Grube Marga. Entstehung und Entwicklung
Von H. Latzke (aus Senftenberger Anzeiger (1925))
Da, wo heute die schmucke Kolonie Grube Marga, die
mit ihren 4000 Einwohnern zu den größeren Orten des
Kreises Calau gehört, emporgeblüht ist, war vor noch
nicht langer Zeit, ja man kann wohl sagen bis in die
Gegenwart hinein, ein Oedland, bestehend aus dürrem
Flugsand und Sumpf. Ein ungeebneter Landweg verband
die Stadt Senftenberg mit der Gemeinde Brieske, der
aber zur Regenzeit kaum von Fußgängern begangen
werden konnt. Noch zu Anfang unseres Jahrhunderts
wäre es einem modernen Fahrzeuge unmöglich gewesen,
auf diesem Wege bis nach Brieske vorzudringen. An
seinen Seiten fristeten niedrige, breitästige Kiefern
ihr dürftiges dasein, und in den nahen Sümpfen wuchsen
Binsen und Riedgräser.
In der Gegend des Hörlitzer Geländes, dort, wo jetzt
die Kohle abgebaut wird, bis hin nach dem Tagebau
Viktoria 3, erstreckte sich der Skyroteich, genannt
Spatzenteich, weil in seinen Rohrgewächsen ein großes
Volk von Rohrsperlingen nistete, die dort ihr Unwesen
trieben.
Als unsere Lausitz noch zum Sachsenlande gehörte, war
der Teich im Auftrage des Kurfürsten Albrecht von Sachsen
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Verlag: Ilse-Wohlfahrtsgesellschaft m.b.H., Grube Ilse N.-L. R 22191 Aufnahme <= 1919 Sammlung Theodor Restel
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1495 angelegt worden. Er war ungeheuer reich an Fischen,
und an seinen Ufern balzte der Auerhahn, weshalb besonders
August der Starke oft Gelegenheit nahm, nach Senftenberg
zu kommen, um inder Gegend des Skyroteiches zu jagen und
der Fischerei nachzugehen.
Ausschnitt aus der Schenk'schen Karte (1757)
Auch Mitglieder des preußischen Königshauses haben
später öfter zu diesem Zwecke in unserer Gegend geweilt.
So hat unser letzter Kaiser von der Oberförsterei Grünhaus
bei Finsterwalde aus die Gegend bis zum Skyroteich hin,
nach Auerhähnen jagend, durchstreift.
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Den Teich selbst hatten drei Hörlitzer Bauern in den sechziger Jahren gepachtet, um Fischerei zu betreiben. Um dieselbe Zeit
hat ein Posthalter von Senftenberg, mit Namen Schmidt, in Marga ein Gutshaus erbaut, zu welchem die kleinen Bauernhäuschen, die
heut noch rechts der Landstraße am Eingange der Kolonie zu sehen sind, gehörten.
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Verlag Ilse-Wohlfahrtsges. m.b.H., Grube Marga N. L. Junkers Luftbild-Zentrale, Leipzig Aufnahme <= 1931 Sammlung Norbert Jurk
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Dieser Gutshof war der Viktoriahof, der noch erhalten ist und nach Erneuerung jetzt als
Werksdirektorwohnung dient. Ein Herr Suhle aus Halle hat das Gut von Schmidt übernommen,
zu dem Zwecke, ein großes, ertragreiches Rittergut zu schaffen. Er ließ deshalb seine
gesamten Felder drainieren und viele Abflußröhren legen, von denen manche beim Bau der
Kolonie gefunden worden sind. Es war aber nichts mit dem großen Ertrag; denn die "Schwarze
Erde", die der Gutsherr zu finden gemeint hatte, war nur Moor und Torf. Von Suhle hat
dann der in unserer Gegend noch allgemein bekannte Herr Amtsvorsteher Hauer das Gut Viktoriahof
erworben, von welchem die "Ilse-Bergbau" die ersten Kohlenfelder in der Gemarkung Brieske
kaufte.
