Ich vermute, dass sich ein gewisser
HERMANN am 7. Mai 1902 im für die damalige Zeit durchaus imposanten
EMPFANGSGEBÄUDE des Senftenberger Bahnhofs, eventuell sogar in der auf der Postkarte abgebildeten
BAHNHOFSWIRTSCHAFT aufhielt, als er diese Zeilen schrieb:
„Liebe Minna ! Heute waren wir hier zum Markte. Treffe heute Abend wieder in Hettstedt an, da ich nicht kann hier bleiben, da hier kein Platz für mich ist. Morgen mehr. Besten Gruß v. Hermann“
Das erste
EMPFANGSGEBÄUDE für den
BAHNHOF SENFTENBERG entstand 1869/70, als die Verbindung von
COTTBUS über Senftenberg und Großenhain nach
DRESDEN eröffnet wurde. Im Jahre 1874 wurde dann die zweite Strecke
LÜBBENAU – KAMENZ durch die Berlin-Görlitzer Eisenbahn-Gesellschaft eröffnet. Sie baute hierfür ein zweites Bahnhofsgebäude. Im Jahre 1906 ging dann mit ziemlicher Verspätung auch noch die Strecke
SENFTENBERG – ZSCHIPKAU in Betrieb, wo Anschluss nach
FINSTERWALDE bestand.
Nach
INBETRIEBNAHME DER ERSTEN EISENBAHNLINIEN waren alle
ZEITUNGEN voll des Lobes:
„Auf allen STATIONEN war die Bevölkerung in Masse herbeigeströmt, um den BAHNZUG enthusiastisch zu begrüßen und ein großer Theil, welcher bis jetzt abseits vom Weltverkehr gelegen hatte, betrachtet die neue EISENSTRASSE als eine Erlösung.
Die WAGEN erfüllen bereits die vom Reichseisenbahnamt aufgestellte Bestimmung, daß die einzelnen KLASSEN sich schon von Außen durch ihren ANSTRICH unterscheiden. Das Innere der Wagen ist geschmackvoll und practisch; eine Signalvorrichtung, welche dem Reisenden die Verbindung mit dem Schaffner ermöglicht, fehlt jedoch noch. Für die Solidität des BAHNBAUS scheint der geringe Grad von Erschütterung zu bürgen, welche man bei der Fahrt empfindet. Die BAHNHÖFE tragen zwar noch einen provisorischen Charakter, sind aber so angelegt, daß das Bedürfniß definitiver BAHNHOFSPALÄSTE auf lange Zeit wird hinausgeschoben werden können…“Apropos
ZEITUNGEN: Bedauerlicherweise standen uns als älteste Quellen nur die beiden ersten, noch recht mageren
>ELSTERCHRONIK< - Jahrgänge von 1875/76 für die Recherche zur Verfügung, in denen allerdings
„SENFTENBERG Hbf." nur in den veröffentlichten
FAHRPLÄNEN auftaucht:
Dennoch möchte ich heute die interessantesten
BEITRÄGE vorstellen zum
THEMA:
EINFÜHRUNG DER EISENBAHN IN UNSERER REGION
Dass sich die anfängliche
BEGEISTERUNG sehr bald in großes
ANGSTGEFÜHL verwandelte, war mitnichten auch dieser 1875 erstellten
STATISTIK geschuldet:
„Auf sämmtlichen DEUTSCHEN EISENBAHNEN (mit Ausnahme Bayerns) sind im Monat Februar d.J. vorgekommen:
59 ENTGLEISUNGEN fahrender Züge, 75 beim Rangiren,
32 ZUSAMMENSTÖSSE bei fahrenden Zügen und 54 beim Rangiren überdies 137 sonstige Betriebs-Ereignisse, welche eine Störung des regelmäßigen Betriebes veranlaßten. Im Durchschnitt hat bei 3724 Zügen eine ENTGLEISUNG und bei 10,158 Zügen ein ZUSAMENSTOSS stattgefunden.
