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Inhaltlich entferne ich mich heute nur sehr gering vom Thema der letzten Woche. In der Tat gibt es eine ganze Reihe von Gemeinsamkeiten:
Baujahr 1898, Hotel, Gaststätte und diverse Betreiberwechsel die aus heutiger Sicht nicht mehr restlos aufzudröseln sind. War am vorigen Wochenende noch
vom Hotel zum schwarzen Bär die Rede, dreht sich heute alles um das Hotel Kronprinz.
Aus gegebenem Anlaß möchte ich dabei jedoch nicht in die Anfangszeit abtauchen, sondern bewege mich zeit- und bildlich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre.
F.Quandt, Photograph - S. Aufnahme <= 1925 Sammlung Torsten Kahlbaum
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Besagter Anlaß ist das Auftauchen links abgebildeter ultra-rarer Fotopostkarte vor wenigen Tagen. Die Umstände, die
zur Rückkehr des Motivs an seinen Ursprungsort führten sind einigermaßen ungewöhnlich da sie eigentlich nichts mit
Senftenberg sondern viel mehr mit der zusätzlichen Beschriftung an der Fassade des Gebäudes zu haben...
Und diese hilft uns auch bei der Datierung der Abbildung auf diesem ansonsten unbeschriebenen und ungelaufenen Stück.
Nach unten kann die Aufnahme schwerlich früher als Januar 1924 entstanden sein, denn in diesem Monat wurde per Inserat im
Senftenberger Anzeiger offiziell bekannt gegeben, daß man im Kronprinzen eine Kahlbaum Likörstube eröffnen
würde.
Senftenberger Anzeiger (1924)
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In diesem Zusammenhang tauchte später auch noch der Begriff Kahlbaum-Diele auf. Gemeint war wohl das selbe. Was es nun
mit dieser Kahlbaum-Stube, wie sie an der Fassade des Kronprinzen beworben wurde, auf sich hat, versuche ich nachfolgend anhand
halbwegs gesicherter Informationen aufzuarbeiten:
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1818 gründete Carl August Ferdinand Kahlbaum in der Berliner Münzstraße eine "Spritreinigungsanstalt und Likörfabrik". 1847 übernahm
dessen Sohn Wilhelm das Unternehmen und baute es nachfolgend u.a. durch die Gründung einer weiteren chemischen Fabrik aus. Dort wurden
vorrangig Industriechemikalien hergestellt, die zur weltweiten Bekanntheit der Firma führten. 1879 übernahm der Enkel des Firmengründers,
Johannes die Führung. Unter seiner Leitung wurde der Betrieb nach Berlin-Adlershof verlegt. 1922 erwirbt die Oberschlesische Kokswerke
und Chemische Fabriken AG die Chemische Fabrik C.A.F. Kahlbaum GmbH sowie die Firma Schering. 1927 erfolgt die Fusion
zur Schering-Kahlbaum AG. Daß zu DDR-Zeiten das Ganze unter VEB Bärensiegel Berlin firmierte, wird zwar bei manchem Leser Erinnerungen
hervorrufen, soll aber für die Geschichte, die uns interessiert nicht weiter von Bedeutung sein.
Anfang/Mitte der 1920er Jahre entstanden überall in Deutschland sogenannte Kahlbaum-Stuben. Darunter kann man wohl einen abgetrennten Bereich
innerhalb einer bestehenden Restauration verstehen (mglw. war es auch eine komplette Restauration), der einrichtungstechnisch einem "corporate
design" folgte. Die Annonce vom Januar 1924 bestätigt dies durch die Erwähnung des Innenarchitekten Kareski, Berlin. Man kann sich das wahrscheinlich
so vorstellen, daß die Likörfabrik Kahlbaum die Inneneinrichtung lieferte. Im Gegenzug garantierte der Gastwirt eine bestimmte Mindestabnahmemenge
an Hochprozentigem der selben Firma. Die Produkte der Firma wurden dann exklusiv in den neu geschaffenen Räumlichkeiten ausgeschenkt.
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Und im Jahre 1924 kamen also die Senftenberger in den Genuß einer solchen Einrichtung. Wobei dies schon etwas ungewöhnlich ist, denn normalerweise
wurden solche Kahlbaum-Stuben nur in Großstädten oder an stark touristisch frequentierten Orten errichtet. Beides traf für das märkische Provinzkaff
Senftenberg nun wahrlich nicht zu.
Doch zurück zur Fotopostkarte. Wir haben es hier mit einem bislang einmaligen Erscheinen der Bezeichnung "Kahlbaum Stube" an der Front des Hauses
zu tun. In vorliegendem Fall sogar in zweifacher Ausführung. Die zusätzlichen Aufschriften Weine, Liköre, Mocca konnte man nebenbei bemerkt
noch in späteren Zeiten ausmachen, nachdem der Verweis auf die Kahlbaumstube längst getilgt worden war. Auf dem Foto sehen wir übrigens am rechten
offenen Fenster die damalige Besitzerin des Hotels, die Witwe Helene Diethert. Einen entsprechenden Hinweis erkennt man auch über der Eingangstür.
