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Es ist mal wieder so weit! Mit dem heutigen Tag haben wir eine weitere Hürde genommen, nämlich
die 1900. archivierte historische Abbildung aus Senftenberg bzw. dem näheren Umkreis der Stadt.
Doch bevor ich zum Jubläums-Motiv komme, welches tradtionell wieder eine musikalische Komponente
beinhaltet, gilt es das 1899. Motiv kurz abzuhandeln. Kurz deshalb, weil ich dazu bislang nicht
sehr viel in Erfahrung bringen konnte. Ich schätze die rechts abgebildete "Werbekarte" auf 1925-27
ein. Wer die "2 Agrilles" in Wirklichkeit waren und was "Agrilles" bedeutet, liegt komplett im Dunkeln.
Immerhin habe ich eine Idee bezüglich des "Abkürzungsfestivals" am unteren Bildrand. Ich vermute, daß
es ausgeschrieben Artisten-Abteilung des Arbeiter-Athleten-Clubs Senftenberg II heißt. In jenem
(und es gab tatsächlich einen Athleten Club namens "Kraft Heil" in Senftenberg 2) war das Paar, wahrscheinlich
Vater und Tochter, organisiert. Ende 1924 berichtete man im Senftenberger Anzeiger über den
kürzlich vollzogenen Aufbau einer Artisten-Riege innerhalb des Clubs.
Und das war's schon mit meinen Mutmaßungen. Jedenfalls konnte ich bisher keinen weiteren Nachweis dieses
Artisten-Duos finden.
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Ernst Wenzel, Photogr., Senftenberg N.-L. Aufnahme <= 19?? Sammlung Norbert Jurk
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Zeitlich sehr nah dran an den beiden Artisten ist auch dasjenige Motiv, welches
die 1900 voll macht. Inhaltlich kann man hierzu sehr viel mehr sagen. Wenn auch
stärker im Gesamtkontext der damaligen Zeit und weniger bezüglich des Geschehens vor Ort.
Zu letzterem fehlen mir entsprechende Quellen. Der Senftenberger Anzeiger,
mein Hauptfundus, war eine Zeitung, die man mehr der politischen Mitte und dem
konservativen Spektrum zuordnen kann. Berichterstattung zu lokalen Angelegenheiten
linker oder ultra-linker Strömungen fand sehr selten statt. Und im Falle des
Roten Frontkämpferbundes, den man zweifellos extrem links verorten muß und
dessen Senftenberger Schalmeienkapelle auf dieser Ansichtskarte abgebildet ist,
las man damals nicht viel Gutes...
Doch der Reihe nach!
Der Rote Frontkämpferbund wurde im Juli (andere Quellen sprechen von Mai) 1924
in Halle/S. durch die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) gegründet. Der RFB
diente in erster Linie dem Schutz von Veranstaltungen und Demonstrationen der
Arbeiterbewegung. Seine Mitglieder, in großer Zahl Weltkriegsteilnehmer (daher die
Bezeichnung "Frontkämpfer") waren uniformiert und paramilitärisch organisiert.
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Emil Weißgärber, Senftenberg, L. 3926 Aufnahme <= 1927 Sammlung Matthias Gleisner
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Sie lieferten sich in der knapp fünfjährigen Existenz des
Bundes regelmäßig blutige Saal- und Straßenschlachten mit der Polizei oder Mitgliedern anderer Kriegerverbände, namentlich dem "Reichsbanner" und dem "Stahlhelm".
Personen, die mit dem Roten Frontkämpferbund in Verbindung stehen, sind dem gelernten DDR-Bürger durch Namen von Straßen, Schulen und gesellschaftlichen Einrichtungen
wohlbekannt: Ernst Thälmann, Fritz Weineck ("Der kleine Trompeter"), Ernst Schneller oder Etkar André.
Senftenberger Anzeiger (1924)
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Im Oktober 1924 kam es in Senftenberg zur Gründung einer Ortsgruppe des RFB.
Während eindrucksvolle Berichte zur Arbeit der Organisation aus größeren
Orten Deutschlands vorliegen, ist die Informationslage bezüglich der Tätigkeit
der Senftenberger Gruppe ziemlich dünn. Den Grund hierfür, nannte ich schon.
