Heim nach Sachsen? –1990 -
und schon wieder keine Demokratie mehr
Grenzkreise und -kommunen bei der Bildung des Freistaates Sachsen 1989-1994
Von Christian Hübner, „Verein für Heimatpflege 1909“ e.V. Senftenberg
Zitation zu: Bürgerwille und repräsentative Demokratie von Michael Richter,
aus Berichte und Studien Nr. 38, Herausgegeben vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e. V. an der Technischen Universität Dresden.
Wenn man sich in dieses Thema einarbeitet, ist es aber schon erschreckend, wie sich die Bilder gleichen. Die vor und die nach der Wende.
Eine Bewegung von Rundem Tisch und engagierten Bürgern, die alle was Neues wollten, nicht wissend wie, nicht wissend wie viele Meinungen da plötzlich zu berücksichtigen waren, wenn man „Demokratie wagen“ will. Die Vereinigung zweier aus dem Besatzungsregime hervorgegangener deutscher Staaten und zweitens die Neubildung und Wiederbelebung föderativer Strukturen im Gebiet der ehemaligen DDR.
Jetzt, 35 Jahre danach, haben sich die Wogen geglättet- wie immer.
Als oller Berliner hat mich das damals gar nicht so tangiert, Länderneubildung. So wie unsere älteste Freundschaft aus Großenhain zuvor auch nicht unsere Wut auf die Teilung unserer Heimatstadt sehr tangiert hat.
Nach einer Unterbrechung von achtunddreißig Jahren sollen auf dem Territorium der DDR die Länder wieder eingeführt werden. Der Ruf nach einer föderalen Ordnung setzte sich durch und mündete in der Wiedervereinigung der beiden deutschen Teilstaaten. Der rasche Ablauf der Ereignisse nach der Wende verhinderte eine sinnvolle Neuabgrenzung von Ländern; die fünf neuen Länder wurden in Anlehnung an die zuvor geltenden Bezirksstruktur nach dem Vorbild der bis 1952 existierenden fünf Länder gebildet. Gemessen an der Größe der zehn westlichen Bundesländer wären drei neue Bundesländer gerechtfertigt gewesen. (Die Wiedererrichtung der östlichen Bundesländer, Raumforschung und Raumordnung Heft 5, 1991,Prof. Dr. Rutz)
Der Prozess der Föderalisierung war Teil der national-föderativen Phase der friedlichen Revolution, die unter anderem auf eine Zerschlagung der zentralistisch organisierten SED-Diktatur und ein Wiederanknüpfen an frühere Ländertraditionen zielte. (Zur Charakterisierung des Umbruchs vgl. Richter, Friedliche Revolution und Transformation, S. 931 f)
Konfliktpotential ergab sich im Falle Sachsens dadurch, dass die Grenzen des Landes von 1952 zum einen nicht mit jenen aus der Zeit bis 1945 übereinstimmten und dass zum anderen die Grenzen der Bezirke Chemnitz/Karl-Marx-Stadt, Dresden und Leipzig wiederum nicht mit denen des Landes Sachsen, wie es bis 1952 bestanden hatte, übereinstimmten.
Ursachen:
1. 1945 Mecklenburg, Preußen, Anhalt, Thüringen und Sachsen.
2. Nach dem baldigen Abzug der amerikanischen und britischen Siegerarmeen übernahm die sowjetische Besatzungsmacht im Wesentlichen die vorgefundene territoriale Gliederung. Sie unterteilte ihr Besatzungsgebiet in die fünf Verwaltungseinheiten Mecklenburg-Vorpommern (ab 1947 nur noch Mecklenburg genannt), Sachsen, Thüringen, Provinz Brandenburg und Provinz Sachsen. (Befehl Nr. 5 der SMAD vom 9. 7.1945. Zit. nach Geschichte des Staates und des Rechts 1945–1949, S. 33
3. Die preußische Provinz Brandenburg und Sachsen erhielten 1947 den Status von Ländern, Sachsen-Anhalt unter Einbeziehung des ehemaligen Landes Anhalt, das 1944 in die Provinzen Magdeburg und Halle/Merseburg aufgeteilt worden war. (Kontrollratsgesetz Nr. 46 über die Auflösung des Staates Preußen vom 25. 2.1947. In: Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, 1947, Nr. 14, S. 262. Vgl. Befehl)
4. Der Regierungsbezirk Erfurt kam zu Thüringen. Am 6. Juli 1945 wurde das „Bundesland Sachsen“ gebildet, ab 1947 nur noch als „Land“ bezeichnet.