Besagte Frau Diethert werden wir weiter unten noch in bewegten Bildern in Augenschein nehmen können.
Ist noch die Frage zu klären, wann das Foto spätestens gemacht worden sein könnte. Ein Schritt zur Lösung, wäre ein Datum bis wann die Kahlbaumstube
Bestand hatte. Es wäre nämlich sehr wahrscheinlich, daß nach Auslaufen des "Franchising" die Außenwerbung entfernt worden wäre. Und jetzt fangen meine
Recherchen tatsächlich an sehr zeitintensiv zu werden... Kurioserweise war die initiale Annonce vom Januar 1924 für sage und schreibe 15 Monate das
letzte Lebenszeichen des Kronprinzen im Senftenberger Anzeiger. Und das beschränkt sich nicht auf die Kahlbaumstube sondern gilt für das gesamte
Hotel & Restaurant Kronprinz!
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Photo Käding, Senftenberg N.L. Q 9763 25 Aufnahme <= 1928 Sammlung Matthias Gleisner
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Da man es offenbar nicht nötig hatte, für mehr als ein Jahr auch nur eine einzige Anzeige zu schalten, kann man wohl davon ausgehen,
daß die Geschäfte der Frau Diethert bombig liefen, was auch einen Erfolg der Kahlbaumstube nahe legt. Und dann annonciert man
zu Ostern 1925 wiederum einen "Neubau"...
Senftenberger Anzeiger (1925)
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Und anders als ein gutes Jahr zuvor, ließ sich der Senftenberger Anzeiger sogar zu einem längeren Beitrag herab.
Der Grund hierfür dürfte unter anderem darin zu suchen sein, daß man eine ganze Reihe lokaler Firmen lobend hervorheben konnte...
- Senftenberg, 17.April. Das Hotel "Kronprinz" in der Kaiser-Friedrich-Straße
ist in den letzten Wochen durch Schaffung neuer Gesellschaftsräume nebst Tanzdiele
wesentlich erweitert worden. Bezüglich des Gesellschaftszimmers darf ohne Uebertreibung
behauptet werden, daß es eine Zierde nicht nur des genannten Hotels, sondern sämtlicher
Lokalitäten der Stadt überhaupt bildet. Zunächst die praktische stilgerechte Bauart
und die dazu passenden prächtigen stilvollen Möbel sowie sonstigen Dekorationsstücke;
dann die stimmungsvollen Malereien, weiter die bunte Kunstverglasung und schließlich
als Krönung die effekt- und reizvolle Beleuchtung, die dem ganzen an sich schon
anheimelnden Raum noch einen besonderen Zauber verleiht. Wirklich, in diesem
vornehm und intim ausgestatteten Gesellschaftszimmer läßt sich's gut sitzen und da
muß man sich wohlfühlen, noch dazu von der anstoßenden Tanzdiele her Musikklänge
erschallen und, wenn gewünscht, auch für den nötigen Humor Sorge getragen wird.
Was ich dem Bericht nicht entnehme: den Wegfall der Kahlbaumstube/-diele. Vielmehr
scheint für mich zwischen den Zeilen hindurch, daß die Kahlbaumdiele (hier: Tanzdiele)
direkt an die neuen Räumlichkeiten anschloß.
Zur Erinnerung: wir sind immer noch bei der Datierung der Fotopostkarte ganz oben!
Interessant ist im Gesamtzusammenhang die rechts abgebildete Mitteilung aus dem August 1925.
Hierin wird bekannt gemacht, daß nunmehr Karl Ambrosius die Likörstube des Kronprinz, also
die Kahlbaumstube, "auf Rechnung" übernimmt. Mit anderen Worten: Helene Diethert hat sich
einen Subunternehmer gesucht, der ausschließlich die Likörstube eigenständig betreibt.
Dies wiederum hätte nicht zwangsläufig zu einer Änderung der Fassadengestaltung führen müssen.
Daß ich damit richtig liege, beweist folgende Annonce vom Januar 1926...
Senftenberger Anzeiger (Januar 1926)
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Hoffentlich wird die Besitzerin des Hotels "Kronprinz", Frau Diethert, für ihr durch
den Ein- bezw. Umbau gezeigtes Modernisierungsbestreben und für die aufgewendeten
beträchtlichen Ausgaben durch zahlreichen Besuch unterstützt. Zu bereuen braucht
den Besuch niemand, im Gegenteil, man wird sich freuen und sich dort in der Tat
recht wohlfühlen. Entwurf und Umbau stammen von dem Architekten Klöter, Senftenberg
und Vogel, Marga, der auch die Leitung hatte. Die Möbel und Dekorationen lieferte
die Firma Otto Altmann, die Beleuchtungs- und Toiletteneinrichtungen die Firma
Altmann Nachfolger (Fritz Sprenger), die Malerarbeiten hat die Firma Curt Schönert
und die Kunstverglasungsarbeiten die Firma Raatz asugeführt; die Tischlerarbeiten
waren den Meistern Thiel und Dubrau und die Ofensetzarbeiten dem Meister Lehmann
übertragen. Es ist erfreulich, daß die gesamten Arbeiten und Lieferungen nur von
einheimischen Firmen stammen, deren Erzeugnisse dem heimischen Handwerk und Gewerbe
alle Ehre machen.
