Neues 313 - 2018-02-11

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Matthias
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Neues 313 - 2018-02-11

Beitragvon Matthias » Sa 10. Feb 2018, 09:20

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Harald
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Re: Neues 313 - 2018-02-11

Beitragvon Harald » Sa 10. Feb 2018, 16:42

schafhirte.jpg
„Es tönen die Lieder, der Frühling kehrt wieder,
es spielet der Hirte auf seiner SCHALMEI…“

Wer kennt es nicht, dieses altbekannte und beliebte, als KANON für drei Stimmen angelegte
FRÜHLINGSLIED eines unbekannten Komponisten aus dem 19. Jahrhundert.
Uns interessiert heute allerdings vordergründig die im Text erwähnte

SCHALMEI


SCHALMEIEN sind die Vorfahren einer großen und berühmten Instrumentenfamilie,
zu der auch die Oboe, das Fagott, die Klarinette und das Saxophon gehören – nämlich ROHRBLATTINSTRUMENTE.
SCHALMEIEN sind gewissermaßen die einfachen Verwandten vom Lande, da sie zumeist von Schafhirten gespielt wurden.
Darüber hinaus wurden aber auch alle Feste und Feiern, religiöse und profane, von SCHALMEIEN begleitet. Ihr magischer Klang diente Priestern und Heilern, Heerführern, Liebesboten und Totenklägern.
SCHALMEIEN sangen von Liebe und Leid, von Macht und Sieg, von Verfolgung und Einsamkeit bis hin zur freudigen Geselligkeit.

Schalmeien.jpg

Natürlich unterscheidet sich die aus einem Rohr bestehende MITTELALTERLICHE SCHALMEI erheblich von der MODERNEN SCHALMEI
mit bis zu 16 Schalltrichtern.
Kennzeichnend für beide ist allerdings der trichterförmige Korpus, dem ein aus zwei Membranen zusammengesetztes Rohrblatt aufgesteckt wird.
Das Vibrieren der Membrane erzeugt beim Spielen den typischen
LAUTEN QUÄKENDEN TON, deren Wirkung auf die Zuhörer ein mittelalterlicher Zeitzeuge wie folgt beschreibt:

„Es erschien eine Gruppe von Dorfmusikanten, die mit Flöten und SCHALMEIEN ein ABSCHEULICHES KATZENKONZERT bliesen.
Als sie die Ohren eine Weile gefoltert hatten, stellten sich endlich einige Landmädchen in verschiedenen Reihen auf, um ihren Tanz zu beginnen…“

Ihr KLANG wird aber unterschiedlich beurteilt.
Die einen behaupten, dass kein Instrument der menschlichen Stimme so ähnlich sei und eine solche Macht auf die Gefühle ausübe wie die SCHALMEI.
Andere halten dagegen, dass der Ton stets gleichmäßig STARK sei,
für kleinere Räume aber eher SCHREIEND, weshalb die SCHALMEI im Orchester mit Recht durch die Oboe ersetzt wurde. Im Freien dagegen habe der SCHALMEIENTON eine EIGENTÜMLICHE KLANGFARBE.

Die neuzeitliche SCHALMEI wurde um das Jahr 1900 vom Erfinder des so genannten MARTINSHORN, Max. B. Martin, entwickelt, weshalb sie auch als „MARTINSTROMPETE“ bezeichnet wurde.
Kaiser Wilhelm II. erklärte sie damals zum kaiserlichen Privileg –
sie durfte nur von einem kaiserlichen Fanfarenspieler zu besonderen Anlässen gespielt werden.

RFB Dresden 1927_resize.jpg

Die ersten SCHALMEIENKAPELLEN entstanden ab 1913,
in den 1920er Jahren waren sie überwiegend bei Turnvereinen, Radfahrerclubs u.ä. zu hören und erreichten ihre
BLÜTEZEIT als Musiktruppen des Rotfrontkämpferbundes.
Das waren damals die urtypischen ARBEITERKAPELLEN und deren Musik die KAMPFMUSIK der Antifaschisten.
Wie Hirtenlieder klangen sie allerdings nicht, was auch daran lag, dass die neue Generation der SCHALMEIEN gebündelte Röhren aus Messingblech besaßen, die einen eigentümlich SCHRILLEN & AUFREIZENDEN, zugleich auch KLAGENDEN KLANG besaßen.
Die KPD-Führer propagierten, dass, nur wer einmal mit den Genossen hinter einer SCHALMEIENKAPELLE her marschiert sei und die Internationale gesungen habe, wisse, was Sozialismus bedeutet.
Wenn der Rotfrontkämpferbund einen Aufmarsch veranstaltete, lief die SCHALMEIENKAPELLE weithin hörbar voran, dahinter auf beiden Seiten je ein kräftiger Mann, welche ein breites Spruchband mit einer sozialistischen Losung trugen, gefolgt von einer Kolonne Rotfrontkämpfer in feldgrauen Windjacken, Breecheshosen
und geschnürten Motorradstiefeln, dahinter die kommunistischen Familien mit Frauen und Kindern. Hin und wieder riefen sie im Chor:
„Es lebe die glorreiche Sowjetunion !“ und ähnliche Parolen.
Und das nicht von ungefähr, denn auch in der Sowjetunion gab es viele SCHALMEIENMUSIKZÜGE, die bei zahlreichen Aufmärschen der verschiedenen Organisationen auftraten. Schon deshalb galten SCHALMEIEN bei den Nazis als „jüdisch-bolschewistische Musikinstrumente“.
Kein Wunder also, dass die Nazis sich in übler Weise über die
RFB-SCHALMEIENKAPELLEN ausließen:

„Wenn der RFB die verhasste >Internationale< anstimmt, ist die ganze Bande wie verhext dabei. Und wenn dann noch die SCHALMEIEN mit ihren „ORDINÄREN TRÖTENTÖNEN“ einfallen, gibt es für die Rotfrontkämpfer kein Halten mehr. Wie wild gewordene muselmanische Derwische ziehen die dermaßen Aufgepeitschten in die Schlacht.“

SA & RFB_resize.jpg

Dies führte letztendlich dazu, dass die Nazis 1933 die SCHALMEIEN auf die Verbotsliste setzten, obwohl sich HITLER ansonsten unverhohlen bei den KOMMUNISTEN bediente:
Er stahl ihnen zuerst die ROTE FARBE, indem er sie zur Grundierung der Hakenkreuzfahne und diverser Transparente benutzte, dann vereinnahmte er für seine Anhänger den Druck der STRASSE und bediente sich letztendlich an populären Arbeiterliedern („Auf, auf zum Kampf“ / „Wann wir schreiten Seit an Seit“ / „Brüder, seht die rote Fahne“ u.a.), die umgetextet und somit zu „gefährlichen LIEDERN der Bewegung“ gemacht wurden.
Als besonderer Coup galt in Nazikreisen allerdings, dass der spätere angebliche „Märtyrer“ HORST WESSEL als erster Berliner Sturmführer eine SCHALMEIENKAPELLE zusammengestellt hatte, die von 1929 an bei den Propaganda-Umzügen der SA mitwirkte, obwohl die Parteiführung der NSDAP schon 1927 ihrer Schutztruppe explizit verboten hatte, sich solcher „Rot Front“- Instrumente zu bedienen.
Den Hitlerleuten stand nämlich eher die stramme deutsche Marschmusik zu.
WESSEL wollte allerdings die Kommunisten – zumindest in seinem Aufmarschgebiet – auch auf musikalischem Gebiet mit deren eigenen „Waffen“, konkret ihren Instrumenten, locken, ärgern, aufreizen und wenn möglich schlagen. Aber auch praktische Überlegungen spielte eine nicht unwesentliche Rolle:
SCHALMEIEN waren leicht erlern~ & spielbar, vor allem aber preiswert zu beschaffen.
Was die roten Frontkämpfer begonnen hatten – eine von einem „Fahnenwald“ flankierte SCHALMEIENKAPELLE in den Saal einmarschieren zu lassen – exerzierten die Nazis ebenfalls.
Politische Werbung, provokante Umzüge & gewaltsame Auseinandersetzungen, sowie Einrichtung von SA-Heimen & Sturmlokalen in Arbeitervierteln taten ihr Übriges.

In diesen unruhigen Zeiten der angeblich GOLDENEN ZWANZIGER gab es natürlich auch haarsträubende „Geschichten“:
In Berlin soll dazumal angeblich eine ganze kommunistische SCHALMEIENKAPELLE zu den Nazis übergelaufen sein, welche darauf als Renommierobjekt kurzzeitig auf SA-Veranstaltungen mitmarschierte, dann allerdings eliminiert wurde.
Andere Quellen berichten wiederum, man hätte eine SCHALMEIENKAPELLE des Rotfront-Kämpferbundes in SA- Uniformen gesteckt.
Diese führte mal einen Fackelzug an und intonierte „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit".
Dazu wurde der Text gesungen:
„Einst waren wir Kommunisten, Stahlhelm und SPD, jetzt Nationalsozialisten, Kämpfer der NSDAP."

Nur ein GERÜCHT (neudeutsch FAKE) ? Wir werden es nicht mehr ergründen !

Nach dem 2. Weltkrieg wurde die SCHALMEI in der früheren DDR bereits in den 1950er Jahren „wieder entdeckt“.
Daher gibt es in den neuen Bundesländern auch eine lange Tradition der SCHALMEIENMUSIK.
Das in unserer Region seit 1952 bestehende

Tettau.jpg

ist ein schlagender Beweis dafür… ;)


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