Ich vermute, daß im Juni 1906, als der Senftenberger Anzeiger die Übernahme der Handelsgesellschaft
Schöppenthau & Wolff durch die Konsolidierte Hallesche Pfännerschaft bekannt machte, der eine oder
andere Senftenberger dachte Pfännerschaft? Wie? Was?
Gut einhundert Jahre später, zu Beginn meiner heimatforscherischen Betätigung, kamen bei mir die selben Fragen
auf. Kaum verwunderlich, denn die Hallesche Pfännerschaft ist heutzutage noch weit weniger ein Begriff als
damals. Deswegen ist es vielleicht nicht ganz uninteressant, sich diesem Teil der Geschichte etwas ausführlicher
zu widmen...
Dazu zunächst zurück ins Jahr 1906 und in den Senftenberger Anzeiger:
- Konsolidierte Hallesche Pfännerschaft. Die am 16. d. Mts. stattgefundene außerordentliche Gewerkenversammlung
war wohl für diese Gewerkschaft die bedeutungsvollste seit dem 1868 erfolgten Uebergang der früher Königlichen
Saline Halle und der Braunkohlengrube Alt-Zscherben in ihren Besitz und der dadurch bedingten Neuorganisation
ihrer Verfassung. Tritt doch die Pfännerschaft, eine der ältesten deutschen Erwerbsgesellschaften, mit der
Erwerbung des gesamten industriellen Besitzes der Handelsgesellschaft Schöppenthau & Wolff in Senftenberg N.-L.
aus dem Jahrhunderte hindurch eng begrenzten heimatlichen Kreise heraus und paßt sich damit gleichsam der
durch Vererbung und Verkauf hervorgerufenen Verzweigung ihrer Gewerken an, welche sich in früheren Zeiten
ausschließlich aus Halleschen Patrizierfamilien rekrutierten und heute in allen Teilen Deutschlands und darüber
hinaus ihren Wohnsitz haben.
Die Erwerbung der Senftenberger Werke wurde einstimmig beschlossen. Die erworbenen Objekte bestehen im wesentlichen
in der Braunkohlengrube "Friedrich Ernst" bei Senftenberg mit ca. 3 ½ Millionen
hl Jahresförderung und lange Zeit ausreichenden Kohlenlagern, von denen ein beträchtlicher Teil wie bisher durch
Tagebau gewinnbar ist, der mit der Grube durch Drahtseilbahn verbundenen Brikettfabrik direkt
am Bahnhof Senftenberg mit ca. 8200 D-W. Jahresproduktion und einer Glashütte daselbst
mit einem Fabrikationsquantum von ca. 3 ½ Millionen Flaschen pro Jahr.
Die Gesamtbelegschaft beträgt ca. 370 Arbeiter. Die zum Ankauf erforderlichen Mittel in Höhe von rund 2 Mill. Mk.
werden durch eine 4 proz. Obligationsanleihe in Höhe von 2.500.000 Mk, welche gleichzeitig zur Deckung der
bedeutenden Straßenausbau- und Kanalisationskosten des zur Bebauung bestimmten sog. Holzplatzgrundstücks an der Mansfelderstraße
in Halle a.S. dienen soll, aufgebracht. Der Besitzübergang erfolgt am 1. Juli d. J. Die neuen Werksanlagen erhalten
besondere in Senftenberg domizilierte Betriebsleitung, die Verwaltung erfolgt von der pfännerschaftlichen Hauptverwaltung
in Halle a.S. aus.
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Aufnahme = 1911 Sammlung Kathrin-Janette Bleisch
Die wackeren Herren, die wir hier im Jahr 1911 sehen,
gehörten vielleicht schon zum links genannten 370 Mann
starken "lebenden Inventar", welches von der Pfännerschaft
übernommen wurde.
Wir werden es wohl nie erfahren.
Das was dort an Material ringsherum drapiert wurde, sieht
für mich nach Bestandteilen der ebenfalls genannten Seilbahn
aus. Unten links, das dürften Teile von Brikettrinnen sein.
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Was in dem Text leider nicht herausgearbeitet wurde, ist die Herkunft bzw. Bedeutung des Begriffs Pfännerschaft.
Die Erklärung hierzu erfolgte einige Monate später wiederum im Senftenberger Anzeiger. Daraus zitiere ich nachfolgend einige Passagen:
Man versteht unter Pfänner die Anteilhaber eines Salzwerkes, deren Gesamtheit die Pfännerschaft bildet. Der
älteste und bis in das 19. Jahrhundert bedeutendste Gewerbebetrieb der Stadt Halle, die Salzgewinnung, lag von alters her in den
Händen der Pfännerschaft, welcher zu allen Zeiten die angesehensten Familien der Stadt angehörten. Die Halle'schen Salzwerke waren bereits im 10. Jahrhundert
von Kaiser Otto den Erzbischöfen von Magdeburg verliehen, welche bald danach Hallesche Bürger und Beamte der Salzwerke damit belehnten. Schon im 12. Jahrhundert
hatten die Sohlengutsbesitzer und Pfänner sich den unbeschränkten Besitz der Salzwerke gesichert und durch die daraus fließenden reichen Einkünfte sich die
ausschlaggebende Stimme im Rat der Stadt Halle verschafft. Von Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Jahr 1868 verkaufte die Pfännerschaft ihre gesamte Salzproduktion
an den Kgl. Preuß. Fiskus, welcher bis zum genannten Jahre das Monopol zum Salzverkauf innerhalb der preussischen Monarchie besaß.