Das geschah in den Jahren 1904 bis 1905, und 1906 ist sogleich mit der Errichtung des Marga-Betriebes
begonnen worden. In gewaltigen Ausmaßen und in großzügigster Form wurde das ganze Werk
hingestellt, so daß es mit seinem Tagebau und seiner Brikettfabrik einen der größten Betriebe
dieser Art in Deutschland darstellt und nur mit den neuen Riesenwerken im Rheinlande zu vergleichen
ist.
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Bei der Erschließung der Kohlenfelder war man in Marga vor ganz besonders schwere Aufgaben gestellt worden, wie
dasselbe bei keinem anderen Tochterwerk der "Ilse" in dem Maße der Fall gewesen ist. Wie die Braunkohle in der Urzeit
entstand, weiß ja heut jedes Kind, das zu erörtern soll hier nicht die Aufgabe sein. Es sei nur das eine aus der
Entstehungsgeschichte der Braunkohle erwähnt, daß bei dem Hin- und Herfluten der ungeheuren Wasser- und Eismassen
das oben gelagerte Kohlenflöz im Elstertale vollständig wieder weggewaschen worden ist, und so ist es gekommen, daß
in Marga nur das untere Kohlenflöz erhalten geblieben ist. Man stand deshalb vor einer riesigen Erddecke, die abgehoben
werden mußte, um zu den Kohlen gelangen zu können. Auch hereinströmende Wassermassen wirkten äußerst hemmend auf den
Abbau. Diese beiden schweren Aufgaben sind gelöst worden durch mächtige Sandbagger, die die größten ihrer Art sind,
und durch die Anlage einer gewaltigen Wasserhaltung. Durch große technische Bauten und mit finanziellen Opfern sind
Pumpen aufgestellt, die die Wassermassen in Röhren und Leitungen heben und dann zur Elster abfließen lassen.
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Da der Tagebau von Anfang an auf Großabbau eingerichtet ist, gehört dazu auch eine Brikettfabrik,
welche mit ihren 37 Pressen jeden Tag etwa 300 Waggon Brikett herstellen kann. Wer mit der Bahn von
Senftenberg nach Ruhland fährt, wird die langen Verladeschuppen und vielen Gleisanlagen beobachten,
die nötig sind, um die Erzeugnisse in Staatseisenbahnwagen verstauen zu können. Alle übrigen technischen
Anlagen zur Brikettherstellung, wie das große Kesselhaus und die elektrische Zentrale mit ihren 6 Turbodynamos
zu je 2000 PS und die mechanischen Werkstätten lernt man am besten auf einem Rundgang durch das Werk kennen.
So wie die "Ilse" für einen hochmodernen technischen Betrieb in Marga gesorgt hat, so sind von ihr auch
soziale Wohlfahrtseinrichtungen geschaffen worden, die ihresgleichen suchen. An erster Stelle ist da die
Wohnungsfürsorge zu nennen. Die Kolonie Marga, aus Sandboden emporgewachsen, ist eine "soziale Tat". Sie ist
nach einem Plane des Architekten H. v. Mayenburg in niedersächsischem Stile erbaut worden, und welch
freundliches, farbenprächtiges Bild die malerischen Häusergruppen bieten, ist schon von manchem Besucher
bewundert worden. Jetzt, zehn Jahre nach ihrer Fertigstellung, ist sie mit den architektonisch schönen
Gebäuden wie: Schule, Kirche, Gasthaus, Kaufhaus usw. und vor allen Dingen mit ihren gärtnerischen Anlagen
eine schmucke Gartenstadt geworden, wie solche selten unter Vororten unserer Großstädte zu finden sein wird.
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Verlag der Ilse-Wohlfahrtsgesellschaft m.b.H., Grube Ilse, N.-L. R 45151 177 250 Aufnahme <= 1915 Sammlung Andreas Schild
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Verlag der Ilse-Wohlfahrtsgesellschaft m.b.H., Grube Ilse, N.-L. 201682 Aufnahme <= 1914 Sammlung Matthias Gleisner
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Verlag: Ilse-Wohlfahrtsgesellschaft m.b.H., Grube Ilse N.-L. R 22192 Aufnahme <= 1919 Museen OSL
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Verlag der Ilse Wohlfahrtsgesellschaft m.b.H., Grube Ilse, N.-L. R 45158 177459 Aufnahme <= 1918 Sammlung Matthias Gleisner
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Auch an gesundheitliche Einrichtungen hat die "Ilse" bei ihrer Errichtung gedacht; denn Marga besitzt eine Hochdruckwasserleitung und eine Abwässerleitung, ja
sogar eine Ferndampfheizung von der Fabrik her, für die öffentlichen Gebäude bestimmt, ist vorhanden. In den Familienhäusern, wovon eins immer hübscher als das
andere aussieht, sind für die Arbeiter praktische Wohnungen geschaffen worden, die mit ihren gemütlichen Wohnküchen für den Bergmann und den Fabrikarbeiter einen
angenehmen Aufenthalt nach des Tages Last und Hitze gewähren.