Senftenberger Anzeiger (1925)
Und es kommt noch besser! Ende März 1926, also fast auf den Tag vor 90 Jahren, meldet
die Lokalpresse das Aus der Kahlbaumstube...
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- Senftenberg, 20.März. (Egs.) (Ein neuer Brauerei-Ausschank). Frau Helene Diethert,
die Besitzerin des Hotel Kronprinz im Stadtteil Jüttendorf hat aus den veränderten
wirtschaftlichen Verhältnissen die Konsequenzen gezogen und ihre Lokalitäten entsprechend
umgestellt. Die bisherige "Kahlbaum-Diele" ist verschwunden und hat einem Hotelrestaurant
Platz gemacht, in dem sich Hotelgäste und Bürger wohl fühlen können. Das anschließende
"Grüne Zimmer" bietet größerem Besuch, kleineren Gesellschaften, Konferenzen und
Sitzungen angenehmen und stimmungsvollen Aufenthalt. Nur Sonnabends und Sonntags, wo
das Hotel sehr schwach besetzt ist, will Frau Diethert versuchen, die langjährigen
Stammgäste und Freunde des Hauses mit ihren Familienangehörigen durch eine gute
Stimmungsmusik und Tanzmöglichkeit zu unterhalten.
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Es wäre zu wünschen, daß die Bürgerschaft dies Bestreben, ihr wieder einen angenehmen
Aufenthaltsort zu schaffen, durch regelmäßigen Besuch anerkennt. Das bisherige
Restaurant ist in eine bürgerliche Trinkstube umgewandelt worden. Es macht in
seiner zwar einfachen, aber sauberen und netten Aufmachung einen vorzüglichen
Eindruck. Neben dem bekannten vorzüglich schmeckenden und bekommenden echten
Kulmbacher Rizzibräu bietet Frau Diethert ihre bekannt gute Küche in einfacher
Aufmachung zu bescheidenen Preisen. Die neue Bierstube ist geeignet, sowohl den
Anspruchsvolleren als auch den Bescheidensten zufriedenzustellen und bietet manchem
die langgesuchte nette Einkehrmöglichkeit.
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Theoretisch käme demnach auch noch das erste Vierteljahr 1926 für die Fotografie infrage. Da ich insgeheim 1924 vermute, schließe ich diese
Möglichkeit aber aus.
Nachdem nun so intensiv von der Kahlbaumstube und Frau Diethert die Rede war, sollen beide - die Wirtin und die Räumlichkeit - in Form
bewegter Bilder zu Ehren kommen. Wer aber denkt, daß dabei die Recherchen ein Ende haben, der hat weit gefehlt.
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Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, daß Frau Diethert eine ziemlich umtriebige
Geschäftsfrau war, die zu spontanen Aktionen neigte. Da wurde schnell einmal das Haus
umstrukturiert oder gar umgebaut. Anfang 1927 holte sie sich einen Teilhaber
in den Kronprinzen. Friedrich Schreiber, der zuvor den "Schlesischen Hof" in Bad Salzbrunn
leitete und in seiner Vita u.a. Stationen wie die Schweiz, Südfrankreich, England und
Cairo vorzuweisen hatte, hauchte der Unternehmung etwas mehr Leben ein. Die Frequenz
der Inserate in der Lokalpresse erhöhte sich merklich, nachdem er im Mai 1927 nach Senftenberg
übergesiedelt war. Während in Folge der Name Diethert abhanden kam, tauchte merkwürdigerweise
ab dem Jahr 1928 der Begriff "Kahlbaum-Diele" wieder aus der Versenkung auf. Und das nachdem wir
doch gelernt haben, daß diese 1926 schon Geschichte war! Das hat aber auf die Datierung der
Ansichtskartenmotive und des Films keinen Einfluß.
Eine schlüssige Erklärung für diese "Wiederauferstehung" habe ich aktuell aber auch nicht.
Nachdem in den Folgejahren die Kahlbaum-Diele stärker als zu den Zeiten ihrer ursprünglichen
Installation (1924/25) durch die Lokalpresse geisterte, kann das letztmalige Auftreten der
Bezeichnung derzeit auf Ostern 1932 fixiert werden.
Senftenberger Anzeiger (1932)
Und das bringt uns sogar in die Zeit der nebenstehenden Ansichtskarte. Obwohl in den Randbereichen
etwas unscharf, kann man die verbliebenen Teile der ursprünglichen Kahlbaum-Außenreklame erkennen.
Freilich ohne explizite Nennung des Unternehmens, so wie auf der Fotopostkarte ganz oben.
Bleibt abschließend noch zu erwähnen, daß in Folge die Kombination Kronprinz - Diethert eine
Renaissance erlebte. Nicht mit Helene sondern Hans. Wahrscheinlich ein Sohn der früheren Besitzerin.
Einwohnerbuch (1934)
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Postkartenverlag Kurt Bellach, Guben N.-L. Nr.30204 Echte Photographie Aufnahme <= 1930 Sammlung Norbert Jurk
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