Es passiert leider nicht sehr häufig, daß mich jemand von sich aus mit heimatgeschichtlichem Material überrascht. Es ist eher so, daß ich den Leuten hinterherlaufen
muß. Und dies zunehmend erfolglos. Deshalb war es eine mehr als willkommene Abwechslung, als ich vor zwei Wochen mit historischem "Papierkram" bedacht
wurde, der mich forschungstechnisch wieder ein Stück weiterbringt. In solch seltenen Fällen juckt es mir natürlich sofort in den Fingern und ich lasse keine
lange Zeit verstreichen, zumal wenn es sich um solche außergewöhnlichen Stücke wie die beiden ersten Fotos handelt...
Aufnahme <= 1926 Sammlung Lutz Merkle
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Aufnahme <= 1926 Sammlung Lutz Merkle
v.l. Otto Munack, Rud. Meyer, Norbert Merkle, Fritz Gelbrecht, Paul Jurchen
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Die Geschäftsanzeige in der Mitte, steht dort natürlich nicht von ungefähr. Sie soll klar machen wo wir uns befinden... in der damaligen Briesker Straße Nr. 1.
Genauer gesagt an/in "Munacks Bildhauerei", die jedoch zu jenem Zeitpunkt schon lange nicht mehr durch den namensgebenden Paul Munack geführt wurde. Zwischenzeitlich
hatte ein gewisser Emil Dürr die Firma übernommen. Fototechnisch bewegen wir uns ca. 1925/26 und sehen auf beiden Abbildungen den Steinmetzmeister
Norbert Merkle, der zu diesem Zeitpunkt den Betrieb von Dürr übernommen hatte. Ein Blick auf die in Bearbeitung befindlichen Grabsteine zeigt, daß es
definitiv frühestens zweite Jahreshälfte 1925 gewesen sein kann, als der Fotograf dem Steinmetzbetrieb seine Aufwartung machte. Ich gehe fest davon aus, daß Außen-
und Innenaufnahme sehr eng zusammengehören. Ein wenig Kopfzerbrechen bereitet mir noch der kleine Junge, der neben Norbert Merkle und seiner Frau Johanna auf dem "Hühnerschreck"
posiert. Sollte es sich dabei tatsächlich um das einzige Kind des Paares, Kurt, handeln, dann wäre dieser zu diesem Zeitpunkt (1925) zweieinhalb Jahre alt gewesen. Mir persönlich
sieht der Junge mehr nach 3 bis 3½ aus.
Das exakte Datum der beiden Aufnahmen ist nicht der einzige Punkt, der im Nebel der Zeit untergegangen ist. Auch die Frage, wann (und warum) Norbert Merkle überhaupt
nach Senftenberg gelangte, kann heute keiner mehr genau beantworten. Geboren wurde er 1888 nämlich als erstes von 9 Kindern in Wolnzach, im tiefsten Bayern. Drei seiner Geschwister überlebten
die 6. Lebenswoche nicht, ein weiterer Bruder stirbt mit 14 Jahren. Norbert lernte in Donauwörth das Steinmetzhandwerk und besuchte danach die Bauschule in Nürnberg. Er arbeitete
in München, Hannover und Berlin. Während des Ersten Weltkriegs verschlägt es ihn nach Bergmühle in Schlesien. Aufgrund seiner Schwerhörigkeit entgeht er dem Fronteinsatz und
bewacht stattdessen Kriegsgefangene.
Hier lernte er seine spätere Frau kennen, die dort ihre Ausbildung zur Lehrerin absolvierte. Die Hochzeit fand in Reetz/Schlesien Ende 1920 statt. Möglicherweise stammte die
Familie der Braut aus der dortigen Gegend. Davor muß der Bräutigam jedoch schon in Senftenberg gewohnt haben. Auf seinem Meisterbrief, ausgestellt im Februar 1920 durch die
Handwerkskammer Frankfurt/Oder, wird als Wohnort Senftenberg
ausgewiesen.
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Das zeitlich am nächsten kommende Einwohnerbuch Senftenbergs offeriert u.a. zwei Informationen für die Briesker Straße 1. Erstens den
Inhaber des dort angesiedelten Steinmetzbetriebs, oben genannten Emil Dürr. Zweitens einen Herrn Merkle, Robert.
