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10.11.2024
2 Kommentare

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Senftenberg
Aufnahme <= 1898
Sammlung Theodor Restel
(gelb)

Bremshaus? Bremsberg?

Hmmmm... Frei nach Heinrich Spoerl ("Die Feuerzangenbowle") "Wo simmer denn dran? Aha, heute krieje mer de Bremsberch. Also, wat is en Bremsberch? Da stelle mehr uns janz dumm. und nehmen uns die "Zeitschrift für Architektur und Ingenieurwesen" (Heft 2, 1898) zur Hand. Diese passt nicht nur zeitlich zu obiger und allen noch folgenden Fotografien, sondern verrät gleichzeitig den Ort der ganzen Szenerie. Ein gewisser Dr. O. Herrmann, ein Lehrer an den Technischen Staatslehranstalten zu Chemnitz, veröffentlichte in besagtem Organ einen Aufsatz mit dem Titel Der Steinbruchbetrieb und das Schotterwerk auf dem Koschenberge bei Senftenberg. Aha! Koschenberg. Alles klar!
Ich erspare dem Leser die Lektüre des vollständigen Textes - und mir das Abtippen - und beschränke mich auf einige wenige Sequenzen, die ich für relevant halte.

Doch vorweg etwas zu den Fotografien an sich. Die sind alt, sehr alt. Obwohl mir ein definitiver Beweis fehlt, gehe ich von ca. 1895 aus. Und dafür sind sie in einem erstaunlich guten Zustand. Das haben wir offensichtlich der Tatsache zu verdanken, daß sich die Fotografien allesamt über die längste Zeit hinter Glas befanden, dabei aber nicht übermäßig viel dem Licht ausgesetzt waren. Wo genau sich das Konvolut die letzten 130 Jahre aufhielt wird letztlich nicht mehr zu ermitteln sein. Ich könnte mir vorstellen, daß sich alle 6 Stücke gemeinsam in einer Art Passepartout befanden. Mit dem einzigen betitelten Exemplar als zentralem Blickfänger. Pure Spekulation. Zwei der sechs Stücke tragen rückseitig den Vermerk "Koschenberg". Gott sei Dank! Ohne diesen Hinweis wären die Aufnahmen sehr wahrscheinlich in der Kiste mit der Überschrift "unbekannt" gelandet und hätten nie den Weg zurück in die Heimat gefunden. Besagter Schriftzug erscheint mir jedoch nachträglich aufgebracht und nicht zeitgenössisch (kein Sütterlin!). Möglicherweise hatte das Passepartout, über das ich sinnierte, einen entsprechenden Schriftzug. Wir werden es wohl nie erfahren und vielleicht ist das auch gänzlich unwichtig denn die Fotos sind ja nun wieder zuhause.

Senftenberg
Aufnahme <= 1898
Sammlung Matthias Gleisner
(rot)
Senftenberg
Aufnahme <= 1898
Sammlung Matthias Gleisner
(grün)
Senftenberg
Aufnahme <= 1898
Sammlung Matthias Gleisner
(cyan)
Senftenberg
Aufnahme <= 1898
Sammlung Matthias Gleisner
(violett)
1896
Senftenberg
Aufnahme <= 1898
Sammlung Matthias Gleisner

Dem oben genannten Zeitschriften-Aufsatz wurde auch ein Plan beigefügt, den ich auszugsweise weiter unten wiedergebe. Darin habe ich die ungefähren Sichtachsen von 5 der 6 Fotografien eingezeichnet. Die Farben korrespondieren dabei mit den Vermerken unter den jeweiligen Fotos.

Die sechste Aufnahme ist leider zu unspezifisch und deshalb kann der Standort des Fotografen nicht sicher bestimmt werden. Davon abgesehen ergänzen sich Plan und Fotos ganz hervorragend und bieten Raum für Spekulationen hinsichtlich des Alters der Aufnahmen. Das alle an demselben Tag aufgenommen wurden, davon gehe ich fest aus. Der Plan erschien Anfang 1898 in jener Zeitschrift und dort sind mit d und e zwei Baulichkeiten eingezeichnet, die wir auf den infragekommenden Ansichten nicht ausmachen können. Das spricht für ein Aufnahmedatum von maximal 1897. Wahrscheinlich sogar eher.

Aber eigentlich wollten wir ja klären was ein Bremsberg war/ist. Wie angedroht tauche ich dazu in besagten Aufsatz ein...

