Wer beim Betrachten der rechts abgebildeten Fotopostkarte meint "kommt mir irgendwie bekannt vor",
dem sage ich "Sehr gut aufgepasst!"...
Es ist mittlerweile mehr als fünf Jahre her, daß ich eine sehr ähnliche Aufnahme vorstellte. "Ankerperson"
ist in beiden Fällen der Herr mit dem Schnautzer - Stadtsekretär Otto Lehmann - vor seinem Elternhaus in
der Senftenberger Wiesenstraße 11.
Bezüglich des restlichen Personals gibt es auch ein paar Überschneidungen. Ich gehe fest davon aus,
daß beide Fotos in einem sehr engen zeitlichen Abstand geschossen wurden. Wenn vielleicht auch nicht am
selben Tag, so doch binnen weniger Tage. In jedem Fall erfolgte ein teilweiser "Kostümwechsel". Dies passierte
bei Lehmann selbst (Mütze gegen Hut getauscht) und das Mädchen links trägt hier ein anderes Kleid. Alles
andere ist ziemlich identisch, z.B. die Wuchshöhe und Belaubung der Bäume. Einzig die Pflanzen rechts der Eingangstür
sehen auf der heutigen Fotografie etwa stabiler aus.
Wie schon vor fünf Jahren erwähnt, ist das abgebildete Haus in dieser Form heute nicht mehr so wirklich nachzuvollziehen.
Irgendwann, wahrscheinlich in der zweiten Hälfte der 1920er, wurde praktisch vor diesem Haus ein wesentlich
größeres Gebäude errichtet. Von diesem dürfte heutzutage nichts bzw. nicht mehr viel erhalten sein, denn die
Firma Bretschneider errichtete vor einigen Jahren an dieser Stelle ein modernes Geschäftshaus.
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Aufnahme <= 1910 Sammlung Familie Forberger
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Apropos "Errichten": Anfang der 1920er Jahre, wann ganz genau ist noch etwas vage, wurde rechts neben dem Haus Wiesenstraße 11 eine bislang
scheinbar unbebaute Fläche mit einem zweistöckigen Wohnhaus bestückt. Dabei enstand die zuvor noch nicht vergebene Adresse Wiesenstraße 9. Dieses
Haus ist heute noch in fast identischer Außengestaltung erhalten. Seit 75 Jahren aber unter der Joachim-Gottschalk-Straße 9 zu finden. Zwei Aufnahmen aus
der Anfangszeit kann man im folgenden betrachten.
Aufnahme <= 1924 Sammlung Familie Forberger
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Für das linke Foto wird mittels rückseitiger Aufschrift ein "ca. 1924" mitgeliefert. Kann
stimmen, könnte aber auch später sein. Wir erkennen, daß das Nebenhaus
noch nicht errichtet wurde. Von diesem sehen wir auf dem Foto rechts ein
kleines Stück. Ein weiterer interessanter Unterschied ist die auf dem rechten Foto
bereits ausgeschilderte Benediktenstraße, die jedoch noch nicht so wirklich ausgebaut
erscheint. Immerhin ist der Gartenzaun, den wir auf dem linken Foto sehen bereits
gewichen. Eine Absenkung des Bordsteins hat aber noch nicht stattgefunden. Das Unkraut
wuchert auch noch.
Wann die Benediktenstraße eingerichtet wurde ist mir aktuell nicht ganz klar. Sie erschien
namentlich erstmals im Senftenberger Einwohnerbuch des Jahres 1934. Da zwischen diesem und
dem zuvor veröffentlichen Einwohnerbuch aber ganze 5 Jahre liegen, ist der Spielraum ziemlich
groß. In diesem Zusammenhang wäre es wirklich sehr zu begrüßen, wenn das "Senftenberger Straßenlexikon"
meines Heimatforscher-Kollegen Steffen Kober mal irgendwie einen (öffentlich wahrnehmbaren)
Fortschritt erfahren würde.
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Aufnahme <= 1940 Sammlung Familie Forberger
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Meine zeitliche Bestimmung des rechten Fotos ist mangels sachdienlicher Hinweise ziemlich freihändig und orientiert sich im wesentlichen
an der Höhe des Nadelbaumes im Vorgarten im Vergleich zu der Aufnahme aus den 1920ern.
Das linke Foto bietet noch ein interessantes Detail an der Hauswand. Man erkennt dort ein
⚒ Niederlausitzer ⚒
Tuch-Fabriklager
Otto Lehmann
Richtig! Genau jener Otto Lehmann, der auf dem Foto ganz oben mit der Schaufel posiert. Er wohnte nicht nur irgendwann in dem Haus Wiesenstraße 9,
welches seinem Sohn Walter gehörte, sondern betrieb von hier aus auch einen Handel mit Tuchen. Offenbar plagte ihn nach dem Ausscheiden aus den
städtischen Diensten, wo er, wie bereits erwähnt als Sekretär angestellt war, die Langeweile und er versuchte sich mit knapp 60 Jahren als
Geschäftsmann.
Seinen Tuchhandel führte er anfangs, man mag es angesichts der doch
sehr beengten Verhältnisse des Hauses kaum glauben, in der ersten
Etage der Kreuzstraße 4 durch. Im Parterre betrieb ja sein Sohn Walter
seit 1920 einen Fachbetrieb für Uhren sowie Gold- und Silberschmuck.
Deshalb kann ich mir nur vorstellen, daß das Ganze weitestgehend ohne
großen Publikumsverkehr ablief. Ende Mai 1924 gab Otto Lehmann
den Umzug seines Geschäftes an die neue Adresse Wiesenstraße 9 bekannt...
Senftenberger Anzeiger (30. Mai 1924)
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Senftenberger Anzeiger (1923)
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Und damit dürfte die linke Außenansicht des Hauses auch irgendwie nach unten gedeckelt sein. Ich glaube nicht,
daß die Außenreklame vor dem Umzug dort angebracht war. Wie lange Otto Lehmanns
Ausflug in die Geschäftswelt andauerte, konnte ich bislang nicht ermitteln. In jedem Fall war ihm mit 75
Jahren ein längeres Leben als seinen beiden Söhnen beschert. Diese starben mit 44 bzw. 51 Jahren. Otto Lehmann
haben wir im übrigen eine ganze Reihe detailreicher Handzeichnungen von den Straßenzügen der Senftenberger
Kernstadt zu verdanken, die er 1936 aus dem Gedächtnis anfertigte und die die Situation von ca. 1870 wiedergeben.
Zudem versah er die Zeichnungen mit den Namen der über die Jahre in den Häusern wohnhaften Personen. Informationen,
die er sicher aus seiner Zeit als Stadtsekretär gesammelt hatte.
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