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14.04.2019
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Es passiert leider nicht sehr häufig, daß mich jemand von sich aus mit heimatgeschichtlichem Material überrascht. Es ist eher so, daß ich den Leuten hinterherlaufen muß. Und dies zunehmend erfolglos. Deshalb war es eine mehr als willkommene Abwechslung, als ich vor zwei Wochen mit historischem "Papierkram" bedacht wurde, der mich forschungstechnisch wieder ein Stück weiterbringt. In solch seltenen Fällen juckt es mir natürlich sofort in den Fingern und ich lasse keine lange Zeit verstreichen, zumal wenn es sich um solche außergewöhnlichen Stücke wie die beiden ersten Fotos handelt...

Senftenberg
Aufnahme <= 1926
Sammlung Lutz Merkle
Senftenberg
Aufnahme <= 1926
Sammlung Lutz Merkle
v.l. Otto Munack, Rud. Meyer, Norbert Merkle, Fritz Gelbrecht, Paul Jurchen
Die Geschäftsanzeige in der Mitte, steht dort natürlich nicht von ungefähr. Sie soll klar machen wo wir uns befinden... in der damaligen Briesker Straße Nr. 1. Genauer gesagt an/in "Munacks Bildhauerei", die jedoch zu jenem Zeitpunkt schon lange nicht mehr durch den namensgebenden Paul Munack geführt wurde. Zwischenzeitlich hatte ein gewisser Emil Dürr die Firma übernommen. Fototechnisch bewegen wir uns ca. 1925/26 und sehen auf beiden Abbildungen den Steinmetzmeister Norbert Merkle, der zu diesem Zeitpunkt den Betrieb von Dürr übernommen hatte. Ein Blick auf die in Bearbeitung befindlichen Grabsteine zeigt, daß es definitiv frühestens zweite Jahreshälfte 1925 gewesen sein kann, als der Fotograf dem Steinmetzbetrieb seine Aufwartung machte. Ich gehe fest davon aus, daß Außen- und Innenaufnahme sehr eng zusammengehören. Ein wenig Kopfzerbrechen bereitet mir noch der kleine Junge, der neben Norbert Merkle und seiner Frau Johanna auf dem "Hühnerschreck" posiert. Sollte es sich dabei tatsächlich um das einzige Kind des Paares, Kurt, handeln, dann wäre dieser zu diesem Zeitpunkt (1925) zweieinhalb Jahre alt gewesen. Mir persönlich sieht der Junge mehr nach 3 bis 3½ aus.

Das exakte Datum der beiden Aufnahmen ist nicht der einzige Punkt, der im Nebel der Zeit untergegangen ist. Auch die Frage, wann (und warum) Norbert Merkle überhaupt nach Senftenberg gelangte, kann heute keiner mehr genau beantworten. Geboren wurde er 1888 nämlich als erstes von 9 Kindern in Wolnzach, im tiefsten Bayern. Drei seiner Geschwister überlebten die 6. Lebenswoche nicht, ein weiterer Bruder stirbt mit 14 Jahren. Norbert lernte in Donauwörth das Steinmetzhandwerk und besuchte danach die Bauschule in Nürnberg. Er arbeitete in München, Hannover und Berlin. Während des Ersten Weltkriegs verschlägt es ihn nach Bergmühle in Schlesien. Aufgrund seiner Schwerhörigkeit entgeht er dem Fronteinsatz und bewacht stattdessen Kriegsgefangene.
Hier lernte er seine spätere Frau kennen, die dort ihre Ausbildung zur Lehrerin absolvierte. Die Hochzeit fand in Reetz/Schlesien Ende 1920 statt. Möglicherweise stammte die Familie der Braut aus der dortigen Gegend. Davor muß der Bräutigam jedoch schon in Senftenberg gewohnt haben. Auf seinem Meisterbrief, ausgestellt im Februar 1920 durch die Handwerkskammer Frankfurt/Oder, wird als Wohnort Senftenberg ausgewiesen.

Das zeitlich am nächsten kommende Einwohnerbuch Senftenbergs offeriert u.a. zwei Informationen für die Briesker Straße 1. Erstens den Inhaber des dort angesiedelten Steinmetzbetriebs, oben genannten Emil Dürr. Zweitens einen Herrn Merkle, Robert.
Ich vermute, daß dem Setzer in der Druckerei der Vorname Norbert gänzlich unbekannt vorkam und er sich dachte: Lassen wir mal den ersten Buchstaben weg, tauschen den dritten mit dem zweiten und schon haben wir einen vernünftigen deutschen Vornamen!