Trotz der hemmenden Einflüsse, welche die Kriegs- und Nachkriegszeit auf Industrie- und Kulturleben ausgeübt hat, ist die Entwicklung des Werkes und der Kolonie
Marga nicht stehen geblieben. Durch den Bunkerbau im vergangenen Jahre hat die "Ilse" eine Neuerung eingeführt, die den Großabbau vervollkommnet. Die Kettenbahn
mit ihren kleinen Kohlenwägelchen ist verschwunden; dafür sind elektrische Züge eingestellt worden, die mit ihren sechs 20 Tonnen-Wagen die zur Brikettherstellung
benötigte Kohle auf hohem Damme hinaufschleppen zum Bunker, von wo dieselbe mit Hilfe von breiten Transportbändern, die schiefe Ebene aufwärts, der Fabrik zur
Weiterverarbeitung zugeführt wird. Es ist das eine mit großen Kosten erbaute Anlage, die aber den Betrieb wesentlich vereinfacht und die Produktion steigert.
Neuerdings sind auch Versuche zur elektrischen Entstaubung der den Schloten entsteigenden Kohlenschwaden angestellt worden, welche schon zu erkennbaren Erfolgen
geführt haben. Auch die Kolonie selbst hat sich entsprechend weiterentwickelt. Schon vor dem Kriege hatte die Gesellschaft "Eigene Scholle" eine kleine Siedlung
angebaut, welche später von der "Ilse" aufgekauft wurde. Nun sind nach dem Kriege in Marga noch zwei Bergmannsheimstätten-Siedlungen entstanden, südwärts der
Kolonie an der Elster und bei dem Hauer'schen Besitztum gelegen, die einer großen Zahl von Beamten und Arbeitern des Werkes Wohnung gegeben haben. Gegenüber dem
Verwaltungsgebäude sind wohnlich eingerichtete Baracken für die Junggesellen gebaut worden. Für die Jugend hat die "Ilse" ein schönes Jugendheim mit 2 Räumen
errichtet. Man ist erstaunt, wenn man sieht, was aus einer Holzbaracke alles werden kann, sobald sie schön eingerichtet wird. So ist z.B. in dem einen Raume eine
kleine Bühne zur Aufführung von Jugendfestspielen geeignet, eingefügt worden. Tagsüber ist in diesem Heime die Kleinkinderschule untergebracht, an den Abenden
benutzen die Jugendschar, der Jünglingsverein und der Jungmädchenbund dasselbe zu ihren Zusammenkünften.
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Auch die Schule ist durch einen Anbau von zwei Klassenräumen
vergrößert worden und hat dazu einen Raum erhalten, wo
neuzeitlicher Werksunterricht mit mehreren Hobelbänken
erteilt werden kann. Der Friedhof hat eine würdige Heldengedächtnisstätte
bekommen. Der von Säulen getragene Rundgang mit der
lebensgroßen, gekreuzigten Christusgestalt hinterläßt
in dem Beschauer einen feierlich-erhabenen Eindruck.
In gesundheitlicher Hinsicht sind gleichfalls Neuerungen
vorgenommen worden. Während früher der Sanitätsrat Dr.
Klomp täglich im Auto von Senftenberg nach Marga kommen
mußte, um der Krankenfürsorge obzuliegen, hat nun die
"Ilse" dafür Sorge getragen, daß ein Arzt sich niederlassen
konnte. Bald darauf wurde auch dem dringenden Verlangen
nach einer Apotheke Rechnung getragen und ein Raum zur
Verfügung gestellt.
