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11.08.2024
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Daß der Prophet im eigenen Lande nichts gilt, ist ein Spruch mit einem ellenlangen Bart. Aber er ist deshalb nicht weniger richtig. Hier vor Ort gehe ich den Leuten nämlich sehr wahrscheinlich langsam auf die Nerven. Besserwisser - Krümelkacker - Haarspalter... es gibt sicher noch weitere Zuschreibungen, die ich mir über die Jahre hart erworben habe. Aber so bin ich nun einmal. Ich bin damals vor 10+ Jahren angetreten, möglichst wahrheitsgemäß und überprüfbar zu berichten. Und ich glaube, dahingehend bin ich mir treu geblieben. Zugegeben... ich kann halt einfach auch nicht anders als zu hinterfragen, zu plausibilisieren, zu vergleichen, zu beweisen oder auszuschliessen. Interessiert hier in Senftenberg aber die wenigsten, was irgendwie auf die Dauer auch frustrierend werden kann.
Deshalb freue ich mich, wenn sich "Auswärtige" um so mehr für meine Hilfestellung hinsichtlich irgendwelcher Angaben bedanken. Sei es, daß ich deren Informationen bestätige oder korrigiere.
So unlängst geschehen im Fall der rechts abgebildeten Fotografie, die ich in einem Archiv aufstöberte. Das zugehörige Datenblatt wies diese als Datierung: o.D. [um 1920] Ort: Senftenberg, Titel: KPD, Beschreibung: Demonstration gegen den Bau von Panzerschiffen auf dem Marktplatz aus.
Das war grundsätzlich nicht soooo falsch. Bis auf das Jahr!

Das Internet - dein Freund und Helfer - lieferte unter Anwendung der richtigen Suchbegriffe ziemlich schnell eine Spur. Dabei war der Anknüpfungspunkt das Banner mit dem Gegen Panzerkreuzer Volksentscheid!, das man am unteren Bildrand sieht. Damit kam unversehens das Jahr 1928 in den Fokus auf dessen Basis ich mich immer weiter an das konkrete Datum heranarbeiten konnte.

Ich kaufe ein "U" und möchte lösen!

Untergautreffen des Roten Frontkämpfer-Bundes

Senftenberg
Aufnahme = 26.08.1928
Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (09) Nr. II8089 / Foto: k. A.
Senftenberger Anzeiger (23. August 1928)
Diese Zusammenkunft fand am 25. und 26. August 1928 - einem Wochenende - hier in Senftenberg statt. Auf dem Foto sehen wir den Programmpunkt "Kundgebung auf dem Marktplatz", der am Sonntag den 26. August über die provisorische Bühne ging. Konkret erleben wir wohl das Ende der Veranstaltung denn die Uhr an Uhrmacher Langes Laden zeigt bereits 16 Uhr an.
Der Sprecher, der sich zu diesem Zeitpunkt auf der kleinen Bühne an der östlichen Marktseite befindet, wird sehr wahrscheinlich der in der Ankündigung genannte Ernst Schneller sein. Ein Name, der gelernten DDR-Bürgern irgendwie vertraut vorkommen dürfte. Der Redner trägt die Uniform des R.F.B. - des paramilitärischen verlängerten Armes der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).
Der ebenfalls auf der Sprecherliste angekündigte Landtagsabgeordnete Wilhelm Kasper war wahrscheinlich weniger martialisch gekleidet.

Leider finden sich in der damaligen Lokalpresse nur spärliche Informationen zu diesem Treffen. Das ist nicht weiter verwunderlich, da der "Senftenberger Anzeiger" ein bürgerliches Blatt war in dem die Kommunisten nur sehr selten und wenn dann zumeist nur im Zusammenhang mit irgendwelchen Ausschreitungen und Zusammenstößen mit dem politischen Gegner vorkamen.
Dieses Augustwochenende 1928 verlief ausnahmsweise jedoch ruhig ab, was den "Senftenberger Anzeiger" tags darauf wenigstens folgende Information wert war:

- Als weiteres Ereignis des gestrigen Tages wäre noch das Untergautreffen des Roten Frontkämpferbundes zu registrieren. Die Beteiligung war nach amtlichen Feststellungen zirka 600 Mann stark. Das Programm wickelte sich nach den vorgeschriebenen Richtlinien reibungslos ab. Es ist dank der allseitig gewahrten Ordnung und Disziplin nirgends zu Zwischenfällen gekommen. Gegen Abend verließen die meisten auswärtigen Teilnehmer wieder unsre Stadt.

