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31.12.2021
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Wenn die stille Zeit vorbei ist, dann wird es auch wieder ruhiger.

Traditionell bezeichnet man die Zeit, in der wir uns aktuell befinden, als "zwischen den Jahren". "Zwischen den Feiertagen" trifft es eigentlich besser und man ist sich auch uneinig, wie lange dieses "zwischen den Jahren" überhaupt dauert. Eine Variante umfasst z.B. die 12 Tage zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar. Egal! Sicher ist, daß dieser Zeitraum immer wieder gern für Jahresrückblicke verwendet wird. Und das was ARD, ZDF, RTL und Sat1 können, kann www.gruss-aus-senftenberg.de schon lange!
Damit das Ganze jedoch nicht ausartet, blende ich alle politischen, gesellschaftlichen und gesundheitlichen Themen aus und beschränke mich auf die heimathistorischen Dinge, die ich für gewöhnlich an diesem Ort abarbeite. Ja ich weiss, tendenziell bin ich eher negativ eingestellt... das hat nicht geklappt, dort hätte es besser laufen können, der hat mich ignoriert und überhaupt... bald ist hier sowieso Schluß...

Aber eigentlich war das Jahr 2021 nicht so schlecht... es fing schon damit an, daß ich ein kleines Konvolut einzigartiger Stücke von Familie Forberger auswerten konnte. Die erste Hälfte des Jahres war ich stark mit meinem Zweitprojekt harun-el-raschid-bey.de beschäftigt, welches ja irgendwie auch mit Senftenberg zu tun hat. Obwohl eigentlich abgeschlossen, taten sich plötzlich neue Quellen auf, die zum Teil ein Umschreiben der Geschichte notwendig machten. Zu verdanken habe ich dies auch der Tatsache, daß immer mehr historische Dokumente online verfügbar gemacht werden und diese teilweise sogar nach Schlagworten durchsuchbar sind. Die Qualität der Suchergebnisse schwankt dabei zwar gewaltig aber besser als nichts ist es allemal! Auch konnte ich wichtige digitale Quellen in Empfang nehmen, die die Arbeit zukünftig noch weiter verbessern werden. Wider Erwarten tauchten im Laufe des Jahres einige extrem seltene Fotografien bei mir auf, die ich partiell natürlich so schnell es ging, vorstellte. Ein Highlight für mich war das aus der Versenkung aufgetauchte "Korkbild". Ich musste zwar ziemlich lange baggern, um an Detail-Fotografien zu gelangen, die meinen Qualitätsansprüchen genügten, aber letztlich konnte ich dieses Unikat aus dem Jahre 1889 der breiten Öffentlichkeit digital restauriert zur Verfügung stellen. Mein nächster kleiner Höhepunkt des Jahres 2021 war der Fakt, daß es mir gelang, den kompletten Stummfilm "Der Tunnel", der 1915 zu Teilen auf Grube Marga gedreht wurde, zu ergattern. Damit konnten die damit im Zusammenhang stehenden offenen Fragen geklärt werden. Auf die erst kürzlich von mir (wieder-)entdeckte "Fiebiger-Geschichte" bzw. deren Aufarbeitung bin ich eigentlich ganz stolz, auch wenn sie nicht 100%ig vollständig ist. Hier schrecken mich vergleichsweise hohe finanzielle Kosten bei gleichzeitig vagem Mehrwert von der Materialaquise noch ab.

Leider musste ich im Oktober eine, nicht nur für mich, niederschmetterende Nachricht verbreiten. Der viel zu frühe Tod Norbert Jurks riss nicht nur einen Menschen aus seiner Familie sondern mir ging zugleich eine meiner "treuesten Seelen" verloren. Zeitweilig hatte ich danach starke Zweifel, ob das was ich hier mache nun noch einen Sinn hat. Norberts Bücher lebten in unterschiedlichem Maße auch von dem, was ich in den letzten 10+ Jahren herangeschafft und aufbereitet hatte.
Nüchtern betrachtet, und ich würde mich nur zu gerne vom Gegenteil überzeugen lassen, bin ich nun der letzte Mohikaner, der sich mit einer extremen Detailverliebtheit, Besessenheit aber auch Genugtuung an historischem Bildmaterial erfreut und abarbeitet. Denn es gehört auch zur Wahrheit, daß ich generell ein abnehmendes Interesse an Senftenberger Heimatgeschichte spüre. Das mag zu einem Großteil damit zu tun haben, daß die Alten so langsam alle wegsterben und die Jungen andere Interessen haben. Nicht umsonst erschien Norbert Jurks letztes Werk posthum nur noch in einer Auflage von 500 Stück. Dies war aber von Anfang an so geplant, hat nichts mit dem Tod des Autors zu tun sondern mit oben erwähnter schwächelnder Aufmerksamkeit für heimatgeschichtliche Themen. Wer also seine Norbert-Jurk-Serie komplettieren möchte, der sollte sich ggf. schnell in die Spur machen. Die Stückzahl ist äußerst begrenzt.

