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Hygiene der Barbierstube
Von Dr. E.M.Thomas
Die höchste Errungenschaft und der kräftigste Fortschritt unserer Kultur ist die soziale Hygiene. Und diese Kultur,
die alle Welt beleckt, beleckt jetzt auch die Barbierstube. Am 1. Oktober treten neue Bestimmungen für die
Friseurgeschäfte in Kraft. Zunächst für zwei Jahre. Dann werden sie Weihen des Gesetzes erfahren und die feste
Faust der Polizei wird sich auf die Wirkungsstätten unserer Verschönungsräte legen. Eine feste Faust - und doch
eine Hand "zum Segen ausgebreitet".
Es ist manches besser geworden im Berliner Handwerk. Der wachsende Sinn für Reinlichkeit im großen Publikum hat im
Verein mit dem Bestreben der Innungen, den Stand zu reformieren und auch äußerlich zu heben, manchen Schutt bei
Seite geräumt. Und an Schutt hat es wahrlich nicht gefehlt! Wir denken noch mit unfrommen Schauer an die Friseurmäntel,
die uns umgezwungen wurden. Wer Haare lassen wollte, schwitzte Blut. Und die Serviette, die acht Tage herhalten mußte,
selbst wenn das Schwarz der Nächte noch licht und freundlich war gegenüber ihrem Duster, sie ist wahrlich kein
Requisit aus Märchen alter, verschollener Zeiten.
So konnte es eben nicht weiter gehen, zumal das Rasieren immer mehr in Übung kam. Wer kann heute noch beim Barte
des Propheten schwören? Kaum noch beim Schnurrbart! Denn diese Haarwälder sind längst ausgerodet worden von einer
Mode, die nur noch das Glatte liebt. Wir haben uns eben so sehr gewandelt, daß wir vom Friseur Schönheit und nicht
Krankheit erwarten. Und die Barbierstube war nur zu oft der Herd übler Infektionen. Ganze Orte haben Barbiere verseucht.
Besonders mit jener Flechte, die die Ärzte "Herpes tonsurans" nennen, weil sie wie mit dem Zirkel gezogene wunde
Stellen im Gesicht und auf dem Schädel zur Entzündung und Verödung der Haarwurzeln brachte. Aber auch schwere Seuchen
hat die Barbierstube verbreitet und mancher ging nicht so allein nach Haus wie er gekommen. Er brachte ein liebes,
lebendes Andenken mit, das trotz seiner Kleinheit die Aufmerksamkeit durch Jucken auf sich zu lenken verstand!
Hier galt es, reinen Tisch machen, richtiger reinen Kamm machen. Jeden Tag müssen die Bürsten und Kämme mit heißem
Sodawasser gesäubert werden. Jeder Gast hat eine eigene Serviette zu verlangen. Vor allem sind die elenden Rasierpinsel
zu verbieten, es sei denn, daß jeder Kunde sich alle Utensilien zum Rasieren selbst hält. Die großen Walzenbürsten
sind ganz verboten, weil sie mit einer ganz energischen Hartnäckigkeit Schmutz und Staube festhalten und selbst
auf gutes Zureden von Sodawasser von ihrem Besitztum nicht lassen wollen. Wenig Gefahr bringen die Rasiermesser,
an deren scharfer Kante sich Infektionsträger nicht behaglich fühlen. Am besten wäre es, sie vor jeder Benutzung
auszukochen. Doch das wäre schwere Mühe. Aber ein Einlegen in Spiritus ginge schnell und der gefürchtete Karbolgeruch
würde dann niemanden entsetzen.
Die wichtigste Forderung aber bleibt: die absolute Sauberkeit des Barbiers. Wem seine Haut lieb ist, verlange,
daß nur eine frisch gewaschene und an einem sauberen Handtuch abgetrocknete Hand ihm ins Gesicht fahre. Hiergegen
wird am meisten gesündigt, und der Möglichkeit, Eiterbakterien an die Finger zu bekommen, sie mit der Hand dann
auf den Streichriemen zu impfen und dann in das Antlitz eines harmlosen neuen Kunden zu wischen, kann der Friseur
nur durch regelmäßiges Waschen nach jeder einzelnen Leistung begegnen. Sauberkeit muß die erste Tugend des Barbiers
sein! Eine saubere Hand, ein sauberes Lokal, saubere Instrumente und ein sauberer Anzug werden uns das gerade nicht
liebliche Gefühl, geschoren zu werden, angenehmer machen. Mag das Verschönerungsfest lieber eine Kleinigkeit mehr
kosten, wir werden sie gern bezahlen, wenn wir nachher keine Doktorrechnung haben. Mut muß der Friseur haben - auch
einmal einen Kunden fortzuschicken, dessen "pickeliges" Gesicht und dessen Ausschläge verdächtig sind. Dieser
Ausfall in den Einnahmen wird sich glänzend bezahlt machen.
