Diese Postkarten geben tatsächlich ein Rätsel auf:
SCHERENSCHNITT oder HOLZSCHNITT ?Betrachten wir die Faktenlage:
Beim
SCHERENSCHNITT wird das Papier mittels einer Schere o.a. spezieller Schnittinstrumente so bearbeitet, dass der verbleibende Umriss oder die Ausschnitte oder beides ein anschauliches Bild ergeben.
Dabei gilt aber die Regel, dass alle Figuren, Ornamente etc. miteinander, zumindest am Rahmen verbunden sein müssen, um zu garantieren, dass nach Vollendung aller Schnitte kein einziges Bildteil lose aus dem Gesamtwerk herausfallen kann.
Das Bild vom Markt würde diesen Anforderungen genügen - nicht aber das der Bahnhofstraße, weil dort - abgesehen vom am Himmel schwebenden
SCHRIFTZUG -
links eine
KUTSCHE und rechts eine
PERSONENGRUPPE frei im Raum stehen.
Der zweite Grund, der für mich den
HOLZSCHNITT favorisiert,
ist die
MEHRFARBIGKEIT, die für den Scherenschnitt eher untypisch ist.
Moderne, ebenfalls mehrfarbige Stadtansichten, die den vorliegenden Postkartenmotiven durchaus ähnlich sind, finden sich heutzutage auch schon im Internet als
CLIPARTS in der Kategorie >Städteansicht Holzschnitt<.
Der
SCHERENSCHNITT ist eine der ältesten Volkskünste Chinas. In Deutschland erfreute er sich allerdings erst in der Kultur der Goethezeit und des 19. Jahrhunderts großer Beliebtheit, wogegen sich der
HOLZSCHNITT schon zur Reformationszeit in Haus und Familie einbürgerte.
In der >Zeitschrift für bildende Kunst< führte 1868 ein Kunstprofessor folgendes aus:
"Was die BUCHDRUCKERKUNST für den Gedanken, war der HOLZSCHNITT für das Bild - beide sind deutsches Gut. Prädestinirt wie der HOLZSCHNITT war, ins Familien~ und Hausleben einzudringen, die Kinderstuben zu seinen Gallerien zu machen, bei Kirchweihe und Jahrmarkt umhergetragen, gekauft und mit Behagen beschaut zu werden, führte er aus diesen Kreisen, diesen Tummelplätzen und Heiligthümern des Volkes immer neue, lebensvolle Stoffe zurück in die Werkstätten der Meister, der Zeichner und Holzschneider. So wurden es biblische und aus dem Leben gegriffene Bilder, mit denen der HOLZSCHNITT das Haus illustrirte, und jedes Buch, je mehr es ein Volks~ und Familienbuch werden sollte, durfte seinen Schmuck nicht entbehren.
Der HOLZSCHNITT, diese Waffe der Reformation, die sich auf das zwiefache Ziel - die heilige Geschichte & das Volksleben - richtete, deren Endpunkte BIBEL & FAMILIE waren, schien im 18. Jh. vergessen und verlernt..."
Dass er dies nicht war, davon zeugen gottlob die
POSTKARTEN auf dieser Webseite, von denen ich annehme, dass es sich um
>FARBIGE HOLZSCHNITTE< handelt. Den endgültigen Beweis muss ich allerdings schuldig bleiben, bis unversehens ein Bild~ oder Textdokument meine These untermauern,
oder eventuell auch - was ich nicht hoffe - hinfällig machen würde.
Warten wir's ab und üben wir uns in Geduld.
Wie sagt der Volksmund mit Sicherheit schon seit der Reformationszeit ?
>GUT DING WILL WEILE HABEN !<
Auch solch ein
HOLZSCHNITT ist bekanntermaßen
"ein beschwerlich & zeitraubend Ding"
- weshalb er heute nur noch gelegentlich eingesetzt wird, um eine künstlerische Idee,
vor allem in der Plakatkunst, druckgrafisch umzusetzen.