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Ja es gibt sie noch: die aus dem Kalten auftauchenden (mir) unbekannten Ansichtskarten.
Heute zum Beispiel eine Vierbildkarte mit Motiven aus Groß-Koschen. Ich schätze die darauf
enthaltenen Aufnahmen auf <=1925. Anhaltspunkt ist hierbei die Seriennummer der Karte.
In dieser interpretiere ich die "25" als Produktionsjahr. Kann stimmen, muß nicht! Sicher
dürfte sein, dass die Fotos links unten und rechts oben kurz hintereinander geschossen
wurden. Man erkennt auf beiden das selbe Fuhrwerk.
Passend zu der Abbildung links oben - Bäckerei u. Kolonialwarenhandlung v. Heinr. Kindler fand
ich in der Chronik "Historische Einblicke - Großkoschen 1408 - 2008" folgenden Text:
Um 1903 erwarb Heinrich Kindler von der Gemeinde am Niemtscher Wege eine Baustelle. Er
legte dort den Grundstein zu einer Bäckerei mit Wohnhaus, verbunden mit einem Colonialwaren-
Lebensmittelgeschäft. Nach dem Tode des Heinrich Kindler führte seine Ehefrau unter Zuhilfenahme
ihres Sohnes und eines Gesellen das Geschäft weiter. Späterhin wurde die Bäckerei mit
Lebensmittelgeschäft verpachtet. Heute ist dort eine HO-Lebensmittelverkaufstelle eingerichtet.
Die Aussage des letzten Satzes war wohl 2008 auch nicht mehr ganz so aktuell...
Der obige Text suggeriert auch, dass Kindler um 1903 den Geschäftsbetrieb aufnahm. Das möchte ich
bis auf weiteres in Frage stellen denn 10 Jahre später im Einwohnerbuch 1914 wird er (noch) als "Arbeiter"
geführt.
Das vorliegende Exemplar ist übrigens ein anschauliches Beispiel dafür, daß sich auch
bei sub-optimaler Ausgangssituation digital noch etwas Vorzeigbares produzieren lässt.
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Nr. 4728 Verlag von Ernst Schroll, Görlitz Q 8545 25 Aufnahme <= 19?? Sammlung Familie Bonk
AK_Kos 030_1 vor der digitalen Restaurierung
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Ilse-Bergbau Akt.-Ges. Grube Marga Aufnahme <= 1939 Museen OSL
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Wer schon einmal die Gelegenheit hatte, eine laufende Brikettfabrik, also nicht nur ein Industriemuseum wie
Knappenrode, von innen zu besichtigen, wird mir zustimmen, daß dieser Besuch ein Fest für sämtliche Sinne ist.
Ich selbst war Mitte der 1990er Jahre einmal in der Brikettfabrik Schwarze Pumpe zu Gast. Und jetzt drehe
man die Uhr noch einmal 80 Jahre zurück und blende dabei den ganzen technischen Fortschritt aus, der in der
Zwischenzeit auch an Brikettfabriken nicht ganz spurlos vorüber gegangen ist. Die links abgebildete Ansichtskarte
kann meines Erachtens nur zur Zeit der Erstinbetriebnahme gemacht worden sein. Das gesicherte <= 1939 zweifele ich
stark an. Es gibt eine fast identische Aufnahme des Pressenhauses und die stammt spätestens aus dem Jahr 1913. Ich
vermute, daß beide Fotos in engem zeitlichen Zusammenhang entstanden.
Doch zurück zum "Normalzustand" einer Brikettfabrik... Ohrenbetäubender Maschinenlärm und das Klack-Klack-Klack der
sich ständig vorwärts schiebenden Brikettstränge. Funzlige Beleuchtung. Ein eigentümlicher Geruch: heiße Kohle
gemischt mit dem Öl und Fett, das zum Schmieren der Pressenmechanik verwendet wurde.
Hitze, verursacht durch den Trocknungsprozess in den Röhren- und Tellertrocknern und notwendig für den Pressvorgang.