Die neuen Anordnungen werden in jedem Barbiergeschäft ausgehängt werden. Hoffentlich werden sie nicht als Zimmerschmuck
dienen, sondern als Anregung zum hygienischen Handeln und als Argument für unsere berechtigten Forderungen.
Der obige Text aus dem Senftenberger Anzeiger vom September 1908 ist für sich genommen, schon ein prächtiges
Sittenbild vom Anfang des vorigen Jahrhunderts. Außerdem passt er hervorragend zu einem weiteren "prächtigen Stück" -
meiner ersten, und bislang leider auch einzigen, eigenen Paul Klinke-Karte.
Ich finde die Produktionen des Berliner Fotografen durch die Bank einfach klasse. Ihm gelang es, die Ladeninhaber
nebst Angestellten vor ihre jeweiligen Geschäfte zu locken, um sie dort abzulichten. Und dies in einer Weise, daß
sich in mir sofort eine Sehnsucht nach "der guten alten Zeit" einstellt. Auch wenn ich weiß, daß die eigentlich gar
nicht so gut war.
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Paul Klinke, Berlin N.65, Müllerstr. 36 Aufnahme <= 1910 Sammlung Matthias Gleisner
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Die Präsentation besagter Fotopostkarte schiebe ich übrigens knapp zwei Jahre vor mir her und anfangs war es noch nicht
einmal klar, daß die Abbildung überhaupt relevant für mein Projekt wäre. Zweimal im Abstand mehrerer Monate hatte ich das Exemplar
auf Sammlerbörsen in der Hand. Und legte es wieder zurück. Trotz Postausgangsstempel von Senftenberg war ich felsenfest
davon überzeugt, daß das Foto nicht bei uns aufgenommen wurde. Auch Nachfragen unter den Senftenberg-Experten brachten
die einhellige Aussage "Ist nicht Senftenberg!". Dann tauchte das Stück irgendwann bei eBay auf und binnen weniger
Minuten und unter Zuhilfenahme von Vergleichsmaterial fiel mir wie Schuppen von den Augen wo das ist...
Letztlich bezahlte ich mehr als Doppelte als ich (dazu stressfreier) auf der Sammlerbörse dafür gelöhnt hätte.
Seitdem bin ich, was initial nicht verortbare Abbildungen betrifft, weitaus risikofreudiger geworden. Ein Senftenberger
Postausgangsstempel auf derartigen Fotopostkarten ist für mich quasi schon ein Kaufbefehl. Auch wenn ich damit in der
Vergangenheit mehrfach auf die Nase gefallen bin. Aber besser das, als ein ultraseltenes Stück passieren zu lassen,
welches sich später dann doch als Senftenberg-bezogen herausstellt.
Fehlt noch die Antwort auf die elementare Frage, wo in Senftenberg dieses Foto gemacht wurde. Ich gehe davon aus,
daß die wenigsten das selbst nach langem Nachdenken beantworten können. Einen ersten Hinweis liefere ich mit der zweiten
Ansichtskarte für heute. Und wenn ich dann noch eine Anzeige aus dem Senftenberger Anzeiger nachschiebe, in der
die Eröffnung des abgebildeten Friseurgeschäftes mit Name und Adresse bekannt gegeben wurde, dann klingelt es vielleicht.
Senftenberger Anzeiger (1908)
Auch vom Geschäft nebenan, an dessen Schaufenster sich einige Vertreter des schwachen Geschlechts die Nasen platt drücken,
kann ich eine zeitgenössische Annonce liefern. Siehe rechts!
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Aug. Heinecke, Rudolstadt Verlag Ernst Konczak, Senftenberg N.L. Aufnahme <= 1907 Sammlung Matthias Gleisner
Senftenberger Anzeiger (1908)
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Es ist immer wieder schön, wenn es einem derart leicht
gemacht wird wie heute, ein Foto genau zu datieren.
Es ist bildseitig alles vermerkt, was wir wissen
müssen. Ort, Zeit und Anlaß. Alles da!