Über das Jahr verteilt konnte ich auch diesmal wieder einige neue Materialsponsoren gewinnen. Auch wenn es nur wenige Stücke sind, die dabei herumkommen: alles kann helfen, die Senftenberger Bildgeschichte weiter zu vervollständigen. Schlußendlich legte mir die Katze kurz vor dem Jahresende noch einzigartige Fotos vor die Tür, die ich teilweise in der vergangenen Woche und auch heute vorstellen kann.

Womit ich dann wieder beim "normalen" Geschäft auf www.gruss-aus-senftenberg.de angekommen bin...

Wir haben es hier mit einer der von mir geschätzten Produktionen des Berliner Fotografen Paul Klinke zu tun. Sehr schön. Sehr selten. Ich habe in der Vergangenheit mehrfach meine Theorie verteidigt, daß sämtliche Klinke-Produktionen aus Senftenberg im Jahr 1910 angefertigt wurden. Dies resultiert aus meiner Annahme, daß der der Berliner Fotograf (oder einer seiner Angestellten) sicherlich nicht mehrfach hier war. Dazu war sein Aktionsradius einfach viel zu groß. Von ihm sind Produktionen aus vielen verschiedenen Orten Preussens bekannt, so daß es sehr unwahrscheinlich erscheint, daß er eine Stadt mehr als einmal aufsuchte, um den (vorrangig) dort ansässigen Geschäftsleuten seine Dienste anzutragen. Zusätzlich lässt sich aus den abgebildeten Läden bzw. dem Wissen, wann diese an der entsprechenden Stelle residierten, der Zeitrahmen einschränken.
In vorliegendem Fall kommt hinzu, daß ich das Geburtsdatum des kleinen Jungen, der von seiner Mutter auf dem Arm gehalten wird, ermitteln konnte. Bei ihm handelt es sich um Ernst Vogel, geboren am 21. April 1908. Ich halte es für realistisch, den Buben auf gut 2 Jahre alt einzuschätzen, womit der Zeitpunkt der Aufnahme Mitte 1910 absolut stimmig ist.
Außerdem auf dem Bild: der Prinzipal Hermann Vogel neben seiner bereits erwähnten Ehefrau. Das Mädchen, das so keck mit verschränkten Beinen dasteht, ist Irma Vogel. Ihr Geburtsjahr konnte ich bislang nicht ausfindig machen denn sie wurde nicht im Amtsbezirk Senftenberg geboren. Schätzungsweise 1898. Womit sie etwa zwei Jahre älter als ihr Bruder Georg war, für den ich den stolzen Jungen auf dem Fahrrad halte. Der spätere Rechtsanwalt Georg Vogel, der auch eine Nebenrolle in meinem Harun-el-Raschid-Bey-Projekt spielt, wurde im November 1900 geboren und wäre demnach auf dem Foto 9 ½ Jahre alt gewesen. Erscheint mir plausibel.

Senftenberg
Paul Klinke, Berlin N.65, Müllerstr. 30.
Aufnahme = 1910
Sammlung Theodor Restel
Nachdem der zeitliche Aspekt der Aufnahme hinreichend beleuchtet wurde, wäre noch zu klären wo wir uns konkret befinden. Die richtige Antwort ist für Gelegenheits-Senftenberg-Interessierte nicht ganz so leicht zu finden. Hierzu bedarf es eines Anfangsverdachts, eines scharfen Auges und ggf. sekundäres Hintergrundwissen. Erschwerend wirkt, dass das Haus zwar noch existiert, sich aber 2021 stark verändert präsentiert. Sämtliche Schmuckelemente, die 1910 noch die Fassade zierten, sind verschwunden. Das Ladengeschäft gibt es nicht mehr und auch die Fensteraufteilung ist mutmaßlich eine etwas andere. Zumindest die Hausnummer stimmt noch. Nr.13 in der Calauer Straße.
Bezüglich der "guten Augen" und dem Anfangsverdacht, die ich oben genannt habe, möchte ich die Aufmerksamkeit der Leserschaft auf folgende Aufnahme richten. Hierauf ist nämlich ein Teil derselben Fassade am rechten Bildrand erkennbar.
Übrigens: Hermann Vogel war nicht nur als Buchhändler tätig. Auch das Möbelgeschäft, dessen Eingang man hier sieht und das die Adresse Calauer Straße 15 trug, lief unter seiner Ägide. Daneben führte er auch noch den "Gasthof zur Mühle Krausnitz" im Sächsischen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Von der Calauer Straße 13 ist es über die Nr.15 nur ein ganz kleiner Sprung zur Hausnummer 17. Diese wird auf der Ansicht rechts und auch heute noch vom "Gasthaus zum Löwen" besetzt.
Was uns zur nachfolgenden Fotopostkarte bringt, die schon einige Jahre auf meiner Warteliste steht und nun endlich an die Reihe kommen darf:

Senftenberg
Aufnahme <= 1929
Sammlung Erika Fischer
Unschwer zu erkennen: die Kamera hatte damals zwei Probleme mit dem Verschluß. Das "gezogene" Licht hat jedoch keinen allzu großen negativen Einfluß auf die Aufnahme, die ohnehin nicht von der allerbesten Qualität ist.
Das Foto selbst ist ein seltenes Relikt aus der Löwen-Betreiberschaft eines gewissen Ernst Krätschmar. Diese begann im August 1926 ...

Senftenberger Anzeiger (15. August 1926)
Jedenfalls erklärte vorgenannter Murek im Dezember 1913 das Kapitel "Kaufhaus" für beendet indem er die Warenrestbestände zu herabgesetzten Preisen verramschte. Ende Januar 1914, sicher nach der einen oder anderen Umbauaktion, eröffnete dann "Murek's Gasthaus" und ein lange Aufeinanderfolge der unterschiedlichsten Betreiber nahm seinen Lauf.

Weiter oben schrieb ich von "Besessenheit". Diese, und die nebenstehende Anzeige mit dem sich den Kopf zerbrechenden Mann, treffen es eigentlich ziemlich genau, wenn es um die letzte Fotopostkarte für heute geht.
Ich glaube, ich habe mich noch nie so lange mit einer einzigen Aufnahme beschäftigt wie mit dieser. Wobei es natürlich in erster Linie um die Verortung des darauf abgebildeten Hauses ging und die war nicht leicht!

Senftenberg
G. Gramsch, Dresden-N., Böhmischestr. 37
Aufnahme <= 1909
Sammlung Theodor Restel

... und endete drei Jahre später im August 1929 mit der Übergabe des Staffelstabes an Artur Schmöhl. Dessen Namen erkennen wir auf dem Ausschnitt oben.
Weder Schmöhl noch Krätschmar waren die ersten Wirte des Gasthofes. Ja, die Geschichte des Hauses begann nicht einmal als Restaurant, sondern 1909 unter Karl Murek als Kaufhaus für Kolonialwaren, Delikatessen und allerlei anderem. Ob das Gebäude zu diesem Zeitpunkt bereits die bekannte äußere Gestalt hatte ist unklar. Zumindest im Parterre erfolgten später größere Umbauten.