185 Personen sind im Ganzen verunglückt, davon 3 Passagiere leicht verletzt,
162 Bahnbedienstete, wovon 33 gedödtet, und 20 fremde Personen, worunter 9 gedödtet.
10 Personen suchten und fanden freiwillig den Tod.“
Auch die Meldung vom 2. Juli 1875 strahlte nicht gerade ein
SICHERHEITSGEFÜHL auf dem Schienenstrang aus:
„Ein UNWETTER hat hier zum Theil großen Schaden angerichtet. Die kaum aufgebesserten WEGE waren vollständig zerrissen und die BRÜCKEN weggeschwemmt. Auch die Direction der Berlin-Görlitzer Eisenbahn (Lübbenau – Kamenz) hat bedeutenden Verlust. Die SCHWELLEN im Einschnitte wurden zum Theil ihrer Unterlage beraubt, die SCHIENEN streckenweise mit SCHLAMM überdeckt und die äußeren Pfeiler von der BAHN-BRÜCKE auf der Straße von hier nach Hoyerswerda von dem strömenden Regenwasser niedergerissen.“
Der >Senftenberger Anzeiger<, der mit dem Jahrgang 1882 beginnend archiviert wurde, schrieb am 4. Januar d.J. in sehr beruhigender Manier:
„Die vielen UNGLÜCKSFÄLLE, welche sich dadurch ereignen, daß PASSAGIERE noch auf die schon in Bewegung sich befindenden ZÜGE springen, haben die Eisenbahn-Directionen zu einer dankenswerthen NEUERUNG veranlaßt. Es werden nämlich die BILLET-SCHALTER früher geöffnet werden, auf größeren Stationen eine ganze, auf kleineren eine halbe Stunde vor der ABFAHRT des Zuges, damit Jedem die Möglichkeit gegeben ist, bis zur fahrplanmäßigen Abfahrtszeit des Zuges das GEPÄCK besorgt und auch seine eigene PERSON im Wagen untergebracht zu haben. Hat Jemand bis zu dieser Zeit nicht Platz genommen, so berechtigt das gelöste BILLET nicht mehr zur Mitfahrt mit diesem Zuge, kann aber für einen folgenden als giltig umgeschrieben werden. Die Verwaltungen haben also Alles gethan, um UNGLÜCK zu verhüten; das Weitere liegt am PUBLIKUM, das nicht mehr bis zum letzten Augenblicke warten sollte.“Die
MELDUNG vom 23. September 1876 über eine
„Bahnfahrt im Packwagen erster Klasse“ klang allerdings sehr kurios:
„Die Direction der COTTBUS – GROSSENHAINER BAHN hat an ihre sämmtlichen Stationen ein Schreiben gerichtet, wonach es von jetzt ab gestattet sein soll, ausnahmsweise und in besonders dringenden Fällen einzelne Personen mit den GÜTERZÜGEN zu befördern, vorausgesetzt, daß die Güterzüge, den Bestimmungen des Bahn-Polizei-Reglements entsprechend, nicht über 100 Achsen stark sind und die betreffenden Personen, welche ihren Platz im PACKWAGEN zu nehmen haben, ein FAHRBILLET 1. Klasse sowie einen fixen ZUSCHLAG von 3 Mark bezahlen.“
Apropos
WAGEN: Davon gab es anfänglich noch
4 KLASSEN,
die sich bei den ersten Eisenbahnen im Jahre 1843 wie folgt definierten:
„Die
WAGEN 1. KLASSE sind, was Eleganz der Bauart betrifft, unübertrefflich. Die Coupés enthalten 6 Sessel (einsitzige Sophas) mit Rücken~ & Ohrenkissen, sowie Armlehnen.
Die
WAGEN 2. KLASSE sind minder elegant als die ersterwähnten, mit 3 nicht geschlossenen Coupés, jedes zu 8 mit Lederpolstern versehenen Sitzen, daher auf 24 Personen eingerichtet. Sie sind gedeckt, vorn und hinten geschlossen, von beiden Seiten aber offen und anfänglich mit Ledermänteln zum Verhängen, dann mit Glasfenstern versehen.
Die
WAGEN 3. KLASSE sind gleichfalls mit einem Dache versehen, in 4 nicht geschlossene Räume getheilt und nach allen Seiten offen. Jedes Coupé enthält 8, der ganze Wagen daher 32 ungepolsterte Sitze.