Und auch der Senftenberger Anzeiger als Informationsquelle
läßt keine Wünsche bezüglich einer textlichen Untermalung offen.
Dank des oben abgebildeten Ablaufplanes, können wir sogar die
Uhrzeit der abgebildeten Szenerie bestimmen: ca. 13 Uhr.
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Aufnahme = 14.05.1922 Sammlung Hans-Joachim Siepelt
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- Grube Marga, 8. Mai. (Schützengilde) Am 14.Mai
d.J. begeht die junge Schützengilde zu Grube Marga ihr Fest der Fahnenweihe.
Rastlose Sammeltätigkeit hat es ermöglicht, bei den heutigen unerschwinglichen
Preisen eine herrliche Schützenfahne zu beschaffen, die am Sonntag des
feierlichen Aktes harrt. Rastlos tätige Hände einzelner, eigens dazu
gebildeten Arbeits-Kommissionen der Schützenbrüder, haben die ungeheuren
Vorarbeiten zu diesem Fest zu einem erfreulichen Abschluß gebracht.
Zahlreiche Einladungen sind an all die umliegenden Schützengilden ergangen,
die insgesamt bisher mit über 600 Mann zugesagt haben. Unsere Brudergilde
zu Senftenberg hat in dankenswerter Weise es übernommen, die auswärtigen
Gilden auf dem Bahnhof Senftenberg zu sammeln und sie mit klingendem Spiel
nach Marga zu begleiten, sodaß voraussichtlich der Zug gegen 11 Uhr bei uns
eintrifft. - Ueber 50 Ehrendamen arbeiten im Verein mit einer Kommission
an der Ausschmückung unseres Ortes, um ihm an dem für unsere Gilde bedeutungsvollen
tage ein festliches Gepräge zu verleihen. Für ausreichende Bewirtung hat die
hiesige Gasthausverwaltung in liebenswürdiger Weise Sorge getragen, um unsern
verehrten, auswärtigen Gästen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu
machen. Für die schon Sonnabend eintreffenden Gilden sind Quartiere bereits
sichergestellt. - Für das Preisschießen hat unsere Gilde, die sich zu Ehren
der Gäste an dem Tage nicht am Schießen beteiligt, hervorragende Preise
gestiftet, die im Kaufhaus der Ilse Wohlfahrtsgesellschaft Marga zur gef.
Besichtigung ausgestellt sind. Karussels, Würfel- und Schießbuden und der
öffentliche Tanz im Saale der hiesigen Kaiserkrone sorgen bestens dafür,
daß die junge Welt, die nicht am Schießen teilnehmen kann, auch auf ihre
Kosten kommt. Zur besseren Aufrechterhaltung des Verkehrs hat die Autoomnibus-
Gesellschaft "Kraftverkehr in den Marken" einen Pendelverkehr zwischen Marga
und Senftenberg eingerichtet, desgleichen nachmittags zwischen Marga und dem
Schießstand. Um das Fest zu einem Volksfest im wahrsten Sinne des Wortes zu
gestalten, ist die geehrte Einwohnerschaft von Marga und Brieske dazu
herzlichst eingeladen. Nach allem, was bis jetzt zu überblicken ist, verspricht
die Fahnenweihe unserer Schützengilde ein Fest zu werden, wie es Marga wohl
noch nicht gesehen haben dürfte.
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Ein ähnlicher Anlaß führte knapp drei Jahre später an gleicher Stelle wiederum zu vergleichbaren Szenen. Von diesem Ereignis
verfügen wir zur Abwechslung sogar über bewegte Bilder...
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Im Verlaufe des Filmes haben wir die Gelegenheit Julius Klitzing zu sehen, worauf wir mittels einer vorgeschalteten Texttafel glücklicherweise
hingewiesen werden. Ohne diese hätten wir wahrscheinlich lange raten können. In der Chronik zum 50-jährigen Bestehen der Ilse-Bergbau AG erfahren wir:
Bergwerksdirektor Julius Klitzing, geboren am 5.August 1885 in Dahme, trat am 1. Januar in die Dienste der Ilse als Betriebsdirektor auf Grube
Marga. Am 13. Juni 1919 erhielt er Prokura, und am 23. Dezember 1935 wurde er vom Aufsichtsrat zum stellvertretenden Vorstandsmitglied ernannt.