5. Nach einem Beschluss der Alliierten auf der Konferenz von Jalta 1944 wurde auf der Potsdamer Konferenz 1945 das östlich der Lausitzer Neiße gelegene sächsische Territorium, ein Teil des Kreises Zittau mit 135 Quadratkilometern, unter polnische Verwaltung gestellt. Damit verlor Sachsen einerseits zirka ein Prozent seiner Fläche mit fünfundzwanzig Kommunen, in denen rund 25 000 Menschen gelebt hatten. Diese mussten ihre Heimat verlassen.
6. am 9. Juli 1945 zunächst provisorisch und im Februar 1947 mit dem Kontrollratsgesetz über die Auflösung Preußens die westlich der Lausitzer Neiße gelegenen Gebiete der bislang zum Regierungsbezirk Liegnitz der preußischen Provinz Niederschlesien gehörenden Teile der Oberlausitz mit dem Kreis Hoyerswerda, Teile des Kreises Rothenburg sowie Stadt und Landkreis Görlitz mit 2190 Quadratkilometern angegliedert. (Nieder- und Oberschlesien wurden im März 1938 zur Provinz Schlesien zusammengelegt, diese am 1. 4.1941 jedoch wieder in zwei Provinzen geteilt. Vgl. Irgang/Bein/Neubach, Schlesien, S. 236)
7. Am 11. April 1952 beschloss das Politbüro der SED die Aufgliederung der Länder in Bezirke (Protokoll der II. Parteikonferenz, S. 341 f. Vgl. Mielke, Die Auflösung der Länder, S. 70.) Wie in der DDR üblich, hat das nicht die Volkskammer beschlossen, sondern die SED-Führung. Absegnen durfte es die Volkskammer hinterher. Mit der Verwaltungsreform wurden vierzehn Bezirke sowie aus 120 Land- und 20 Stadtkreisen 191 Land- und 27 Stadtkreise gebildet (Vgl. Gemeinschaftsstelle der Länder …. vom November 1990 (BArch B, DO 5, 216)
8. Sachsen wurde in die drei Bezirke Chemnitz (1953–1990 Karl-Marx-Stadt), Dresden und Leipzig aufgegliedert. Die Kreise Delitzsch, Eilenburg und Torgau, die bis 1815 sächsisch gewesen waren, dann zur preußischen Provinz Sachsen und von 1947 bis 1952 zum Land Sachsen-Anhalt gehört hatten, wurden dem Bezirk Leipzig eingegliedert. Ebenso kamen die Kreise Altenburg und Schmölln zum Bezirk Leipzig.
Unter dem Druck der spontanen Entwicklungen hatte die Regierung de Maiziere keine Chance, in der Volkskammer einen Gesetzentwurf durchzubringen, der andere als die bis 1952 existierenden fünf Länder vorsah.
Auf der anderen Seite erschien es unmöglich, die fünf Länder in ihren alten Grenzen wiedererstehen zu lassen. Dagegen sprachen die Überschneidungen zwischen 1952 neu gezogenen Kreis-grenzen und alten Ländergrenzen.
Die Wiedererrichtung der Länder in den exakten Grenzen von 1952 wäre nur möglich gewesen, wenn zuvor auch eine Kreisgebietsreform durchgeführt worden wäre;
das war zeitlich erst recht nicht zu schaffen.
32 Kreise mit rd. 2 Mio. Einwohnern (1) hätten auf mehrere Länder aufgeteilt und die gerade erst am 6. Mai 1990 gewählten neuen Kreistage aufgelöst werden müssen.
Die neue Bezirksgliederung bezweckte demnach vor allem, die politisch-administrative Gliederung stärker der zunehmend zentralistisch strukturierten Wirtschaft anzupassen, ihre einheitliche Steuerung zu gewährleisten und ein produktionsorientiertes Zweigprinzip zentralistischer Leitung und Planung der Wirtschaft durchzusetzen.
Der territorialer Zuschnitt ist ein Kompromiß aus zeitdruckbedingter Anlehnung an die zuvor geltende Bezirksstruktur und restaurativer Anknüpfung an die zuletzt 1952 wirksamen, dann aufgelösten Länder.
