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12.01.2025
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Kippensand 2024, Seite 29: Wer jetzt immer noch nicht genug gehört hat von den "Geschichten aus der Bahnhofstraße", dem sei die Website www.gruss-aus-senftenberg.de empfohlen. Dort gibt es ein Unterforum "Bahnhofstraße". Ein Mitglied des Vereins für Heimatpflege - 1909 e.V. Senftenberg hat dort viele Details zusammengetragen, die für den "Kippensand" aber leider zu umfangreich sind.

Für Sarkasmus a la "erstaunlich, daß das bei der Schriftleitung des Zentralorgans des Heimatvereins so durchgegangen ist" ist es selbst für meine Verhältnisse zu spät. Da hätte ich besser schon Ende 2023, als besagter Text erschien, lästern müssen.

2023... so lange ist es auch schon wieder her, daß in dem erwähnten Unterforum "Bahnhofstraße", die letzten Aktualisierungen stattfanden. Ich muß dazu sagen, daß ich mit dieser Initiative nur insoweit zu tun habe, als daß ich die technische Basis zur Verfügung stelle. Diese funktioniert zwar "irgendwie" aber eine ultimative Lösung müsste eigentlich anders aussehen. Wäre es lohnenswert, diesem Projekt wieder etwas Leben einzuhauchen? Da bin ich echt zwiegespalten. Einerseits könnte ich mir vorstellen, daß das Ganze eine halbwegs beherrschbare Aufgabe wäre. Andererseits... ein undankbares Unterfangen, denn wen interessiert schon die Geschichte(n) der einzelnen Häuser der Bahnhofstraße? Das Aufzeigen von Schönheit und Vitalität, von Handel und Wandel die diesen Straßenzug einst prägten, könnte zu schweren Depressionen führen. Sagt ihr Arzt oder Apotheker. Legt man heutzutage die 740 Meter vom Beginn (ja ich weiß: eigentlich startet die Straße nördlich der Eisenbahnbrücke) an der Kreuzung Moritz-/Güterbahnhofstraße bis zum Ende auf dem Markt zurück, dann überkommt den gemeinen Senftenberger das kalte Grauen!
Ich behaupte: in der 125-jährigen Geschichte der Straße war es nie schlimmer. Der Leerstand in den Ergeschossen, teilweise notdürftig kaschiert durch fragwürdige Umnutzungen, hat mittlerweile einen Grad erreicht, der nur noch ein "Augen zu und durch!" zulässt. Ein Trauerspiel auf ganzer Länge! Und das schlimmste ist, es wird auch nie mehr besser!
Wem ist also gedient, würde man hier oder anderswo die Historie der Senftenberger Bahnhofstraße (1:1 auch auf die Kreuz- und Schlossstraße anwendbar) digital aufarbeiten?
Na gut, vielleicht so Typen wie mir, die in die Kategorie "Senftenberger Bild- und Informationsmessi" fallen, und für die ich diese Internet-Seite betreibe. Diese stehen aber auch schon auf der roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten.

Naja egal! Bahnhofstraße ist das Thema und wer denkt, daß er schon alles gesehen hat, den werde ich heute teilweise vom Gegenteil überzeugen können.

Den Anfang mit bislang wenig bekannten Ansichten mache ich in der Bahnhofstraße 15. Das professionelle Foto aus der Schmiede von PHOTO-KACHEL führt uns ziemlich weit an den Zeitpunkt heran, an dem das Haus, das 1945 derart zerstört wurde, daß es fast vollständig abgerissen werden musste, einen Neuaufbau erfuhr.
Das <= 1960 habe ich relativ frei vergeben. Das Datum der Einweihung der Bank für Handwerk und Gewerbe kann ich aktuell nicht liefern (Forschungsauftrag!). Die Ansicht selbst passt aber sehr gut zu folgender Zeichnung, die ca. 1957 auf Briefumschlägen besagten Kreditinstituts Verwendung fand...

Senftenberg
PHOTO Kachel, SENFTENBERG, N.L.
Aufnahme <= 1960
Museen OSL

Sieht für mich fast wie ein 1:1 - Abklatsch der Fotografie aus. Demzufolge liege ich mit meinem <= 1960 bestimmt auf der sicheren Seite.
Das Haus selbst erhielt zwischenzeitlich ein "Facelift". So wurde das Dachgeschoß ausgebaut und die auf dem schwarz-weiß-Foto noch vergitterten 6 Fenster im Parterre wurden nach unten verlängert und ihrer Gitterstäbe entledigt. Erstaunlich hohe Konstanz zeigt sich in der Nutzung des Hauses durch ein Bankinstitut seit 1931. Ob man die 100 Jahre noch voll kriegt?
Das Klischee links wurde übrigens sehr schlampig ausgeführt... oder kennt hier jemand die BAHNHOF8TRASSN?