Die dazu mitgelieferte Information "Vogels 1. Laden in Senftenberg N.L., i.d. Nähe von Calauer Str. 13-15", die sehr viel später auf die Bildseite geschrieben worden war, gaben mir wenigstens ein größeres Maß an Sicherheit, daß wir uns tatsächlich irgendwo in Senftenberg befinden. Nur wo genau? Daß die Karte 1917 postalisch verschickt wurde, passt eigentlich nicht, zeigt jedoch, daß man hinsichtlich der Datierung Poststempeln nur bedingt vertrauen kann. Wenn das Haus der erste Vogelsche Laden war und wir den zweiten auf einem Foto sehen, welches sicher auf 1910 fixiert werden kann, dann können wir das 1917 eigentlich ignorieren. Da ich am mittleren Fenster (mindestens) Irma Vogel erkenne und ich den Jungen links neben ihr für ihren Bruder Georg halte und darüber hinaus beide deutlich jünger erscheinen als auf der Aufnahme weiter oben, dann ist mein veranschlagtes <= 1909 noch etwas konservativ. Realistisch dürfte maximal 1907 sein. Aber das kann ich eben nicht beweisen. Gut, die Zeitfrage wäre einigermaßen geklärt und das wir tatsächlich vor Vogels Laden stehen ist auch unstrittig. Die Außenreklame für die Möbelhandlung und wenn man genau hinschaut gleichzeitig für die Buchhandlung im zweiten Fenster von rechts, sind eigentlich Beweis genug.
Bei der Ortsbestimmung war es alles andere als hilfreich, daß Hermann Vogel Zeitungsinserate offenbar für das Werk des Teufels hielt. Ich bin mehr als 10 Jahrgänge Senftenberger Anzeiger akribisch durchgegangen ohne eine einzige Anzeige für die beiden Geschäfte zu finden. Und dabei agierte Vogel ja nicht im luftleeren Raum! Die lokale Konkurrenz sowohl für Möbel als auch im Buchhandel war zahlreich und stark. Daß Vogel "normale" Anzeigen für Sonderangebote und dergleichen nicht schaltete kann man ja vielleicht noch durchgehen lassen. Daß er aber keine Meldung bezüglich Geschäftseröffnung und des irgendwann vollzogenen Umzugs an eine neue Adresse veröffentlichte, ist schon sehr ungewöhnlich. Das machte eigentlich jeder kleine "Krauter"!
Auf diese Weise war das Rätsel nicht zu lösen. Wenn sich das gesuchte Haus ebenfalls in der Calauer Straße befand, dann muß es rechts in Richtung Ortsausgang gestanden haben. Warum? Weil die Sonne nicht von Norden scheint und demzufolge keinen Schattenwurf erzeugen kann, wie wir ihn auf dem Foto sehen. Man erkennt die Sonneneinstrahlung ganz gut an den Haaren der vor dem Haus postierten Kinderschar und in Kombination mit der relativ strikten Nord-Süd-Ausrichtung der Calauer Straße kann es also nur so sein, wie oben postuliert.
Mehrere meiner "Außentermine" in der heutigen Calauer Straße brachten mich nicht weiter. Konnten sie auch nicht, denn das Haus steht seit längerem nicht mehr... Wobei dieses "seit längerem" gar nicht mal so lang ist. 2009 existierte es noch. Nur leider habe ich ein schlechtes Gedächtnis und bezüglich der Calauer Straße muß ich sagen: das war irgendwie nie so meine Ecke!

Glücklicherweise fuhr jemand im Sommer 2009 mit dem Auto durch Senftenberg, filmte die Fahrt und stellte das Resultat bei youtube ein. Worauf man heutzutage alles zurückgreifen muß... und vor allem: kann! Heimatforschung anno 2021. Nachfolgend diejenige Sequenz aus dem Gesamtfilm, die des Rätsels Lösung bedeutete:

An der spannenden Stelle habe ich den Film abgebremst und ein Pfeil deutet auf das fragliche Gebäude. Etwas später im Film erreichen wir sogar noch die Calauer Straße 13, 15 und 17, die weiter oben besprochen wurden, in ihrer 2009er Inkarnation.
Alles in allem zwar ein ziemlich schnelles "drive-by" aber doch aussagekräftig genug, um die Fotopostkarte von 100 Jahren zuvor zu verorten. Nach heutiger Lesart handelt es sich also um die Calauer Straße 7. Die ursprüngliche Bebauung hat mittlerweile einem Neubau weichen müssen.
Wer übrigens glaubt, daß mir die 7 an der Fassade des Hauses doch den Weg hätte weisen müssen... Sooooo einfach ist es nun auch wieder nicht! Dabei handelt es sich nämlich um Reklame für die Zeitschrift "Die Woche", die mit einer Titelseite versehen war, auf der diese 7 abgedruckt ist. Die echte Hausnummer befindet sich darüber. Aber außer, daß diese einstellig ist, kann ich beim besten Willen nicht sicher bestimmen, welche Zahl das ist. Außer vielleicht, daß es keine "1" ist.

Mit dem heutigen Rückblick auf das Jahr 2021 und einen Einblick in (m)eine Arbeitsweise, die sich zuweilen als notwendig erweist, um den Geheimnissen der Senftenberger Bildhistorie auf die Schliche zu kommen, verabschiede ich mich für dieses Jahr.
Wir sehen uns in 2022 ganz sicher wieder, auch wenn ich noch nicht genau sagen kann, wann das sein wird.

Bis dahin wünsche ich allen Freunden von www.gruss-aus-senftenberg.de einen guten Rutsch ins neue Jahr.