Tatsächlich war damals der Vorname Norbert weitestgehend unbekannt. 1922 rangierte er auf der Skala der beliebtesten Vornamen in Deutschland auf Platz 150. In Mode gelangte der Vorname erst viele Jahre später und erreichte seinen Höhepunkt Ende der 1950er. Für Senftenberg erlangte er größere Bedeutung erst wieder mit meinem Heimatforscherkollegen Norbert Jurk.

Nimmt man den Eintrag des Einwohnerbuches ernst, so erfolgte die Übernahme des Betriebs durch Merkle keineswegs vor 1922. Das Einwohnerbuch des Jahres 1925 hingegen enthält keinen Eintrag mehr zu Dürr. Stattdessen wird Merkle (wiederum falsch als "Robert") nunmehr als Steinmetzmeister geführt. Demzufolge erfolgte der Erwerb der Firma zwischen 1922 und Anfang 1924. Dies wird teilweise durch eine etwas undurchsichtig erscheinende Fehde mit dem direkten Konkurrenten Max Mittag untermauert. Mittag war selbst einmal Angestellter bei Dürr und machte sich Anfang 1920 selbstständig. Im März 1924 fand man folgende Erklärung in der Lokalpresse...

Senftenberger Anzeiger (1924)

 

 

 

 

Diese Konstruktion hatte noch eine Weile Bestand, wie man auf nachfolgendem Foto sehen kann.

Senftenberg
Aufnahme <= 1937
Sammlung Lutz Merkle
Max Mittag stieß anscheinend sauer auf, daß Norbert Merkle den uralten Firmennamen "Munacks Bildhauerei" wiederbelebte (siehe Firmenkopf ganz oben), obwohl dieser über 10 Jahre in der Versenkung verschwunden war. Mittag ging möglicherweise davon aus, daß der gute Ruf, den Munack einst besessen hatte, seinem Mitbewerber geschäftliche Vorteile verschaffte.
Bewegte Zeiten in Senftenbergs Steinmetz-Zunft!
Immerhin wissen wir, daß Merkle einen Arbeitnehmer namens Otto Munack beschäftigte. Vielleicht ein Sohn des ehemaligen Firmengründers?

Die weitere Geschichte bis in das hier und heute zeigt jedoch, daß beide Unternehmen ganz gut koexistieren konnten und können. Sowohl die Firma Mittag als auch die Firme Merkle sind fast einhundert Jahre später immer noch aktiv. Bei Merkle mittlerweile in 4. Generation. Auf Norbert Merkle (er starb 1952) folgte sein Sohn Kurt. Dessen Kinder erlernten sämtlichst einen artfremden Beruf, so daß es an Urenkel Michael war, die Familientradition hochzuhalten. Von ihm stammt übrigens die Nachbildung der historischen Postmeilensäule auf dem Senftenberger Markt.

Doch zurück in die Geschichte. Und konkret in die Mitte der 1930er Jahre. Zu dieser Zeit waren die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen offenbar günstig, so daß man sich daran machte, auf dem Nachbargrundstück ein Dreifamilienhaus nebst Werkstatt zu errichten. Die Überarbeitung der Hausnummern in der Briesker Straße war da auch schon ein paar Jahre her, so daß man jetzt von der Briesker Straße 23 sprechen konnte, wo 1935 besagter Neubau vollzogen wurde.

Das nachfolgende Foto stellt die Situation vor den baulichen Aktivitäten dar. Dort wo später das Wohnhaus stehen soll, befindet sich noch die Ausstellungsfläche im Freien. Rechts erkennt man so etwas wie eine überdachte Abstellfläche, augenscheinlich eine Holzkonstruktion...

Senftenberg
Aufnahme <= 1935
Sammlung Lutz Merkle
Bilder aus der Bauphase
Die Datierung der Aufnahme ist etwas vage und beruht im Wesentlichen auf einem 1937, das für das Foto unten links angegeben wurde. Hierauf fehlt nämlich mittlerweile der Holzschuppen.

Senftenberg
Aufnahme = 1937
Sammlung Lutz Merkle
Übrigens ist das Baujahr des Hauses im wahrsten Sinne des Wortes "in Stein gemeißelt"... An der rechten Säule der Toreinfahrt erkennt man auf dem linken Foto ein "Erbaut 1935". Diese Inschrift findet man auch heute noch, jedoch an anderer Stelle.

War die Datierung der bisherigen Fotos noch irgendwie schlüssig, läßt sich das letzte Motiv rechts derzeit nicht sonderlich gut taxieren. Möglicherweise entstand die Aufnahme ebenfalls Ende der 1930er. Aber auch ein viel späterer Zeitpunkt ist denkbar.

Senftenberg
Aufnahme <= 19??
Sammlung Lutz Merkle