Wenn ich ehrlich bin, muß ich zugeben, daß es dann doch nicht so viele Ansichten des Senftenberger
Bahnhofsempfangsgebäudes gab, mit denen uns die DDR-Verlage beglückten.
Nach eingehender Beschäftigung mit diesem Thema, gehe ich davon aus, daß einerseits das immer noch
herrschende gute Angebot (Händler, ebay) an alten Ansichtskarten auf denen man das Empfangsgebäude
erkennen kann, zu meiner Fehleinschätzung führte. Andererseits wurden die Aufnahmen auch immer
wieder gern in irgendwelchen heimatgeschichtlichen Publikationen verwendet, so daß sich bei mir
der Eindruck verfestigte, daß es "Unmengen" derartiger Abbildungen gibt.
Falsch!
Im Grunde versammle ich hier und heute sämtliche Einzelbildproduktionen, die zwischen 1960 und
1973 erschienen und das Gebäude zeigen. Es sind ganze vier. Das fünfte Motiv ist eine private Fotografie,
unterscheidet sich aber kaum von den kommerziellen Produkten. Wenn ich "sämtliche" schreibe, meine
ich natürlich, sämtliche mir bekannte. Es kann sein, daß es noch ein oder gar mehrere weitere Ansichten
gab nur müssen die derart obskur sein, daß sie mir bislang noch nicht einmal ansatzweise über den
Weg liefen.
Außerdem möchte ich mich sogar postulieren, daß wir mit der 1973er Produktion das Ende
der Fahnenstange erreicht haben. Nach diesem Jahr wurde das Sujet scheinbar derart unattraktiv, daß
in Folge keine einzige Abbildung des Gebäudes mehr auf einer kommerziellen Ansichtskarte erschien.
Weder als Einzelbild noch als Bestandteil einer Mehrbildkarte. Und das bis heute!
Die hier versammelten Ansichtskarten decken einen zeitlichen Rahmen von 13 Jahren, vielleicht sogar
etwas weniger ab. Sie sind von oben nach unten zeitlich aufsteigend angeordnet. Das die Jahreszahlen
in allen Fällen wasserdicht sind, dafür würde ich mich nicht verbürgen. Es ist durchaus möglich, daß
das eine oder andere Motiv noch nach unten datiert werden kann.
Im direkten Vergleich erkennt man einige bauliche Veränderungen am Gebäude selbst und vor allem am
Bahnhofsvorplatz, die mich bei der Festlegung des Zeitstrahls unterstützten.
Aber der Reihe nach...
Die Aufnahme Nummer 1 stammt mit ziemlicher Sicherheit aus dem Sommer 1960. Anhaltspunkt hierfür
ist das Filmplakat, das für den sowjetischen Spielfilm "Die Ballade vom Soldaten" wirbt. Der Film
lief am 1. Dezember 1959 in den sowjetischen Kinos an und wurde am 7. Mai 1960 auf den Internationalen
Filmfestspielen von Cannes gezeigt. In der DDR kam der Film am 10. Juni 1960 in die Kinos.
Der Aufsteller mit den Kinoplakaten bleibt uns übrigens für die nächsten drei Motive erhalten. Leider
ist die Aufnahme von 1960 die einzige, die scharf genug ist, um einen Filmtitel zu erkennen.
1960 gab es demnach auf dem Vorplatz noch eine Säule, deren Funktion mir nicht ganz klar ist. Für mich
sieht es so aus, als ob an den vier Ecken Fahnenstangen angebracht waren. Der Fahnenstoff scheint in
unserem Fall jedoch zusammengewickelt zu sein.

Interessant sind auch die beiden Blumenkästen, die auf Beinen aus Birkenholz befestigt sind. Auch diese
sehen wir noch zweimal. Unter anderem auf dem nächsten Motiv, welches ich in 1963 eintakte. Dies erfolgt im wesentlichen aufgrund
der anderen Motive dieser Mini-Serie. Die Blumenkästen sind hier aktuell ihrer Bepflanzung beraubt, der
Kino-Aufsteller ist ebenfalls vorhanden. Leider kann ich das Filmplakat nicht deuten. Diese merkwürdige
Säule ist mittlerweile verschwunden.
Motiv Nummer 3. Die Privatfotografie. Mit ziemlicher Sicherheit zeitlich nach Motiv Nummer 2 aufgenommen.