Die
WAGEN 4. KLASSE unterscheiden sich von denen der dritten nur dadurch, dass sie den noch weniger bemittelten Schichten vorbehalten sind.“
Allenthalben gab es natürlich auch
GEGNER DER EISENBAHN, die ihr u.a. vorwarfen, dass nur
KAPITALISTEN & KAUFLEUTE davon Nutzen,
GEWERBETREIBENDE, BAUERN & FUHRLEUTE aber nur „Schmälerung ihrer Nahrung“ zu erwarten hätten.
Dem hielten im Jahre 1838 die
BEFÜRWORTER folgende
ARGUMENTATION entgegen:
„Was nun die Vorwürfe betrifft, die man den Eisenbahnen hinsichtlich der GEWERBTREIBENDEN zu machen sich bemüht, so hätte man gleichen Vorwurf aber auch den CHAUSSEEN machen können, die seit 50 Jahren in Deutschland entstanden. Denn durch die Anlegung von CHAUSSEEN, erlitten die Seiler, Sattler, Riemer, Wagner, Schmiede, Gastwirthe und Pferdehändler auch Einbuße an ihrem Verdienste.
Auf den grundlosen [ohne festen Boden] WEGEN nämlich, die Frachtfuhrleute, Lohnkutscher und andere zu Wagen Reisende vor Einführung der CHAUSSEEN in Deutschland fast allenthalben zu passiren hatten, wurde an WAGEN & GESCHIRRE so viel ruinirt, daß daran in jeder Stadt, ja fast in jedem DORFE, das berührt wurde, reparirt und theilweise ganz neu angeschafft werden mußte.
Die Wiederherstellung zerbrochener RÄDER & ACHSEN nöthigte die Fahrenden oft, mehrere Tage in den GASTHÖFEN zu verweilen. Auf den grundlosen Wegen mußte das VIEH so übertrieben [überfordert] werden, daß nicht selten PFERDE vor den Wagen todt nieder fielen, und die FUHRLEUTE zu dem ersten besten PFERDEHÄNDLER ihre Zuflucht nehmen, und Pferde für jeden Preis kaufen mußten. Dadurch gewannen diese Gewerbtreibende allerdings ansehnlich, und es wurde für sie sehr fühlbar als die KUNSTSTRASSEN angelegt wurden, welche den Transport und das Fortkommen erleichtern. Manche GASTHÖFE & SCHMIEDEN, die nun bei bessern Wegen überfahren [gemieden] wurden, verödeten ganz und konnten als solche nicht mehr bestehen. Wer würde aber wohl die Chausseen deshalb verschreien und als landverderblich bezeichnen wollen? —
DEUTSCHLANDS WOHLSTAND & INDUSTRIE hat dadurch nur gewonnen.
Noch mehr ist dies aber von den noch weit schnellem und bequemern Beförderungsmittel der EISENBAHNEN zu erwarten, durch deren Einführung, wie die Erfahrung lehrt, die Gewerbe aller Art nur gewinnen und sich der Nachtheil leicht ausgleichen läßt, der hin und wieder einem GASTHOFE daraus entstehen könnte. Wie der BAUER bei Anlegung der CHAUSSEEN dadurch gewann, daß seine Felder und Saaten nicht mehr zu Schanden gefahren wurden, auch die bessern WEGE ihm eine vortheilhaftere Verführung [Transport] seiner Producte verschafften, so werden durch Anlegung der EISENBAHNEN alle diese Vortheile in noch erhöhterem Maaße hervortreten, und z.B. die FUHRLEUTE leicht mehr als seither zu thun bekommen, da durch die Ab- und Zufuhre von und zu den EISENBAHNEN, die immer nur eine HAUPTSTRASSE bilden, eine große Menge derselben Beschäftigung finden wird. Vorübergehender NACHTHEIL EINZELNERwäre daher nur zu befürchten, der aber gegen den ALLGEMEINEN & BLEIBENDEN NUTZEN nicht in Betracht kommen kann.“
Zum Schluss sollen dennoch sowohl
GEWINNER als auch
VERLIERER der
EISENBAHN aufgezeigt werden –
- Schwellenveräußerer mit MONOPOL
- Schienenverkäufer im PREISKAMPF
- Fuhrunternehmer vor der PLEITE: