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Älteres


Ich tue mich etwas schwer mit der Kategorisierung des rechts abgebildeten Motivs. Ja, wir haben es mit einer Ansichtskarte zu tun. Zwar in einem für die Zeit eher ungewöhnlichen Format (entspricht den heutigen Standardabmessungen) aber immerhin: es ist eine Ansichtskarte.
Grundsätzlich hätte ich das Stück im Subarchiv Umland ablegen müssen. Daß es letztlich doch unter Sonstiges gelandet ist, verdankt es dem Umstand, daß ich das Exemplar eher als "Reklame" ansehe, denn als klassische Ansichtskarte. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob die gezeichnete Ansicht in allen Belangen der damaligen Realität entspricht oder ob dabei auch Fantasie und Wunschdenken eine Rolle spielten.

Wie unschwer zu erkennen: Beworben wird die Glasfabrik der Gebrüder Seidensticker in Senftenberg 2.
Die Geschichte dieses Betriebes begann im Jahr 1883. Die diesbezügliche Amtliche Bekanntmachung aus dem Senftenberger Anzeiger gibt Auskunft über die Planungen der Herren Robert Engelhard Seidensticker, Heinrich Wenzel Daniel Seidensticker und Josef Petrus Greiner, letzerer Schwiegervater von Robert, ihre bisherigen Aktivitäten in Sachen Glasfabrikation nunmehr auch auf Senftenberg auszudehnen.

Senftenberg
M 0591
Aufnahme <= 19??
Museen OSL
Senftenberger Anzeiger (1883)
Die Seidenstickersche Glasfabrik war nicht die einzige ihrer Art in Senftenberg und auch nicht die erste in unserer näheren Umgebung. Die erste Glashütte der Niederlausitz wurde um das Jahr 1709 in Friedrichsthal, einem Ortsteil Kostebraus gegründet. Daß sich Glashütten in unserer Region ansiedelten, liegt in erster Linie am Auftreten großer Vorkommen reinweißer (Quarz-)Sande hier. Diese Sande bilden die Grundlage der Glasherstellung. Außerdem fällt bei der Produktion ein hoher Energiebedarf an, weshalb man zunächst die umliegenden Waldungen abholzte. Als man dann Torf und später die Braunkohle, die hier anfangs mit Spaten und Schubkarre abgebaut wurde, als Feuerungsmittel entdeckte, setzte ein kleiner Boom dieses Industriezweigs ein. So kann man in nächster Nähe die Annahütte (ehemals Emilienhütte) bei Klettwitz, die Almahütte bei Klein Räschen, die Magdalenenhütte in Großräschen und auch die Glashütte der Halleschen Pfännerschaft in der Spremberger Straße in Senftenberg als Ausdruck dieser Entwicklung ansehen.

Was es mit dem auf der Ansichtskarte enthaltenen Firmen-Logo auf sich hat, kann ich derzeit nicht beantworten, sprich: ich weiss nicht sicher, wofür das GSS steht. Es gibt einige mehr oder weniger plausible Deutungen:

Gebrüder Seidensticker Senftenberg
Glasfabrik Seidensticker Senftenberg
Greiner - Seidensticker - Seidensticker

Ich habe mich ein bisschen auf die letzte Variante "eingeschossen" aber sicher bin ich mir nicht. Der Senftenberger Anzeiger brachte anläßlich des 50-jährigen Firmenjubiläums im Jahre 1933 einen kurzen Abriß der Geschichte, der aus meiner Sicht mindestens einen Fehler ("Gebr. Greiner") enthält. Der Hinweis auf das Ausscheiden der Greiner-Linie, welches unter Umständen zur Eleminierung des "G" hätte führen können oder müssen, würde meiner bevorzugten Theorie zuwider laufen, denn ich nehme an, daß die Ansichtskarte frühestens aus den 1930ern stammt. Das mache ich an dem moderneren Format und vor allem am Auftauchen der Autos in der Darstellung fest. Spätestens Ende der 1930er hatte die Firma Seidensticker dann ein anderes Logo. So deute ich zumindest den Einband eines Musterbuches aus dem Jahr 1938. Da war dann zwar auch wieder ein "G" dabei, welches nunmehr jedoch sehr wahrscheinlich für Gebrüder stehen dürfte.

Musterbuch der Firma Seidensticker
ca. 1938

50 Jahre Glasfabrik Gebrüder Seidensticker, Senftenberg 2

am 5. September

Das 50jährige Jubiläum der Firma Gebr. Seidensticker, Glasfabrik, fällt in eine Zeit, in der das neue Deutschland erwacht ist.
Die damalige Firma Gebr. Seidensticker, Greiner & Co. hatte in Johannisthal bei Hohenbocka die Glasfabrik gepachtet und mit Ende des Jahres 1882 lief die Pacht ab. Die Firma siedelte nun nach Senftenberg 2 über, erwarb das jetzige Grundstück und begann mit dem Bau der Glasfabrik. Am 5. Sept. 1883, nach Fertigstellen des Glasofens, wurde die erste Arbeit gemacht. Kurze Zeit danach schieden die Gebr. Greiner aus der Firma aus. Die Gebr. Seidensticker führten nun ohne jegliche Hilfe den Betrieb allein weiter. Durch Umsichtigkeit, Fleiß und Tüchtigkeit der Gebrüder nahm der Geschäftsgang immer mehr an Umfang zu, die Bestellungen häuften sich und so machte sich die Vergrößerung des Betriebes notwendig.
Im Jahre 1914 wurde eine zweite Hütte mit einem noch größeren Ofen gebaut. Plötzlich brach der Krieg aus und die neue Glashütte kam infolge Arbeitermangels zum Stillstand, während in der ersten alten Hütte der Betrieb noch aufrecht erhalten werden konnte. Von einem Schicksalsschlage wurde das Unternehmen 1915 betroffen. Am 30. Mai brannte in aller Frühe die alte Glashütte vollständig nieder, und so mußte der neue Ofen in Betrieb genommen werden.
Wenn auch während und unmittelbar nach dem Kriege die Firma nicht immer auf Rosen gebettet war, so kann sie doch mit voller Zufriedenheit auf die vergangenen 50 Jahre zurückblicken.
Durch Vergrößerung des Betriebes in den letzten Jahren ist die Firma in der Lage, allen Anforderungen gerecht zu werden. Sie erfreut sich regen Zuspruchs in der ganzen Lausitz und weit über deren Grenzen und die des Vaterlandes hinaus.
Möge der Jubelfirma auch fernerhin Glück und Segen zur Seite stehen.

"Glück auf!"


Wiesenstraße... so lautet das verbindende Element der heutigen Motive. Die beiden kommerziellen Ansichtskarten tragen den entsprechenden bildseitigen Vermerk, aber wir wüssten auch ohne diese Hilfestellung wo wir uns geografisch befinden.
Während die unterste Ansichtskarte tatsächlich ausschließlich die Wiesenstraße, die heutige Joachim-Gottschalk-Straße, abbildet, ist das mittlere Exemplar eine Mischung aus Bahnhofstraße und ein bisschen Wiesenstraße.
Bei dem obersten Stück jedoch, einem historischen Foto, ist die Sachlage nicht ganz so eindeutig und ohne den rückseitigen Vermerk Vater u. Gebr. Lehmann, Wiesenstr.11 wären wir wahrscheinlich nie und nimmer in der Lage gewesen, das abgebildete Haus zu verorten. Selbst mit der vollständigen Adresse ist es heutzutage schwierig, die Gegebenheiten zu verifizieren... An der Gottschalk-Strasse 11 befindet sich aktuell ein Geschäftshaus, welches mehrere Firmen beherbergt. Prominentestes Geschäft darin ist die Firma Jürgen Bretschneider - Büroausstattungen. Dieses Geschäftsgebäude wurde vor ein kleineres älteres Haus gesetzt, welches nach meinem Dafürhalten jenes ist, welches wir auf dem Foto erkennen.

Das heutige Hauptaugenmerk soll jedoch das letzte der drei Motive bekommen. Und das aus gutem Grund. Wir sehen hier nämlich ein wichtiges Senftenberger Gebäude, welches bislang überhaupt noch nicht zur Ansicht kam. Viele kennen es als Gesundheitsamt. Manche wissen auch, daß sich heutzutage darin die Musikschule befindet. Begonnen hat die Historie des Gebäudes vor fast genau 85 Jahren aber als Arbeitsamt.
Die Inbetriebnahme des Arbeitsamtgebäudes erfolgte feierlich am 5. Februar 1931. Ein halbes Jahr zuvor, Anfang Juli 1930 wurde die Senftenberger Bevölkerung über den in Angriff genommenen Neubau informiert. Präsentiert wurde neben einem einführenden Text auch eine Entwurfszeichnung.

Senftenberg
Aufnahme <= 19??
Museen OSL
Senftenberg
Aufnahme und Verlag
Kaufhaus W. Waldschmidt, Senftenberg
Aufnahme <= 1940
Sammlung Matthias Gleisner
Senftenberg
Kunstverlag Reinhard Rothe
(F. Mühlbach), Meißen.
R 3254
No. 1620
471224
Aufnahme <= 1936
Sammlung Fred Förster

Senftenberg, 5. Juli

Hatten sich schon unter normalen Verhältnissen die Zustände für die geschäftliche Abwicklung der Arbeitsvermittlung in den bisherigen dem Arbeitsamt als Provisorium zugewiesenen Räumen als unbrauchbar erwiesen, so drohen bei der durch die wirtschaftliche Not eingetretenen Ueberlastung diese Verhältnisse fast zur Katastrophe zu werden.
Schon seit über Jahresfrist beschäftigen sich die zuständigen Stellen mit der notwendigen Erweiterung und geeigneten Unterbringung des Arbeitsamtes. Passende verfügbare Gebäude oder Räume waren in der Stadt nicht zu finden oder freizumachen, und so reifte dann der Entschluß, die Kosten nicht zu scheuen, dem Arbeitsamt durch einen Neubat ein in seinen Ausführungen bescheidenes, aber zweckentsprechendes Unterkommen zu verschaffen.

Die Planungen liegen fix und fertig vor und als Bauplatz ist das noch freie Gelände an der Ecke Wiesen- und Hindenburgstraße gewählt worden.
Mit auf das äußerste beschränkten Mitteln soll dieser Bau ausgeführt und ausgestattet werden. Wir bringen eine Abbildung dieses zukünftigen Arbeitsamtgebäudes.
In dem langgestreckten erdgeschoßhohen Bau befindet sich die Arbeitsvermittlung für Männer und Frauen. Für die Einstellung von Fahrrädern sind im Kellergeschoß mit bequemen Zugängen reichlich Räume geschaffen.
Im 1. Obergeschoß sind die Verwaltungsräume untergebracht, das 2. Obergeschoß enthält die erforderlichen Räume für die Berufsberatung und eine Hausmeisterwohnung.
Die Entwurfsbearbeitung liegt in den Händen des Architekten Conrad Materne, Dresden. Die örtliche Bauleitung erfolgt vom Stadtbauamt.

Schon am 19.Juli 1930 erfolgte die festliche Grundsteinlegung. Der damalige Bürgermeister Lindemann weihte den Bau mit den Worten "Dem Schaffenden zum Schutze, der Arbeit zu Nutze". Anwesend waren unter anderem der Präsident des Arbeitsamts Berlin, Oberregierungsrat Brühl und der Regierungsbaurat Kusel als Vertreter des Regierungspräsidenten. Letzterer tat die Hammerschläge. Dabei hielt er eine kleine Rede in der er auf die Befreiung des Rheinlandes einging und schloß mit dem Weihewort "Auf freiem Grund mit freiem Volke stehen". Darauf folgten weitere Ansprachen u.a. des Direktors des Arbeitsamtes Grundmann, des Baumeisters Dressel und des Architekten Materne.

Gut sechs Monate später war mit Hilfe vornehmlich einheimischer Firmen der Bau vollendet. Ganz ohne Querelen lief dieser nicht ab. Zweimal mußten die Senftenberger Stadtverordneten finanzielle Nachforderungen zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, bis endlich an jenem 5. Februar 1931 zur feierlichen Einweihung des neuen Arbeitsamtgebäudes geschritten werden konnte...
Wie bereits bei der Grundsteinlegung war wieder allerhand Prominenz vor Ort und diverse Redner gaben sich die Ehre. Anschließend erfolgte eine gemeinsame Besichtigung der Räumlichkeiten. Der zugehörigen Bericht des Senftenberger Anzeigers liefert interessante Einblicke in das Innere des Gebäudes:

Das Kellergeschoß ist eingeteilt in getrennte Fahrradräume für arbeitssuchende Männer und Frauen, sowie für Angestellte des Arbeitsamtes, Klosettanlagen in modernster Ausführung. Eine Autogarage mit schräger Einfahrt befindet sich an der Westseite des Gebäudes, ebenso der Eingang für Angestellte. Im Erdgeschoß befinden sich die geräumigen Warte- und Abfertigungssäle, getrennt für Arbeitslose männlichen und weiblichen Geschlechts. Die Begrenzung der einzelnen Büros gegeneinander, sowie die mit den Abfertigungs- und Warteräumen ist mit Scheibenwänden durchgeführt, die eine Sicht durch alle Räume gestatten. Sprechräume für Arbeitgeber mit besonderem Eingang ermöglichen mit den Arbeitnehmern Vehandlungen ohne Störung zu verursachen. Der Kassen- bzw. Zahlungsraum ist so angelegt, daß von hier nach beiden Abfertigungsräumen gezahlt werden kann.

Sämtliche Räume, auch die im Keller, werden zentral geheizt. Die Wandverkleidung ist in Kunstkeramik sehr geschmackvoll ausgeführt und in der Farbe wechselnd, ebenso ist die Wand des Treppenturmes verkleidet. Das Treppengeländer ist in zweckmäßiger und solider Schmiedehandwerksarbeit ausgeführt. Im ersten Stockwerk befinden sich die Direktoren- und Wartezimmer, die Registratur und das Sitzungszimmer, sowie die Hauptkasse. Im 2. Stockwerk sind die Hausmeister-Wohnung und noch einzelne Büroräume, die zum Teil für die Berufsberatung eingerichtet werden sollen, untergebracht. Sämtliche hygienischen Anlagen sind in ihrer Art die letzten Ergebnisse der Erfahrungen und Erforschungen auf hygienisch-technischem Gebiet.
Der Leitgedanke bei dem Bau war, den Arbeitslosen den Gedanken des Ueberflüssigseins zu nehmen und in erzieherischem Sinne auf die Hebung des Arbeitswillens und die Arbeitsfreude wirken zu lassen.