNKE, sowohl Wein als auch Biere. Jedes GASTHAUS scheint ein behaglicher Ort zu sein, wo die GEMÜTHLICHKEIT zu Hause ist. Die große Zahl seiner STAMMGÄSTE ist der beste Beweis für die solide Führung des Locals. Die BEDIENUNG ist eine prompte und wohlgeschulte, und was die PREISE betrifft, läßt sich ebenfalls nur Gutes sagen.“CARL DOMASCHKE & FRAU hatten wohl den „großen Sprung auf die
KLEINKUNSTBÜHNE“ für 1910 ins Visier genommen. Allerdings tat sich im >Senftenberger Anzeiger< nach der
NEUJAHRSGRATULATION im Januar und nachfolgendem
BOCKBIERFEST im Februar bis zum Jahresende veranstaltungsmäßig nichts mehr. Grund dafür waren
UMBAUMASSNAHMEN, die im Dezember in einer
EINWEIHUNGSFEIER in
„neuerbauten & renovierten LOKALITÄTEN“ mündeten, bei der sich ein Künstlerehepaar unter dem Pseudonym
„KANONE VON BERLIN“ bei den Senftenbergern beliebt machte und in der Folgezeit regelmäßig auftrat – vergleichbar mit der
„KAPELLE OBERLAND“ am Seeblick zu DDR-Zeiten…
Die zu allen Zeiten als
>FAHRENDE MUSIKANTEN< bezeichneten
KÜNSTLER zogen einst von Burg zu Burg, traten später bei Autohaus-Einweihungen auf & sind bis heute auf
JAHRMÄRKTEN oder bei diversen
VOLKSFESTEN zugange.
Um die Jahrhundertwende begann der sich mit seuchenartiger Geschwindigkeit ausbreitende
MUSENTEMPEL – KULT, den der Volkswitz den seltsamen Namen
>TINGELTANGEL< verpasste. Er wurde bald zu einer bedrohlichen Konkurrenz für die auf sittlicher Basis stehenden
THEATERBÜHNEN, indem sie an Stelle der lauteren
HEITERKEIT und ernsten
ANREGUNG jenen
„SINNENKITZEL“ von Frivolität & Liederlichkeit setzte, dem die „große Masse“ leider nur allzu zugänglich war – und noch heute ist.
DIE KÜNSTLERSCHAR DES TINGELTANGEL untergliederte sich einstmals wie folgt:
(1) WEIBLICHES PERSONALHier präsentierte sich zunächst die „SCHLEPPSÄNGERIN“, deren kurioser Name sich von ihrer KLEIDUNG, einem CONCERTO-COSTÜM mit langer SCHLEPPE, ableitete, in welchem sie die meist schon „herbstliche Reife ihrer Schönheit“ bestmöglich zur Schau stellte. Nicht selten war es eine SÄNGERIN, die wegen zu kurzen Atems oder Gedächtnisses der Theaterbühne Adieu sagen musste.
Sie eröffnete zumeist das Programm und hatte die undankbare Aufgabe, das überaus ungenierte PUBLIKUM durch den Vortrag irgendeiner allbekannten ARIE in delikatester Weise darauf aufmerksam zu machen, dass man in diesem luxuriös ausgestatteten SAALE nicht ausschließlich des BIERES wegen versammelt sei.
Ähnlich bewegte sich in den Grenzen eines auch nicht immer genussreichen Konzerts die „SALONJODLERIN“, eine echte oder imitierte Tirolerin, die im Kostüme ihrer Heimat erschien und neue LIEDER mit bekanntem Jodler-Refrain zum Besten gab. Die dritte im Bunde war die „SOUBRETTE“. Sie sang oft im zwanglosesten, kurzröckigen KOSTÜM nicht nur COUPLETS vom ältesten Datum, sondern bisweilen auch allerlei PIKANTES in recht schlüpfrigen TEXTEN, die aber im tabaksqualmigen & geräuschvollen SALON nur dank unzweideutiger GESTEN und frivoler MIMIK verstanden wurden.
Für den Schlange stehenden Nachwuchs genügten 2 Monate Gesangsunterricht, 2 hübsche Kostüme, und – die CHANSONETTE war fertig. In der Regel reichten 2 Lieder pro Abend und je kürzer dabei das RÖCKCHEN, desto höher die GAGE ! Eine SÄNGERIN, die wegen absoluten Talentmangels auch bei kleineren Bühnen kaum ein Engagement erhalten hätte, bezog als CHANSONETTE eine Monatsgage von 300 Mark und darüber, wenn sie nur über die „äußeren Requisiten“ verfügte…
(2) MÄNNLICHES PERSONALHier sei zuerst der „LIEDERSÄNGER“ erwähnt, meist ein haarbuschiger Geselle mit mächtiger Brüllstimme, der zu faul war, um der anstrengenden Berufspflicht im Theater gerecht zu werden. Außerdem bezog er ja im >TINGELTANGEL< dreimal so viel GAGE. Dasselbe LOCKMITTEL hatte auch manchen „KOMIKER“ der Bühne untreu werden lassen.