Und falls jemand fragt... die "Bank für Handwerk und Gewerbe" befand sich aus o.g. Gründen Ende der 1940er Jahre (und sicher bis zur Fertigstellung des Hauses Bahnhofstraße 15) in der Schmiedestraße 7. Das wäre aber schon wieder ein neues Projekt.

Ein weiteres Geschäftshaus, das am Ende des 2. Weltkriegs schwere Beschädigungen erfuhr und deswegen abgerissen werden musste, war die Hausnummer Bahnhofstraße 23. Historisch Interessierten ist die Geschichte des Hauses, oder besser die des früheren Besitzers, des jüdischen Kaufmannes Nathan Klein, halbwegs bekannt. Und auch an die Aufnahme rechts wird sich vielleicht der eine oder andere dunkel erinnern. Bis zum heutigen Tage wurde diese ausschließlich in etwa der Größe meines Vorschaubildes publiziert. Zuerst in Werner Forkerts "Senftenberger Rückblicke Teil 3" (2008) und danach in Norbert Jurks "Streifzüge durch meine Heimatstadt Senftenberg" (2011).
Norbert verwendete dabei grundsätzlich die Forkert, die er von diesem zugespielt bekam. Der Ursprung ist jedoch ein anderer. Nämlich Hans Lange!

Durch das Hans-Lange-Chronik-Konvolut gelangte ich vor einigen Monaten an denjenigen Fotoabzug, der in irgendeiner Form (vermutlich nochmals abfotografiert) sowohl Werner Forkerts als auch Norberts Basis war. Gleichzeitig lag mir aber auch das originale Negativ dieses Abzugs vor, von dem ich meine Version bezog.

Senftenberg
Aufnahme = 1910
Sammlung Uwe Jähnert
Für mich ist dies ein Indiz dafür, daß Werner Forkert die Lange-Chronik kannte und sich daran bediente. An Fotos, an Texten, am Gesamtkonzept. Wie üblich ohne Quellenangabe. Ich werde zu einem späteren Zeitpunkt weitere Beweise liefern, die meine These stützen.

Nebenbei klärte sich auch, warum die Ansicht bisher immer nur im Briefmarken-Format reproduziert worden war: Lange lag damals in den 1970/80ern zweifellos eine Original-Fotopostkarte vor, die er abfotografierte. Dies gelang nur so semi... das Original war nicht ganz plan und Langes Schnappschuß erfolgte leicht schräg und zudem unscharf. In vor-digitaler Zeit konnte man ja nicht sofort überprüfen, ob die Reproduktion eine ausreichende Qualität aufweist. Das Schlamassel sah man erst nach der Entwicklung und da war das Original möglicherweise schon wieder über alle Berge und ein weiterer Versuch unmöglich.
Ich sage es ja immer wieder: ich möchte zu jener Zeit nicht dieses "Geschäft" betrieben haben. Mit all den technischen Limitierungen, die sich heute keiner mehr vorstellen kann.
Jedenfalls fallen derartige Probleme weniger ins Gewicht, je kleiner man eine solche Aufnahme reproduziert. Details sind in dieser Größe so gut wie nicht mehr auszumachen und da stört es kaum, daß die Aufnahme unscharf ist.
Leider ist es mir mit meinen Künsten auch nicht gelungen, aus dem VW Golf einen Ferrari zu zaubern. Ein wenig konnte ich optimieren aber eine unscharfe Aufnahme bleibt eine unscharfe Aufnahme. Besonders frustrierend ist in diesem Fall, daß ich mir 100% sicher bin, daß das Original eine Fotopostkarte aus der Werkstatt des Berliner Fotografen Paul Klinke war. Und diese zeichnen sich durch eine sehr hohe Schärfe aus. Hätten wir ein Original zur Hand, könnten wir sicher die einzelnen Personen erkennen und erhielten so eine Vorstellung wie besagter Nathan Klein aussah (ich vermute, er ist die erste männliche Person von links).
Wegen der ganzen Nathan Klein-Geschichte (warum haben sich eigentlich noch nie die "Stolperstein"-Leute bei mir gemeldet?) halte ich die Aufnahme jedoch für so wichtig, daß ich sie trotz schlechter Qualität ins digitale Archiv aufgenommen habe. Nur allzu gerne würde ich diese C-Klasse-Grafik gegen den Scan eines Originals austauschen, aber ehrlich: das Auftauchen eines solchen bei mir, käme schon einem mittleren Wunder gleich! Darauf warte ich schon 14 Jahre.