Ich vermute, daß dem Setzer in der Druckerei der Vorname Norbert gänzlich unbekannt vorkam und er sich dachte: Lassen wir
mal den ersten Buchstaben weg, tauschen den dritten mit dem zweiten und schon haben wir einen vernünftigen deutschen Vornamen!
Tatsächlich war damals der Vorname Norbert weitestgehend unbekannt. 1922 rangierte er auf der Skala der beliebtesten Vornamen in Deutschland auf
Platz 150. In Mode gelangte der Vorname erst viele Jahre später und erreichte seinen Höhepunkt Ende der 1950er. Für Senftenberg erlangte
er größere Bedeutung erst wieder mit meinem Heimatforscherkollegen Norbert Jurk.
 
Nimmt man den Eintrag des Einwohnerbuches ernst, so erfolgte die Übernahme des Betriebs durch Merkle keineswegs vor 1922. Das Einwohnerbuch
des Jahres 1925 hingegen enthält keinen Eintrag mehr zu Dürr. Stattdessen wird Merkle (wiederum falsch als "Robert") nunmehr als Steinmetzmeister
geführt. Demzufolge erfolgte der Erwerb der Firma zwischen 1922 und Anfang 1924. Dies wird teilweise durch eine etwas undurchsichtig erscheinende
Fehde mit dem direkten Konkurrenten Max Mittag untermauert. Mittag war selbst einmal Angestellter bei Dürr und machte sich Anfang 1920 selbstständig.
Im März 1924 fand man folgende Erklärung in der Lokalpresse...
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 Senftenberger Anzeiger (1924)
Diese Konstruktion hatte noch eine Weile Bestand, wie man auf nachfolgendem Foto sehen kann.
Aufnahme <= 1937 Sammlung Lutz Merkle
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Max Mittag stieß anscheinend sauer auf, daß Norbert Merkle den uralten Firmennamen "Munacks Bildhauerei"
wiederbelebte (siehe Firmenkopf ganz oben), obwohl dieser über 10 Jahre in der Versenkung verschwunden
war. Mittag ging möglicherweise davon aus, daß der gute Ruf, den Munack einst besessen hatte, seinem
Mitbewerber geschäftliche Vorteile verschaffte.
Bewegte Zeiten in Senftenbergs Steinmetz-Zunft!
Immerhin wissen wir, daß Merkle einen Arbeitnehmer namens Otto Munack beschäftigte. Vielleicht ein Sohn des
ehemaligen Firmengründers?
Die weitere Geschichte bis in das hier und heute zeigt jedoch, daß beide Unternehmen ganz gut koexistieren
konnten und können. Sowohl die Firma Mittag als auch die Firme Merkle sind fast einhundert Jahre später
immer noch aktiv. Bei Merkle mittlerweile in 4. Generation. Auf Norbert Merkle (er starb 1952) folgte sein
Sohn Kurt. Dessen Kinder erlernten sämtlichst einen artfremden Beruf, so daß es an Urenkel Michael war,
die Familientradition hochzuhalten. Von ihm stammt übrigens die Nachbildung der historischen Postmeilensäule
auf dem Senftenberger Markt.

Doch zurück in die Geschichte. Und konkret in die Mitte der 1930er Jahre. Zu dieser Zeit waren die wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen offenbar günstig, so daß man sich daran machte, auf dem Nachbargrundstück ein Dreifamilienhaus
nebst Werkstatt zu errichten. Die Überarbeitung der Hausnummern in der Briesker Straße war da auch schon ein paar
Jahre her, so daß man jetzt von der Briesker Straße 23 sprechen konnte, wo 1935 besagter Neubau vollzogen wurde.
Das nachfolgende Foto stellt die Situation vor den baulichen Aktivitäten dar. Dort wo später das Wohnhaus
stehen soll, befindet sich noch die Ausstellungsfläche im Freien. Rechts erkennt man so etwas wie eine überdachte
Abstellfläche, augenscheinlich eine Holzkonstruktion...
Aufnahme <= 1935 Sammlung Lutz Merkle
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Bilder aus der Bauphase
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