Wer aus Faulheit auf der Kleinkunstbühne Unterschlupf suchte, sang COUPLETS & fabrizierte PANTOMIMEN, die oft die Grenzen des Erlaubten überschritten.
In den kleinsten Tingeltangel-Localen fristeten die sogenannten „KELLERKOMIKER“ ihr Dasein. Sie suchten sich irgendeinen verrückten, massentauglichen REFRAIN und dichteten verschrobene Dinge hinzu – wie heute am „Ballermann“. Wenn er das Ganze dann mit komischen GRIMASSEN unterstützte, konnte er sich seines LACHERFOLGS sicher sein. Weit nobler waren der „TANZKOMIKER“, meist ein ausrangierter Ballett-Tänzer, sowie der „MUSIKALCLOWN“, der oft eine respektable Virtuosität auf den verschiedenartigsten INSTRUMENTEN, inclusive Kamm & Stiefelknecht, an den Tag legte.
Zum „TROSS“ gehörten gelegentlich auch noch JONGLEURE mit Messingkugeln, Flaschen, Eiern, Teller, und wer es bis zur höchsten Stufe bringen wollte, haarscharfen Messern & brennenden Fackeln, die sie mit erstaunlicher Geschicklichkeit von einer Hand in die andere warfen, indes der Körper alle erdenklichen Stellungen annahm, um die Schwierigkeit zu erhöhen.
Gelegentlich produziert ein EQUILIBRIST (Künstler des Gleichgewichts) seine BALANCEKÜNSTE auf rollender KUGEL oder DRAHTSEIL, als krönenden Abschluss mit GESICHTSMASKE.
Alle diese VORTRÄGE (durch ein PIANO begleitet) wurden von dem überfüllten Hause mit jubelndem BEIFALL aufgenommen & mehrmaligen DACAPO – RUFEN belohnt.
Meist waren / sind es JUNGE LEUTE, deren Geschmack & Scham vom Alkohol abgestumpft sind, die in drastischer Weise durch Grinsen, Brüllen & Wiehern ihr WOHLGEFÜHL an hirnlosen ZOTEN ausdrücken. Zeitgenossen kommentierten es so: „Die deutsche SITTLICHKEIT tappte bäuerisch mitten in die Pfütze hinein, und je höher es spritzt, umso besser…“
Um den „VERDERBLICHEN EINFLUSS DES TINGELTANGELS & vieler anrüchiger TANZLUSTBARKEITEN auf die Gesittung des Volkes, insbesondere der JUNGEN MÄNNERWELT zu unterdrücken“ wurden schon um 1880 scharfe POLIZEIVERORDNUNGEN erlassen:
Das
>ÄLTESTE SENFTENBERGER KONZERTHAUS< warb bekanntlich nicht nur durchgehend für
„KAFFEE & PLINZE oder PFANNKUCHEN“,
sondern auch zielgerichtet für
„erstklassige KÜNSTLER / junge hübsche DAMEN / brillante SÄNGER / urkomische SPIELDUETTE / gediegene HUMORISTEN und deren POMPÖSE KOSTÜME sowie vorzüglichen DARBIETUNGEN & abwechselnden NEUHEITEN, die mit rauschendem APPLAUS belohnt wurden."Interessanterweise wurden die im >Senftenberger Anzeiger< veröffentlichten INSERATE in zusätzlich werbewirksamen KOMMENTARTEXTEN ausführlich erläutert. Außerdem legte man großen Wert auf die Feststellung:
>NUR ATTRAKTIONEN – KEIN TINGELTANGEL !<VORTEIL für die SENFTENBERGER BÜRGERSCHAFT war die GROSSE AUSWAHL an LOKALEN & RESTAURATIONEN, die einst mehr oder minder künstlerisch wertvolle UNTERHALTUNGSKUNST anboten, die heutzutage IN ALLEN SPARTEN leider nur noch eine einzige >NEUE BÜHNE< bewältigen muss… Als MUSIKER schließe ich selbstredend MUSIKALISCH:
Was ist der UNTERSCHIED zwischen einem PIANO & dem PIANINO, welches in
DOMASCHKE’S RESTAURANT sogar elektrisch betrieben wurde?
Die heutigen
HAUPTFORMEN des Klaviers sind der
FLÜGEL, englisch GRAND PIANO, und das
PIANINO, ein aufrechtes Klavier.
Letzteres wird heute fast immer nur noch als
KLAVIER bezeichnet.