1990: Die Volkskammer und die Regierung erkannte das mit der Länderbildung verbundene Konfliktpotential. In einer von ihr eingesetzten „Regierungskommission Verwaltungsreform“ diskutierten bereits Anfang Februar 1990 Experten mögliche Konfliktherde. Wörtlich wurde sogar in dem Zusammenhang von „Krawallgebieten“ gesprochen.
Unterstützung erhielt der Vorschlag unter anderem vom Rat des Bezirkes Leipzig, der neben einem Volksentscheid zur Länderbildung spätestens bis zum 6. Mai 1990 Plebiszite in Problemgebieten vorschlug. In Sachsen setzten sich neben den Räten auch Vertreter der neuen politischen Kräfte für ein plebiszitäres Verfahren ein, entsprach dies doch den allgemeinen Vorstellungen und Erwartungen nach vierzig Jahren zentralistisch-diktatorischer Bevormundung.
Ich gehe hier jetzt nicht jeden einzelnen Schritt durch (auch nicht auf die hochinteressante Geschichte um „Schwarze Pumpe“, Hoyerswerda, Spremberg und Weißwasser ein), sondern beziehe mich auf das Große und Ganze, insbesondere auf die Auswirkungen für unsere Heimat Senftenberg.
Da es seit dem 18. März 1990 erstmals in der DDR-Geschichte eine frei gewählte Regierung gab, konnte auf eine demokratische Entscheidungsfindung gehofft werden. Diese Hoffnung wurde auch dadurch genährt, dass die Regierungskommission erneut erklärte, die Zugehörigkeit von Problemgebieten sollte durch Plebiszite in zwei Stufen geklärt werden (Ministerratsbeschluss vom 2. Mai 1990).
Da mit den ersten freien Kommunalwahlen am 6. Mai auch neue Kreistage gewählt werden sollten, beschloss die Regierung, vor der Verabschiedung eines Ländereinführungsgesetzes durch die Volkskammer in den fünfzehn betroffenen Kreisen Plebiszite ausschließlich für das gesamte Kreisterritorium durchzuführen und im Ergebnis das gesamte Kreisgebiet entsprechend dem mehrheitlichen Willen der Bevölkerung dem von der Mehrheit gewünschten Land zuzuordnen. Abweichende Voten einzelner Gemeinden sollten nach der Länderbildung durch Staatsverträge zwischen den betroffenen Ländern geregelt werden.
So weit, so gut!
Nach ihrem zunächst klaren Votum zugunsten eines plebiszitären Verfahrens rückte die Regierung de Maizière allerdings schon wenig später und im Zuge einer allgemeinen Zurückdrängung direktdemokratischer Gremien und Elemente im Laufe des Mai von ihrem gerade erst gefassten Beschluss ab. (das neue Beratungsgremium der Regierungskommission war jetzt das Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten)
Hier aber setzte man auf das gerade erst errungene parlamentarische, repräsentativ demokratische System und ignorierte den Sinn plebiszitärer Entscheidungen bei Fragen der Verfassung oder der Landeszugehörigkeit. Das kam der Regierung entgegen, befürchtete sie doch ohnehin, durch Plebiszite in Sachen Länderbildung vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden.
Ohne dass bislang Einzelheiten über den Entscheidungsfindungsprozess bekannt sind, beschloss die Regierung Ende Mai, statt Plebisziten nur noch unverbindliche Bürgerbefragungen durchzuführen.
Durch den Begriff Bürgerbefragung konnten wir jedoch bei der Einarbeitung in den Gesetzesentwurf an die Volkskammer durch das Ministerium Einfluss nehmen (Zit. in Schreiben des „Sachsenbundes“ an Helmut Kohl und die Bundesminister vom 3. 9.1991 (MAO, Schriftverkehr Länderbildung ab 1991, II).
Vertreter des Sorbischen Runden Tisches vom 13. Februar 1990 befeuerten die Auseinandersetzung über die künftige Landeszugehörigkeit- Die Sorben plädierten, mit Ausnahme der Kreise Jessen, Herzberg und Bad Liebenwerda, für die Angliederung des Bezirkes Cottbus an Sachsen und wiesen zugleich Forderungen nach einem eigenen Land Lausitz als unrealistisch zurück. Ein kompletter Anschluss des Bezirkes Cottbus an Brandenburg wurde abgelehnt.
