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Wer die Sache hier schon eine Weile verfolgt, wird bemerkt haben, dass ich mir gerne irgendwelche Jahrestage suche, die ich dann thematisch und
vor allem bildlich etwas aufarbeiten kann. Deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich, wenn ich mir den 18. Dezember als Dreh- und Angelpunkt
der aktuellen Themenwoche ausgesucht habe. In diesem Jahr jährt sich nämlich die Einweihung der evangelischen Kirche zu Grube Marga zum einhundertsten
Mal.
Da die Briesker den exakten Jahrestag nicht abwarten und stattdessen bereits am heutigen 3. Advent das Jubiläum mit einem Festgottesdienst
begehen, sehe ich mich auch nicht in der Pflicht, bis zum Donnerstag zu warten...
Neben 6 neuen (oder nicht so neuen) Ansichtskartenmotiven, möchte ich die sogenannte Fest-Ordnung zu besagtem Ereignis als Illustration
verwenden. Hierin werden nebem dem geplanten Ablauf auch einige historische Eckdaten publiziert. Der Senftenberger Anzeiger berichtete in
gewohnt detailversessener Art und Weise über den denkwürdigen Tag.
Senftenberger Anzeiger (1914)
- Grube Marga, 19. Dezember. Ein schöner Tag war der Gemeinde
Marga-Brieske am Freitag, 18. d. M., beschieden. Schön im wahrsten
Sinne des Wortes. Es war aber auch ein Tag, der ein Gedenkstein im
kirchlichen Leben der Kolonie Grube Marga und der Gemeinde Brieske
bleiben wird, der Tag der Kircheinweihung. Gottes Segen leuchtete
über dem Ganzen. Alles hatte sich vereint, um diesen Tag festlich -
wenn auch in Anbetracht der derzeitigen Verhältnisse einfach - zu
begehen. Der Beginn der Feier war auf 12 Uhr mittags festgesetzt und
pünktlich setzte sich der Zug der Teilnehmer unter den Klängen eines
Chorals vom Schulhause in Bewegung. An der Spitze die Vertreter der
kirchlichen Behörden, die Geistlichkeit aus der Umgebung, der
Vertreter der Kgl. Regierung, die Vertreter der Bergbehörde, daran
anschließend die Direktion der Ilse-Bergbau-Aktiengesellschaft, die
Beamten und eingeladenen Gäste. In üblicher Weise fand die Schlüsselübergabe
mit den besten Segenswünschen statt, das Tor der Kirche wurde geöffnet
und voller Orgelton klang der versammelten Gemeinde entgegen. Bis
auf den letzten Platz war die Kirche gefüllt. Möge sie auch in Zukunft
ein Sammelpunkt der ganzen Gemeinde sein. Nachdem der Männerchor der
Grube Marga das Lied "Der Herr ist mein Hirte" gesungen hatte, vollzog
Herr Generalsuperintendent D. Keßler die Weihe des Hauses. Er
legte seiner Weihepredigt die Worte des Psalm 18 zu Grunde. Jubelnd
konnte er in seiner Rede darauf hinweisen, daß der Herr sichtbar mit
der neuen Kirchengemeinde sei; ist es ihr doch möglich gewesen, in
dieser schweren Zeit die Kirche ihrer Bestimmung zu übergeben. Es
sollte eine Friedenskirche werden. Vielleicht ist der Tag auch nicht
mehr fern, an dem die Kirchenglocken den Frieden verkünden werden.
"Preis und Anbetung" erklang hierauf von den Lippen des Kinderchors.
Trutzig klang das Lied der Gemeinde "Ein feste Burg ist unser Gott".
Die Liturgie hielt der Superintendent Dr. Eisenbeck.
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Dankbar wurde das Geigenstück von der Musikkapelle aufgenommen.
Einschmeichelnd drangen die Töne zu Herzen. Glänzend disponiert
konnte sich Frau Fuldner ihrer bereitwilligst übernommenen Aufgabe
entledigen: Halleluja von Max Stange. Herrlich klang das Solo durch
den schönen Raum. Eine Jubelhymne von einer wunderbaren Tonsetzung.
Der größte Genuß war jedoch die Festpredigt, gehalten von Herrn
Pastor Bödrich aus Bernsdorf, welche sich aufbaute auf den Psalm 46.
In schönen Worten, in zu Herzen gehenden Worten wußte er jedes Auge
der Gemeinde auf sich zu lenken. Jeder einzelne Teilnehmer war
bewegt von den Gedanken, die er in seine Predigt legte. Wundervoll
waren die Ausführungen mit denen er seine Bilder ausschmückte.
"Ist Gott tot?" war die Einelitung seiner Predigt. Mit "Nein"
konnte er es beantworten. Seine Predigt war nicht nur vom theologischen
Standpunkt ein Glanzstück, auch der Laie wurde hingerissen.
Schön war der Hinweis auf die Einigkeit, die unter den Beamten
und Arbeitern der Kirchengemeinde herrsche, zum Segen der Gemeinde,
zum Segen der Gesamtheit. Tiefernst stimmte der Hinweis auf diejenige,
die der neuen Kirchengemeinde ihren Namen gegeben hatte. Ein
Samenkorn, das tausendfache Früchte getragen habe. Mit dem Segenswunsche
"Das Werk unserer Hände wolle Gott fördern" schloß der Festprediger
seine Worte. Die große Liturgie, gehalten von dem Herrn Generalsuperintendenten
D. Keßler, schloß die Feier. Stehend sang die Gemeinde unter
Orchester-Begleitung das Niederländische Dankgebet. Aus vollem Herzen
drangen die Töne empor. Umfaßte der Dank doch auch eine weltgeschichtliche
tatsache, den "Sieg über die Russen", den unsere Truppen im Osten
am 17. Dezember errungen haben. Langsam leerte sich die Kirche
unter den Tönen der Orgel. Der Festgottesdienst war beendet, die
Kirche ihrer Bestimmung übergeben. Ein kleines Essen vereinte die
Teilnehmer im Saale der "Kaiserkrone" zu Grube Marga.
Senftenberger Anzeiger (1914)
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1188|13 Aufnahme = 1914 Sammlung Matthias Gleisner
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Sammlung Steffen Marth
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Unschwer ist zu erkennen, dass Ansichtkarte Nr.1 auf derselben
Abbildung basiert, die auch die Frontseite der Fest-Ordnung
ziert.
Es handelt sich zudem um die zweite Variante des Motivs.
Nicht nur, dass man von grün auf braun geschwenkt ist,
auch der Schriftzug unterscheidet sich. Bei der ersten Version
stellt man explizit auf die Einweihungsfeier ab. Vermutlich
wurde diese speziell am 18. Dezember 1914 unter die Besucher
der Feierlichkeiten gebracht.
Wir können relativ sicher sein, dass die Aufnahme in 1914
gemacht wurde. Die Grundsteinlegung zum Kirchenbau erfolgte
am 1. Juli 1913 und in den verbleibenden Monaten des Jahres
errichtete man die Kirche wahrscheinlich nicht so weit, dass
man dieses Foto hätte anfertigen können.
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Die Verwendung derselben Fotografie innerhalb der
Fest-Ordnung macht die Datierung des Motivs zu einem Kinderspiel.
Die Variante in der Festordnung erscheint mir jedoch
leicht gestaucht.
Ich habe diese Ansichtskarte auch schon einmal mit einer
leicht veränderten Aufschrift gesehen, die auf den 18.
Dezember 1914 anspielt.
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1188|14 Aufnahme = 1914 Sammlung Matthias Gleisner
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Verlag der Ilse-Wohlfahrtsgesellschaft m.b.H., Grube Ilse, N.-L. R. 44157 Aufnahme <= 1920 Sammlung Matthias Gleisner
Nur auf den ersten flüchtigen Blick vermutet
man zwei unterschiedliche Ansichten der
Kirche. Auf den zweiten Blick wird jedoch klar,
dass wir es mit ein und derselben Grundfotografie
zu tun haben. Für die zweifarbige Variante verwendete
man einen anderen Bildausschnitt, der das Gebäude
etwas näher heranholt. Spätestens der Blick zur
Kirchturmuhr bringt Gewissheit.
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Verlag der Ilse-Wohlfahrtsgesellschaft m.b.H., Grube Ilse, N.-L. R. 44158 Aufnahme <= 1920 Sammlung Matthias Gleisner
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Ansichtskarten-Verlag Zimmaß, Erfurt, Neuestr. 12 Echte Photographie Aufnahme <= 1939 Sammlung Norbert Jurk
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Der Erfurter Zimmaß-Verlag war meinen Nachforschungen
zufolge nahezu ausschliesslich für Innen- und Aussenansichten
evangelischer Kirchen zuständig. Dem Gesetz der Serie
folgend müsste mindestens noch eine Aussenansicht der Kirche
zu Grube Marga existiert haben. Bislang konnte ich diese jedoch
nicht nachweisen.
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In Beitrag des Senftenberger Anzeiger ganz oben geht man vor lauter Religiosität mit keiner Silbe auf denjenigen ein, dem man den Bau der Kirche überhaupt verdankt.
Die Fest-Ordung spricht wenigstens in einem Satz von der hochherzigen Spende der Ilse-Bergbau-Aktiengesellschaft. Das Unternehmen selbst
rückt in der Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum im Jahre 1938 die Dinge gerade:
Eine zweite Kirche baute die Ilse für ihre Kolonie Marga. Als die Grube Marga 1906 begonnen und gleichzeitig die Kolonie Marga in Angriff genommen
wurde, gehörten die Bewohner der Kolonie zunächst zur Kirchengemeinde Senftenberg. Das schnelle Anwachsen der Kolonie ließ aber bald den Plan
reifen, für die Kolonie Marga eine selbständige Kirchengemeinde zu gründen und eine eigene Kirche zu bauen. Bereits 1912 wurde die staatliche
Genehmigung zum Bau einer evangelischen Kirche erteilt und der Grundstein dazu am 1. Juli 1913 gelegentlich der Feier des 25jährigen Jubiläums
der Ilse, Bergbau-Actiengesellschaft gelegt.
Am 1. Dezember 1914 wurden die Bewohner der Kolonie Marga und des Dorfes Brieske aus der Senftenberger Kirchengemeinde ausgepfarrt und zu einer
selbständigen Kirchengemeinde erhoben. Die Kirche erhielt eine Pfarrstell, deren Schaffung die Ilse durch eine größere Geldspende möglich machte.
Die Kirche liegt am Marktplatz der Kolonie Marga, ihr Entwurf stammt von dem Architekten von Mayenburg, Dresden, der auch den Entwurf für die
gesamte Kolonie Marga bearbeitet hat. Am 18. Dezember 1914 wurde die Kirche in gegewnwart des Präsidenten des Evangelischen Konsistoriums der
Mark Brandenburg, Steinhausen, des Generalsuperintendenten der Neumark und Niederlausitz, D. Keßler, und des Vorstandes der Ilse, Bergbau-Actiengesellschaft
unter Beteiligung der ganzen Kirchengemeinde eingeweiht. Der Kirchenbau kostete 143 000 RM, wovon die Ilse den größten Teil stiftete.

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Der Mayenburgsche Ur-Entwurf sah übrigens eine leicht andere Gestalt der Kirche vor. In der Festschrift zum 25-jährigen
Jubiläum aus dem Jahr 1913, also kurz vor dem Beginn der Bauarbeiten, befindet sich eine Zeichnung auf der das Gotteshaus
wie links abgebildet, dargestellt ist.
Dieselbe Zeichnung tauchte übrigens ca. 1919 nochmals im Ilse-Führer auf. Fünf Jahre nachdem die Kirche
errichtet worden war!
Die Darstellung geht außerdem mit dem letzten Ansichtskartenmotiv für heute konform, welches gern für eine Luftaufnahme der
Kolonie Marga gehalten wird. In Wirklichkeit basiert die Abbildung auf einem fotografierten Modell der geplanten Anlage.
Das Modell, welches neben den Abweichungen bezüglich der Kirche auch noch weitere Differenzen zu den tatsächlich
realisierten Bauten beinhaltet, wurde 1911 im Rahmen der Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden präsentiert.
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Verlag der Ilse-Wohlfahrtsgesellschaft m.b.H., Grube Ilse, N.-L. 8639 Aufnahme <= 1911 Sammlung Matthias Gleisner
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Der Senftenberger Anzeiger vermeldete dazu im Jahr 1911:
- Senftenberg, 30. Oktober. Auf der Internationalen Hygiene-Ausstellung in Dresden befand sich in der Halle für Ansiedlung
und Wohnung u.a. auch ein Plan sowie ein vollständiges naturgetreues Modell der Arbeiter-Gartenstadt Marga b. Senftenberg. Aus der
dem betr. Ausstellungsobjekt beigegebenen Erläuterung entnehmen wir folgendes: Der Entwurf der Gartenstadt "Marga" der Ilse-Bergbau-AG
ist das Resultat eines Wettbewerbes unter verschiedenen deutschen Architekten, bei welchem Architekt G. v. Mayenburg in Dresden als
Sieger hervorging und mit der Bearbeitung betraut wurde.
Da das zu bebauende Gelände durchaus eben war und nur durch die Straße Senftenberg-Brieske belebt ist, kam es dem Architekten darauf
an, die Bebauung so zu projektieren, daß durch die Anordnung der Straßen und Plätze malerische, abwechselungsreiche Bilder geschaffen
wurden. Die Eintönigkeit der Landschaft macht es zur Bedingung, die Baulichkeiten farbig und luftig zu behandeln. Als Mittelpunkt ist
der Marktplatz vorgesehen, um welchen sich die Hauptgebäude, wie Kirche mit Pfarrhaus, Schule, Kaufhaus, Bäckerei, Fleischerei, Post,
sowie Gasthaus gruppieren. Nach diesem Platze sind die Straßen konzentrisch angelegt und geben so interessante Durchblicke nach den
Hauptgebäuden, insbesondere der dominierenden Kirche. Marga ist augenblicklich bis zur Hälfte bebaut und soll nach seiner endgültigen
Fertigstellung ca. 4000 Seelen beherbergen. Die Kolonie enthält ca. 105 Arbeiterhäuser, welche für 10, 8, 6, 4 und 2 Familien eingerichtet
sind, jede Wohnung hat 3-4 Räume von 45-58 qm, dazu Stall und Garten von 100-150 qm. Die einzelnen Gebäudeblocks enthalten außer geräumigen
Bleichplatz noch einen Spielplatz, um das Spielen der Kinder auf der Straße zu vermeiden. Die Aborte sind den Erfahrungen der dortigen
Gegend angepaßt, außerhalb der Häuser in den Ställen untergebracht. Waschküchen für jedes Gebäude sind vorgesehen.
Außer den Meisterhäusern sind noch 6 Beamten- und Lehrerwohnhäuser, Kirche für 500 Sitzplätze und daran anschließender Kirchhof, Schule mit
Näh- und Kochschule für 8, später 12 Klassen, Junggesellenheim mit Leseräumen etc., Pfarrhaus, Haus für den Arzt, Gasthaus mit großem Saal,
Bäckerei, Fleischerei mit Schlachthaus und Eisfabrik, Kaufhaus, Post, Friseur etc. vorgesehen.
Alle diese Gebäude sind mit dem Abdampf der Brikettfabrik, welche sich ca. 600 m vom Marktplatz befindet, durch ein Fernheizwerk beheizt.
Beschleusung, gutes Trinkwasser, elektrisches Licht ist vorgesehen. Das Ganze soll ein Waldgürtel umschließen, in dem Fest- und Sportplätze
angeordnet sind. Die Direktion der Bergbau-A.-G. Ilse hat in mustergiltiger Weise für die Wohlfahrt ihrer Arbeiter durch den Bau dieser
Arbeiter-Gartenstadt gesorgt und sucht durch Wettbewerbe für besterhaltene Blumenkästen, Gärten, gutgepflegte Haustiere und guterhaltene
Wohnungen erzieherisch auf die Bewohner einzuwirken. Es verdient noch erwähnt zu werden, daß eine große Badeanstalt, nach den neuesten
hygienischen Einrichtungen erbaut, sich direkt an der Brikettfabrik befindet. Aus dem Modell ist ersichtlich, daß die Gartenstadt Marga
nach den modernsten, hygienischen, heimatschutzlichen, städtebaulichen und praktischsten Gesichtspunkten errichtet ist und in Deutschland
wohl einzig in seiner Art dastehen dürfte.
Trotz dieser Gesichtspunkte sind die Wohnungen verhältnismäßig nicht teurer, wie die früheren schematisch erbauten Arbeiterwohnhäuser.
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