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06.11.2022
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Senftenberg, 4. Dezember
Die am Sonntag Vormittag vollzogene Einweihung der hiesigen neuen evang.-lutherischen Kapelle am Briesker Wege gestaltete sich für die kleine Gemeinde und die vielen sonstigen Theilnehmer zu einer recht erhebenden Feier. Dieselbe begann Vormittags 10 Uhr mit einem festlichen Zuge zahlreicher Theilnehmer, welcher sich von dem bisherigen Andachtslocal in der Moritzstraße unter Vorantritt einer Musikkapelle nach dem neuen Gotteshause bewegte. Als der Zug hier angekommen, überreichte der Erbauer der Kapelle, Herr Baumeister John, mit kurzer Ansprache den Schlüssel an Herrn Superintendent Fengler und nahm dann die Feier ihren programmäßigen Verlauf. Herr Seminardirector Greve aus Breslau hielt eine vortreffliche Weiherede und das Weihegebet, Herr Superintendent Fengler aus Cottbus eine erbauende Festpredigt. Zwei gemischtchörige Gesänge verschönten die Feier, welche gegen 12 Uhr ihren Schluß fand.
Gegen 1 Uhr folgte ein Mittagsmahl im Schützenhause und um 3 Uhr ein Nachmittagsgottesdienst, welcher ebenso wie der Vormittagsgottesdienst das prächtige Kirchlein bis auf den letzen Platz füllte. Nachmittags von 6 Uhr ab fand im Schützenhause ein Festabend mit Vorträgen und Musikaufführungen statt, welcher die Feier in würdigster Weise abschloß.

Senftenberg
Photogr. u. Verlag v. Herm. Meyer,
Senftenberg N.L.
Aufnahme <= 1902
Sammlung Matthias Gleisner
So weit der Senftenberger Anzeiger im Dezember 1900 über die feierliche Einweihung der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Von dem Fest selbst kann ich keine Fotografien liefern. Mit der rechts abgebildeten, wirklich seltenen, Ansichtskarte kommen wir jedoch bildlich sehr nah an jenen 2. Dezember 1900 heran. Möglicherweise handelt es sich bei den drei darauf versammelten Fotos um die ältesten Aufnahmen des "prächtigen Kirchleins". Neben dem genauen Datum der Indienststellung des Gotteshauses lernen wir, daß die Gläubigen in der Zeit davor ihre Gottesdienste in einem Haus in der Moritzstraße abhielten. Ob es sich bei erwähntem "Andachtslocal" tatsächlich um eine Gastwirtschaft, und damit käme eigentlich nur "Jacubasch" in Frage, handelte, ist noch zu klären.

Apropos Gastwirtschaft... Eigentlich lag der "Damhirsch" mit vielleicht 100 Schritten sehr viel näher als das erwähnte "Schützenhaus", in dem die Feierlichkeiten ihren Abschluß fanden. Es wird Gründe gegeben haben, warum die Teilnehmer den etwas längeren Fußmarsch in Kauf nehmen mussten, um den Tag bei Vorträgen und Musikeinlagen ausklingen zu lassen.

Wenn ich oben auf das Alter der Ansichtskarte hingewiesen habe so kann ich dies in gewisser Weise auch für die rechts abgebildete Fotografie tun. Wir erhalten hiermit den derzeitig frühesten fotografischen Blick auf den "Damhirsch". Das angegebene 1902 dürfte der Deckel sein aber tatsächlich bewegen wir uns in einem engen Korridor von November 1895 bis Oktober 1902. Die Fotografie takte ich eher in der Mitte bis Ende dieses 7-jährigen Zeitraumes ein. Aber das ist mehr so ein Gefühl als Gewissheit.

Zu den Eckdaten: am 2. November 1895 konnte man dem Senftenberger Anzeiger entnehmen, daß einen Tag zuvor die ehemals als "Gutmann's Gasthof" bekannte Wirtschaft den Eigentümer gewechselt hatte und fortan unter dem Namen "Zum Dammhirsch" und unter dem neuen Besitzer Louis Lassig betrieben werden sollte.

Senftenberger Anzeiger (2. November 1895)
Gustav Louis Oswald Lassig, geboren am 3. März 1869 als Sohn eines Großbauern in Drochow (Kreis Calau) brachte an seine neue Wirkungsstätte offenbar nicht nur genügend Barschaft mit, um den Restaurationsbetrieb zu erwerben, sondern auch einen bislang hier nicht geläufigen Namen unter dem die Gastwirtschaft nunmehr firmieren sollte. Die falsche Schreibweise in obiger Anzeige, ein Fehler, der noch so einige Monate durch die damalige Lokalpresse geisterte und bis auf den heutigen Tag gelegentlich gemacht wird, führe ich auf Unkenntnis des damaligen Schriftsetzers zurück und nicht auf den neuen Betreiber. Lassig war auch Jagdpächter und wird aller Wahrscheinlichkeit nach gewusst haben, daß er seine Flinte auf Damwild und nicht auf Dammwild richtete. Sein waidmännischer Hintergrund wird ihn vermutlich auch zu der Namensgebung veranlasst haben.
Senftenberg
Aufnahme <= 1902
Sammlung Christian Mette

Louis Lassig (vor 1910)
Jedenfalls erkennen wir auf obiger Außenaufnahme die korrekte Bezeichnung "Gasthof zum Damhirsch" wie auch den Namen des zu diesem Zeitpunkt gültigen Inhabers. Eben besagten Louis Lassig.
Unter Lassig entwickelte sich die Gastwirtschaft erfolgreich weiter. Unzählige Annoncen für Veranstaltungen, die in den Räumlichkeiten stattfanden, durchzogen für die nächsten Jahre die Lokalpresse. Diese vermeldete aber im September 1902, nur sieben Jahre nach der Übernahme, folgendes:

Jüttendorf, 10. September. Der hiesige altrenommierte Louis Lassig'sche Gasthof "zum Damhirsch" ist gestern durch Kauf für den Preis von 95,000 Mk. in den Besitz des Hoteliers F. Conrad zu Helmstädt übergegangen. Die Uebernahme erfolgt bereits am 15. October dieses Jahres.

Pünktlich zum avisierten 15. Oktober des Jahres wurde der Besitzübergang in der üblichen Art und Weise für das interessierte Publikum annonciert...

Senftenberger Anzeiger (15. Oktober 1902)
Abweichend zu vielen anderen Restaurant-Betreiberwechseln, die einem manchmal wie ein rollierendes System erscheinen, hegte Louis Lassig offensichtlich keine weiteren Ambitionen, irgendeine andere Gastwirtschaft zu übernehmen. Man muß davon ausgehen, daß die 95000 Mark, die er mit dem Verkauf des "Damhirsch" einstrich, plus dem was er sonst noch auf der hohen Kante hatte, ausreichend war, um fortfolgend in Senftenberg als "Privatier" zu leben. Vielleicht war er irgendwo stiller Teilhaber, namentlich in Erscheinung trat er in der Folgezeit in meiner Wahrnehmung nicht mehr. 1914 lebte er laut Einwohnerbuch noch hier, verzog aber mit seiner Familie später (wann genau ist unbekannt) nach Berlin-Mahlsdorf. Dort starb Louis Lassig einundsiebzigjährig am 29.03.1940.