aus: "Elektrisierung des Abraumbetriebes der Grube Marie III der Anhaltischen
Kohlenwerke"
Dr. F.Gelber und E. Plietzsch
in BBC Nachrichten, Jahrgang 16/Heft 6, Nov./Dez. 1929
... Der Ersatz des Dampflokomotiv-Betriebes durch die elektrische
Zugförderung bringt nur auf wenigen Anlagen eine so fühlbare Erleichterung
und eine so deutlich sichtbare Verbesserung der gesamten Betriebsverhältnisse,
wie in der Braunkohlengrube.
Es dürfte kaum einen Betrieb geben, wo die Dampflokomotive unwirtschaftlicher
arbeitet, als dort. Ihre Zugkraft und Fahrgeschwindigkeit ist gering, weil sich
eine nennenswerte Leistung auf ihr nicht unterbringen läßt. Mehr als zwei Achsen
in einem festen Rahmen kann sie aus Gründen der Kurvenläufigkeit nicht haben;
Gliedermaschinen scheiden wegen ihrer hohen Unterhaltungskosten in Braunkohlenbetrieben
aus. Es ist daher notwendig, die beladenen Züge mit zwei oder mehr Maschinen zu
Berg zu führen. Um auf den wenigen Triebachsen ein möglichst großes Reibungsgewicht
zu vereinigen, geht man mit dem Achsdruck sehr hoch und 15t ist ein häufig erreichter
Betrag. Das ist natürlich sehr viel, zumal für 900 mm Spur, und die Inanspruchnahme
des Oberbaues und der Geleise ist groß, auch dann, wenn schwere Schienenprofile
verwendet werden, wie dies neuerdings allgemein geschieht. Die unvermeidlichen
Schlingerbewegungen, die vom ungleichförmigen Drehmoment der Kolbendampfmaschine
herrühren, werden durch schlechte Gleislage und durch den kurzen Radstand
außerordentlich verstärkt und führen ihrerseits wieder zu einer schnellen
Zerstörung des Schienenweges. Man muß einmal mit 35 km/h auf einer alleinlaufenden
Lokomotive zur Grube gefahren sein, um zu wissen, welch ungeheuerliche
Beanspruchung von Bemannung und Material der Dampfbetrieb einer Grubenbahn
darstellt.
Die Kohlen- und Wasservorräte, die eine Lokomotive mitzuführen vermag, reichen
meistens nur für eine einzige Fahrt aus und machen häufige Aufenthalte zur Einnahme
neuer Vorräte notwendig. Das Bunkern erfolgt nicht auf Abstellgleisen, damit die
Lokomotiven vor ihren Zügen belassen und größere Verschubbewegungen erspart werden
können. Die Vorräte werden vielmehr unmittelbar auf der Strecke aufgefüllt und diese
bleibt infolgedessen während dieser Zeit für den Zugverkehr gesperrt. Das Warten
von zwei oder drei Abraumzügen vor den Bunkern ist daher ein gewohntes Bild auf
dampfbetriebenen Abraumbahnen. Durch diese Bunkeraufenthalte wird die an sich schon
schlechte Ausnützung der Lokomotiven noch mehr verschlechtert; nur ein kleiner
Teil der Betriebszeit ist wirkliche Fahrzeit; der größere Teil wird mit Aufenthalten
vor und unter dem Bagger und auf den Kippen, mit dem Kohlennehmen und mit dem
Warten auf das Freiwerden der Bekohlungsanlage zugebracht.
Die Personalkosten sind sehr hoch, denn die Lokomotiven müssen selbstverständlich
zweimännig besetzt sein. Auch für die Erhaltung der Strecke und für die Bekohlungs-
und Wasseraufnahmeanlagen ist ein Personal erforderlich, das im elektrischen
Betrieb ganz oder teilweise entbehrt werden kann.
Für die Feuerung der Lokomotivkessel verwendet man im Braunkohlenbetrieb
gewöhnlich nur ganz minderwertige Kohlen oder Briketts, die unter mächtiger
Rauch- und Funkenentwicklung verbrennen. Die Feuergarben, die des Nachts aus den
Schornsteinen der bergfahrenden Abraumlokomotiven emporsteigen, werden jedem, der
dieses schöne, einer längst verklungenen romantischen Zeit der Technik angehörende Bild
einmal gesehen hat, in Erinnerung bleiben. Die starke Rauch- und Funkenentwicklung
verunreinigt jedoch in unerträglicher Weise Bagger, Strecke, Rollmaterial, Dienst- und
Wohngebäude und bildet außerdem eine ständige Feuersgefahr. Brände von Schwellen
und an der Strecke liegenden Holz- und Kohlenvorräten sind an der Tagesordnung und
werden als notwendiges Uebel in Kauf genommen, zumal eine Löschmöglichkeit
infolge Wassermangels meistens in nur unzureichendem Maße besteht. Gefährlich und
gefürchtet sind dagegen die durch Funkenflug verursachten Brände des Kohlenfeldes,
die bei starkem Wind mit großer Schnelligkeit um sich greifen und gewöhnlich nur
mit Aufbietung äußerster Anstrengungen zu löschen sind.