Bis Ende Mai fanden Befragungen unter anderen in den Kreisen Hoyerswerda und Senftenberg statt. Diese konnten sich bereits auf den Ministerratsbeschluss vom 2. Mai über die Durchführung von Plebisziten stützen.
Am 6. Juni beschloss der Ministerrat eine Verfahrensregelung über Bürgerbefragungen, in der von Plebisziten keine Rede mehr war.
Der Vorteil für die Regierung und die kommunalen Organe war: Unverbindliche, vom Kreistag zu bestätigende Bürgerbefragungen.
Die drei Bezirksratsvorsitzen von Cottbus (Peter Siegismund), Frankfurt/Oder (Herbert Tzschoppe) und Potsdam (Gundolf Baust) suchten Schützenhilfe beim Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, dem Partnerland Brandenburgs, Johannes Rau, für die Zusammenführung der drei Bezirke in den Territorialgrenzen von 1990.
Unverkennbar versuchten die Ratsvorsitzenden, die bisherigen Bezirke als künftige brandenburgische Verwaltungseinheiten und eigene Machtbasis zu erhalten. Die Bevölkerung wurde, wie bislang üblich, nicht gefragt.
Zuordnung des Kreises Senftenberg:
Der südliche Teil des Kreises, der sogenannte „Ruhlander Zipfel“, hatte am Ende des Zweiten Weltkrieges zum damaligen Kreis Hoyerswerda im Regierungsbezirk Liegnitz der Provinz Niederschlesien gehört. Er wurde 1952 vom Kreis Hoyerswerda abgetrennt und dem neugeschaffenen Kreis Senftenberg zugeschlagen. Auch Teile von Sachsen-Anhalt und Brandenburg kamen zu SFB.
Verkehrsgeographisch und hinsichtlich der territorialen Orientierung der Bevölkerung durchtrennte die Schwarze Elster das Gebiet. Bedingt durch die heterogene Zusammensetzung, war der nördlich der Schwarzen Elster liegende Teil des Kreises stärker auf Luckau, Lübben und Berlin ausgerichtet, die Bewohner südlich der Schwarzen Elster eher auf Großenhain, Meißen und Dresden.(Schreiben von Reinhard Kißro an Werner Rutz vom 11.2.1991 (MAO, SL bis 1990, I)
Zu einem Zentrum von Aktivitäten in Richtung Sachsen entwickelte sich Ortrand unter seinem engagierten Bürgermeister, Reinhard Kißro. Die Kleinstadt hatte seit ihrer Gründung nach 900 zur Ostmark und später zur Mark Meißen gehört. Bis 1815 war Ortrand sächsisch gewesen und hatte dem Amt Großenhain unterstanden. 1815 fiel es an Preußen und kam 1816 zum Kreis Liebenwerda im Regierungsbezirk Magdeburg der preußischen Provinz Sachsen. Von 1947 bis 1952 gehörte Ortrand zum Kreis Bad Liebenwerda in Sachsen-Anhalt, bevor es zum Kreis Senftenberg im Bezirk Cottbus kam.
Einen Tag nach dem Ministerratsbeschluss vom 6. Juni protestierte der Bürgermeister von Lauchhammer gegen die zur Wahl gestellte Länderzuordnung entweder zu Sachsen oder Brandenburg und forderte aus historischen Gründen eine Ergänzung um die Option Sachsen-Anhalt. (Fernschreiben des Bürgermeisters von Lauchhammer an den Ministerrat der DDR vom 7. 6.1990 (BArch B, DO 5, 149).
Im benachbarten Kreis Großenhain, dessen künftige Zugehörigkeit zu Sachsen außer Frage stand, registrierte man aufmerksam die pro-sächsischen Bestrebungen im nördlichen Nachbarkreis. Am 2. Juli signalisierte der Großenhainer Landrat, Armin Ibisch, ein starkes Interesse an einer Eingliederung der südlichen Teile des Kreises Senftenberg in den Kreis Großenhain.