In den Kreis der Vorplatz-Objekte wird nunmehr ein Schaukasten aufgenommen, der offenbar eine relativ aktuell
gehaltene öffentliche "Wandzeitung" beherbergte. Leider ist der Inhalt dieses Schaukastens in allen
Instanzen zu unscharf und selbst bei digitaler Vergrößerung nicht wirklich zu verwerten. Die Blumenkästen
sind auch hier noch erkennbar. Der Kino-Aufsteller sowieso. Bei dem dort erkennbaren Filmplakat (das untere)
würde ich auf den Film "Johannes R. Becher" tippen.
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Eine Produktion, zu der man kaum bzw. keine Informationen im Internet findet. Er wurde
jedoch 1964 in Form eines Filmprogramms beworben. Gut möglich, daß dieser Film 1964 in
Senftenberg lief und wir damit die Fotografie relativ gut datieren könnten. Es ist aber
bislang nur eine Vermutung meinerseits.
Ziemlich sicher ist hingegen, daß die Aufnahme nicht später als 1965 gemacht worden sein
kann. Das mache ich an nachfolgender Fotografie fest, von der ich leider nur eine vergleichsweise
schlechte digitale Kopie besitze...
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Diese Fotografie, die möglicherweise einstmals als Kandidat für eine Ansichtskartenproduktion
gehandelt wurde, wartet mit zwei wichtigen Details auf. Erstens kann man bei Vergrößerung in dem
Schaukasten erstmals etwas verwertbares erkennen... 20 Jahre Eisenbahn in Volkes Hand 1945 - 1965
steht dort in großen Lettern. Es ist sehr wahrscheinlich, daß wir uns aufgrund dessen nicht in 1964
oder 1966 sondern genau im Jahre 1965 befinden. Außerdem sieht man einige erneuerte, und deswegen
hellere, Dachziegel am Bahnhofsgebäude. Diese Ziegel kann man auch auf Motiv Nummer 4 erblicken.
Für unsere Privatfotografie bedeutet dies demnach, daß sie tatsächlich vor oder in 1965 angefertigt wurde.
In jedem Falle nämlich VOR der Reparatur des Daches.
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VEB BILD UND HEIMAT REICHENBACH i.V. Best.-Nr. 6/1086 III/18/6 A 3/61 DDR Foto: Bild und Heimat (Darr) Aufnahme = 1960 Sammlung Erika Fischer
GRAPHOKOPIE H.SANDER K.G. Berlin N 113 Echte Photographie B 8/64 Best.-Nr. T 322 Aufnahme = 1963 Sammlung Erika Fischer
Aufnahme <= 1965 Archiv der Stadt Senftenberg
VEB BILD UND HEIMAT REICHENBACH i.V. Echt Foto V 11 50 A1/B930/71 01 06 11 005 Foto: Darr, Reichenbach (Vogtl.) Aufnahme <= 1967 Sammlung Norbert Jurk
VEB BILD UND HEIMAT - REICHENBACH i.V. Echt Foto Foto: Bild und Heimat (Darr) III/18/98 A 1/B 307/73 01 06 11 099 Aufnahme <= 1973 Sammlung Matthias Gleisner
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Nun zu Motiv Nummer vier. Dieses wurde in verschiedenen Jahren unter die Leute gebracht, teilweise auch als Bestandteil einer Mehrbildkarte. Aktuell kann ich das erste
Auftauchen der Aufnahme auf 1967 fixieren. Gut möglich, daß das Foto schon einige Zeit vorher gemacht wurde. Kinoaufsteller und "Wandzeitung" sind immer noch
vorhanden, dafür sind die beiden Blumenkästen auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Leider sind die Kinoplakate wie auch der Inhalt des Schaukastens zu unscharf,
als das man daraus sicher etwas ableiten könnte.
Und damit sind wir auch schon beim fünften und letzten Motiv für heute. Wie oben geschrieben ist es das letzte Auftauchen des Empfangsgebäudes auf irgendeiner
Ansichtskartenproduktion bis zum heutigen Tage. Der Kinoaufsteller hat mittlerweile Platz für eine Propagandtafel gemacht aber der Wandzeitungschaukasten ist immer
noch da. Doch wie schon zuvor sind beide zu unscharf wiedergegeben, als daß man etwas brauchbares extrahieren könnte. Deshalb gilt bis auf weiteres das Jahr 1973 als
Obergrenze.
Das Bahnhofsgebäude hat mittlerweile neue Fenster erhalten. Dafür fehlen an beiden Graten der Traufe einige Firstziegel. Die Umgestaltung der Vorplatzbeleuchtung
kriegten wir auch nur in der DDR so hin!

Wer nun aber glaubt, das war es mit investigativer Heimatforschung zu Bahnhofsansichten, der wird nachfolgend eines Besseren belehrt...
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