Von dem, Anfang Juli 1925 in Senftenberg stattgefundenen, "Roten Frontkämpfer-Tag"
berichtet der Senftenberger Anzeiger süffisant:
- Senftenberg, 6.Juli. Von 2000 Teilnehmern an dem "Roten Frontkämpfer-Tag"
in Senftenberg hatten die hiesigen Kommunisten geträumt und beim Erwachen fanden
sie Sonntag nur knappe 400 Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen, kleine
Knaben und Mädchen im Umzuge vor. Auf dem Marktplatz wetterte der Landtagsabgeordnete
Kalz gegen Reaktion, Bürgertum und Kapitalismus los, gerade zu der Zeit des
Glockengeläutes von der Stadtkirche her. Mit Recht waren die wenigen anständigen
Zufälligkeitszuhörer empört über die Schmähbezeichnung dieses Redners gegenüber
dem Gotteshaus. Auch sonst benahmen sich mehrere jüngere aus Berlin herbeigekommene
"Rote Frontkämpfer", die Flugschriften mit direkt beleidigenden Bilder und Texten
von Hindenburg usw. zum Kauf anboten - angeblich zu Gunsten der politischen
Gefangenen - alles andere wie anständig, indem diese kaum 17 jährigen Bengels
im Berliner Jargon ältere hiesige Bürger mit "Sie junger Mann" anredeten. Daß sie
damit "Glück" beim Verkauf ihrer Schmähschriften hatten, versteht sich von selbst.
- Senftenberg, 8.Juli. Am Sonntag, 5. Juli, wurde am Kriegerdenkmal die schwarz-weiß-rote
Kranzschleife von den roten Frontkämpfern gestohlen. Der Kranz war am Deutschen Tag
von den Vereinigten Vaterländischen Verbänden Senftenbergs niedergelegt worden. Der
Vorgang wurde von Zeugen beobachtet.
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Anläßlich des "Stahlhelmtages" am 5.September 1927 machten die Roten Frontkämpfer im Senftenberger Anzeiger von sich reden. Während eines
Platzkonzertes auf dem Markt mit anschließender Rede des Großgauführers v. Troilo stimmten Ruhestörer mit Abzeichen des "Roten Frontkämpferbundes und
der K.P.D. ohrenbetäubenden Lärm an. Die gütlichen Aufforderungen von seiten des Stahlhelms, Ruhe zu halten, verliefen erfolglos. Beim Versuch, die Ruhestörer
in die Seitenstraßen abzudrängen, kam es zwischen den kommunistischen Ruhestörern und den Mitgliedern des Stahlhelms zu einem Handgemenge. Etwas Ruhe trat
erst wieder ein, nachdem eine Abteilung Schutzpolizei auf dem Markt erschienen war. Nach halbstündiger Unterbrechung setzte Großgauführer v. Troilo seine
Rede fort. Es wurde jedoch dauernd der Versuch gemacht, die Rede durch "Nieder"-Rufe und menschenunwürdige Beschimpfungen zu stören.
Es folgten weitere Beschreibungen von kleinen Rangeleien, Steinwürfen und sonstigen Störversuchen. Das Duell endete mit einem knappen Punktsieg der Kommunisten...
Die Freiwillige Sanitätskolonne vom Roten Kreuz leistete insgesamt in 20 Fällen erste Hilfe bei Verletzungen mittelschwerer Art (13 Stahlhelmmitglieder,
7 Stahlhelmgegner): Die Zahl der letzteren dürfte sich noch erhöhen, da sich ein größerer Teil der Feststellung etc. entzog.
Die geleistete Hilfe bei leichteren Verletzungen wurde nicht besonders registriert. Von den Verletzten befindet sich nach den letzten Ermittlungen niemand
in Lebensgefahr. Das Krankenhaus hat weder Stahlhelmmitglieder, noch Stahlhelmgegner aufgenommen. Die vergangene Nacht verlief ruhig. Die Schutzpolizei
verließ gegen Mitternacht unsere Stadt.
Die in diesem Bericht geschilderten Rangeleien waren ein Kindergeburstag im Vergleich zu den Auseinandersetzungen, die zwischen größeren Verbänden des RFB auf
der einen und der Polizei bzw. Stahlhelm- oder Reichsbanner-Leuten auf der anderen Seite stattfanden. Diese verliefen nicht selten blutig und hinterließen
Schwerverletzte und sogar Tote. Der Höhepunkt der Gewalt war am 1.Mai 1929 erreicht. Anlässlich einer verbotenen Demonstration in Berlin kam es zu schweren
Zusammenstößen mit der Polizei. Dabei wurden 30 Demonstranten und Zuschauer erschossen. Fünf Tage später erfolgte das reichsweite Verbot des Roten Frontkämpferbundes.
Die Mitglieder wechselten zum Teil in andere Verbände oder schlossen sich einer der übrigen kommunistischen Organisationen an. Dies dürfte auch für den Senftenberger
Ableger des Bundes gelten, der damit bis spätestens Ende 1929 in der Bedeutungslosigkeit versank.
Senftenberger Anzeiger (1927)
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Einen schönen audio-visuellen Eindruck bietet der nachfolgende kleine Film. Hier
wurden von mir Filmszenen, die Aktionen des RFB zeigen, mit einer historischen
Tonaufnahme kombiniert. Wir hören die Schalmeien-Kapelle des Roten Frontkämpferbundes
Berlin-Köpenick mit dem Marsch "Es zog ein Rotgardist hinaus".
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