Der Senftenberger Landrat, Hans-Jürgen Fichte, engagierter Befürworter eines Anschlusses des ganzen Kreises an Sachsen, berichtete am 26. Juni in der Presse, er habe „mit Erschrecken“ von Mitgliedern der künftigen brandenburgischen Landesregierung erfahren, dass der Kreis Senftenberg „in deren Geist“ bereits in Sachsen und Brandenburg aufgegliedert sei, wobei die Problemzone Lauchhammer gern abgegeben werde (In: Lausitzer Rundschau vom 26. 6.1990).
Die Abstimmungsergebnisse der Bürgerbefragung Mitte Juli bestätigten die Tendenz nach Sachsen ebenso, wie das von verschiedenen Seiten prognostizierte polarisierte Stimmverhalten.
Bei einer Beteiligung von 61,7 Prozent (50 535 von 81 907) der Stimmberechtigten votierten 54,1 Prozent für Sachsen und 45,9 Prozent für Brandenburg
(Fernschreiben des KT Senftenberg an Sabine Bergmann Pohl vom 20. 7.1990 (BArch B, DO 5, 138).
Unmittelbar nach der Befragung trat am 19. Juli der Kreistag von Senftenberg zusammen. Nach der Verfahrensregelung zur Durchführung der Bürgerbefragung hatte er das Gesamtergebnis der Bürgerbefragung im Kreis entgegenzunehmen, die Vorlage eines Antrages an den Ministerrat zur künftigen Landeszugehörigkeit zu diskutieren und diese zur Beschlussfassung zu führen (RdK Senftenberg. Beschlussvorlage 6 vom 5. 6.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24475).
Dem Kreistag lag eine Beschlussvorlage des Landrates vor, die, wie vom Gesetzgeber bestimmt, auf Grundlage der Bürgerbefragung einen Antrag beim Ministerrat auf Zugehörigkeit zu Sachsen vorsah (KT Senftenberg. Beschlussvorlage 13/90. Beschluss des KT Senftenberg 3/1/90 vom 19. 7.1990. Antrag an den Ministerrat der DDR über die künftige Landeszugehörigkeit des Kreises Senftenberg. [Handschriftlicher Vermerk: „Herr Perchenz! Bitte eine Ablichtung für mich! Wieso zum Land Sachsen? Hä.“] (ebd.).
Jedenfalls wurde der Antrag des Landrates auf Zugehörigkeit zum Land Sachsen (Mündliche Argumentation des Landrates von Senftenberg zum Antrag an den Ministerrat der DDR zur Zuordnung des Kreises Senftenberg (BArch B, DO 5,138). mit 39 zu 38 Stimmen, ohne Stimmenthaltung, abgelehnt.
Er wird beauftragt, einen Antrag auf Zuordnung zum Land Brandenburg zu formulieren sowie zur Beschlussfassung zu unterbreiten. Diese erfolgte gegen Ende der Sitzung.
Von den jetzt noch anwesenden 75 Abgeordneten stimmten nun 65 gegen acht Stimmen bei zwei Enthaltungen für die Zuordnung zum Land Brandenburg.
Nochmals hier zur Verdeutlichung der Bürgerwille war: 54,1 Prozent für Sachsen und 45,9 Prozent für Brandenburg.
Viel zu knapp, um nicht parlamentarisch ausgehebelt zu werden.
Nach Angaben der „Allianz für Sachsen“ war das südliche, sächsisch orientierte Kreisgebiet im Kreistag unterrepräsentiert, weil viele Bürger bei der Kreistagswahl im Mai 1990 einem Boykottaufruf der CDU gefolgt waren, wodurch die Sachsen-Befürworter nun unterlegen waren. (15 Vgl. Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 98.) Die Boykottentscheidung der CDU bei der Kommunalwahl war somit ein wesentlicher Grund für die heutige Zugehörigkeit des Kreises zum Land Brandenburg.
Im Süden des Kreises Senftenberg setzte nach der Entscheidung des Kreistages für Brandenburg ein Sturm der Entrüstung ein. Am 20. Juli protestierten die Bürgermeister von Ortrand, Ruhland und elf weiterer Gemeinden gegen den Beschluss vom Vortag und forderten die DDR-Regierung auf, das Ergebnis der Bürgerbefragung durchzusetzen (Fernschreiben an Manfred Preiß vom 20. 7.1990 (BArch B, DO 5, 138).
In Grünewald, wo sich 91,5 Prozent der Bevölkerung für Sachsen ausgesprochen hatte, verlangten die Bewohner die Ausgliederung aus dem Kreis Senftenberg und die Angliederung an den Kreis Hoyerswerda.