So ganz ohne Vorkommnis gestaltete sich das Wochenende dann aber doch nicht. Die Zeitung schob am 28. August noch diese Mitteilung nach:

- Senftenberg, 28. Aug. (Vom Tanz ins Feuer.) In der Nacht zum Montag ereignete sich in der Kaiser-Friedrich-Straße ein etwas ungewöhnlicher Unfall. Bekanntlich fand als Abschluß des Untergau-Treffens des R.F.-B. im Gesellschaftshause ein Tanzvergnügen statt. Dabei lernte ein auswärtiger Motorradfahrer ein Fräulein L. aus der Schulstraße kennen. Die Umstände ergaben, daß beide auf den Gedanken kamen, eine nächtliche Motorradfahrt zu unternehmen. Kaum war die kurze Strecke vom Gesellschaftshause bis zur Kaiser-Friedrich-Straße zurückgelegt, als aus dem Motor eine Stichflamme herausschlug und die Kleidungsstücke des Fräulein L. in Brand setzte. Fräulein L. fiel vom Motorrade herunter. Sie erlitt Brandwunden an den Füßen und mußte nach Anlegung eines Notverbandes durch einen hiesigen Arzt dem Knappschaftskrankenhause zugeführt werden. Die Personalien des Fahrers wurden erst später in der Nähe des Bahnhofs festgestellt.

Was ist zu dem Foto noch zu sagen? In den vier Ecken ist es leider etwas unscharf aber der relevante Teil spielt sich ohnehin in der Bildmitte ab. Der damalige Fotograf dürfte einer der ersten - wenn nicht sogar der erste! - gewesen sein, der seine Kamera auf dem Dach des neuerbauten Rathauses in Stellung brachte. Das Richtfest des Neubaus fand gerade einmal einen Monat zuvor statt (siehe Abbildung links).

Vielleicht war das ja sogar eine illegale Aktion. Wer weiß?

Außerdem lernen wir, daß sich im Haus Markt 13, der späteren "Hubertusklause", die Schankwirtschaft dereinst die Räume mit einem Frisörgeschäft teilte. Barbier Richter residierte mutmaßlich in den Räumlichkeiten, die wir heute als "Jägerstube" bezeichnen. Die Nutzung kann aber nur temporären Charakter gehabt haben, denn iin so ziemlich allen Einwohnerbüchern Senftenbergs wird das Geschäft an der Adresse Kreuzstrasse 5 verortet.

Das Foto ganz oben stellte also nicht wirklich ein Problem dar. Es ist quasi bis auf die Minute datierbar. Aber auch nur, wenn man über die notwendigen Quellen verfügt. Eine dieser Quellen, der "Senftenberger Anzeiger", war auch bei der zeitlichen Bestimmung der zweiten Fotografie behilflich. Nicht bis auf den Tag aber doch relativ genau.
Als ich das Foto zum ersten Mal in der Hand hielt, kam mir die Abbildung spontan irgendwie bekannt vor. Und tatsächlich habe ich sie in sehr viel schlechterer Qualität und auch nachmanipuliert mindestens einmal auf der Internetseite verwendet. In Form eines Faksimiles aus dem "Senftenberger Anzeiger".
Damit kann die Aufnahme ohne jeden Zweifel auf spätestens Anfang Oktober 1931 gedeckelt werden, denn das Foto kam in der Ausgabe vom 3. Oktober 1931 zum Einsatz.
Auch nach unten ist nicht viel Spielraum. Wer genau hinschaut, erkennt, daß sich die Rathenau-Schule gerade in der Errichtung befindet. Und bezüglich dessen gibt wiederum die Lokalzeitung Schützenhilfe. Am 13. August desselben Jahres erschien darin eine Fotografie, die den Baufortschritt an der Schule am Wochenbeginn zeigt.
Darauf ist der Rohbau noch nicht einmal über das erste Stockwerk hinaus. Da das Ganze auf der heutigen Fotografie schon deutlich in die Höhe gewachsen ist, bleibt realistisch tatsächlich nur der September 1931 als Zeitpunkt der Aufnahme übrig...

Senftenberg
Aufnahme = 09.1931
Sammlung Matthias Gleisner

Das Foto selbst wurde natürlich vom Turm der Deutschen Kirche geschossen.
Vielleicht ist mein Exemplar sogar die echte Vorlage für die damalige Zeitungs- veröffentlichung. Laut dieser zeichnete nämlich der "Eigene Photo-Dienst" des "Senftenberger Anzeiger" dafür verantwortlich.