Die Arbeit des Salzsiedens verrichten seit unvordenklichen Zeiten die sog. Halloren, welche sich seit dem früheren Mittelalter als
abgeschlossener Stamm erhalten haben und noch jetzt durch eigentümliche Tracht und altertümliche Sitten auszeichnen. Die bis gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts
in ca. 100 Koden stattfindende Versiedung erforderte eine bedeutende Anzahl von Arbeitskräften, welche durch Anlegung großer Pfannen,
Reservoire etc. und Zuhilfenahme der Dampfkraft wesentlich vermindert werden konnten. Seit der Consolidation der Pfännerschaft im
Jahre 1868 ist die frühere Bedeutung der Saline infolge der stets wachsenden Konkurrenz neuer Salinen mehr und mehr zurückgegangen und in gleichem Maße der
Braunkohlenbergbau, den die Pfännerschaft als eine der ersten größeren Gesellschaften in erheblichem Umfange aufnahme, in erste Reihe
als Haupterwerbszweig der Gewerkschaft getreten. Neben dem Braunkohlenbergbau betreibt die Gewerkschaft in umfangreichem Maße Teer- und Grudekoksgewinnung, sowie
Naßpreßstein- und Ziegelfabrikation.
Der Braunkohlenbergbau und die nachfolgende Brikettproduktion, die aus historischer Sicht im ersten Moment für die Pfännerschaft eigentlich ungewöhnlich erscheint,
macht aufgrund der großen Mengen an Feuerungsmaterial, die zum Salzsieden und später auch in den Ziegeleien benötigt wurde durchaus Sinn. Ein weiterer energieintensiver
Industriezweig - die Glasproduktion, kommt in den damaligen Texten zwar nicht explizit vor, doch spätestens durch den Erwerb der Senftenberger Gesellschaft Schöppenthau
& Wolff geriet die Glasfertigung ebenfalls in den Fokus der Pfännerschaft. Einige Zeit später weitete man diesen Produktionszweig durch den Kauf der Magdalenenhütte
in Großräschen sogar noch aus.
Das daraus resultierende Geschäft war nicht einmal ein sehr kleines. Das Adressbuch für Deutschlands Glasindustrie von 1925 enthält folgende Angaben:
Hallesche Pfännerschaft Akt.-Ges. in Halle a. S., Werkdirektion in Senftenberg, N.-L.,
Glashütten in Senftenberg und Groß-Räschen, N.-L. (Magdalenenhütte), Provinz Brandenburg (Preußen), Reg.-Bez. Frankfurt a. d. Oder,
Fabrikat: Flaschen aller Art, Form und Farbe, Hohlglas. Spezialität: Selters-, Limonade-, Brunnen-, Kognak-, Bier-, Wein-, Likör-, Milch- und Oelflaschen,
von 20 bis 100 ctl. Inhalt. — In Senftenberg 1 Dauerwanne; in Groß-Räschen 2 Dauerwannen, 1 Tageswanne, 3 System-Siemens-Regenerativ-Wannen und 1 Rekuperativwanne.
— Braunkohlen und Briketts aus eigenen Bergwerken und Brikettfabriken. Eigene elektrische Werkzentrale. 450 Glasarbeiter. Eigene Fabrikkrankenkasse.
Jahresproduktion: 20 Millionen Glasgefäße.
Außerdem stellte man in Senftenberg und Großräschen auch verzierte Verpackungsgläser, Beleuchtungs- und Maschinenglas, Konservengläser, Bierkrüge, Gewinde-Schutzglocken,
Preßglas, sowie Verpackungsflaschen für die pharmazeutische und Lebensmittelindustrie her.
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Hallesche Pfännerschaft Aktiengesellschaft Werksdirektion Senftenberg (Lausitz) Aufnahme <= 1922
Gesamtansicht der Glashütte und Brikettfabrik in
Senftenberg (Lausitz)
Die Belieferung mit Kohle aus eignen Gruben
sichert den Betrieb unserer Glashütten.
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Die linke Ansichtskarte (wahrscheinlich eine Art "Werbekarte") stellt im umseitigen Text stark auf die Glasproduktion des Unternehmens ab.
Gleiches gilt für die rechte Zeitschriften-Illustration, die starke Parallelen zur Ansichtskarte aufweist und für mein Empfinden in einer sehr engen
zeitlichen Nähe angefertigt wurde.