Darüber legt sich Kohlenstaub auf allem und jedem ab. Nur kurze Zeit unter diesen Bedingungen und jedermann
sieht aus wie ein Mohr. Beim Verlassen der Produktionsstätte rauschen einem die Ohren und man ist heilfroh
wieder an der frischen Luft zu sein.
Und nun stelle man sich einmal vor, daß man tagein, tagaus 10 Stunden lang unter den oben geschilderten Bedingungen
arbeiten muß. Wie froh ist man nach getanem Werk, wenn man sich im Anschluß den Schmutz und Schweiß vom Körper
duschen kann. Glücklicherweise hatten die Besitzer der Brikettfabriken daran gedacht und in unmittelbarer Nähe
Badehäuser, auch Waschkauen genannt, zur unentgeltlichen Benutzung durch die Arbeiter errichtet.
Das war auch in einer der modernsten Brikettfabriken der damaligen Zeit - Marga - nicht anders.
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Dem Handbuch für den Deutschen Braunkohlenbergbau (G.Klein, Ausgabe 1935) entnehmen wir nicht nur den Grundriß des Verwaltungsgebäudes
in welchem sich unter anderem das Badehaus der Fabrik befand, sondern zusätzlich noch einige technische Details.
Das Zechenhaus für Tagebau und Brikettfabriken der Grube Marga (Ilse Bergbau-A.G.), auch heute noch eins der größten derartigen
Gebäude im deutschen Braunkohlenbergbau, ist in Abb. 1367 grundrißlich dargestellt; es enthält im Erdgeschoß Büroräume, Zechensaal
(Aufenthaltsraum für die Arbeiter), Umkleideraum mit 906 Kleideraufzügen, zwei Baderäume mit 56 Brausen für Erwachsene und einen
mit 13 Brausen für jugendliche Arbeiter usw.. Einen Blick in die Kleiderkaue nebst anschließendem Brausebadraum zeigt Abb. 1368.
Die Einrichtung dieser Räume ist von Göhmann & Einhorn in Dresden geliefert.
Abb. 1367. Grundriß des Zechenhauses für Tagebau und Brikettfabriken der Grube Marga (Ilse Bergbau-A.G.) bei Senftenberg (N.-L.), erbaut 1909
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Abb. 1368. Kleiderkaue nebst Brausebaderaum im Zechenhaus der Grube Marga (Ilse Bergbau-A.G.) bei Senftenberg (N.-L.)
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Links erhalten wir also den oben avisierten Blick in die Kaue. Die Aufnahme wurde spätestens 1913 gemacht. Auf den obigen Grundriß
übertragen, befand sich der Fotograf dort, wo der rote Punkt eingezeichnet ist.
Einen Einblick in das pralle Leben, ebenfalls vor oder in 1913, liefert uns eine kommerzielle Ansichtskarte (siehe unten). Es ist
doch immer wieder erstaunlich, was man damals für würdig erachtete, durch die weite Welt geschickt zu werden!
Diesmal stand der Fotograf in etwa dort, wo sich im Grundriß der grüne Punkt befindet.
Verl. d. Ilse-Wohlfahrtsgesellschaft m.b.H., Grube Ilse, N.-L. No. 8635 Aufnahme <= 1913 Sammlung Frank Weidner
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Aufnahme <= 19?? Sammlung Norbert Jurk
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Nach den ganzen bildlichen Informationen über das Innere des Gebäudes, liefere ich zur Abrundung
noch eine Außenansicht hinterher. Das Foto stammt angeblich aus 1929 und zeigt eine Frontalansicht des
Verwaltungsgebäudes der Brikettfabrik Marga. Ob die beiden Kinder ihren frisch geduschten Vater
von der Arbeit abholen wollten? Eher nicht, wenn man einen Blick auf die Turmuhr wirft. Schichtwechsel
um 10 Uhr vormittags?
Sicher dürfte hingegen sein, daß die Arbeiter der Brikettfabrik nach ihrer Schicht sauberer nach Hause
kamen, als ihre daheim wartenden Frauen und Kinder waren. Für die normale Bevölkerung war damals ein
tägliches warmes Wannenbad oder Duschen keineswegs Standard!
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