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Im elektrischen Betrieb sind die Verhältnisse
grundlegend anders. Hier lassen sich in einer einzigen Lokomotive auch
diejenigen Leistungen unterbringen, welche von den schwersten Zügen bei Fahrgeschwindigkeiten.
die doppelt so hoch wie die des Dampfbetriebs sind, benötigt werden. Das Lokomotivgewicht
wird hierbei selbstverständlich groß; es steigt auf 40-65t. Da es sich indessen
auf vier Achsen von ansehnlichem Abstand verteilt, wird weder der Achsdruck
noch die Last je Meter viel größer, als im Dampfbetrieb. Das Geleise wird zudem
infolge des ruhigen Laufes der elektrischen Drehgestell-Lokomotiven durch Schläge
kaum beansprucht. Dies hat dazu geführt, daß man allgemein im elektrischen Betrieb
bei gleichem Oberbau höhere Achsdrücke der Lokomotiven zuläßt, als bei Dampf; durch
den großen Drehzapfenabstand und durch die Anordnung des Führerstandes in Lokomotivmitte
sind auch die Erschütterungen, die der Führer zu spüren bekommt, selbst bei schlechter
Gleislage sehr gering.
Der elektrische Betrieb führt zu einer außerordentlichen Verbesserung in der
Ausnützung des rollenden Materials. Regelmäßige Aufenthalte zur Einnahme von Betriebsmitteln
entfallen vollkommen. Es genügt, wenn beim Schichtwechsel, der am Zuge erfolgt, einige
besonders empfindliche Teile nachgeschmiert und die Oel- und Sandvorräte der Lokomotive
ergänzt werden. Der Zugumlauf wird dadurch und durch die höhere Fahrgeschwindigkeit oft bis
aufs Doppelte beschleunigt. Das ermöglicht, mit dem gleichen Wagenpark eine größere
Abraumleistung oder mit geringerer Wagenzahl die gleiche Abraumleistung zu bewältigen.
Der Vorzug des elektrischen Betriebes geht jedoch über die Erzielung beschleunigter
Zugläufe durch höhere Geschwindigkeit weit hinaus. Die elektrischen Lokomotiven sind nämlich
für längere Zeit hoch über ihre Normalleistung überlastbar, während die Leistung der
Dampflokomotive nach kurzer Überlast durch die Überanstrengung des Kessels und des
Heizers stark zurückfällt. Elektrische Lokomotiven können daher mit Leichtigkeit anhaltende
Steigungen von 25 bis 30 ‰ und mehr überwinden, ohne dabei irgendwie unwirtschaftlich
zu arbeiten. Im Dampfbetrieb werden dagegen derartige Steigungen auf der Vollaststrecke
tunlichst vermieden oder nur auf so kurzen Streckenstücken eingelegt, daß sie wenigstens
teilweise mit Schwung überrannt werden können. Ein Kennzeichen der dampfbetriebenen
Abraumbahnen sind daher die zeitraubenden Spitzkehren, die in den Zug der Laststrecke
eingelegt werden, und ihre kurvenreiche, an Gebirgsbahnen gemahnende Linienführung. Die
elektrische Förderung macht dagegen sehr häufig eine viel kürzere, geradlinige Strecke
von ansehnlicher Steigung ausführbar und bringt dadurch bedeutende Fahrzeitverkürzungen.
Selbstverständlich sinken mit der geringeren Streckenlänge die Unterhaltungskosten und
das für die Strecke angelegte Kapital.
Es erübrigt sich, in diesem Zusammenhang den viel besseren Wirkungsgrad der elektrischen
Zugförderung und die dadurch erzielbaren Ersparnisse ausführlich zu erörtern. Es ist
selbstverständlich, daß zur Erzeugung der Förderenergie nur ein Bruchteil jener Kohlenmengen,
die zur Beschickung der Lokomotivkessel notwendig wären, im Dampfkraftwerk zu verfeuern
ist. Dies liegt an der größeren Wirtschaftlichkeit jeder zentralisierten Krafterzeugung
und an der Möglichkeit, ihr viele technische Errungenschaften nutzbar zu machen, die auf der
Lokomotive unanwendbar sind. Es ist auch bekannt, daß im Kraftwerk eine minderwertigere und
daher billigere Kohle verfeuert werden kann, als im Lokomotivkessel.
Ein Mann und eine einzige Lokomotive reichen zur Führung auch sehr schwerer Züge aus,
zumal, wenn eine durchgehende Luftbremse für Lokomotive und Wagenzug vorhanden ist. Je Zug
können daher bei normalem, dreischichtigem Betrieb im allgemeinen drei Lokomotivführer und
sechs Heizer eingespart werden. Zu der Ersparnis an Lokomotivpersonal treten ansehnliche
Ersparnisse durch Verminderung der Mannschaft für Lokomotiv- und Streckenunterhaltung. Diese
Ersparnisse sind so groß, daß sie allein in manchem Abraumbetrieb das für die Elektrisierung
verwendete Kapital zu verzinsen und zu tilgen vermögen.
Der elektrische Betrieb hat schließlich den Vorzug, reinlich und vollkommen feuersicher
zu sein. Insbesondere diese Eigenschaft ist, wie schon früher besprochen, im Bergbaubetrieb
von größter Bedeutung.
Der elektrische Betrieb ist somit in der Lage, die Abraumförderung technisch und wirtschaftlich
auf eine völlig neue, gesunde Grundlage zu stellen. ...
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