Sowohl die Ausrichtung auf einen speziellen Produktionszweig, als auch das Erscheinungsbild der Baulichkeiten, stellten sich 15 Jahre zuvor noch etwas
anders aus, wie man an dem nachfolgenden, gut bekannten, Motiv erkennen kann.
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Originaldruck Reinicke & Rubin, Magdeburg 1908 28072 Aufnahme <= 1908 Sammlung Matthias Gleisner
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Die vierte, und möglicherweise letzte, Version dieser Ansicht kommt höchstwahrscheinlich der
Originalfotografie am nächsten. Die Abbildung ist vergleichsweise scharf und wurde keiner
farbigen Nachbehandlung unterzogen wie die beiden colorierten Varianten. Die im Zusammenhang
mit diesem Motiv erstmals auftauchende 1908 in den Verlegerangaben, bringt uns für
meine Begriffe sehr nahe an das Entstehungsjahr der Originalfotografie.
Ein Unterschied zur späteren Ansichtkarte oben, der sofort ins Auge springt... 1908 hatte
man noch zwei weitere Schornsteine in Betrieb. Diese befanden sich in unmittelbarer
Nachbarschaft der Glashütte (links). Die beiden Schlote fehlen auf dem Stück aus den 1920ern
völlig.
Überhaupt war das gesamte Areal immer wieder baulichen Veränderungen unterworfen, bei denen
man heutzutage leicht den Überblick verlieren kann. So stellte sich zum Beispiel die Brikettfabrik
zu DDR-Zeiten erheblich anders dar. Was mindestens bei mir zuweilen zu Verwirrung führt, da
mir manchmal im ersten Moment unklar ist, aus welcher Himmelsrichtung einzelne Aufnahmen gemacht wurden.
Wie beispielsweise dieses ziemlich kleinformatige Foto, das
uns in den Beginn der 1950er Jahre katapultiert. Die Brikettfabrik
hieß zu diesem Zeitpunkt bereits "Impuls". Der entsprechende
Schriftzug ist bei genauer Betrachtung des Fotos erkennbar.
Der Fotograf schaute, wie bei den zwei historischen Ansichtskarten,
in Richtung Norden.
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Aufnahme <= 1951 Sammlung Norbert Jurk
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Bewegte Bilder aus westlicher Richtung
zeigen uns diese Schmalfilmaufnahmen aus
der Sammlung von Dietrich Freitag.
Sie enstanden in den 1950er Jahren und
illustrieren, wie stark sich das Bild
der Brikettfabrik und das ganze Drumherum
zu dieser Zeit bereits verändert hatte.
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Und überhaupt Veränderungen! Die betrafen nicht nur die industriellen Anlagen sondern auch das Verwaltungsgebäude der Pfännerschaft in der
Spremberger Straße. Um dessen Errichtung ranken sich auch so einige Geheimnisse. Zumindest was meinen Wissensstand angeht. So ist zunächst einmal unklar,
wann genau das Gebäude errichtet wurde. Daran biss sich schon Werner Forkert die Zähne aus. In seinen "Senftenberger Rückblicken (1)"
datiert er die Errichtung in die Amtszeit von Bürgermeister Emil Kieback (1913 - 1917). Im 2. Teil der "Senftenberger Rückblicke" dann in die
Amtszeit von Albert Seedorf (1918 - 1930). Meine bisherigen Recherchen ergaben, daß das Verwaltungsgebäude zwischen 1922 und
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Aufnahme <= 1929 Sammlung Matthias Gleisner
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1924 gebaut worden sein muß. Außerdem schreibt Forkert wiederholt von einem Umbau des an diesem Standort befindlichen Gasthauses/Hotels
"Zum Stern". Ich gebe zu, daß ich große Zweifel an dieser Version der Geschichte habe. Zwar erinnern einige Teile des Grundrisses und der
Fassade an das frühere Hotel, aber wenn, dann hat man sich meiner Meinung nach höchstens vom Vorgänger-Bau inspirieren lassen...
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Persönlich finde ich es jedenfalls schade, da ich die Architektur des "Stern" für sehr viel schöner halte, als die des, zwar nicht
ganz schmucklosen, aber im Vergleich doch einfacher gehaltenen Verwaltungsgebäudes.
Apropos Fassadengestaltung. Das Haus steht ja heute noch und man kann durch den Vergleich mit dem Foto links erkennen, daß eine Reihe
von Verzierungen über die Jahre verloren gegangen sind. Was in jedem Fall überlebt hat, sind die beiden Plastiken an diesem schräg angesetzten
Gebäudeteil.
Diese stellen zum Einen einen Bergmann und zum Anderen einen Glasbläser dar und weisen so seit mehr als 90 Jahren
auf die enge Verbindung zwischen Braunkohlenbergbau und der Glasproduktion innerhalb der damaligen Halleschen Pfännerschaft hin.
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