Und doch... "Wunder gibt es immer wieder"
In die Kategorie der kleinen Wunder gehört für mich, daß mir unlängst die Aufnahme rechts offeriert wurde. Ja, dabei handelt es sich wiederum leider nur um eine Kopie. Im Vergleich zu der Nathan Klein-Ansicht aber mit einem signifikanten Qualitätssprung.
Auch hier bin ich mir sehr sicher, daß das Original, dessen Verbleib leider bisher nicht zu klären ist, eine Paul Klinke-Produktion war. Diese wäre eine Stufe näher am Ursprung sicherlich sehr scharf und detailreich. Doch ich muß bis auf weiteres notgedrungen mit dieser 2. Generation vorlieb nehmen.
Wie oben halte ich auch diese Ansicht für derart wichtig, daß ich meine Qualitätsansprüche zurückschraube und der Fotografie einen Platz im digitalen Archiv einräume.
Warum ich die Aufnahme für wichtig erachte? Ganz einfach: sie zeigt uns erstmals und bislang einmalig wie das Haus Bahnhofstraße 36 ursprünglich aussah. Nur wenig erinnert heutzutage noch an die schön verzierte Fassade, an die Balkons und daß da einstmals Leben drin herrschte. 1909 ließ der Tischlermeister Paul Obenaus (auf dem Balkon stehend) dieses eindrucksvolle Haus errichten. Seine Werkstatt befand sich dahinter. Das Schild mit "Sarg-Magazin" verweist zweifellos auf seinen Gewerbebetrieb. Außerdem beherbergte die Adresse das Fotostudio von Max Artlich, das später in einen Nebenbau umzog. Artlichs Nachfolger war übrigens eben jener Photo-Kachel, dem wir die Fotografie ganz oben verdanken. Photo-Kachel war in zwei Generationen Mieter der Hausnummer 36. Desweiteren erkennen wir auf der Aufnahme, daß sich anno 1910 in dem Haus ein "Showroom" des Senftenberger Möbel & Waren Kredit Hauses befand. Der eigentliche Sitz dieses Unternehmens befand sich woanders, wie man nachfolgender Anzeige entnehmen kann...

Senftenberg
Aufnahme = 1910
Sammlung Marcel Pfeil
Senftenberger Anzeiger (1910)

Das Foto rechts aus DDR-Zeiten ist für mich schwer datierbar weil auch nicht so wirklich zu sehen ist, was in dem Laden zu dem Zeitpunkt los war. Zumindest erkennt man andeutungsweise, daß der Zugang zum Geschäft mittlerweile verändert worden war. Ich habe in dunkler Erinnerung, daß zum Ende der DDR hin der Bäcker Wolfgang Bahl dort residierte. Und das bis mindestens 1993, wenn nicht noch länger. Danach war ein Fleischer, irgendwann eine Zoohandlung und ganz am Ende ein Friseurgeschäft in dem Ladenlokal eingemietet.
Aber das passierte ja alles schon nach der Wende und fällt eigentlich aus meinem Betrachtszeitraum. Die 40 Jahre davor lassen sich irgendwie ganz schlecht rekonstruieren. Und in solchen Momenten wünsche ich mir eine chronologisch aufbereitete Bahnhofstraße. Die muß ich mir dann doch wahrscheinlich selber bauen.

Puh! Jede Menge Text heute. Und mehrere angerissene Themenfelder, die ich zukünftig sicher noch vertiefen werde. Mindestens die Senftenberger Bahnhofstraße wird noch eine Weile beackert werden und auch die weitere Analyse der "Hans-Lange-Chronik" steht noch auf dem Programm.

Und noch etwas wird uns vor Augen geführt: die "Seuche" mit den Versicherungsbüros entlang der Bahnhofstraße ist keine Erfindung der Neuzeit.

Apropos "Neuzeit"... in der ist das Haus kaum noch wieder zu erkennen. Die ganzen Modernisierungen und Umbauten waren aber letztlich auch für die Katz, denn das Haus ist seit Jahren unbewohnt und der letzte Ladeninhaber im Hochparterre hat schon vor einer Ewigkeit das Licht gelöscht. Kurzum: wenn man ein anschauliches Beispiel für meine Ausführungen hinsichtlich des Geisterbahn-Charakters unserer Bahnhofstraße sucht.. an der Nummer 36 wird man fündig.

Wobei man ehrlicherweise hinzufügen muß, daß das Haus bereits zu DDR-Zeiten seinen ursprünglichen Glanz schon ziemlich stark eingebüßt hatte. Beweis gefällig?

vermutlich Ende 1970er