... Mit Rücksicht auf die bedeutenden Höhenunterschiede und die verhältnismäßig kurzen horizontalen Entfernungen zwischen den Abbauörtern der oberen Etagen und den Ladeplätzen war die Anlage eines Bremsberges erforderlich, um das gewonnene Material in den Transportwagen direkt von den Etagengleisen nach den Ladeplätzen und dem Schotterwerk hinabführen zu können (vergl. den Lageplan).
Die Achse des zweigleisigen Bremsberges hat ungefähr die Richtung von S. nach N. Er ist westlich vom Diabasbruch auf einem Terrain angelegt worden, wo brauchbare Steine nur mit großen Schwierigkeiten zu gewinnen sein würden. ... Er wird also voraussichtlich dem zukünftigen Abbau nicht im Wege stehen.
Am oberen (südlichen) Ende des Bremsberges in der Höhe der VI. Etage steht das Bremshaus (i), in dessen oberem Stockwerk der Bremsapparat aufgestellt ist, und von wo aus der den Betrieb leitende Bremsmeister durch zahlreiche Fenster den ganzen Bremsberg mit anschließenden Etagengleisen übersehen kann.
In der Höhe der V., IV. und III. Etage sind in die Bremsberggleise Drehscheiben eingelegt. Das Gefälle des Bremsberges beträgt 1 : 9. Die Drehscheiben sind gusseiserne Gehäusedrehscheiben mit aufgegossenem Schienenkreuz, in welchem Mittelnuthen ausgespart sind zur Aufnahme des Drahtseiles, um dasselbe vor Beschädigungen durch die Räder der Transportwagen zu schützen. Die Scheiben haben einen Durchmesser vom 1,1 m und sind außerdem mit einer Vorrichtung zum Verriegeln ausgerüstet.

So weit, so gut. Das versteht man ja noch. Doch nun läuft Lehrer Herrmann zu Höchstform auf.

Der Betrieb auf dem Bremsberge ist nach dem Vorbilde eines Bahnhofs eingerichtet, insofern der Bremsberg gegen die mit den freien Strecken vergleichbaren Etagengleise für gewöhnlich abgesperrt ist. Das folgende Beispiel, bei dem angenommen wurde, dass Grauwacke für den direkten Versand von der IV. Etage nach der II. Etage hinabbefördert werden soll, wird den Betrieb näher erläutern.

Ein Arbeiter (a) kommt mit einer beladenen Kipplowrie (A) am Bremsberge an, findet denselben aber durch einen Schlagbaum abgesperrt. Nachdem der Bremsmeister im Bremshause die Ankunft der vollen Lowrie bemerkt hat, bringt er zunächst den Arm eines in der Nähe der IV. Etage befindlichen Flügelsignals in waagerechte Stellung und bedeutet damit dem Arbeiter, dass er über die erste Drehscheibe hinweg nach der zweiten (westlichen) zu fahren hat, wo das obere Ende des Drahtseils auf der ersten Drehscheibe in den Mittelnuthen liegt. Kurz darauf wird der Schlagbaum vom Bremsmeister mittelst Drahtzug emporgezogen. Der Arbeiter schiebt nun die Lowrie auf die zweite Drehscheibe und kuppelt erstere, nach der Drehung, mit dem Drahtseil. Die Beendigung dieser Arbeit gibt er dem Bremsmeister durch ein Klingelsignal bekannt. Zu gleicher Zeit hat ein anderer Arbeiter (b) auf der II. Etage eine entleerte Lowrie (B), die auf dem östlichen Gleise steht, an das hier befindliche untere Drahtseilende gehängt und dies ebenfalls dem Bremsmeister durch Klingeln angezeigt.
Hat dieser nunmehr kein Bedenken, die Fahrt vor sich gehen zu lassen, so gibt er seinerseits ein Klingelsignal nach abwärts, das auf allen Etagen ertönt und erlaubt damit dem Arbeiter (a) auf der IV. Etage, die volle Lowrie (A) von der Drehscheibe weg auf die Fallstrecke zu schieben. Die Lowrie (A) läuft auf dem westlichen Gleise hinab nach der Etage II., die leere (B) auf dem östlichen Gleise nach der IV. Etage heraufziehend. Hier angelangt, wird die Lowrie (B) vom Arbeiter (a) in Empfang genommen, vom Drahtseil losgekuppelt, gedreht und auf das Etagengleis hinausgefahren, worauf sogleich der Schlagbaum vom Bremsmeister wieder herabgelassen wird. Gleichzeitig hat auch der Arbeiter (b) die Lowrie (A) auf der II. Etage vom Drahtseil losgehängt und zur Entleerung auf eine der Ladebrücken geschoben. Nachdem die Lowrie (B) auf der IV. Etage wieder gefüllt worden ist, erscheint der Arbeiter (a) nach einiger Zeit wieder am Schlagbaum.
Dieses Mal bleibt jedoch der Flügel des Signals in seiner herabhängenden Stellung, denn jetzt liegt das obere Ende des Drahtseils auf dem östlichen Gleise. Die volle Lowrie (B) wird also auf die erste Drehscheibe gefahren. Der weitere Verlauf entspricht dem eben geschilderten.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann klingeln sie noch heute.
Ziemlich am Ende seines Aufsatzes zeichnet Lehrer Herrmann noch das folgende recht anschauliche Bild:

Sechs Uhr morgens ertönt der lange, schrille Pfiff der Dampfpfeife und giebt ein Zeichen zum Beginne der emsigen Thätigkeit in dieser Waldeinsamkeit. Lärmend und polternd verrichtet das Schotterwerk seine Arbeit, hier rollen die Lowries auf den Gleisen herab, dort ertönen die Glockenzeichen am Bremsberg. Zu Beginn der Pausen aber erklingen die Hornsignale, welche den Arbeitern das bevorstehende Abschießen von Sprengschüssen anzeigen.
Um 7 Uhr abends ist Ruhe. dann verschwinden die 100 bis 150 Arbeiter, die hier in der Regel thätig sind, theils in den Gebäuden, theils wandern sie nach den nahen Dörfern.