Eine weit weniger positive Vita wurde Klitzing in den penetrant propagandistischen und undifferenzierten
geschichtlichen Abhandlungen zu DDR-Zeiten bescheinigt. Er gehörte nach deren Lesart zu den "Braunkohlekönigen",
den "Schlotbaronen" und "reaktionären Monopolherren", die die "Lausitzer Bergarbeiterbewegung mit erbittertem
Haß verfolgten"... Besonders ein Prof. Dr. Frank Förster überbot sich selbst in jeder seiner Arbeiten, immer
neue negative Bezeichnungen für die Unternehmer und deren "Handlanger" zu finden. Aber auch ein Autorenkollektiv
des BKK Senftenberg nahm sich der Person Klitzings an. Immerhin erfahren wir in dem Text weitere Details aus
dessen Werdegang. Gleichzeitig ist die kurze Abhandlung ein gutes Beispiel für die Art und Weise, wie in der
DDR "Geschichte geschrieben" wurde. Für alle die, die das nicht erlebt haben und auch die, die schon vergessen
haben, womit wir so tagein, tagaus "bombardiert" wurden, folgt der Originaltext im Anschluß.
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Hans Julius Klitzing
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Wer war Julius Klitzing?
Im 1. Weltkrieg wurde er als Hauptmann verwundet und danach als
Kriegskommisar im Lautawerk eingesetzt. Dafür kamen nur besonders
Kaisertreue infrage. Nach Beendigung des Krieges erfolgte der
Einsatz als Bergwerksdirektor zur Leitung der Grube Marga. Als
Beauftragter der Ilse-Bergbau-AG übte er in allen Bereichen seine
Macht aus. So z.B. war er seit 1924 Kirchenältester und seit 1925
Gemeindeältester von Brieske, seit 1934 Amtswart der Industrie und
Arbeitsrichter. Seine Kaisertreue bewies er auch damit, daß er zu
jeder politischen Aktion der Bergarbeiter Gegenmaßnahmen veranlaßte.
Nach den ersten erfolgreichen Streiks der Bergarbeiter gab es im
Senftenberger Braunkohlenrevier zwischen allen Grubenbesitzern
gemeinsame Festlegungen. Eine dieser Festlegungen bestand darin,
politisch aktive Bergarbeiter zu entlassen und nicht mehr einzustellen.
Dazu zählten z.B. Arthur Wölk, Robert Harnau, Franz Gellrich,
Kurt Uhlich, Anton Pawlack, Ewald Below, Otto Kern u.a. Ein
Bericht des Amtsleiters Brieske beweist auch, daß von Herrn Klitzing
trotz Einstellungsverbot aktive Mitglieder der NSDAP sofort eingestellt
wurden. In einem anderen Bericht wird der Landrat darauf aufmerksam
gemacht, daß Herr Klitzing die Bildung einer Betriebszelle der
NSDAP duldet. Er wurde ein treu dienender Helfer Hitlers.
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Als die Brabag in Schwarzheide ihr Werk aufbaute, leistete er eine
erfolgreiche Arbeit für die Ilse-Bergbau-AG, indem er für den Absatz der
Ilse-Briketts sorgte, obwohl ihm klar sein mußte, daß die Brabag in
Vorbereitung des II. Welkrieges gebaut wurde und die Zielfunktion
darin bestand, den Benzinbedarf der Hitlerwehrmacht decken zu helfen.
Während des Krieges erfolgte sein Einsatz als Wehrwirtschaftsführer. In
dieser Funktion hat er mit entschieden, wer in den Krieg mußte und wer
reklamiert werden konnte. Diese Funktion "verpflichtete" ihn, sämtliche
Befehle und Weisungen im Umgang mit den Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern
strikt einzuhalten.
Wenn Klitzing 1945 das Senftenberger Braunkohlenrevier fluchtartig in
Richtung Westen verließ, hat das mit Sicherheit seine Ursachen. Zum Glück
halfen bewußt handelnde Bergarbeiter verhindern, daß die Nazilosung der
verbrannten Erde verwirklicht wurde. Die abgesoffenen Tagebaue sowie andere
schreckliche Maßnahmen der Faschisten bewiesen, daß ernsthaft daran gearbeitet
wurde.
Wenn Herr Klitzung entnazifiziert wurde, konnte er sich bei denen bedanken,
denen er sein Leben lang treu und bedingungslos gedient hatte.
Aus: Chronik zur Geschichte des VE Braunkohlenkombinat Senftenberg
(Teil II - 1945 bis 1949) (1983)
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