Auch zahlreiche Einwohner von Schwarzheide legten bei der Volkskammerpräsidentin „entschiedenen Widerspruch“ gegen den Beschluss des Kreistages ein und forderten die „Respektierung des mehrheitlichen Willens“ der Bevölkerung.
Am 22. Juli marschierten zirka dreitausend Bürger in Anwesenheit der Landräte der Kreise Senftenberg und Großenhain sowie der Bürgermeister von Ortrand, Tettau, Lindenau, Frauendorf, Kroppen, Jannowitz, Kmehlen und Lauchhammer vom Ortrander Marktplatz zur Lindenauer Autobahnbrücke und blockierten für eine halbe Stunde die Autobahn zwischen Dresden und Berlin.
Der „Sachsenbund“ protestierte erneut bei Ministerpräsident de Maizière und der Volkskammer. 219 Am selben Tag stellte Landrat Fichte beim Obersten Verwaltungsgericht der DDR-Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ministerratsbeschlüsse vom 2. Mai und vom 6. Juni und damit des Volkskammerbeschlusses vom 22. Juli 1990 zum Länderbildungsgesetz. (Offener Brief des „Sachsenbundes“ an den Ministerpräsidenten und die Volkskammer vom 27. 7.1990 (MAO, unsortiertes Material)
Ziel des Vorstoßes war die Anerkennung der Bürgerbefragung als Plebiszit, hätte dies doch den Kreistagsbeschluss hinfällig gemacht. Der Ministerratsbeschluss vom 2. Mai, so Fichte, besage in den Absätzen fünf und sechs, dass Plebiszite durchzuführen seien.
Nach seinem Antrag beim Obersten Verwaltungsgericht der DDR setzten die Regierung und der Regierungsbeauftragte des Bezirkes Cottbus, Karl-Heinz Kretschmer, Fichte unter Druck.
Zur allgemeinen Überraschung zog Landrat Hans-Jürgen Fichte zu Beginn der Tagung seinen Einspruch gegen den Kreistagsbeschluss zurück
und bezeichnete diesen nun plötzlich als geltendes Recht.
Der aufmüpfigen, nun aber wieder gebändigte Landrat verwies auf die Möglichkeit einzelner Gemeinden, nach Paragraf 2.3 des Ländereinführungsgesetzes auch nach der Länderbildung einen Wechsel nach Sachsen zu beantragen.
Da war aber noch nicht klar, dass die Regierung de Maizière auch hinsichtlich dieses Rechtes nur halbe Arbeit geleistet hatte und sich ein Wechsel für alle Kommunen der Kreise Senftenberg und Bad Liebenwerda als Trugschluss erweisen würde.
Wie sagte.Barack Obama (Ehem. Amerikanischer Präsident) einmal:
„Wahlen allein machen noch keine Demokratie“
Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik (Ländereinführungsgesetz)
Vollzitat:
"Ländereinführungsgesetz vom 22. Juli 1990 (GBl. DDR 1990 I S. 955)"
Territoriale Gliederung
§ 1
(1) Mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 werden in der DDR folgende Länder gebildet:
-
Mecklenburg-Vorpommern
durch Zusammenlegung der Bezirksterritorien Neubrandenburg, Rostock und Schwerin,
.
ohne die Kreise Perleberg, Prenzlau und Templin;
-
Brandenburg
durch Zusammenlegung der Bezirksterritorien Cottbus, Frankfurt/Oder und Potsdam,
.
ohne die Kreise Hoyerswerda, Jessen und Weißwasser,
.
zuzüglich der Kreise Perleberg, Prenzlau und Templin;
-
Sachsen-Anhalt
durch Zusammenlegung der Bezirksterritorien Halle und Magdeburg,
.
ohne den Kreis Artern,
.
zuzüglich des Kreises Jessen;
-
Sachsen
durch Zusammenlegung der Bezirksterritorien Dresden, Karl-Mark-Stadt/Chemnitz und Leipzig,
.
ohne die Kreise Altenburg und Schmölln;
.
zuzüglich der Kreise Hoyerswerda und Weißwasser;
-
Thüringen
durch Zusammenlegung der Bezirksterritorien Erfurt, Gera und Suhl,
.
zuzüglich der Kreise Altenburg, Artern und Schmölln.