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OTTO NAUBERT, DRESDEN-N., Böhmischestr. 37. Aufnahme <= 1914 Sammlung Matthias Gleisner
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Auch ein Zahnarzt ist jetzt in Marga tätig. Ferner
sind im Badehause Einrichtungen getroffen worden,
um Heilbäder, wie Licht- und Kohlensäurebäder nehmen
zu können.
So soll durch diese Zeilen, wenn auch in bescheidenem
Maße, vor Augen geführt werden, wie das "Ilse"-Werk
bestrebt ist, seine Kolonie Marga weiter auszubauen
und bereit ist, seinen Angestellten und Arbeitern
eine angenehme Arbeitsstätte, sowie behagliche
Wohnstätte zu schaffen und zu erhalten.
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Soweit der überschwengliche und die "Ilse" über alle Maßen lobende Artikel von Harry Latzke aus der Sonderausgabe des Senftenberger Anzeiger,
die aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums des Blattes am 1. Juli 1925 erschien. Wenn der Verfasser die Entwicklung Margas aus heutiger Sicht auch ziemlich
rosarot darstellte und praktisch vom "Paradies auf Erden" schwärmt, muss man zwei Sachen festhalten: Ein derartig starkes positives Durchgreifen des
Kapitals bis in die sozialen Bereiche - davon können wir nur noch träumen! Heute wird die Lausitz zwar immer noch durchpflügt, die Gewinne aus der
Braunkohleförderung und -verstromung dienen jedoch ausschliesslich der Finanzierung des schwedischen Sozialstaates. Und: so durchweg negativ, wie
es die Schreiberlinge aus DDR-Zeiten ("Kohlenbarone", "revolutionäre und klassenbewusste Bergarbeiter") darstellten, war es mit Sicherheit auch nicht.
Wer sich nun fragt, warum ich eingangs von meiner alten Liebe - Grube Marga sprach, der betrachte einmal die farbigen Motive 4 und 6. Auf ihnen ist
das bildlich dargestellt, was Latzke mit einem freundlichen und farbenprächtigen Bild der malerischen Häusergruppen beschreibt. Ob das in der Realität
auch wirklich so farbenprächtig und romantisch aussah? Ich kannte nur die dreckige, graue Version von Marga, deshalb geht mir bei jedem dieser
nachcolorierten Motive das Herz auf.
Für mich sah Marga überall so wie auf der letzten Privatpostkarte aus. Durch jahrelanges Nichtstun in Verbindung mit dem ausgestossenen Kohlenstaub, der
sich auf alles und jeden legte, stellten sich die Häuserfassaden in einem uniformen, farblich nicht fest zu machenden Look dar.
Übrigens: Da oben, wo die 3 Personen aus dem Fenster schauen, da war ich in meiner Kinderzeit relativ häufig zu Gast... Dort wohnte "Oma Lobitz". In
der ersten Zeit noch mit "dem alten Ritter". Meine Grossmutter kümmerte sich ein bisschen um die zwei, weshalb ich bei ihren Besuchen sehr oft mit dabei
war. Ritter verstarb irgendwann. Ich erinnere mich nicht mehr, wann das war. Die einzigen Erinnerungen, die ich an ihn habe, sind seine Frisur Marke
"Adolf H." - Seitenscheitel und Rotzbremse, dass ihm beide Beine fehlten und dass er, dadurch stark eingeschränkt, stets in seinem Bett sass und wie der Teufel
quarzte. Letzters war vermutlich auch die Ursache der fehlenden Unterschenkel. Das Bett befand sich in eben jenem Raum, der gleichzeitig die Küche der Wohnung war.
Ihm verdanke ich übrigens den Besitz des Buches "50 Jahre Ilse Bergbau-Actiengesellschaft" welches er 1945 aus Anlass seiner 25jährigen Betriebszugehörigkeit
von der "Ilse" bekam.
Darin liegt noch heute ein DIN A5-Blatt, welches offensichtlich von seinem damaligen Vorgesetzten beschrieben wurde. Ich hatte vor nicht allzu langer Zeit auch mein
"25jähriges", aber solche Worte wurden mir nicht zuteil...
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